Die Haut glänzt bronzefarben wie unter einer Plastikfolie. Die Augen glitzern pechschwarz oder milchig-weiß. Lichtpunkte tanzen über den Kopf. So sieht der Gesichtsfilter aus, den Johanna Jaskowska für Billie Eilish programmiert hat – die wahrscheinlich erfolgreichste Musikerin unserer Zeit.
Das Pop-Wunderkind Billie Eilish, Jahrgang 2001, der das Musikmagazin „Rolling Stone“ vor Kurzem eine Covergeschichte mit dem hingebungsvollen Titel „Triumph of the Weird“ widmete, inszeniert sich gern als Mischwesen aus Mensch und dämonenhafter Puppe, sie sieht oft aus wie eine Mischung aus Robert Smith und Daft Punk.
Und Johanna Jaskowska, Jahrgang 1992, macht es möglich, dass Billie Eilishs 34 Millionen Instagram-Fans nun so aussehen können wie der Star, sich so inszenieren können wie ihr Idol, zumindest auf Instagram. Die Schönheitsköniginnen haben ausgedient. Das Seltsame, Verfremdete fasziniert.
Facefilter sind nicht ganz neu: Auf Instagram, in der Nachrichten-App von Facebook und bei Snapchat kann man sich selbst schon lange virtuelle Sonnenbrillen, Hasenohren und Hasennasen, Hundezungen und Blumenkränze verpassen. Neu ist, dass auf Instagram, dem wichtigsten sozialen Netzwerk der Unter-40-Jährigen, jetzt alle User Filter programmieren und veröffentlichen können. Und dass Künstlerinnen wie Johanna Jaskowska dieser Welt der Niedlichkeiten ihren eigenen Vorschlag entgegengestellt haben.
Um Jaskowskas hypnotisierende, irritierende und mitunter verstörende Vorschläge für das eigene Ich zu sehen, muss man ihr zunächst auf Instagram folgen – oder vielmehr johwska, ihrem Account. Dann erscheinen innerhalb der Kamerafunktion der App neben den Hasen- und Hundeohren, die Instagram selbst anbietet, auch Johanna Jaskowskas Filter.
Sie heißen „Narcisse“, „1312“, „Badland“, „Techgnosis“, „Gasolina“, „Turfu“. Und natürlich „Beauty3000“, ihr bislang größter Hit – über 400 Millionen Mal wurde er bisher angewendet.
An einem stickigen Sommertag kommt Johanna Jaskowska mit eineinhalb Stunden Verspätung zum Treffpunkt in Mitte. Die Queen of Filters, wie manche im Netz sie nennen, lässt sich atemlos auf die Bank vor dem Café fallen, ein Basecap über dem strengen Bob, ein Piercing in der Kerbe über der Oberlippe. Seit kurzem ist „3000“ über ihre linke Brust tätowiert.
Sie hat sich wieder vergessen. War versunken in ihrer Arbeit, war im Flow, konnte nicht weg von ihrem Schreibtisch, in einer kleinen Wohnung in Moabit nahe dem Hauptbahnhof, sie kann die Züge hören. Ein dunkles Zimmer, kein Instagram-tauglicher Coworking-Space – „damit ich gut sehen kann, was auf dem Bildschirm passiert“, sagt Jaskowska. In schlechter Haltung kauere sie davor, manchmal bis zum frühen Morgen. Verdammt, denkt sie dann, wo ist die Zeit hin! Ich sollte wirklich ins Bett gehen. Aber der Aufwand, die um die Ohren geschlagenen Nächte, sie lohnen sich. Beauty3000 entstand auch in so einem Arbeitsrausch.
Beauty3000 lässt Nutzer wie sehr menschlich geratene Cyborgs aussehen, überzieht die Züge mit einer spiegelglatten, glasklaren Schicht Vaseline. An den richtigen, schmeichelhaften Stellen – Nasenflügel, Lippen, Lider – schimmert es neonrosa und mint. Man kann das als Spielerei der Generation Selfie abtun. Aber man wird fasziniert sein, mindestens für einen Moment, von dem, was man da sieht: sich selbst. Oder auch wieder nicht.
Es gibt viele, die davon träumen, dass ihnen so ein Coup wie Johanna Jaskowska gelingt. Creators, Kreative, Web- und Gamedesignerinnen, Gestalter, eine Armee von Nerds, die mithilfe des Facebook-eigenen Programms „Spark AR Studio“ ständig neue Filter erfinden, ohne dass sie dafür Geld bekommen. Seit 2017 gibt es diese Augmented-Reality-Software, seit Herbst 2018 konnten sich Designer*innen wie Jaskowska bewerben, ihre Filter veröffentlichen zu dürfen. Die Währung, für die sie arbeiten, sind Follower. Wenn man so viel davon hat wie Jaskowska, erregt das wiederum die Aufmerksamkeit von Unternehmen – aus dem Modebereich vor allem, aber auch aus Design und Kultur. Alle wollen sie von diesem Geist, diesem Stil, der gerade so angesagt ist, etwas abhaben.
Als Beauty3000 Johanna Jaskowskas Leben verändert, ist sie gerade zu Besuch bei ihrer Familie, Jahreswechsel in Paris. Sie lebt schon länger in Berlin, geflohen aus der Stadt, in der sie geboren wurde und aufwuchs, weil das Leben an der Seine teuer, die Luft zu dreckig ist. In Berlin könne sie durchatmen, sagt Jaskowska.
Hier findet sie Gleichgesinnte. Und einen festen Job in einer renommierten Werbeagentur in Mitte. Ihre Mutter sei stolz auf sie gewesen, erzählt sie. Das alles habe ihr das Gefühl gegeben, es sei eine gute Entscheidung gewesen, herzuziehen. Sie wurde für ihre Arbeit bezahlt, machte auch mal Urlaub. Und in der Agentur konnte sie Dinge ausprobieren: zum Beispiel Facefilter programmieren, als Marketinggag.
Während ihre Familie Weihnachten feiert, sitzt Jaskowska immer wieder vor dem Computer, schiebt stundenlang Effekte und Ebenen im virtuellen Raum herum, versinkt darin, bis sie zufrieden ist mit dem, was sie sieht: sich selbst, aber so, als wäre ihr Gesicht aus Glas, verpackt in türkis und rosa glitzerndes Zellophan. „Bei Beauty3000 wollte ich diesen Plastik-Look auf die Spitze treiben“ sagt Jaskowska.
Am 1. Januar 2019 lädt sie den Filter bei Instagram hoch. Es dauert nicht lange, ein, zwei Tage vielleicht, und das Supportteam des Netzwerks winkt ihn durch: Beauty3000 ist live. Er kann nun von jedem der monatlich etwa eine Milliarde aktiven Instagram-Usern getragen werden.
Johanna Jaskowska weiß sofort, dass dieser Filter etwas Besonderes ist, anders als all jene, die sie vorher hochgeladen hat. Ihr Gesicht erscheint ihr merkwürdig schön, wenn sie sich auf dem Handyscreen anschaut. Sie zeigt ihrer Schwester den Effekt und sagt, halb im Spaß: Schau, damit werde ich berühmt. Pfff, sagt die.
Beauty3000 ist gerade einen Tag online, da wächst Jaskowskas Followerzahl von 2000 auf 15.000; nach zwei Wochen sind es mehr als 152.000 Menschen, die ihren Account abonniert haben, um Beauty3000 anwenden zu können. Internationale Design- und Kulturmagazine wie „Sleek“ und wollen plötzlich mit Jaskowska sprechen, die italienische „Vogue“ berichtet über sie. In Paris und Berlin wird sie auf der Straße angesprochen: Bist du nicht das Mädchen mit dem Filter?
Jaskowska kündigt den Job in der Agentur, macht sich selbständig. Sie hat dauernd Anfragen, darunter den Auftrag von Billie Eilish. Plötzlich geht alles ganz schnell, schnell weiter, Berlin ist schon wieder Vergangenheit. Ende August ist Jaskowska nach Portland gezogen, Nike hat ihr einen Job im Kreativteam des Headquarters angeboten. Sie ist schon vorher mal hingeflogen, zur Vorbereitung. Auf einer Party wieder die Frage: „Are you the girl with the filter?“
Zuletzt hatte sie immer wieder das Gefühl, angestarrt zu werden. Mittlerweile folgen ihr mehr als 820.000 Menschen auf Instagram. Lauter glänzende, irisierende, spiegelnde Gesichter.
Das Glatte, schreibt der Philosoph Byung-Chul Han in seinem 2015 erschienenen Bändchen „Die Errettung des Schönen“, sei „die Signatur unserer Gegenwart“: Makellose Oberflächen wie die des Smartphones würden zum Fetisch.
Doch makellos bedeutet nicht: hübsch. „Wir leben in einer Zeit der Hyperindividualisierung. Was früher das Schöne war, ist jetzt das Anderssein“, sagt Claudia Rafael. Und das definiere sich eben eher über Segelohren, Pigmentflecken, Zahnlücken und – wenn man so etwas nicht hat – blaue Haare oder immerhin einen extravaganten Stil. Hauptsache, man sticht aus der Masse heraus.
Auch Rafael entwickelt Facefilter, sie ist Teil von Selam X, einem hydra-artigen Designkollektiv, das gerade überall mitmischt, wo es Bedarf an wilden, radikal zeitgeistigen Kampagnen und Looks gibt. Viele im Team sind erst Anfang 20, würden aber auch für 16 durchgehen. Es gibt keine festen Mitarbeiter, keine Hierarchien. Leidenschaft, Freizeit und Arbeit gehen ineinander über.
Kreuzberg, zweiter Hinterhof eines ehemaligen Fabrikgebäudes. Ein dunkles Treppenhaus, erste Etage rechts, grau gestrichene Metalltür. Rafaels Partner und Selam-X-Mitgründer Sebastian Zimmerhackl öffnet, macht eine Geste: Mitkommen! Sein Redefluss ist kaum zu stoppen: Ein Projekt für den Rapper Riff Raff steht an. Gerade gab’s einen Call mit den Leuten von Snapchat. Und da, demnächst, ein virtueller Anbau für die Galerie Ruttkowski68 in Paris, Augmented Reality, wird geil.
Einige Jungs machen gerade Pause, schnappen sich ihre Skateboards, gehen auf Socken in den Hof. Oben im Studio sieht es aus, als würde hier seit Monaten eine LAN-Party steigen, Kabel, Kisten, Computer, Aschenbecher, bis unter die Decke stehen Regale voller Krimskrams, der Ventilator surrt, es riecht nach Gras. Ein paar Leute sitzen vor Macbooks und helfen sich gegenseitig mit ihren Filtern.
„Hier ist immer High Energy“, sagt Claudia Rafael und schlägt vor, dahin zu gehen, wo es etwas ruhiger ist. Rüber zur Admiralbrücke, rein in die Sonne. Rafael zwirbelt ihre Haarspitzen zwischen den orange lackierten Nägeln, wenn sie nachdenkt – also eigentlich immer.
Bei Selam X ist sie die Person, mit der man reden muss, wenn es um Facefilter geht. „Ein sehr wichtiges Thema für uns.“ Verliebt in das eigene Antlitz war der Mensch schon immer, sagt Rafael. Heute ist er davon besessen.
Ein Grund dafür ist zweifellos das Aufkommen der Smartphones. „Die Trendforscherin Li Edelkoort hat schon vor Jahren gesagt, dass alles aufs Porträtformat hinausläuft.“ Früher lagen die Models quer über den Doppelseiten der Magazine, quer über dem Fernsehbildschirm. „Die Selfie-Kultur hat extreme Auswirkungen auf viele Bereiche, vor allem Mode und Make-up. Gesicht und Hände werden viel extravaganter inszeniert.“
Wie Johanna Jaskowska hat sich auch Claudia Rafael für die seit Herbst 2018 laufende geschlossene Betaphase von „Spark AR Studio“ beworben, wurde angenommen und hat seither Filter veröffentlicht. „Mars“ macht das Gesicht matt, eben, pastell-rot wie die Oberfläche des Planeten. Rund zwei Millionen Mal wurde er laut Rafael benutzt.
So kommt dann auch das Geld zu den Nerds. „Brands riechen Followerzahlen“, erklärt die 37-Jährige. Ein paar Wochen nach dem Gespräch am Landwehrkanal öffnen Facebook und Instagram die Betaphase von „Spark AR Studio“, nun kann wirklich jeder Gesichtsfilter veröffentlichen.
Der Reiz ist groß. Ein Filter, der viral geht, ist ein Sechser im Lotto der Aufmerksamkeitsökonomie. Der Traum aller Creators, aller PR-Abteilungen: Die Menschen laden einen Filter, fotografieren oder filmen sich damit und – das vor allem – teilen das Ergebnis, verschaffen dem Image einer Marke Aufwind, ohne zu merken, dass sie Teil einer Werbemaschinerie sind. Vielleicht stören sie sich auch einfach nicht daran.
Was sie dafür bekommen, ist die nächste Inkarnationsstufe des Selfies, eine surreal modifizierte Version des eigenen Gesichts. „Mit Filtern hat man die Möglichkeit, auszusehen, wie man will – nicht wie man muss“, sagt Claudia Rafael Anfang Juli vor dem Publikum der Fashiontech-Konferenz im Festsaal Kreuzberg, die zwei Mal im Jahr, immer zur Fashion Week in Berlin stattfindet. Es geht um digitale Transformation, um neue Technologien und Marketingtools.
Rafaels These passt in diese Zeit, in der sich viele von dem befreien, das die Gesellschaft ihnen auferlegt: Geschlechterklischees, rassistische Zuschreibungen und Schönheitsideale, Erwartungen, die an Alter, Bildung, Einkommen, Herkunft geknüpft sind. Masken sind für Menschen seit jeher ein Mittel, um sich selbst anders zu entdecken, anders ausdrücken zu können.
Auch Johanna Jaskowska ist zur Fashiontech gekommen. In einem viel zu kleinen Raum erzählt sie vor vollen Reihen zum zigsten Mal die Geschichte von Beauty3000. Hinterher wird sie angesprochen, bekommt Visitenkarten zugesteckt, schaut ein bisschen ratlos auf das Papier, als handele es sich um ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten: „Sorry, ich hab keine.“
Parallel zur Konferenz im Festsaal haben Selam X ihre Installation „Mask Off“ aufgebaut: zwei Reihen Monitore, mit denen man einige der angesagtesten Filter großformatig ausprobieren kann. Ein Jaskowska-Filter ist dabei, außerdem „Esmay“ von Claudia Rafael, der sich wie ein Stück rosa Frischhaltefolie über das Gesicht legt. „Diamond Mask“ und „Ripple“ der Berliner Assaf Reeb und Mate Steinforth, dazu der rotierende „One“-Filter des Düsseldorfers Aaron Jablonski, die Silberhände des Kanadiers @fvckrender, die schwimmflossenartigen Gebilde der Französin @ines.alpha.
„Ein guter Filter wirkt befreiend. Er befreit, was man fühlt, was man sich unter Schönheit vorstellt. Mit Augmented Reality kann man eine Verlängerung seiner Selbst nach außen schaffen“ Und eine Optik, die in der Realität kaum möglich wäre, die sich innerhalb von Sekunden ändern kann. Science-Fiction am eigenen Körper: Make-up, das die Farbe wechselt, drei Paar Augen, gallertartige Stachel auf Stirn und Wangen, Gesichtsteile, die hochklappen, wenn man die Brauen hebt.
Wie ein Supermodel aussehen – langweilig. Zu einem Roboter mutieren, einer transhumanen Kreatur, einem außerirdischen Wesen – besser.
Es sind Accessoires für das alternative Selbst, den Avatar, den man sich in sozialen Netzwerken erschaffen kann. Spielt Authentizität auf Instagram gar keine Rolle mehr? Claudia Rafael versteht die Frage nicht. „Dein digitales Selbst hat den gleichen Wert wie dein physisches.“
Die Gewichtung könnte sich weiter verschieben in einer Realität, die zunehmend online stattfindet: Das Online-Ich als primär sichtbare Identität, das Netz als zentraler sozialer Raum, als einzige relevante Öffentlichkeit. Als wäre das Real Life nur noch das Schlafzimmer, in dem man ungeschminkt herumlungert. „Der Look von Beauty3000 bleibt natürlich nicht immer cool“ sagt Jaskowska. „Aber Augmented Reality kommt, das ist sicher.“
Im Frühjahr ist ihr wieder etwas gelungen, das es so vorher noch nicht gab. Gemeinsam mit dem Amsterdamer Digital-Fashion-Label The Fabricant hat Jaskowska auf einer Blockchain-Konferenz in New York ein Kleidungsstück verkauft, das nur digital existiert. Eine Art Körperfilter: Um einen seidig schimmernden Overall fließt und flirrt ein transparenter Umhang. 9500 Dollar hat jemand dafür bezahlt. Kein großer Betrag in der Modewelt, aber die Aufmerksamkeit, die es dafür gab, wiegt ohnehin mehr.
Das Outfit wurde der Frau des Käufers auf den Leib programmiert, als digitale Couture. Ein aufwendiger Prozess. Mit der Bodytracking-Technologie, die in allen modernen Smartphones steckt, könnte das viel leichter gehen. Aber so weit ist „Spark AR Studio“, die Software von Facebook und Instagram, noch nicht.
Irgendwann, glaubt Johanna Jaskowska, werden die Menschen einen digitalen Kleiderschrank haben: Mode, die etwa auf einen neutralen Anzug projiziert wird. Zunächst vielleicht nur in Instagram-Posts, in Zukunft vielleicht auch direkt über Augmented-Reality-Kontaktlinsen. Mode, die nicht in pakistanischen Sweatshops entsteht und dann nur auf riesigen Schiffen über die Weltmeere geschippert wird, um nach kurzer Zeit im Müll zu landen. Mode, die all das kann, was physisch existierende Textilien nicht können: T-Shirts aus Beton, brennende Hosen, surreal fluoreszierende Strukturen. „Durch Filter verstehen die Menschen, was möglich ist“, sagt Jaskowska. „Sie fangen an nachzudenken.“
Auch für Jaskowska ist der Schritt vom irritierenden Spielzeug, vom digitalen Accessoire hin zur Kunst nicht mehr weit. Einen ihrer Filter hat sie „Narcisse“ genannt, es ist der einzige Filter, bei dem sie mit ihrer selbstverordneten Regel bricht, dass das Gesicht nicht verdeckt werden darf: Der Effekt legt sich wie eine silbrige Metallmaske über Stirn, Nase, Wangen, Mund und reflektiert: die Umgebung.