Berlin-Gefühl auf acht Quadratmetern: ein WG-Zimmer in Neukölln. Wir haben über Monate seine Bewohner getroffen. Wie funktioniert der Kurzzeit-Wohnungsmarkt?
Living like locals: Das wollen viele Touristen. Wir erzählen, wie Airbnb diese Sehnsucht zum Geschäft macht. Mit zunehmendem Erfolg – das zeigt unsere Datenanalyse.
Rausfliegen, wo andere Urlaub machen: Wir zeigen, wie Immobilienfirmen Wohnungen kaufen und zu Ferienappartements machen. Mieter stören da nur. Ein Notstandsreport.
Zu vermieten: ein winziges Neuköllner WG-Zimmer ohne Aussicht. Mit Bett, Stuhl, Tisch. Für junge Durchreisende ist es genau das Richtige. Eine Zwischenlösung. Für ein Praktikum, für die Suche nach einem Job oder nach sich selbst, für die Suche nach dem Berlin-Gefühl. Im ersten Teil begleiten wir über Monate die unterschiedlichsten Nutzer dieser acht Quadratmetern Berlin – und erzählen auf dem Weg, wie die Vermietung auf Zeit den Markt für Mieter verändert: Einige profitieren, andere verlieren.
Von Dominik Drutschmann
Als sich Annie eine Wohnung in Neukölln kauft, hat sie gerade wieder einen Job geschmissen. Eigentlich dachte sie, dass ihr das liegen würde, die alternative Arbeitsweise eines Berliner Start-up-Unternehmens. Das Informelle. Das Verspielte. Aber sie hielt nur etwa sechs Monate durch. Wie damals, in London, als sie als Investmentbankerin gutes Geld verdiente und nach nicht einmal einem halben Jahr hinwarf.
Ihr Leben ist seither noch unsteter geworden, hat sich weiter vom Tag in die Nacht verschoben. Sie arbeitet als DJ. Das erfüllt sie, alles andere nicht so. Sie konzentriert sich auf die Musik, lebt von ihren Reserven, die sie aus ihrer Zeit als Bankerin noch hat. Im Mai 2013 merkt sie, dass es langsam eng wird. Die zweieinhalb Zimmer in der Braunschweiger Straße, Neukölln, könnten die Lösung sein. Eine Einnahmequelle. Annie hat nicht vor, in ihre neue Wohnung einzuziehen. Sie schafft Möbel an und bietet die Wohnung auf dem Internetportal Airbnb an. Verkauf eines Lebensgefühls. Living like Locals, über Nacht Berliner sein. Bei Annie in der Braunschweiger Straße kostet das 50 bis 80 Euro pro Nacht, das Apartment bietet Platz für bis zu vier Personen.
„In den zwei Jahren seit meinem Kauf der Wohnung sind die Preise explodiert, gerade in Neukölln“, sagt Annie.
Wir lernen sie im Sommer 2014 kennen. Clemens, ihr Vermieter, von dem noch zu reden sein wird, hat sie in die Villa Neukölln mitgenommen. Er will hier ein WM-Spiel der Deutschen Nationalmannschaft sehen. Viele seiner Freunde sind da. Und Annie eben auch. Sie hatte Clemens’ Inserat für ein winziges Zimmer entdeckt. „Für mich war das ideal“, erzählt sie. Der kleine Raum ist nur wenige Häuser von ihrer eigenen Wohnung entfernt. So kann sie nach dem Rechten sehen, neue Mieter empfangen. Und die Kammer ist billig, Monatsmiete 185 Euro.
Ein metallischer Rollkoffer steht neben Annie, am Abend will sie in ein Flugzeug nach London steigen. Am nächsten Tag wird sie im Battersea Park direkt an der Themse auflegen. Sie trinkt zwei Radler und raucht während des Spiels E-Zigarette. Als sie schließlich aufbricht, fährt eine Frau mit Kind auf dem Rad vorbei. Das Kind lässt eine Deutschlandfahne aus der Hand gleiten und zu Boden fallen. Auf dem Weg zur Bahn hebt Annie die Fahne auf. Ihr blonder Lockenkopf glüht in der Sonne.
Tausende suchen jede Woche eine Ferienwohnung in Berlin
Bis zum Sommer könne sie in der Kammer bleiben, hatten Clemens und seine Freundin Katharina zu Annie gesagt. Dann sei das Zimmer einem guten Freund versprochen.
Dort, wo bei früheren Bewohnern das Kinderzimmer war und wo es wieder sein könnte, werden in den nächsten Monaten vier verschiedene Mitbewohner einziehen. Sie bleiben nur kurz, oft nicht länger als einige Wochen, sie sind auf der Suche. Auf der Suche nach dem Berlin-Gefühl.
Es ist dasselbe Gefühl, das Tausende jede Woche eine Ferienwohnung in Berlin suchen lässt. Leute auf der Durchreise, die wie die Einheimischen leben wollen. Mitten unter ihnen. In Wohnungen, die sie zur Verfügung stellen. Der Wunsch: von der Stadt aufgesogen zu werden. Das ist billig zu haben, wie überhaupt Berlin der Ort von Zwischenlösungen ist, die man sich glaubt leisten zu können. Kalte Treppenhäuser und der Geruch von Kohlsuppe und Waschmittel. Überklebte Klingelschilder. Musik aus dem Erdgeschoss. Der Spätkauf an der Ecke hat eigentlich immer auf. Und die Gereiztheit der Großstädter gibt es umsonst dazu. Schon bald fühlt man sich selbst ein bisschen als Berliner.
Doch was als selbst organisierte Vermittlung von WG-Zimmern begann, entzieht dem Mietermarkt mittlerweile tausende Wohnungen, die als Ferienapartments gebucht werden. Längst ist ein lukratives Geschäft daraus geworden. Die Mietpreise steigen. Und viele Berliner fühlen sich abgehängt. Das Klima ist vergiftet, Mieter klammern sich verzweifelt an das, was sie haben, weil sie den sozialen Abstieg fürchten. Etwas Besseres finden wir nicht mehr, sagen viele. Das könnte der Stadt gefährlich werden.
Warum es ausgerechnet in Berlin dazu kommen musste und welche Auswirkungen die sogenannte „Zweckentfremdung“ auf die Stadt hat, wollten wir, ein Reporterteam des Tagesspiegels, genauer wissen. Die Frage hat uns zu Immobilienhaien geführt, die Mietshäuser kaufen, um sie in Eigentumswohnungen umzuwandeln – und plötzlich kleben Fantasienamen an der Wohnungstür, die Nachbarn wundern sich über die fremden Leute nebenan, die immer nur kurz bleiben. Wir haben Hausgemeinschaften getroffen, die sich wehren. Und Mieter, die entnervt wegziehen. Es geht um Internetunternehmer mit guten Absichten und um Personen, die es gar nicht gibt. Die erfunden werden, damit das Berlin-Gefühl intakt bleibt.
Kompliziert? Eigentlich nicht.
Als Katharina und Clemens Ende April 2013 an Möbeln in ihre Wohnung geschleppt haben, was jeder von ihnen besitzt, lassen sie sich mit den Eltern und ein paar Freunden auf den abgezogenen Dielen nieder. Dazu Bier vom Spätkauf gegenüber. Ihr neues Heim liegt gerade noch so innerhalb des S-Bahn-Rings. Dazu: Vorderhaus, Stuck an den Decken, Balkon. Der Richardplatz mit dem historischen Dorfkern nur ein paar hundert Meter entfernt. Die Schränke der Vormieterin stehen noch herum. Die erste eigene Wohnung, denken Katharina und Clemens an diesem Tag, Ende April 2013, sind wir jetzt erwachsen? Wollen wir das?
Seit einem Jahr sind sie ein Paar, kennengelernt haben sie sich in Bielefeld an der Universität. Katharina hat ihr Studium gerade beendet. Clemens schreibt noch an seiner Masterarbeit. In Bielefeld wollte keiner der beiden bleiben, so viel war sicher. Was nicht sicher war: wo es hingehen sollte. Ganz grundsätzlich. Und wenn man nicht weiß, wo man hin soll, ist es nicht unwahrscheinlich, in Berlin zu landen.
Dass in diesem Haus etwas frei werden würde, erfuhren sie über eine Freundin. Ein formloses Schreiben an die Hausverwaltung genügte. Keine Schufa-Auskunft, kein Gehaltsnachweis, keine Makler-Courtage. Und das in Neukölln, wo die Menschenschlangen bei öffentlichen Besichtigungen bis auf die Straße reichen.
Nur bei einer Sache waren sie unsicher. Sie liebten einander, das schon. Aber sie waren doch noch gar nicht so lange zusammen. Vorher lebten beide in WGs. In einer Zeit, in der das Heiraten immer mehr an Bedeutung verliert, ist das Zusammenziehen im Beziehungsstatus nach oben gerutscht. Wer zusammenzieht, der ist wie verheiratet, der bekommt vielleicht bald ein Kind. Das Heiraten wird häufig übersprungen.
Das geht jetzt ein bisschen zu schnell, finden Katharina und Clemens. Und so haben sie aus der ersten gemeinsamen Wohnung eine WG gemacht. Jeder hat sein Zimmer mit eigenem Bett, auch wenn sie die Nächte in einem verbringen. Die letzte Rückzugsmöglichkeit soll fortbestehen. Die Flügeltür zwischen den Zimmern ist in der Regel geschlossen.
Und dann ist da noch ein weiteres Zimmer. Die Kammer. Etwa acht Quadratmeter, am Ende abknickend. In der toten Ecke befindet sich das Fenster kurz vor der nachträglich eingezogenen Rigipswand. Man könnte doch, dachten beide, das Zimmer untervermieten.
Es ist eine Art Ausfallschritt auf dem gemeinsamen Weg, dass sie das Pärchennest zur WG machen. Als Erste zieht Annie ein in den Schlauch, an dessen einer Seite sich die Möbel an die Wand drängen. Aber was heißt schon Möbel? Da ist eine niedrige Kommode, der grüne Lack schon etwas angefressen, darauf ein Ikea-Spiegel. Hinter der Kommode das Bett, 80 Zentimeter breit. Daneben der Schreibtisch, eigentlich ein Tisch für Kinder, und der rote Klappstuhl. Das ist die Grundausstattung.
Annie war nicht immer auf die Mieteinnahmen angewiesen
Annie hat sich gar nicht erst die Mühe gemacht, sich weiter einzurichten. Über den Schreibtisch, dort wo sie an ihrem Laptop sitzt und Musik produziert, hat sie den einzigen persönlichen Gegenstand gehängt, ein Poster: Electro Swing Club, 18. Oktober 2013 im Lido, Glitzer, Jonglage, Zauberei. Darunter die DJs aufgelistet. Auch Annie O, London, steht da. Das Poster markiert einen Wendepunkt in ihrem Leben. In dem Club hat Annie die ersten Auftritte ergattert, als sie nach Berlin kam.
Um zu verstehen, warum Annie das macht, sich mit acht Quadratmetern in einer WG zufrieden zu geben, während sie mit einer Ferienwohnung Geld verdient, muss man wissen, dass sie nicht immer auf dieses Geld angewiesen war. Dass Annie es gewohnt war, zu den Besten zu gehören. Zu den Allerbesten. In ihrer Heimatstadt Dortmund bestand sie das Abitur als Zweitbeste im Jahrgang. Mit links, wie sie, die Tochter einer Englischlehrerin, sagt. Zum Studium ging sie nach Koblenz an die Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung, Studiengang: Internationales Management. Eine Privatuniversität, 7000 Euro Gebühren im Jahr, der Aufnahmetest sei heftig gewesen, sagt sie. Annie bestand. Nach dem ersten Jahr kam der Jahrgang zusammen, um die Auslandspraktikumsplätze zu wählen. Der Jahrgangsbeste wählte zuerst, der Zweite danach und so weiter. Annie war Nummer 53. Von insgesamt 80 Studenten. „Plötzlich war ich totales Mittelmaß“, sagt sie.
Wenn sie ihren Freund am Wochenende in Dortmund besuchte, tat sie es mit der Angst zurückzufallen. „Das klingt vielleicht komisch“, sagt sie, „aber der Druck an der Uni war enorm.“ Viele Studenten um sie herum sind zielstrebig und erfolgsorientiert. Denkt Annie heute an die damalige Zeit zurück, kann sie die Kommilitonen, mit denen sie heute noch gerne Kontakt hätte, an ein paar Fingern abzählen. Dazu gehört auch Christopher Cederskog. Ein fröhlicher Typ, der ein bisschen Leichtigkeit reingebracht habe, sagt sie. Aber seit fast zehn Jahren hat sie jetzt nichts mehr von ihm gehört. Es wundert sie aber nicht, dass er heute Chef ist. Deutschland-Chef von Airbnb. Und also der Mann, der mit dafür verantwortlich ist, wie wir lernen werden, dass Annie das Leben führen kann, das sie nachts in die Clubs führt, dorthin, wo es wummert und heiß ist und aufregend.
Annie mag es, Dinge zu ordnen, zu analysieren, effizienter zu machen. Sie dachte immer, sie würde eine Karriere in der Unternehmensberatung machen. Doch im Studium wählte sie einen anderen Schwerpunkt. Finanzen. 2005, ein Jahr vor ihrem Abschluss, absolvierte sie ein Praktikum in London, bei Merrill Lynch, einer der großen Investmentbanken.
Nach dem Praktikum bot die Bank ihr einen Job an. „Das war das Geilste, was mir passieren konnte“, erzählt sie. Vor allem fürs Ego. Sie ist die Erste im Jahrgang, die einen Vertrag in der Tasche hat. Dazu noch bei einer der renommiertesten Investmentbanken der Welt. Es gibt ein Foto aus der Zeit, Annie hat es vor ein paar Wochen bei Facebook gepostet. Schulterlanges blondes Haar, Sonnenbrille, pinkfarbenes Käppi. Dazu schreibt sie: „Ich sehe genauso aus, wie das, was ich damals war: eine Bankerin im Feierabend, die versucht, cool auszusehen.“
In ihrer Londoner WG lebt die damals 22-Jährige mit IT-Technikern zusammen, mit Studenten und Leuten, die im Schönheitssalon jobben. „Ich hatte mit Abstand den krassesten Job.“ Morgens als Erste aus der Tür, am Abend als Letzte zu Hause.
Und dann waren da noch die Nächte. Annie wollte nichts verpassen, wollte dabei sein, wenn ihre sechs Mitbewohner feierten, wenn sie auf Konzerte in die Buffalo Bar gingen, ein paar Straßen weiter in Islington. Annie war tagsüber Business-Frau, abends Indie-Girl. „Ich habe nachgeholt, was ich im Studium verpasst hatte.“ Doch der Job bei der Bank ließ nicht viel Platz für solche Freiheiten. Annie, die es mag, Dinge zu ordnen, war so verdammt müde. Und gleichzeitig war da dieser Durst nach mehr.
Annie wartete, bis der erste Bonus ausgezahlt wurde. 18.000 Pfund vor Steuern. In der Nacht kontrollierte sie alle halbe Stunde ihr Online-Konto. Um sechs Uhr morgens war das Geld da. Sie fuhr zur Bank und kündigte. Ihr Chef bestellte sie in sein Büro, einer dieser Glaskästen, von denen man auf Untergebene schaut. „Er hat mir gesagt, dass ich noch ein paar Jahre bleiben sollte, dann könnte ich mir eine eigene Galerie kaufen“, sagt Annie. Schau dich doch um, habe sie geantwortet: „Die sind nicht ein paar Jahre hier, die sind Mitte 40. Haben Frau, Kinder, ein scheißteures Haus. Die sind so von dem Job abhängig. Das will ich nicht.“ Annie entscheidet sich gegen das große Geld.
Als sie das letzte Mal durch die bewachte Tür der Bank geht, 2 King Edward Street, hat sie einen kleinen Batzen auf dem Konto, aber in der Tasche nichts als ein unbezahltes Praktikum. Es sind nur ein paar Meter bis zur Haltestelle St. Paul. Von dort steigt man in die Central-Line Richtung Westen. Zwei Stationen bis Holborn. Wechsel in die Piccadilly-Line, weiter Richtung Südwesten bis Earl’s Court. Von dort zu Fuß über die Warwick Road in die Straße Eardley Crescent. Gehobene englische Reihenhäuser, grau-beiger Klinker, Säulen am Eingang. Rechter Hand, in der Wohnung Nummer fünf, 59 Eardley Crescent, wohnt in diesem Februar 2007 einer, der sich für das Geld entschieden hat. Julien Lu.
Lu ist Franzose und etwa so alt wie Annie. Er hat eine Geschäftsidee mit Ferienwohnungen entwickelt, die – das wird sich im zweiten Teil noch zeigen – für Berlin prägend sein wird. Zur selben Zeit jedenfalls, da Annie ihre Bankerkarriere aufgibt, gründet Lu von London aus eine Firma in Berlin. Ihr Name: JPG Invest. Die ersteht unter anderem Häuser, deren Wohnungen sie an Investoren weiterverkauft – als mögliche Ferienwohnungen. Deren Vermietung übernimmt in vielen Fällen JPG.
Berlin ist einer der besten Marktplätze für Investoren in Europa
Im März 2007 laden Julien Lu und sein Bruder und Geschäftspartner Gregory Lu zur Tombola: Unter Interessierten verlosen sie ein Berlin-Wochenende, Vier-Sterne-Hotel, Essen und Flug gratis, die Aktion „Candy-Bomber“ beginnt. Am ersten Tag werden die Investoren durch die Stadt gefahren, am zweiten Tag gibt es einen Rundflug mit dem Rosinenbomber. Berlin stehe an der Schwelle, einer der besten Marktplätze für Investoren zu werden, den Europa jemals gesehen habe, schreibt Julien Lu. Außerdem wohnten mehr als die Hälfte aller Berliner zur Miete, der Immobilienmarkt werde in einem Ausmaß ansteigen, „wie es die Hauptstadt nie zuvor gesehen hat“. Das sind die Rahmenbedingungen. JPG Invest bezieht ein Büro in Mitte, zwischen Berliner Ensemble, Spree und Charité.
Wenn wir die Geschwister Lu an dieser Stelle vorerst aus dem Blick verlieren, dann, weil es hier zunächst um Berlin als den Magneten für die kleinen Glückssucher geht. Auch die großen Geldvisionäre zieht er an, das schon. Und beide würden ohne einander nicht auskommen, weil die einen die Geschäfte der anderen finanzieren. Sie setzen sich also ins gleiche Boot.
Jemand anderes muss folglich aussteigen. Jemand wie Sybille Schroth.
In der Zeit, in der sich Annie eine Wohnung zulegt, steht die 45-jährige Versicherungsangestellte vor der gleichen Entscheidung. Für sie ist es eine schwere. Sie lebt in dem Teil von Kreuzberg nahe der Bergmannstraße, der wegen seines alternativ-bürgerlichen Milieus seit Jahren im Fokus steht und zum Milieuschutzgebiet deklariert worden ist. Ihr Haus ist verkauft worden. Die neuen Eigentümer unterbreiten ihr das Angebot, ihre eigene Wohnung zu kaufen. Es ist ein förmliches Angebot. Als Mieterin hat Sybille Schroth das Vorkaufsrecht. 150 000 Euro sind als Kaufsumme genannt.
„Das Geld hätte ich irgendwie zusammenbekommen“, sagt sie heute. „Aber ich kannte ja die Keller. Die waren nass. Die Wände zum Hinterhof troffen vor Feuchtigkeit. Hätte ich alles mitbezahlen müssen.“ Sie schlägt das Angebot aus.
Sollten doch andere die Dummheit machen. Um ihre Ehe steht es schon nicht zum Besten, ein weiteres Problem kann sie sich nicht auch noch aufhalsen. Im September 2013 beginnen Bauarbeiten in der Wohnung über der ihrigen, das Bad soll erneuert werden, erzählt Sybille Schroth. „Nachts regnet es plötzlich aus der Decke“. Das ist der erste Wasserschaden. Und der Auftakt zu einem Nervenkrieg, der die gebürtige Berlinerin aus der Stadt treiben wird. Sie hält das für eine Strategie. Sybille Schroth lebte nicht mehr mit Nachbarn im selben Haus, sondern mit leeren Zimmern, aus denen es tropfte.
Die Firma, die das Haus übernommen hat, braucht keine Mieter. Sie wird die meisten Wohnungen an Investoren weiterverkaufen und sie für diese als Ferienwohnungen betreiben. Wobei die Firma sagt, dass es sich um möblierte Apartments handele, deren Vermietung für länger als einen Monat legal sei.
Menschen, die für einige Wochen in die Stadt kommen, für ein Praktikum, eine Trainee-Station oder die Probezeit, gibt es genug. Bevor Annie im Jahr 2013 ihre eigenen Konsequenzen aus diesem Berliner Magnetismus zieht, wechselte sie in London als Ex-Bankerin noch mehrfach den Job, brachte sich Schlagzeugspielen bei, wollte mit einer Band den Durchbruch schaffen. Vier Jahre vergingen, in denen sie nachts lebte und für ihre Arbeit tagsüber immer schlechter bezahlt wurde. Schließlich räumte sie im Top Shop auf der Oxford Street Kleidung in die Regale. Für sechs Pfund die Stunde. Sie fragte sich: Ist mir das die Freiheit wert?
Airbnb hilft Annie, ihr Leben als DJ zu finanzieren
Einen festen Job zu haben, vorübergehend bei einer Firma für Mobile-Marketing, kam Annie wie eine Niederlage vor. Sie musste sich eingestehen, dass sie von der Musik allein nicht leben konnte. Dabei war sie nahe dran. Das Elektro-Duo, das aus ihr und ihrem Ex-Freund bestand, ergatterte ein paar Auftritte in Londoner Clubs, die Jeansmarke Levi’s porträtierte Annie als upcoming Künstlerin. In den Londoner Clubnächten kamen irgendwann die Drogen dazu. Die ersten Pillen, das erste Mal MDMA. Vom Burning-Man-Festival in Nevada 2011 nach England zurückkehrend, beschloss sie, die Band aufzugeben und ihr eigenes Ding zu machen. Des Geldes wegen heuerte sie bei einem Start-up-Unternehmen an. Ob sie nicht nach Berlin gehen möchte, um das dortige Büro mit aufzubauen? Die Entscheidung sei intuitiv gefallen, sagt sie. Von da an nennt sie sich Annie O, verlegt sich darauf, als DJ aufzutreten – und geht nach Berlin.
Bei ihren Auftritten am DJ-Pult, der Oberkörper frei, sind ihre Brustwarzen mit schwarzem Klebeband gerade so bedeckt, ihre Beine stecken in hautengen Leggins. Schwer zu glauben, dass sie mal jeden Morgen ein Business-Kostüm trug.
Nicht, dass sie London aufgegeben hätte. Sie behält ihr Zimmer im Londoner Stadtteil Hackney. 760 Pfund bezahlt sie dafür im Monat. Die Fixkosten drohen Annies Reserven aufzufressen. Bevor alles weg ist, kalkuliert sie ihre Perspektiven. Um ihr Leben als DJane zwischen London und Berlin aufrechterhalten zu können, verlegt sie sich auf das Airbnb-Modell. Im Winter verbringt sie selbst einige Monate in ihrer Wohnung. Im Frühjahr, mit Beginn der Airbnb-Saison, leben Touristen darin. Mittlerweile hat sie die Wohnung an zwei Amerikaner vermietet, längerfristig, ihre Anzeige bei Airbnb hat sie vorerst gelöscht.
Manchen wird Berlin, das neue Berlin der Immobilieninvestoren, der Wohnungsbesitzer und Internetunternehmer, zu hart. Jeder hat einen empfindlichen Punkt. Wann ist er bei Hergen erreicht, dem dritten Bewohner der Kammer in diesem Jahr? Zwischenzeitlich hatte ein anderer von Katharinas und Clemens’ Freunden hier kurz Station gemacht. Jetzt ist Hergen da, der ein sensibler Mensch ist. Der grübelt. Der sich eher zu viele Gedanken macht als zu wenige.
Seit er 2002 ein Praktikum im Bundestag absolviert hat, wollte er so richtig ankommen in Berlin. Zwölf Jahre später räumen er und seine Freundin Conny ihre WG-Zimmer in Bielefeld und verfrachten alles in den gemieteten Transporter. Was sie in Berlin machen wollen, wissen sie noch nicht. Conny muss ihre Abschlussarbeit schreiben. Später wird sie einsehen, dass Berlin im Frühling und Sommer kein Ort für konzentriertes Arbeiten ist. Hergen hat den Transporter auch mit einer Sinnkrise beladen. Ob er das Studium der Wissenschaftssoziologie noch beenden wird, weiß er nicht. Vielleicht ergibt sich ja was bei einem der vielen Start-ups, die einen Kicker auf dem Flur haben.
Als Hergen in die Kammer bei Clemens und Katharina einzieht, hängt er eine große Pappe an die Wand. Darauf einige Zettel. „Steuern“, „Schulden“, „Job“. Darüber ein weiterer mit dem Namen seiner Freundin, Conny, und einem zweiten Wort: Liebe. Auf dem Zettel mit dem Wort „Ich“ hat er einen kleinen gelben Post-It geheftet, auf dem „sein“ steht. Er schreibt Bewerbungen. Das Ziel: irgendwo reinrutschen, wo der Studienabschluss keine Rolle spielt. Wo er zeigen darf, was er kann, ohne dass er eine Qualifikation vorzeigen muss.
Man verdient zwar nicht viel, aber um über die Runden zu kommen, reicht es. Eine Arbeitsstelle, bei der man nicht das Hemd in die Hose stecken muss. Wo es normal wäre, wenn man einen Bart trägt wie Hergen, an den Seiten kurz, am Kinn ausufernd. Passend zu den Locken, die oben durch das Cap gebändigt werden und am Nacken wild herauswuchern. Flache Hierarchien bei großer eigener Verantwortung. So hat er sich das vorgestellt.
Und so suggerieren es auch viele Anzeigen. Häufig aber seien das konventionelle Unternehmen, sagt Hergen, die nur den Anschein eines Start-ups erwecken wollen, weil das „hip klingt“. Mit flachen Hierarchien ist da nicht viel, auch wenn ein Kicker auf dem Flur steht, an dem nie jemand spielt.
Hergen wollte immer nach Berlin, das schon, aber er hatte auch Angst. Um nicht im Zimmer zu hocken, und weil alle, die er in der Stadt kennt, mehr zu tun haben als er, geht er spazieren. Schließlich heuert Hergen bei Velogista an, einem Transportunternehmen, das auf Lastenfahrräder mit Elektromotor setzt, um innerhalb der Stadt Pakete zu transportieren.
Bei Velogista geht es chaotisch zu. Anders gesagt: Die Hierarchien sind wirklich flach. So bringt sich Hergen, der als Fahrer eingestellt ist, schnell auch im Marketing ein. Er gestaltet Flyer, macht einen Relaunch der Internetseite, plant eine Crowdfunding-Kampagne. Das einzige Problem: Es gibt kein Geld dafür. Stattdessen schreibt er sich für jede Stunde, die er arbeitet, einen Punkt auf. Sollte das Unternehmen irgendwann erfolgreich sein, werden diese Punkte zu Geld.
Manchmal, am Ende eines Tages, wenn er auf seinen Touren etwas Trinkgeld bekommen hat, hält er einen Zwanzig-Euro-Schein in der Hand. „Geil, heute Abend kann ich in die Kneipe gehen“, denkt er dann.
Hergen ist zu diesem Zeitpunkt 30 Jahre alt. Abends sitzen er und Katharina in der Küche, rauchen und erzählen sich vom Tag. Einmal haben sie zusammen einen Dinosaurier aus Pappe gebaut, es zumindest versucht. Manchmal nimmt Hergen diese komischen Schwingungen wahr, die von Katharinas Freund auszugehen scheinen. „Ich weiß es nicht genau“, sagt er, „aber vielleicht ist Clemens ein bisschen eifersüchtig.“ Die Schwingungen belasten ihn, aber er spricht das Thema nicht an.
Anfang Oktober nimmt er die Pappe von der Kammerwand. Alle sind traurig. Die gemeinsame Zeit so schnell wieder vorüber. Als Nächstes wird ein Fremder in die Kammer kommen.
Zu denen, die aufgeben, gehört auch Sybille Schroth. „Ich war schon traurig“, sagt sie mit rauer Stimme, „man konnte es nicht mehr aushalten.“ Sie packte ihre Sachen in Kartons, stapelte sie in der Mitte des Wohnzimmers. Als alles für den Umzug nach Neuruppin vorbereitet war, schloss sie die Wohnungstür hinter sich und ging.
Seit 1990 hatte sie in dem Haus in der Mittenwalder Straße 47 ihre Bleibe, mehr als die Hälfte ihres Lebens. Sybille Schroth sagt das ohne Sentimentalität. Sie neigt nicht zur Nostalgie. Es war ihre erste eigene Wohnung gewesen, nachdem sie ihr Elternhaus in Spandau verlassen hatte. Als sie ihren Mann kennenlernte, zog er zu ihr. Sie bekamen ein Kind, wohnten nun als Kleinfamilie in den drei Räumen, deren Miete anfänglich 800 Mark betrug. Sie half der alten Dame aus dem Ersten gelegentlich beim Treppensteigen und mit den Einkäufen.
Schließlich verbreiteten sich Gerüchte im Haus, dass es einen neuen Eigentümer gebe. Ein Investor, hieß es 2012. Der teilte, was zuvor eine freundliche Hausgemeinschaft gewesen war, in Eigentumsparzellen auf. Sybille Schroth traf nun ständig Handwerker im Treppenhaus an, deren Klamotten kein Firmenlogo aufwiesen, auch auf dem weißen VW-Transporter war kein Name zu lesen. Die Männer sprachen kaum Deutsch. Aber sie machten alles. Schliffen den Boden ab, strichen Türen, Wände, Fenster, verlegten Fliesen und Rohre. Und sie rissen offenbar Lecks in alte Leitungen. Beim zweiten Wasserschaden wellte sich die Tapete von Sybille Schroths Wand.
Mit den Renovierungsarbeiten beginnt die Vertreibung
Wen sie auch von der Hausverwaltung auf den Schaden ansprach, er winkte ab. Nicht zuständig. Derweil ging ihre Ehe in die Brüche. Nun lebte sie wieder allein in den drei Zimmern. Wegen des Drecks im Haus war es schwer, sich heimisch zu fühlen. Vor dem Fenster wurde ein Gerüst hochgezogen. Ohne, dass darauf etwas passierte. Schließlich wurde es wieder abgebaut. Dann wieder aufgebaut. Das Haus sei alt gewesen, sagt Sybille Schroth nun doch ein bisschen genervt, aber es hatte alles funktioniert. Mit den Renovierungsarbeiten habe ihre Vertreibung begonnen. Die Kraft für eine lange Auseinandersetzung hatte sie nicht.
Anfang 2014 kündigte sie den Mietvertrag. Ein Mann von der Hausverwaltung bot ihr an, sofort auszuziehen. Sie stellte ihre Habe in Kisten verstaut in die Mitte des Zimmers. Nachts rief die Nachbarin bei ihr in Neuruppin an. Der dritte Wasserschaden. Es floss nur so aus der Decke. Die alte Dame von unten, der sie die Treppe hinaufgeholfen hatte, die 72-Jährige und ihr Sohn hätten die ganze Nacht gegen den Sturzbach angewischt. Umzugskisten, Matratzen, Möbel waren trotzdem feucht geworden. Sybille Schroth beziffert den Schaden auf 1300 Euro.
Einen Tag nach ihrem Auszug waren die Handwerker da, um mit der Sanierung zu beginnen. Auf die Erstattung wartet Sybille Schroth bis heute.
Dennis will ein Hochbett in die Kammer bauen. Es ist sein guter Vorsatz fürs nächste Jahr. Denn als Dennis ihn fasst, da ist das alte Jahr noch nicht ganz vorbei. Die Leute, die seinen Ausklang einleiten wollen, finden sich Silvester in Clemens’ und Katharinas Wohnküche zu einem üppigen Mahl ein. Seit ein paar Wochen wohnt Dennis in der Kammer, ein Filmemacher aus dem Baskenland, Zehntagebart und dunkler Lockenkopf. Einer von Dennis’ Freunden, Spitzname Tequila, sagt: „Das ist ja wie in Mallorca, nur andersrum. Eine Party auf deutschem Boden, und die Spanier sind in Überzahl.“
Dennis und seine spanischen Freunde gehören zu der Generation, die heute in ihren Zwanzigern ist und unter der Wirtschaftskrise ihres Landes besonders leiden musste. Jobs gibt es viel zu wenige, viele leben noch bei den Eltern. Auch Dennis tat das, bevor er nach Berlin kam. „Meine besten Freunde waren eh schon hier in Berlin“, sagt er.
In Spanien hat er Kurzfilme und Musikvideos produziert. Er beherrscht sein Handwerk. Warum also nicht nach Berlin gehen, bei den anderen hat es doch auch geklappt. Und auch wenn es verdammt kalt ist, schlimmer als zu Hause in Spanien kann es nicht sein.
So steht Dennis an diesem Silvesterabend mit seinen alten baskischen und seinen neuen deutschen Freunden in der Küche und redet über seine Pläne. Er hat ein paar Bewerbungen geschrieben, eventuell kann er als Videoproduzent bei einem spanischen Online-Nachrichtensender anfangen. Auch für die Kammer hat er Pläne. Er will in ihr wohnen bleiben. Es ist eng, aber billig. Und an den Platzverhältnissen kann man noch was machen.
In Katharinas Zimmer haben sie aus unterschiedlich hohen Tischen eine Tafel zusammengeschoben. Es gibt Crêpes. Jeder hat etwas zu trinken mitgebracht, dazu kreisen ein paar Joints, alles wird geteilt. Um kurz vor Mitternacht gehen alle gemeinsam hinaus. Im Hausflur treffen sie auf einen Mieter aus dem Hinterhaus, Hund an der Leine. Sein Radius beschränkt sich auf die eigenen vier Wände und den Späti gegenüber, wo er immer eine Traube Trinker vorfindet.
„Hey, how are you?“ fragt er.
Fine, antwortet Dennis.
„How are you?“
„Sie können Deutsch mit mir sprechen“, sagt Clemens. „Ich wohne hier.“
Macht der Alte aber nicht. Spricht Clemens unbeeindruckt auf Englisch an. Immer nett, immer höflich.
Ein paar Wochen nach Silvester geht Dennis in einen Baumarkt, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Er braucht Holz. Bauholz. Sein Kumpel, der ihm dabei helfen müsste, weil der das kann, so ein Hochbett bauen, hat leider keine Zeit. Also steht Dennis vor dem Regal mit den Holzpfosten und ist unsicher, ob die auch stabil genug sind. Er macht ein Foto, seine Hand als Maßstab neben dem Pfosten, und schickt es seinem Kumpel. Sieht gut aus, antwortet der, kaufen!
Ein Auto haben weder Dennis noch Clemens, der ihn begleitet. So laufen die beiden, jeweils zwei Pfosten unterm Arm, gut einen Kilometer nach Hause. Den Rest des Holzes kauft Dennis ein paar Wochen später, als der Kumpel endlich Zeit hat. Sie brauchen einen Nachmittag, um das Grundgerüst zu errichten. Es ist auch das Grundgerüst von Dennis’ neuem Leben in Berlin. In der Kammer könne er so lange wohnen, wie er möchte, haben Clemens und Katharina ihm gesagt. Den Job bei dem spanischen Online-Sender hat er bekommen. Mit dem Bett, dem von eigener Hand gebauten Hochbett, hat er die Kammer zu seinem Zimmer gemacht.
Ein privates Zimmer mieten, die Stadt erleben wie die Einheimischen: Das wollen viele Touristen. Und bekommen es – für Geld. Im zweiten Teil erzählen wir am Beispiel von Airbnb, wie Online-Vermittler von Ferienwohnungen die Sehnsucht nach dem Berlin-Gefühl zu ihrem Geschäft machen. Mit zunehmendem Erfolg – wie unsere Datenanalyse zeigt. Um zu zeigen, wie sich der Markt verändert hat, haben wir die Anzahl und Verteilung der Airbnb-Angebote im Juni 2014 mit dem von April 2015 verglichen.
Von Tiemo Rink
Claire lebt in einer Penthouse-Wohnung in der Sonnenallee, in Neukölln. Fotos ihres Domizils kursieren im Internet, man sieht einen kleinen Orangenbaum auf der Dachterrasse wachsen, keine Ahnung, wie sie den durch den Winter bringt. Vielleicht stellt sie ihn rein in den kalten Monaten, neben der Hängematte an der Heizung wäre noch Platz. Mitunter scheint ein Mann zu Gast zu sein, der gerne in einem dieser geflochtenen Stühle auf der Terrasse sitzt, er legt die Füße hoch und liest Zeitung. Claire selber sieht man selten in ihrem Penthouse. Manchmal kommen Leute, um bei ihr zu übernachten. Aber nicht Claire öffnet dann die Tür, sondern jemand anders. Die Leute wundern sich darüber ein bisschen.
Andere glauben, dass Claire in einer dunklen Einzimmerwohnung in Schöneberg wohnt, am Bayerischen Platz. Ihre Küche ist klein, der Herd besteht aus zwei Elektroplatten, von ihrem Balkon blickt sie auf Garagen. Die Claire, die hier wohnt, schwärmt für den spanischen Regisseur Pedro Almodóvar, das Plakat zu dessen Film „Volver“ hat sie in ihr Wohnzimmer gehängt. Manchmal kommen Leute, um bei ihr zu übernachten. Mal öffnet Claire, mal jemand anders. Wenn man bei den Nachbarn nach ihr fragt, kann sich niemand an sie erinnern.
Wieder andere denken, dass Claire am Neuköllner Richardplatz lebt. Ihr Bett ist kaputt gegangen, nun liegt die Matratze auf ein paar gestapelten Europaletten. Die Küche ist leer, die Wohnung wirkt verlassen, aber irgendwo hier muss Claire sein. Manchmal kommen Leute, um bei ihr zu übernachten, sie erwarten dann, eine junge Frau mit langen dunklen Haaren und einem angedeuteten Lächeln anzutreffen. Aber sie, die ihren Besuchern doch eigentlich die Tür öffnen sollte, ist selten da.
Statt ihrer öffnet dann ihr Freund die Tür. Das ist aber schade, dass wir Claire nicht persönlich haben kennenlernen dürfen, sagen die Besucher später. Am Telefon war sie dafür sehr nett, auch die Mails hat sie freundlich beantwortet, und ihre Wohnung ist wirklich schön. Nur manchmal läuft alles schief. Dann ist Claires Freund schlecht gelaunt und lässt das an den Besuchern aus. Er wird unhöflich, vergreift sich im Ton, die Besucher klagen anschließend im Internet über sein Verhalten. Claire muss dann eingreifen, muss ihren Freund maßregeln, sich entschuldigen für sein indiskutables Verhalten, im Internet, öffentlich, vor allen Leuten.
Es scheint eine seltsame Beziehung zu sein zwischen Claire und ihrem Freund. Wie überhaupt diese ganze Claire seltsame Züge hat. Sie macht und rackert und tut, sie telefoniert, schreibt Nachrichten, ist immer freundlich und um Ausgleich bemüht bei den knapp 30 Berliner Wohnungen, die sie über das Online-Portal Airbnb zum Übernachten anbietet. Nur gesehen wird sie selten.
Wo ist Claire?
Wer ist Claire?
Viele, die es nach Berlin treibt, sind auf der Suche. Komm, wir fahren nach Berlin, wo die Menschen aus Heimweh hinziehen, hat die Band Blumfeld mal gesungen. Ein Satz für Romantiker. Aber es stimmt, dass man hier schneller als andernorts heimisch werden kann. Das meiste ist billig. Dielenböden. Stuck an der Decke. Mit neuen Namen überklebte Klingelschilder. Der Spätkauf an der Ecke hat eigentlich immer auf. Die Gereiztheit der Großstädter gibt es gratis dazu. Man fühlt sich schon bald selbst ein bisschen als Berliner.
Längst ist aus dem Heimweh ein lukratives Geschäft geworden. Was bei Airbnb und ähnlichen Plattformen als selbst organisierte Vermittlung von Zimmern begann, entzieht dem Berliner Mietmarkt mittlerweile mehrere tausend Wohnungen, die als Ferienappartements gebucht werden. Mietpreise steigen, viele Berliner fühlen sich abgehängt. Die Berliner Politik will dem entgegensteuern, mit einem Zweckentfremdungsverbot soll es Berliner Wohnungsbesitzern schwerer gemacht werden, an Touristen zu vermieten. Doch können gut gemeinte Verordnungen eine Praxis stoppen, für deren Kontrolle es kaum Personal und Mittel gibt?
Das Klima ist vergiftet. Mieter klammern sich an das, was sie haben, weil sie Verdrängung und sozialen Abstieg fürchten. Für die Stadt ist das problematisch, weshalb wir – ein Reporterteam des Tagesspiegels – in diesen drei aufeinanderfolgenden Episoden der Frage nachgehen, wie es so weit kommen konnte.
Im ersten Teil beschrieben wir ein Berliner Paar, das in seiner Neuköllner Wohnung ein Zimmer an Freunde und Fremde vermietet, insgesamt fünf Gäste lebten innerhalb eines halben Jahres in der Acht-Quadratmeter-Kammer. Und wir lernten Julien Lu kennen, einen jungen Franzosen, der in London zusammen mit seinem Bruder die Immobilienfirma „Imoinvest UK Limited“ betrieb. Ein Unternehmen, das irgendwann unter dem Namen „JPG Invest“ einen Ableger in Berlin gründete. Dieser vermietet Ferienwohnungen – und seine Miteigentümerin heißt Claire.
All das hat sich so ergeben. Geschichten beginnen ja oft damit, dass sich etwas einfach ergibt. Zum Beispiel, dass Berlin irgendwann aufgehört hat, eine billige Mietmetropole zu sein. Claire, eine Kanadierin, hat mit ihren 30 Berliner Wohnungen, die sie im Internet zum Übernachten anbietet, Anteil an dieser Entwicklung. Wo aber kommen all diese Wohnungen her?
Wer der Frage nachgeht, stößt auf eine große Illusion.
Aber der Reihe nach. Am Anfang ging es gar nicht um Berlin. Sondern um eine Idee, mit der sich Geld machen lässt. Und zwar mit Ferienwohnungen in Frankreich, in den beliebten Gegenden, in denen sich Touristen tummeln. Die Idee, entwickelt für Inseln, Küstenorte und Erholungsregionen, wird heute auf Berlin angewandt. Im Grunde ist es eine alte Idee, aber sie profitiert von neuen Vertriebskanälen, von Vermietungsportalen wie Wimdu, fewo-direkt, e-domizil oder 9flats, und natürlich von Airbnb, dem kalifornischen Start-up-Unternehmen, das im Sommer 2011 nach Deutschland kam und sich schnell zum Marktführer entwickelte.
Im Spätsommer 2014 veröffentlichte das Wirtschaftsmagazin „Capital“ erstmals verlässliche Zahlen zum Berliner Airbnb-Geschäft. Nach diesen Recherchen hatte sich das Portal schon damals von einer Plattform für Gelegenheitsvermieter zum Vertriebskanal für professionelle Anbieter entwickelt: Knapp 4500 Anbieter boten rund 5800 komplette Wohnungen an, und zwar nicht nur für zwei oder drei Wochen, wie es anzunehmen wäre, wenn jemand etwa in den Urlaub fährt und seine Wohnung in dieser Zeit untervermietet. Sondern das ganze Jahr über, für durchschnittlich etwa sechs Monate.
Airbnb selbst spricht von insgesamt 14.000 Vermietungsangeboten in Berlin, einzelne Zimmer oder komplette Wohnungen, ganzjährig oder nur zeitweise zu mieten.
Der Tagesspiegel hat den Berliner Airbnb-Markt nun erneut untersucht. Die Recherchen zeigen, dass immer mehr Anbieter in das Geschäft mit Ferienwohnungen einsteigen wollen – trotz Zweckentfremdungsverbot. Inzwischen inserieren rund 5150 Vermieter bei Airbnb, gut 15 Prozent mehr als noch vor einem Dreivierteljahr. Auch die Zahl der angebotenen Komplettwohnungen ist erneut gestiegen, auf rund 6100 Wohnungen, die durchschnittlich 6,6 Monate im Jahr zu mieten sind.
JPG Invest klingt nach Konzern, doch es ist ein Familienunternehmen
So weit die aktuelle Lage. Wer wissen will, wie sie zustande kam, kann das am Beispiel von Claire und der Firma JPG Invest nachvollziehen. Dessen Londoner Mutterkonzern Imoinvest UK Limited wird am 2. Oktober 2003 ins englische Handelsregister eingetragen, gegründet von zwei jungen Menschen, die ein Gespür für Trends haben: Gregory und Julien Lu. Gregory ist Anfang 30, Julien Anfang 20. Claire ist zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt, aber um Claire geht es hier nicht, noch nicht.
Worum es geht, ist die Angst von Menschen mit Geld, dass ihr Vermögen an Wert verlieren könnte. „In den aktuellen Finanzturbulenzen“, schreibt Imoinvest auf seiner Website, suchen Anleger sichere und renditestarke Investitionsmöglichkeiten. Was wie ein Werbetext aus der Gegenwart klingt, schreibt Imoinvest bereits im Jahr 2003. Wohin nur mit der ganzen Kohle?
Imoinvest hat einen Vorschlag: „Grundbesitz könnte die Lösung sein.“ Wir bieten Ihnen, schreiben die Gebrüder Lu im Jahr 2003, ausgewählte Immobilien in den weltweit spannendsten Städten für Touristen, in Paris, Cannes, Nizza oder St. Tropez. Ein annähernd steuerfreies Investment, denn die Mehrwertsteuer wird den Investoren erstattet. Ein guter Deal, die Firma wächst schnell.
Sie betreibt sogenannte Leaseback-Geschäfte. Investoren sollen Ferienwohnungen kaufen und sie für mehrere Jahre fest an eine Immobilienfirma vermieten. Die wiederum vermietet sie an Touristen und bedient mit den Mieteinnahmen die Kredite der Eigentümer. In Frankreich, schreibt Imoinvest, habe die Regierung dieses Verfahren in einigen Gegenden erlaubt, um so Investoren ins Land zu locken, denen sie Steuererleichterungen gewährt.
Am 5. Februar 2007 lassen die Brüder Lu eine neue Firma namens JPG Invest GmbH beim Handelsregister des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg eintragen. JPG will Wohnungen kaufen, vermieten und bewirtschaften. Julien und Gregory Lu ernennen sich zu Gesellschaftern der Firma, neben ihnen wird ihre Schwester die dritte Gesellschafterin: Pauline Lu. JPG Invest klingt groß, nach internationalem Konzern. Tatsächlich ist es ein Familienunternehmen, die Buchstaben JPG stehen für die Vornamen der Firmeninhaber. Und noch immer keine Spur von Claire.
Die Karte zeigt, wie viele komplette Wohnungen (keine einzelnen Zimmer) Airbnb im April 2015 pro PLZ-Bereich anbietet – im Vergleich mit Juni 2014. Dargestellt ist das Verhältnis von Angeboten pro Quadratkilometer. Klicken Sie auf das Wort „Legende“, um den Verteilungsschlüssel zu sehen.
Nun also Berlin. Warum? Weil hier mittlerweile Geld zu verdienen ist, ganz einfach. Der Immobilienmarkt in der Stadt zieht langsam an. Die niedrigen Preise sprechen sich herum, die ganze Stadt wirkt wie ein Versprechen: arm, aber sexy. Längst schon kommen die Touristen, und mit ihnen werden die Vermietungsportale in der Stadt aktiv. Warum? Weil hier mittlerweile Geld zu verdienen ist, ganz einfach.
„Willkommen zu Hause“ lautet der Werbespruch, mit dem Airbnb seine Philosophie verbreitet. Also dann – willkommen in Berlin. Genauer gesagt: Willkommen im dritten Hinterhof, Erdgeschoss, Rosenthaler Platz. Hier sitzt die Berliner Airbnb-Filiale. Großraumbüro, junge Menschen hinter Apple-Computern, natürlich haben wir auch einen Kickertisch, sagt der Pressesprecher, nur aufgebaut sei er noch nicht. Der Kickertisch, das Symbol der Start-up-Branche. Anfang des Jahres haben sie das Büro neu bezogen, gleich darauf fuhr die Belegschaft zu einer Art Betriebsausflug in die Zentrale nach San Francisco. Alles ganz dynamisch: kaum hier sein, schon wieder weg sein. Vielleicht geht Airbnb ganz ähnlich: schnell, flexibel, immer da, wo was los ist, und dabei noch mit einer schönen Geschichte unterwegs.
Die Geschichte geht so: Bei Airbnb inserieren Privatleute ihre Wohnung oder ihr Zimmer, wann immer sie möchten. Dann kommen andere Privatleute als ihre Gäste, die auf sterile Hotels verzichten möchten und auch im Urlaub lieber like locals leben wollen: wie Einheimische. Der Gast zahlt für Zimmer und Lebensnähe, Airbnb kassiert eine Provision, bis zu zwölf Prozent. Es ist die schöne Geschichte von der Sharing Economy: Teile, wenn du teilen kannst, vom Auto über die Bohrmaschine bis hin zur Wohnung. Und Wohnungen sind das Metier von Airbnb: Fast 250.000 Menschen kamen im letzten Jahr über die Plattform nach Berlin, Airbnb ist damit Marktführer. Mehr als doppelt so viele Übernachtungsmöglichkeiten wie die Mitbewerber Wimdu, 9flats, fewo-direkt und e-domizil zusammengenommen hat der Branchenriese für Berlin im Angebot.
„Auch wenn es nur für ein Wochenende ist, es geht um das Gefühl, wirklich da gewesen zu sein“, sagt Christopher Cederskog, der Chef von Airbnb Deutschland. Einfach mitmachen können. Teil einer Gemeinschaft sein. Und natürlich auch: Freundschaften schließen. Hat er ja selber vor Kurzem erst wieder erlebt, sagt Cederskog, als er in Israel Urlaub machte. Die intensiven Gespräche mit dem Gastgeber, aus dem Land der Täter ins Land der Opfer, am Ende war’s einfach besser als in irgendeinem Standardhotel.
Wenn es nach Cederskog geht, dann ist Airbnb eine Art Onlinetool zur Völkerverständigung: Der Gastgeber zeigt dem Fremden die guten Ecken seines Viertels, und irgendwann reist der Fremde wieder ab und stellt fest, dass er gar kein Fremder mehr ist. Das ist die eine Sichtweise. Was aber bedeutet es, wenn jemand bei einem Menschen übernachtet und ihn dafür bezahlt? Werden sie Freunde? Kann man von einem Freund Geld dafür verlangen, dass der bei einem wohnt? Oder ist dergleichen das Gegenteil von Freundschaft, nämlich Service, Dienstleistung, Geschäftssinn? Das ist die andere Sichtweise.
Man kann dem Unternehmen zugutehalten, dass Airbnb vielen Menschen die Möglichkeit bietet, schnelles Geld zu verdienen. Einfach nur dadurch, dass das Unternehmen Menschen zusammenbringt, und dass die einen mit den anderen einen Beitrag für die Haushaltskasse erwirtschaften. Man kann dagegenhalten, dass Airbnb die Menschen normiert. Dass Ecken und Kanten der Gäste und Gastgeber abgeschliffen werden, weil sich alle permanent auf der Airbnb-Website beurteilen sollen. „Die Bewertungen der Nutzer fließen in den Algorithmus ein und spielen eine sehr große Rolle bei der Platzierung der Inserate“, sagt Airbnb-Chef Cederskog. Wenn irgendetwas missfällt, wird die Sichtbarkeit des Inserats herabgesetzt, der Gastgeber findet seltener Gäste. Wenn er also clever ist, dann ist er immer freundlich, gibt gute Tipps und führt seine Gäste durchs Viertel. Wenn er nicht clever ist, dann macht er das nicht.
Es ist der Glaube an die Schwarmintelligenz, die gemeinschaftliche Abstimmung darüber, wo es schön und wo es nicht so schön ist. Was als Mitbestimmung daherkommt, kann man andererseits auch als Mechanismus interpretieren, der die Menschen kontrolliert, der sie zwingt, permanent gut drauf zu sein. Und das in einem Bereich, wo man eigentlich auch mal schlechte Laune haben dürfte, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen: in der eigenen Wohnung.
Worum es bei Airbnb eigentlich geht, ist nicht Freundschaft, sondern Freundlichkeit. Der Unterschied könnte kaum größer sein.
Auf den ersten Blick scheinen 15.000 Ferienwohnungen und Gästezimmer zu wenig, um irgendeine Relevanz in einer Stadt mit 1,8 Millionen Wohnungen zu haben. Tatsächlich aber ballen sich die Airbnb-Inserate in angesagten Vierteln wie Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Mitte und Kreuzberg, während reguläre Mietwohnungen in diesen Gegenden immer seltener oder aber teurer inseriert werden.
Für diesen Marktmechanismus möchte Airbnb-Chef Cederskog nicht verantwortlich gemacht werden. „Airbnb ist kein Werkzeug, um eine höhere Rendite aus der Wohnung zu ziehen als bei einer normalen Vermietung.“ Das scheinen allerdings Anbieter anders zu sehen, die für ihre inserierten 40-Quadratmeter-Apartments gerne mal 1000 Euro und mehr im Monat verlangen.
Aus den Airbnb-Daten lässt sich auch die steigende Attraktivität einzelner Kieze ablesen. Zum Beispiel in der Neuköllner Sonnenallee, wo vor einem Dreivierteljahr auf der Airbnb-Seite gut 110 Wohnungen angeboten wurden. Mittlerweile sind es 210, also fast doppelt so viele. Zum Vergleich: Beim populären Wohnungsportal Immoscout sind in der Sonnenallee derzeit gerade einmal zehn reguläre Mietwohnungen im Angebot.
Bei Airbnb stößt man auch hier wieder auf Claire, die ebenfalls in der Sonnenallee inseriert. Sie gehört zu den 30 Spitzenanbietern auf dem Berliner Airbnb-Markt, die zusammen mehr als 400 Ferienwohnungen im Angebot haben. Da könnte es mitunter etwas schwierig werden mit dem individuellen Miteinander von Gast und Gastgeber, das nach Unternehmensangaben doch das besondere Airbnb-Erlebnis ausmachen soll.
Die Wirklichkeit ist bei den Großanbietern viel profaner: Der vermeintliche Gastgeber wohnt gar nicht in der Wohnung, die er online bewirbt. Manchmal fällt das den Mietern auf, dann klagen sie auf der Airbnb-Website über den Kommerz, wo sie doch für Authentizität gezahlt hätten. Manchmal fällt ihnen nur auf – wir denken kurz an Claire -, dass ihnen statt des eigentlichen Gastgebers irgendein anderer Mensch die Schlüssel in die Hand gedrückt hat. Vielleicht treffen wir den Gastgeber ja beim nächsten Mal, schreiben sie dann auf der Airbnb-Website. Das wäre schön, antwortet dann gelegentlich der Gastgeber.
Was war der Moment, an dem die ganze Sache mit den Ferienwohnungen langsam in den Irrsinn kippte? Wann wurde deutlich, dass hier ein Geschäftsmodell ausfranst? Als die immer gleichen Wohnungen auf immer mehr Suchportalen im Internet angeboten wurden, als eine Maschine zu arbeiten begann und auch die Gastgeber nicht mehr wussten, wo sie eigentlich gerade ihre Gäste suchen, als die Renditen entweder immer schmaler oder aber die Mietpreise immer höher wurden, weil immer mehr Akteure auch noch ein Stück vom Kuchen abhaben wollten?
Ein Frühlingsabend in der Kreuzberger Adalbertstraße. In einem Erdgeschossbüro sitzt Levan Khutchua zwischen Schlüsselbrett und Aktenordnern und macht gute Miene zu einem Spiel, das schon lange anders läuft als einst gedacht. Und wahrscheinlich im nächsten Jahr gar nicht mehr laufen wird, wenn seine Sondergenehmigungen nicht mehr gelten, die der Berliner Senat als Übergangsregelung bis zum Inkrafttreten des Zweckentfremdungsverbots erteilt hat. Berlinlux heißt Khutchuas Firma, seit 2009 vermietet sie Wohnungen an Touristen.Bei Airbnb hat Berlinlux fast 30 Inserate und gehört zu den größten der Stadt. „Poweruser“ nennen sie einen wie ihn bei Airbnb. Er selbst nennt sich lieber Levan, anstatt den Namen seiner Firma zu verwenden. Berlinlux vermietet Wohnungen, die nicht der Firma selbst gehören, stattdessen mietet Levan Khutchua sie von den Wohnungseigentümern, um sie an Touristen weiterzuvermieten. Oder er macht gemeinsame Sache mit dem Eigentümer und bekommt bei jeder Buchung 20 Prozent Provision. Auch Airbnb will eine Provision auf jede Buchung, wie überhaupt jeder in diesem Spiel beteiligt werden will.
Jede einzelne seiner Wohnungen bietet Khutchua auf jeweils 30 Portalen an. Wer bei Berlinlux eine Wohnung buchen möchte, hat dafür also insgesamt 900 verschiedene Möglichkeiten. Airbnb ist für einen wie ihn nur einer von vielen Vertriebskanälen. Denn natürlich gab es Vermietungsportale schon, bevor Airbnb vor vier Jahren nach Deutschland kam. Khutchua betreibt selbst eins. Zusätzlich hat er vor Jahren schon ein halbes Dutzend weiterer Internetseiten angemeldet, alle gedacht als Suchportale, die er aufbauen wollte. Angemeldet hat er sie in Zeiten, in denen Airbnb noch keine Rolle spielte. Aber die Zeiten haben sich geändert, heute kommt nur noch jede zehnte Buchung über eine seiner eigenen Seiten.
Den großen Umsatz macht Khutchua über die großen Anbieter. Über diejenigen, die die Massen erreichen, gegen deren Marktmacht einer wie er natürlich keine Chance mehr hat. Was aber noch lange nicht bedeutet, dass er deshalb das eigene Portal stilllegen würde.
Und so teilt sich der Berliner Markt langsam auf. Ganz oben thronen Großvermittler wie Airbnb, dann kommt lange nichts, irgendwann kommen Anbieter wie Berlinlux. Und dann gibt es noch die ganz kleinen Fische. Leute wie die Frau aus Kreuzberg, die am Viktoriapark drei Wohnungen vermietet. Diese Frau, nennen wir sie Frau Meier, hat auch eine eigene Internetseite, auf der sie ihre Wohnungen für 60 Euro in der Nacht anbietet. Dieselbe Wohnung findet sich auch bei Airbnb, da kostet sie 62 Euro, weil Frau Meier die Provision an ihre Gäste weitergibt. Insgesamt, sagt Frau Meier, inseriere sie auf sechs verschiedenen Portalen.
Aber Frau Meier irrt sich. Es sind mindestens sieben Portale, denn bei Levan Khutchua ist sie auch mit dabei. Hier kostet ihre Wohnung 70 Euro, Khutchua will schließlich auch etwas verdienen. Wie ihre Wohnungen auf Khutchuas Seite gelandet sind, weiß Frau Meier nicht. Sie kenne ihn gar nicht, sagt sie, was er wiederum bestreitet. Seltsame Dinge scheinen zu geschehen auf dem Berliner Ferienwohnungsmarkt: Die Immobilien machen mobil, sie wandern von Portal zu Portal.
Frau Meier ist damit aber grundsätzlich einverstanden. Wenn Khutchua ihr Mieter zuschanzt, zu Preisen, bei denen er selber eine Provision verdient, dann gebe es doch eigentlich keinen Verlierer, sagt sie. Bis auf die Touristen vielleicht, die mehr bezahlen müssen als eigentlich notwendig, aber was sagt das schon aus? Geht hier ja nicht um Notwendigkeit, sondern um die Frage, was einem Touristen die Nacht wert ist. Wer von denen interessiert sich schon für versteckte Kosten?
Schlüsselübergabe in Berlin, Kundenbetreuung in Georgien
Den Touristen ist wichtiger, dass alles reibungslos funktioniert. Und genau da gibt es mitunter Probleme: Mehrfachbuchungen, Schwierigkeiten bei der Abstimmung. Dann beschweren sich Levan Khutchuas Gäste auf der Airbnb-Seite darüber, dass ein Baugerüst vor dem Haus steht. Dass da ein Handwerker einen Schlüssel für die Wohnung hat, überraschend hereinkommt und im Badezimmer arbeiten will. Dass da einfach ein paar Möbel in die Wohnungen geschmissen werden, damit auch während der Renovierungszeit noch Geld mit dem Haus verdient werden kann. So geschehen in der Brückenstraße 1A: sechs Wohnungen, fünf davon im Angebot von Berlinlux.
Wenn die Touristen dann meckern über die schlechten Zustände bei Gastgeber „Levan“ in der Brückenstraße, dann sitzt rund 3000 Kilometer östlich von Berlin sein Bruder Irakli in Tiflis und antwortet. Bei Berlinlux herrscht Arbeitsteilung. Levan in Berlin verwaltet die Hausschlüssel, sein Bruder in Georgien macht die Kundenbetreuung. Es tue ihm leid, schreibt er dann gelegentlich, und dass man den Service verbessern wolle. Manchmal antwortet er allerdings auch, es tue ihm leid, wenn der Gast einen schlechten Tag oder private Probleme habe, aber seine Kritik sei Unsinn.
So geht es dann hin und her, der Ton wird immer schriller, und die schöne Geschichte vom Wohnen bei Freunden entpuppt sich irgendwann als Geschichte von Gästen, die auf einer Baustelle in der Nähe der Jannowitzbrücke übernachten und darüber mäßig begeistert sind. Und während sie auf der Airbnb-Seite Teilhabe simulieren und sich gegenseitig schlechte Bewertungen geben, sitzt der Eigentümer des Hauses in Zehlendorf und hält die Füße still: Seit drei Jahren gehört das Haus in der Brückenstraße 1A der G+B Fundus Vermögensverwaltungs GmbH. Und die will nichts sagen.
Was bleibt, ist das Geschäft mit der Authentizität, mit der Echtheit. So echt wie die Brocken der Berliner Mauer in diesen Plastikschneekugeln, die immer die Frage aufwerfen, wie lang diese Mauer eigentlich gewesen sein muss, dass immer noch genug von ihr übrig zu sein scheint, um als Souvenir bröckchen verkauft zu werden.
Und wo man schon bei Echtheit ist: Wo steckt eigentlich Claire?
Sie öffnet die Tür. Eines Tages im Frühling steht sie da tatsächlich im Eingang einer Moabiter Altbauwohnung. „Claire, nice to meet you“, keine Fotos, bitte. Die Claire mit den vielen Wohnungen. Claire, die so häufig vermisst wird von ihren Gästen. Gästen, die dachten, dass sie bei ihr wohnen, und dann ist es einfach irgendeine Wohnung, mal besser, mal schlechter möbliert, aber nie die wirkliche Wohnung von Claire. Wo Claire wirklich wohnt, ganz woanders, da lebt sie gemeinsam mit ihrem Freund Julien Lu. Dem JPG-Chef. Ohne Touristen.
Auch Lu ist jetzt da, in dieser Hinterhauswohnung in Moabit, wo ein italienischer Name an der Klingel steht und sich alles so seltsam vertraut anfühlt: der hellgraue Flickenteppich im Wohnzimmer, die Bilder mit den bunten Fröschen an der Wand. Irgendwann fällt einem auf, woran das liegt: Man kennt den Teppich und die Frösche, hat sie schon oft im Internet gesehen. Auf den Airbnb-Anzeigen von anderen JPG-Wohnungen.
Aber was heißt das schon: JPG-Wohnungen? Natürlich, sagt die heute 29-jährige Kanadierin Claire, hätten sie damals überlegt, ob sie gegenüber Airbnb-Kunden offenlegen sollen, dass sie ein Unternehmen sind. Aber die Kunden bevorzugen nun einmal Einzelpersonen, sagt Claire. Also bekommen sie eine Einzelperson: Claire in der Profilaufnahme, daneben der Satz „Hallo, ich bin Claire“, weiter unten dann „Claire und ihr Team“. Das sei keine Illusion oder Irreführung, sagt sie, denn schließlich sei sie tatsächlich die Ansprechpartnerin, beantworte Mails und treffe den einen oder anderen Gast auch zur Schlüsselübergabe.
Ein junges Pärchen mit einem Immobilienunternehmen also. Sind sie die Bösen? Weil sie Wohnungen kaufen, um sie weiterzuverkaufen und in vielen Fällen anschließend für die Eigentümer die Vermietung als Ferienwohnungen übernehmen? Was eben auch bedeutet, dass die Stadt für ihre Bewohner immer teurer wird. Und außerdem bedeutet, dass sie Touristen die Illusion verkaufen, sie nähmen am echten Leben der Stadtbewohner teil. Andererseits: Wer hat was gegen Illusionen?
Noch vor ein paar Jahren hat Berlin seine Immobilien zu Billigpreisen verkauft
Und wer hat damit angefangen, Investoren in die Stadt zu locken? Bei Julien Lu ist der Fall klar: städtische Wohnungsbauunternehmen. Konnte er selber ja gar nicht glauben, sagt er, als er im Jahr 2008 diese lächerlichen Preise auf dem Berliner Immobilienmarkt sah: 700 Euro der Quadratmeter Altbau am Neuköllner Richardplatz, 800 Euro der Quadratmeter am Charlottenburger Lietzensee. Preise, die etwa fünfmal niedriger sind als das, was man in London oder Paris hätte zahlen müssen. Schnäppchen, richtige Schnäppchen. Verkauft durch die städtische Degewo und die städtische „Stadt und Land“.
Wenn jetzt darüber diskutiert wird, dass die städtischen Wohnungsbauunternehmen wieder mehr zur Wohnraumbildung beitragen sollen, dann wundern sich Menschen wie Julien Lu ein klein wenig darüber. Denn schließlich sind die Städtischen es doch selber gewesen, die ihre eigenen Bestände noch vor ein paar Jahren zu Billigpreisen verkauft haben. Da musste er doch zuschlagen, denn so funktioniert Immobilienhandel: Man investiert, um Gewinne zu erzielen. Das ist die Geschäftsgrundlage, so geht Marktwirtschaft.
Natürlich geht’s auch mal abwärts. Wie vor ein paar Jahren in London, als die Bankenkrise Lus Firma Imoinvest UK Limited mit ihren 60 Angestellten von einem Tag auf den anderen zerbröselte und niemand mehr in Ferienwohnungen im Süden Frankreichs investieren wollte. Was ein Glück für Lu, dass er mit JPG Invest zu dem Zeitpunkt längst über ein neues Standbein in Berlin verfügte.
Milieuschutz? Gute Idee, findet der Investor
Nun also Berlin, trotz seiner Eigenarten wie Milieuschutz und Zweckentfremdungsverbot. Ein Problem für Claire und Julien Lu? Von wegen, sagt Lu, dann vermieten sie die Wohnungen halt für einen längeren Zeitraum, bringt immer noch genug Mieteinnahmen, um die laufenden Kosten zu decken. Streng genommen hält er Milieuschutz für eine ziemlich gute Idee. Er kennt das ja aus Paris: Die armen Schlucker sind nicht weg, wenn man sie aus der Innenstadt vertrieben hat. Dann sitzen sie am Stadtrand in ihren Wohnschachteln, Ghettos entstehen, und wenn’s da knallt, ist das auch nicht gut. Dann sinken die Einnahmen. Dann wird es schwieriger, als Vermieter am Stadtrand noch Geld zu verdienen, sagt Lu.
Also besser für ihn, wenn die Sache austariert wird.
Und erst recht besser für ein Unternehmen wie JPG, das mit seinen Inseraten bei Airbnb davon lebt, ein Living-like-locals-Gefühl verkaufen zu können. Ohne locals klappt das nicht.
Aber natürlich ist JPG mit seinen vielen Wohnungen breiter aufgestellt, die Angebote finden sich auch bei Internetportalen, die eigentlich für Hotels gedacht sind. Da passiert es manchmal, dass jemand, der eigentlich auf der Suche nach einem Hotel war, auf eine von Claires Wohnungen stößt. In denen manchmal der Duschvorhang schimmelt, die Matratze schlecht und die Kita im Innenhof zu laut ist. In denen es keinen Fahrstuhl gibt, dafür aber laute Nachbarn. Dann werden Claires Besucher wütend und schreiben ungehaltene Kommentare auf den Hotelportalen im Internet. Dass sie nach Berlin gekommen sind in der Erwartung auf eine schöne und komfortable Unterkunft.
Stattdessen mussten sie dann so leben, wie es sonst nur Berliner tun. Und dafür hätten sie nun wirklich nicht herkommen müssen.
Billets d’avion et Airbnb réservés pour Berlin 😁✈️
@_Marilem
„Going to Berlin for a vacation. Traveling with @blablacarnl & @Airbnb. I love the sharing economy.“
@wraldpyk
Die Vermietung via #airbnb kann einen Kündigungsgrund darstellen. LG Berlin 67 S 29/15
@ra_schueller
Rausfliegen, wo andere Urlaub machen: Im dritten Kapitel untersuchen wir, wie große Immobilienfirmen Wohnungen kaufen und sie in Ferienappartements umwandeln. Mieter stören da nur – und werden gemobbt, damit sie endlich ausziehen. Einige wehren sich, auch die Politik reagiert mit neuen Gesetzen. Aber unsere Recherchen zeigen: Auch Politiker sind oft machtlos. Ein Notstandsreport.
Von Torsten Hampel und Kai Müller
Wenn Ölradiatoren reden könnten, würden diese es trotzdem nicht tun. Sie dürften nicht.
Sie stehen im Abstellraum eines Kreuzberger Gründerzeithauses, bereit zur Abreise, eine Woche Dauerbetrieb liegt hinter ihnen. Sie sind in ihrem Radiatorenleben weit herumgekommen. Aber die, denen sie mit ihren Heizschleifen geholfen haben, wollen nicht, dass es jemand erfährt.
Besonders schweigsam sind sie, wenn sie von ihren Aufenthaltsorten an den kalten Tagen des Winters berichten sollen. Nur so viel: Das Kreuzberger Gründerzeithaus liegt in der Reichenberger Straße 114. In diversen Wohnräumen hier haben die Radiatoren gestanden. Vornehmlich dort, wo auch Kinder zugegen waren. Manchmal auch kurz in Bädern, in Fluren gar nicht. Die Heizung im Haus war ausgefallen, und der Vermieter tat tagelang nichts, um das zu ändern.
Das Verhältnis zwischen jenen, denen das Haus gehört, und denjenigen, die es bewohnen, ist auch auf eine andere Art frostig. Aber dazu später.
Die Hausbewohner baten anderswo um Hilfe, und es kamen: zwei Radiatoren, die beispielsweise schon einmal in der Schlesischen Straße ihren Dienst taten, als dort Ähnliches vorgefallen war. Zwei aus dem ebenfalls in Kreuzberg gelegenen Graefekiez, bereitgestellt von einem Mann, dem Bauarbeiter den Schornstein zugeschüttet hatten. Einer wurde vorbeigebracht von einem Zwangsgeräumten, der ihn wiederum von einem anderen Zwangsgeräumten erhalten hatte.
Zehn Ölradiatoren waren es insgesamt, und nahezu alle hatten zuvor schon in Häusern gestanden, deren Eigentümer Mieter loswerden wollten. Solidaritätsradiatoren aus den Gegenden der Stadt, wo der Kampf um Immobilienrenditen zuweilen besonders unappetitlich ausgetragen wird, auf beiden Seiten. Wo Mieter übervorteilt werden, bedroht, wo Wasserleitungen plötzlich kaputtgehen oder Heizungen, pünktlich beim ersten Kälteeinbruch, so wie in der Reichenberger Straße. Sie haben das als Denkzettel verstanden.
Die Mieter haben dazugelernt. Sie denken sich, dass es besser wäre, vorsichtig zu sein. Denn schnell befindet man sich auf dem schlüpfrigen Terrain von Mietrechtsparagrafen, die Konsequenzen bis hin zur Kündigung zulassen, sobald das „Vertrauensverhältnis“ zwischen Mieter und Vermieter „zerrüttet“, der „Hausfrieden nachhaltig gestört“ ist.
Wohneigentum in Berlin ist vier Mal so billig wie in London
Solche Formulierungen tauchen auf, seit einige der Radiatorennutzer es mit einem immer mächtiger werdenden Gegner zu tun haben. Mit einer Firma, die in kurzer Zeit und getrieben von Investorengeld ein Mietshaus nach dem anderen kauft, die Wohnungen darin umwandelt in Eigentum und der man vielleicht besser keinen Vorwand liefert in dem Kampf, der um die „eigenen vier Wände“ entbrannt ist.
Die Firma bietet im großen Stil Ferienwohnungen an. Sie sagt, dass sie sich dabei an Recht und Gesetz hält. Aber es gibt Zweifel an dieser Auslegung. Die Ferienwohnungen sind dabei nur ein Nebeneffekt, um in Berlin Kapital zu Konditionen zu parken, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt. Wohneigentum kostet hier durchschnittlich 2500 bis 3000 Euro pro Quadratmeter, was etwa ein Viertel dessen ist, was in London aufgewendet werden müsste, ein Drittel des Pariser Niveaus und auch weniger als in Kopenhagen. Mit beinahe zinslosen Darlehen. In einem sicheren Umfeld.
Gleichzeitig zerstört dieses Kapital, was an Hausgemeinschaft übrig geblieben ist. Und dagegen machen sie in der Reichenberger Straße 114 auf eine Art Front, die anderen als Vorbild dienen könnte. Wenn Berlin heute daran denkt, was es besonders beliebt macht, dann sind das die Museen, klar. Die Clubs natürlich auch und die Straßen davor, die sich nachts mit Menschen füllen. Und es sind Ferienwohnungen. Abgeschliffene Dielenböden. Stuck an der Decke. Mit neuen Namen überklebte Klingelschilder. Der Spätkauf an der Ecke hat eigentlich immer auf. Der Wunsch, wie Einheimische zu leben, unter ihnen, in ihren Wohnungen, um von der Stadt aufgesogen zu werden, ist ein lukratives Geschäft geworden. Die Gereiztheit der Großstädter gibt es gratis dazu.
Seit professionelle Unternehmen Wohnraum für internationale Investoren aufkaufen, um ihn als sporadisch genutzte Geldanlage zu verwalten, werden dem Mietmarkt mehrere tausend Einheiten vornehmlich in begehrten Innenstadtbezirken entzogen. Die Mietpreise steigen. Und die Berliner fühlen sich abgehängt, das Klima ist vergiftet. Sie klammern sich an das, was sie haben, weil sie den sozialen Abstieg und die Entwurzelung fürchten, die ihnen bei einer Wohnungskündigung drohen.
Das ist gefährlich für die Stadt.
Die Tapete löst sich ab. So geht es los
Warum sich Berlin so schwer mit dieser Entwicklung tut, haben wir – ein Reporterteam des Tagesspiegels – in den beiden vorangegangenen Episoden bereits angedeutet. Es begann mit einem Paar, das eines der drei Zimmer in seiner Neuköllner Wohnung an Fremde vergab. Über einen Zeitraum von einem halben Jahr lebten fünf Personen in der Acht-Quadratmeter-Kammer. Es war ein Provisorium. So war das ursprünglich gemeint gewesen mit der Idee, den Wohnungsmarkt für Durchreisende und Touristen zu öffnen. Doch nach dem Berlin-Gefühl suchen Menschen von außerhalb so zahlreich, dass die Verfügbarkeit von Wohnraum in der Stadt längst von Finanzinvestoren gesteuert wird. Einer dieser Investoren ist mit aktuell 35 Angeboten einer der fünf größten Anbieter von „privatem“ Wohnraum bei Airbnb. Der Name: Berlin Aspire Real Estate.
Die Firma hat ihren Sitz in der Friedrichstraße. Im Jahr 2011 ist sie als Berlin Aspire Real Estate ins Berliner Immobiliengeschäft eingestiegen und hat sich in kurzer Zeit ein kleines Imperium von mindestens 21 Gebäuden zusammengekauft. Die meisten Erwerbungen befinden sich in Kreuzberg und Neukölln, einige in Moabit. Es sind Häuser mit verwitterten Fassaden, alten Fenstern und einer Haustechnik, in die von den Vorbesitzern lange nicht investiert worden ist. Die Mieten sind entsprechend niedrig. Meist leben deshalb seit vielen Jahren dieselben Leute unter einem Dach. Sie kennen sich und reden von Hausgemeinschaft.
Als Erika R. vom Verkauf des Hauses erfuhr, in dem sie seit 34 Jahren wohnt, dachte die alte Dame, dass es ja auch mal Zeit werde. So lange sei nichts gemacht worden in der Mittenwalder Straße 47, dass ein neuer Eigentümer die maroden Steigleitungen und Fallrohre nun bestimmt in Angriff nähme. Und das tat der auch. Er nahm das ganze Haus in Angriff. Es wurde gehämmert, geschraubt, viel Staub aufgewirbelt, und schließlich wurde es nass. Von oben. Erika R.s Tapete, die eine halbe Ewigkeit schon zuverlässig die Wand verkleidet hatte, löste sich plötzlich ab. „Das lief wie aus der Leitung“, sagt Frau R.
So ging es los.
Wo genau verläuft die Grenze zwischen dem üblichen Ungemach, das Bauarbeiten in bewohnten Gebäuden mit sich bringen, und systematischer Verdrängung? Sind Maurerkolonnen nicht gelegentlich nur schlampig, Hausverwaltungen notorisch unerreichbar und Berliner Mieter diesbezüglich einfach ein bisschen empfindlich? Oder prallen nach der Übernahme eines Mietshauses durch Immobilienunternehmen unvereinbare Welten aufeinander?
Im Internet gibt Berlin Aspire ein verheerendes Bild ab. Mehrere Blogs beschäftigen sich mit der Firma und berichten regelmäßig detailliert über ihr Vorgehen. Oft stammen die Einträge von betroffenen Mietern und haben Kampagnencharakter. „Schluss mit der Umverteilung von unten nach oben“, lautet eine der Losungen.
Wer die Berlin-Aspire-Häuser besucht, erfährt von immer gleichen Entmietungspraktiken. Nachdem die Firma Hauseigentümer geworden war, lagen Mieterhöhungsankündigungen in den Briefkästen. Erst freundlich, dann bestimmt auftretende Frauen tauchten auf und boten jedem, der auszog, Abfindungen. Alte Leute, so wird berichtet, hörten am Telefon schon mal den Satz: „Sie müssen sowieso raus, machen Sie es also besser jetzt.“ Leuten, die schlecht Deutsch sprachen, sollen Aufhebungsverträge mit der Bitte um Unterschrift zugesandt worden sein. Dann ging irgendetwas kaputt im Haus. Dann kamen Handwerker.
Eine Betroffene erzählt: „Wir haben für jeden dieser Jogginghosen-Handwerker Termine möglich gemacht“, sie selbst sei oft früher von der Arbeit gekommen. Doch dann erschien entweder niemand oder zog unverrichteter Dinge wieder ab. Dann ging wieder etwas kaputt. Der Umgangston zwischen Mietern und Hausverwaltung wurde rauer. Es kam vor, dass die auf Mängel hingewiesene Hausverwaltung antwortete, „Wahnvorstellungen“ könne man „nicht heilen“.
Für jedes Haus eine eigene Betriebsgesellschaft
Berlin Aspire will sich nicht äußern. Man werde sich nicht auch noch selbst „denunzieren“, heißt es. Sicher, schlechter Service muss keinen Vorsatz haben.
In der Branche werden Firmen wie Berlin Aspire – und sie steht in dieser Geschichte stellvertretend für einen Trend – auch „Aufteiler“ genannt. Sie kaufen Mietshäuser, aber sie nehmen sie nicht mehr als Ganzes wahr, sondern spalten sie in kleine Einheiten auf. Das Haus, das zuvor einer Wohnungsbaugenossenschaft, einer Familie oder Privatperson gehörte, wird in Werteinheiten zerschlagen. Dabei tritt der Aufteiler oft in mehrfacher Funktion auf. Als Eigentümer der erworbenen Immobilie, als deren Vermarkter, der mögliche Investoren sucht, um die Modernisierung mit deren Geld voranzutreiben, und als Verwalter, der Kontakt zu den Mietern hält.
Berlin Aspire verfügt über ein nach diesem Muster aufgebautes Geflecht aus Tochterfirmen. Wobei das Unternehmen selbst nicht groß ist. Es hat für jedes Haus eine eigene Betriebsgesellschaft gegründet.
Immobilieninvestoren stecken Geld in Wohnhäuser in Erwartung lukrativer Rendite. Mieten wären ein zuverlässiger Geldfluss. Doch da diese in Berlin niedrig sind und Gesetze einen starken Anstieg verhindern, decken sie bei 100-jährigen Gebäuden aus der Gründerzeit oft knapp die Betriebskosten. Wie also Anleger dazu bringen, Wohnungen als lohnende Investition zu betrachten. Wohnungen, in denen eine Mieterin wie Erika R. ihr halbes Leben verbracht hat? Zu lange, um woanders noch mal neu anzufangen.
Der Neuanfang kam zu ihr. Zuerst dachte sich Erika R. nichts bei dem Wasserschaden. Ja, Sie kriegen Ihr Geld, soll man ihr versprochen haben. „Seither rührt sich nichts mehr“. Sie ahnte das schon. Wieso sollte sie Menschen trauen, die so wenig Aufwand für die Instandsetzung eines Hauses betrieben, dass sie immer dieselbe billige Einbauküche ins Frischrenovierte stellten? „So zieht niemand ein“, sagt Erika R. Und sie meint: All der Aufwand galt Ferienwohnungen. Solide ist das für sie nicht.
Hausgemeinschaft? Das war einmal
Erika R. weigerte sich anzuerkennen, dass sie „betroffen“ sei. Nun ist sie es leider doch. Nachts wird die 73-Jährige von kernigen Brummgeräuschen geweckt. Wenn über ihr jemand duscht.
Brrräääämmm mache es jetzt immer, sobald die Hebepumpe anspringe, die es vorher nicht gab, die auch nicht nötig war und es erst durch die Umgestaltung der Wohnung wurde. Deshalb denkt Erika R. nun oft, wenn sie Mühe hat, wieder in den Schlaf zurückzufinden, über die Lebensgewohnheiten der Kurzzeitmieter über ihr nach – und über ihre eigenen. Und wie wenig die doch übereinstimmen.
Hausgemeinschaft nennt sie, was war. Die Hälfte der Wohnungen hat in den vergangenen zwei Jahren den Besitzer gewechselt. Erika R.s größte Angst ist, dass sie „alleine übrig bleibt, keinen mehr zum Reden findet im Treppenhaus“. Man habe hier, sagt sie, aufeinander aufgepasst. „Aber wo soll ich hin?“ Sie, mit ihrem Schwerbehinderten-Ausweis? Sie, die es nicht fertig- brächte, eine Wohnung zu beziehen, ohne vorher zu wissen, wie sie ausseht.
Gibt es Leute, die Wohnungen kaufen, ohne zu wissen, wie sie aussehen?
In seinem Werbeprospekt, der sich an potenzielle Investoren wendet, preist Berlin Aspire das Haus mit dem Heizungsschaden und den vielen Ölradiatoren als „wunderschönen Altbau mit hohen Decken und geräumigen Wohnungen“ an, der 1995 „komplett saniert“ worden sei, auch Fenster und Heizung. Illustriert ist das durch eine am Computer animierte Fassadenansicht. Dort, wo in der Werbeidylle ein Familienwagen aus der Einfahrt rollt, sind in Wirklichkeit Graffiti an Wände und auf den Fußboden gesprüht. In leuchtenden Farben: „Not for Sale“ oder „Wer hier kauft, kauft Ärger“, außerdem finden sich wüste Beschimpfungen des Hauseigentümers.
Bei Berlin Aspire sollen auch Morddrohungen eingegangen sein. Man sieht sich zumindest durch den Kauf des Radiator-Hauses in der Reichenberger Straße einer Gruppe von Aktivisten gegenüber, die die wirkungsvolle Strategie verfolgen, die Attraktivität des Hauses zu mindern. Sogar eine Bezirkspolitikerin ist auf Betreiben der Bewohner tätig geworden mit einem Schreiben an Berlin Aspire. Aber ist die Entwicklung mit Protestnoten aufzuhalten?
In den vergangenen zehn Jahren wurden stadtweit 58.000 Mietwohnungen in Eigentumsparzellen umgewandelt. Allein im Jahr 2013 waren 9200 Mietwohnungen betroffen. Was nach Angaben des Senats einem Zuwachs von 21 Prozent zum Vorjahr und einer Umwandlungsquote von 0,6 Prozent entsprach. In diese Dynamik hinein strengte der damalige Stadtentwicklungssenator Michael Müller ein Zweckentfremdungsverbot an, wie es bis 2002 Bestand gehabt hatte – nun allerdings als eine Art Ferienwohnungsbekämpfungsgesetz.
14.000 Mietwohnungen werden Eigentum – in einem einzigen Jahr
Denn Wohnraum vor kommerziellen Ambitionen zu schützen, hat in der Stadt Tradition. Die erste Regelung stammt aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, die Alliierten erhielten sie aufrecht und verschärften sie sogar. Als den strengen Umwidmungsklauseln in den Nullerjahren ein Leerstand von 100.000 Wohnungen gegenüberstand, lockerte der Senat die Bestimmungen sukzessive, nahm Arztpraxen von ihnen aus, ebenso pädagogische, soziale und therapeutische Einrichtungen. Das Oberverwaltungsgericht kippte die Regelung schließlich ganz, weil der Wohnungsmarkt sich „so deutlich und nachhaltig entspannt“ habe, dass das Verbot „offensichtlich entbehrlich geworden“ sei. Im ersten Jahr nach der Abschaffung 2002 wurden über 14.000 Mietwohnungen in Eigentum überführt – ein Dammbruch.
Zehn Jahre später sieht die Situation wieder anders aus. Zwar ist es nicht gekommen, wie einige Stadtbau-Experten befürchtet hatten, dass nämlich ganze Viertel „entwohnt“ würden und ausstürben, weil in ihnen nur noch gearbeitet werde. Aber nun stehen in den begehrten Vierteln Häuser zunehmend leer, gerade weil in ihnen gewohnt wird – aber eben immer nur kurz.
Zu denen, die sich ab 2005 an dieser Entwicklung beteiligt haben, zählt der Geschäftsmann Adi Keizman, Jahrgang 1972, dem eine Vorliebe für teure Anzüge und Sportwagen nachgesagt wird sowie für attraktive, tatkräftige Frauen, die ihn in beidem gut aussehen lassen. Normalerweise entwickelt er große Gebäudekomplexe. Über seine Firma ADO Properties soll er 200 Wohnhäuser in Berlin gekauft haben für hunderte Millionen Euro. Außerdem erstand er aus einer Laune heraus das Postfuhramt an der Oranienburger Straße in Mitte. Aus diesem Berlin-Engagement Keizmans wird später Berlin Aspire hervorgehen.
Erstmal jedoch ist es seine Mitarbeiterin Liat Tal, Jahrgang 1973, die 2006 mehrmals nach Deutschland reist, um die Gründung einer Dependance vorzubereiten. Das scheint so gut zu laufen, dass „Haaretz“ 2009 mit Blick auf das Berlin-Geschäft von Keizman und anderer israelischer Investoren titelt: „Big in Berlin“. Im selben Jahr macht sich Keizmans Rechtsberaterin Tal mit einer eigenen Consulting-Firma selbstständig. Trotzdem wird Tal im September 2012 alleinige Gesellschafterin von Berlin Aspire Real Estate, dem Unternehmen, das Keizman ein Jahr zuvor ins Leben gerufen hatte, um „für Endkunden“ vor allem Altbauten zu kaufen, instandzusetzen und zu „parzellieren“. Nach Tals Auskunft ist Berlin Aspire eine Vermögensverwaltung. „Ich wünschte, ich hätte das Geld, mir Häuser zu kaufen“, schreibt sie in einer Mail. Im Januar 2014 hat sie den Geschäftsführerposten abgegeben.
Zur selben Zeit wird die Bearm GmbH gegründet, der Verwaltungsarm von Berlin Aspire, über den die Firma alle Mieterbelange direkt in die Hand nimmt. Ein halbes Jahr später folgt die Gründung der Berlin Aspire Construction GmbH, die Sanierungsarbeiten durchführt – „einschließlich Trockenbauarbeiten, Einbau von genormten Baufertigteilen, Bodenlegearbeiten, Fliesenlegearbeiten, Elektroarbeiten und Klempnerarbeiten“.
„Leider müssen wir Ihnen mitteilen …“
„Eine schöne Wohnung zu sehen, ist keineswegs genug“, sagt Berlin Aspire in seiner Selbstdarstellung im Netz. Sie wendet sich in hebräischer Sprache an israelische Investoren. Die haben nach dem Einbruch am heimischen Immobilienmarkt und der politisch angespannten Lage gute Gründe, ihr Geld im Ausland anzulegen. „Man muss erkennen, was unter dem Gebäude getan werden muss, wie es um sein Dach bestellt ist und welche Mängel der Verwaltungsplan aufweist – um nicht mit unerwarteten Zahlungen konfrontiert zu sein, etwa der Notwendigkeit, einen Fahrstuhl einzubauen, ohne davon vorher gewusst zu haben.“ Den Ängsten möglicher Investoren begegnet die Firma mit dem Bild des Vorkosters: Wir kaufen zuerst, was gut genug für uns ist, heißt es in einer Werbebroschüre, nur das ist gut genug für Sie.
In der Hobrechtstraße 40 in Kreuzkölln fing es damit an, dass die Vermieterin Stefanie H. am 31. März 2013 einen Brief an ihre Mieter schrieb. „Leider müssen wir Ihnen mitteilen“, lasen die, „dass meine Schwester und ich beabsichtigen, das Mehrfamilienhaus zu verkaufen.“ Sie erfuhren, dass H. nach Hessen umgezogen und für sie die „Belastung der Verwaltung und die Koordination von Baumaßnahmen“ nicht mehr „zufriedenstellend zu bewerkstelligen“ war. Deshalb der Verkauf. „Nicht jede Veränderung muss schlecht sein; es können auch neue Chancen und Perspektiven entstehen.“
Drei Monate später kam der nächste Brief, in dem H. die Danielle Residential GmbH & Co. KG als neue Eigentümerin vorstellte. Danielle Residential ist eng mit Berlin Aspire Real Estate verbunden, nicht zuletzt durch dieselbe Firmenadresse. Perspektiven entstanden. Chancen auch. Fragt sich nur, für wen.
Berlin Aspire verspricht seinen Kunden Investments weit unter Marktpreis, 25 bis 30 Prozent unter dem normalen Niveau. Wobei der Immobilienmakler die Häuser, die sich in der „Vermarktungsphase“ befinden, von jenen unterscheidet, die als „Populated Projects“ bezeichnet werden. In beiden Fällen sind die Häuser „bewohnt“. Aber das Angebot an Investoren ist eindeutig: „Wir finden Mieter für Sie“, heißt es auf dem Firmenportal, „nachdem wir sie strengstens ausgesiebt haben.“
Auffallend häufig geschieht diese Suche über Anzeigen beim Online-Ferienwohnungsvermittler Airbnb. Es sind bis zu fünf Appartements pro „Populated Project“, die dort für Tagespreise zwischen 75 und 97 Euro angeboten werden. Die Vermietung wickelt Berlin Aspire selbst ab. Viele Wohnungen hat die Firma an Neueigentümer weiterverkauft, die einige Zeit im Jahr selbst kommen. Wie der Kurator und Museumsdirektor, der seinen Namen nicht genannt haben will, aber sagt, dass Berlin als Kunsthauptstadt für ihn wichtig ist. Dass er ein bisschen Geld übrig hatte – und seine gelegentlichen Berlinaufenthalte für ihn als Wohnungsbesitzer nun sehr viel „bequemer“ ausfielen.
Im November 2013 bemerkten die Mieter in der Hobrechtstraße, dass ihre Wohnungen von Berlin Aspire internationalen Investoren angeboten wurden. In dem Katalog, der das Haus anpries, war die Umgebung illustriert mit einem Foto, das den pittoresken Marktplatz zu Füßen des Mainzer Doms abbildete. Es gab das Foto einer renovierten Wohnung mit Fischgrätparkett – aufgenommen irgendwo, nur nicht im Hobrechtstraßen-Haus. Die Schäden am Dach blieben unerwähnt, ebenso die an der Fassade, die uralten Versorgungsleitungen und morschen Balken kamen nicht vor, auch nicht der Zweite Weltkrieg, der dem Haus zugesetzt hatte. Und ausweislich eines der Fotos musste sich das Nordneuköllner Mietshaus ganz in der Nähe des Münchner Filmmuseums befinden.
Das fanden die Mieter erst einmal nur interessant. Ärgerlich für sie war Folgendes: Die neue Hausverwaltung erbat von jedem einen Nachweis über die Hinterlegung der Kaution. Informationen über ursprünglich geleistete Zahlungen seien von der Vorverwaltung nicht übermittelt worden, hieß es. Ach ja? Wie das? Da schalteten sich die beiden Schwestern und Vorbesitzerinnen ein. Von einem Missverständnis war die Rede. Auch in den Mietverträgen waren die Zahlungen überliefert.
Übergangsfristen sollen natürlich ausgenutzt werden
Dann kamen die Ferienwohnungen. Im Vorderhaus sind es offenkundig zwei, im Hinterhaus drei, eine weitere wird gerade zurechtgemacht. Alle sind sie nach den Beobachtungen der Mieter nach dem 1. Mai 2014 entstanden. Also nach dem Termin, an dem das sogenannte Zweckentfremdungsverbot von Wohnraum in Berlin in Kraft getreten ist.
Einige Mieter protokollierten in dieser Zeit ein Gespräch mit dem Berlin-Aspire-Geschäftsführer Eliezer Post: „Zu den Ferienwohnungen sagte er angeblich Folgendes: Ja, leider sei die tolle Zeit ja schon vorbei, in der man mit den Ferienwohnungen so richtig Kasse machen konnte. Da hätten schon andere alles abgesahnt. Das hätten sie leider verpasst, und ja, es sei jetzt illegal. Aber es gibt noch Übergangsfristen (er sprach von einem Jahr), die natürlich ausgenutzt werden sollen. (Wirklich genauso ungeniert wurde es vorgetragen.)“
Berlin Aspire besteht darauf, für seine bei Airbnb inserierten Appartements Genehmigungen zu besitzen. Auch in den Kreuzberger Milieuschutzgebieten, obwohl der „gewerblichen Überlassung von Wohnraum zu Wohnzwecken“ die Zustimmung des Bezirksamts hier grundsätzlich versagt wird. Die Umständlichkeit der Formulierung zeigt, wie schwer sich Berlin mit der rechtlichen Absicherung gegenüber Ferienwohnungen tut. Und dann ist da noch, dass deren Vermietung nur ausgeschlossen ist, sofern sie „bis zu einem Zeitraum von 28 Tagen“ erfolgt.
Darauf hat sich Berlin Aspire längst eingestellt und bietet, was die Firma selbst als „top equipped Apartment“ bezeichnet, „new & designed“, nur noch für mindestens 28 Tage an. Zu Preisen von 1225 bis 1500 Euro. Nur in zwei Häusern werden Ferienwohnungen noch für kurze Zeitspannen von wenigen Tagen vermietet. Wie sieht die Kontrolle also aus, mit der die sensiblen Milieuschutzzonen vor der Mieterverdrängung bewahrt werden?
In Prenzlauer Berg, Kopenhagener Straße 72, sind diesbezüglich seltsame Dinge geschehen. Regelmäßig parkten im Oktober 2010 Autos in zweiter Reihe und verstopften alles, Möbeltransporter, Wäschereiwagen. Anwohner waren genervt, Autofahrer waren genervt, alle waren genervt. Und dann kam die Lösung: Drei Parkplätze vor dem Haus wurden zu einer Ladezone, wer jetzt in gewerblicher Absicht das Haus betreten wollte, konnte direkt vor der Tür halten.
Und so kamen die Menschen, entweder als Touristen in eine der vielen Wohnungen, die in diesem Fall das Unternehmen T&C Apartments im Haus als Ferienwohnungen anbot. Oder als Touristen, die zur Rezeption im Erdgeschoss wollten. Wo T&C zu Spitzenzeiten rund 160 Wohnungen in der ganzen Stadt vermietete. Die das Unternehmen wiederum von anderen Wohnungsbesitzern angemietet hatte, um sie dann an Touristen weiterzuvermieten. Es war ein Kommen und Gehen.
Da drängte sich, klar, die Frage auf, wie das denn sein könne, dass eine Ladezone genehmigt werde, obwohl der Bezirk den Betrieb von Ferienwohnungen in diesem Haus doch nie genehmigt hatte. Das musste der zuständige Grünen-Baustadtrat Jens-Holger Kirchner denn auch einräumen. Dabei liegt das Haus ebenfalls im Milieuschutzgebiet, wo doch strenger hingeschaut werden muss.
Die Antwort: Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. „Eventuelle baurechtliche Fragen können bei Fragen der Verkehrsregelungspflicht mit dem Ziel der ,Gefahrenabwehr‘ keine Rolle spielen“, sagte Bezirksstadtrat Torsten Kühne von der CDU. Konkret: Die Ladezone musste genehmigt bleiben, solange dort Touristen in einem Haus übernachteten, in dem sie nach Aussage der zuständigen Politiker eigentlich nicht übernachten durften. So stumpf ist das Instrument der Erhaltungssatzung.
Bis zu 50.000 Euro Bußgeld – wenn man denn erwischt wird
Eine schärfere Waffe soll die Umwandlungsverordnung werden, die eigentlich ein Ferienwohnungsbekämpfungsgesetz ist. In den am stärksten betroffenen Bezirken werden Arbeitsgruppen aufgebaut. Für Friedrichshain-Kreuzberg sind vier Stellen vorgesehen. Die meisten der 1000 Selbstanzeigen seien bearbeitet. Für sie gilt Bestandsschutz bis Mai nächsten Jahres. Nun sind die 200 Bürgerhinweise und 122 Anträge von Haus- und Wohnungseigentümern dran, denen nur in Ausnahmefällen stattgegeben wird. Da stehen harte Auseinandersetzungen bevor. Wenn es kommt wie in jenem Fall, dass ein in seiner Ehre gekränkter Privatmann seit 2008 verbissen um die Genehmigung kämpft, aber eben nun mal partout kein Ausnahmefall ist, dürfte sich das Ganze über Jahre hinziehen und jede Schwachstelle der Konstruktion aufdecken.
Sie gilt als sozialpolitisches Prestigeprojekt des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller. Der SPD-Mann hatte es angeschoben, als er innerparteilich entmachtet war. Nicht, dass die Umwandlungsverordnung keine scharfen Zähne hätte. So wird Aufteilern künftig untersagt, Mietwohnungen in einem Zeitraum von sieben Jahren an jemand anderes als den Mieter selbst zu veräußern. Aber vor allem geht es um Abschreckung. Bis zu 50.000 Euro muss ein Ferienwohnungssünder als Bußgeld erwarten. Da könnte es sich lohnen, eine konzertierte Aktion gegen einen Großsünder zu starten.
Der Immobilienverband IVD Berlin-Brandenburg, größter Interessenvertreter der Branche in der Region, ahnt schon die Kapitalflussbremse. Dass fortan eine gewisse Zurückhaltung bestehe, in Berliner Immobilien zu investieren, sei zu erwarten.
Natürlich kann man das alles widersprüchlich finden. Wie überhaupt das Wesen des Berliner Immobilienmarkts widersprüchlich zu sein scheint. Da bleibt einem als Politiker vielleicht nur, was die Eigentümer von T&C Apartments als eine Mischung aus Kleinkrieg und Kampagne empfanden. Der Grünen-Stadtrat Kirchner fing an, sie zu nerven. Kam mit Kamerateams zu Ortsterminen vor das Haus. Sprach öffentlich über das „Hotel“, das dort betrieben werde. Ging mit seinen Mitarbeitern in das Büro und sorgte durch sein Erscheinen dafür, dass die Arbeitsmoral der Mitarbeiter immer weiter sank. So erinnert es der T&C-Eigentümer, ein Oldenburger Unternehmer.
Der Rückzug begann, ganz leise. Im vergangenen Sommer noch inserierte T&C Apartments insgesamt 73 Wohnungen bei Airbnb – und war größter Anbieter auf dem Berliner Markt. Anders als bei Berlin Aspire stand nicht der Unternehmensname auf der Airbnb-Seite. Stattdessen suchte ein Typ namens „Roman“ im blau-weiß karierten Hemd nach Gästen. Ein paar Monate später hatte T&C alle seine Angebote bei Airbnb stillgelegt. Auch die Rezeption in der Kopenhagener Straße verschwand, statt ihrer zog ein Weingeschäft in die Räume ein. Zwar hatte T & C Sondergenehmigungen für die Ferienwohnungen beantragt, aber irgendwann muss ihnen die Lust vergangen sein.
Seit einigen Wochen ist T&C Apartments ganz aus dem Internet verschwunden.
Die Firma existiert nicht mehr.
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Erstmals veröffentlicht am 18. April 2015
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