Es zieht sich ein tiefer Graben durch die politische Landkarte Thüringens. Denn über 50 Prozent der Wahlberechtigten bei der Thüringer Landtagswahl 2019 haben entweder rechts oder links gewählt. Der erste und bisher einzige linke Ministerpräsident der Bundesrepublik kann seinen Erfolg ausbauen. Seine Partei wird mit 31 Prozent stärkste Kraft. 2014 kam die Thüringer Linke auf 28,2 Prozent.
Erstmals seit der Wende verdrängt Ramelow damit die CDU von Platz eins in dem Freistaat. Die Christdemokraten landen sogar nur auf Platz drei. Denn die AfD mit ihrem Spitzenkandidat Björn Höcke erreicht 23,4 Prozent und schafft es auf Platz zwei vor der CDU mit 21,8 Prozent. Die Rechten erreichen damit ähnlich starke Ergebnisse wie bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg am 1. September.
In unserer interaktiven Karte können Sie alle Wahlergebnisse seit der Wende auf Gemeindeebene erkunden.
Bis zum Ende zittern muss die FDP. Mit genau fünf Stimmen über der Fünf-Prozent-Hürde schafft sie den Einzug in den Landtag. Die SPD rutscht auf 8,2 Prozent ab und erreicht damit ihr schlechtestes Wahlergebnis in Thüringen seit 1990. Es ist das zweitschlechteste Landtagswahlergebnis der SPD seit Kriegsende. Nur in Sachsen erreichten die Genossen mit 7,7 Prozent ein noch schlechteres Ergebnis. Auch die Grünen schaffen mit 5,2 Prozent nur knapp den Einzug in den Erfurter Landtag.
In den einzelnen Gemeinden gehen entweder Linke oder Afd als Wahlsieger hervor. Nur im Westen des Landes kann die CDU an alte Wahlerfolge anknüpfen. In Gerstengrund kommt die Partei auf 82,9 Prozent – bei 49 Wahlberechtigten. Aber auch in Heilbad Heiligenstadt, etwas weiter im Nordwesten mit 13.168 Wahlberechtigte, erhält die CDU 34,6 Prozent der Stimmen. Die Linke erziehlt ihr bestes Ergebnis mit knapp 44 Prozent in Oberhof, in der Nähe von Illmenau. Auch in der Hauptstadt Erfurt überzeugt sie die knapp 150.000 Wahlberechtigte. Dort erreicht es 33,1 Prozent. Die AfD gewinnt vor allem in kleinen Gemeinden mit wenig Einwohnern. In Paska mit 86 Wahlberechtigten erreicht sie ihr bestes Ergebnis: 62,7 Prozent.
Bodo Ramelow freute sich über das Ergebnis und zeigt sich selbstbewusst, Thüringen weiterhin als Ministerpräsident zu regieren. „Wir haben einen starken Regierungsauftrag bekommen“, sagte er am Wahlabend. Nach den aktuellen Zahlen würde es für eine Fortsetzung der rot-rot-grünen Koalition in Thüringen trotz dem Erfolg der Linken nicht mehr reichen. Zu schwach sind dafür die Ergebnisse von SPD und Grünen. Möglich wäre R2G2, also eine Koalition aus Linken, SPD, Grünen und FDP, was aber als unwahrscheinlich gilt.
CDU und AfD hätten ebenfalls nicht genug Sitze für eine gemeinsame Regierung. Die CDU hatte dies außerdem ausgeschlossen. Rechnerisch möglich wäre ein Bündnis aus CDU und Linken. Ein solches Bündnis mit der Linken lehnt die CDU allerdings ab. Der Spitzenkandidat der CDU Mike Mohring hielt sich nach der Wahl vorerst bedeckt: „Thüringen braucht eine stabile Regierung. Da müssen wir in Ruhe drüber nachdenken“, sagte er.
Eine Regierung zu bilden wird also schwierig in Thüringen. Ramelow spielt deshalb Vorwahlberichten zufolge bereits mit dem Gedanken, notfalls eine Eigenheit der Thüringer Landesverfassung auszunutzen: Anders als andere Verfassungen setzt sie keine zeitliche Grenze für eine Regierungsbildung. Der Ministerpräsident und sein altes Kabinett könnten die Geschäfte theoretisch also bis zum nächsten regulären Wahltermin weiterführen. Praktischerweise hat Ramelow den Haushalt 2020 schon verabschieden lassen. Für jedes konkrete neue Gesetz bräuchte er trotzdem genug Mitstreiter aus den anderen Fraktionen, um die nötigen Mehrheiten zu beschaffen.
Der Erfolg der Linken ist das Ergebnis einer längeren Entwickung seit der Jahrtausendwende. Lange war die politische Landkarte Thüringens schwarz. Doch vor zehn Jahren begann die Karte, rote Flecken zu bekommen.
Bei der ersten Landtagswahl nach der Wiedervereinigung am 14. Oktober 1990 gewann die CDU mit 45,5 Prozent beinahe eine absolute Mehrheit. Erst mit einigem Abstand folgten die SPD (22,8 Prozent), die PDS (9,1 Prozent), die FDP (9,3 Prozent) und die Grünen (6,5 Prozent). Der CDU-Politiker Josef Duchac bildete mit der FDP zusammen die Landesregierung.
Das Wahlergebnis erinnerte nicht ganz zufällig an die Konstellation, die sich im gleichen Jahr auch bei der ersten freien Volkskammerwahl ergab. Nach der Wende in der DDR übernahmen häufig Landesverbände der West-Parteien eine Art Aufbau-Patenschaft bei den ostdeutschen Parteifreunden.
Für die CDU betreute Hessen das benachbarte Thüringen. Die Erfahrungen, die der damalige hessische CDU-Generalsekretär (und späteren Bundesminister) Franz Josef Jung dort machte, bewogen ihn, Kanzler Helmut Kohl zur „Allianz für Deutschland“ zu überreden. Es war ein Wahlbündnis der CDU mit verschiedenen DDR-Gruppen, darunter dem „Demokratischen Aufbruch“, dessen Pressesprecherin eine gewisse Angela Merkel war. Die „Allianz“ sicherte der CDU in vielen frühen Wahlen in der Ex-DDR die Vorherrschaft.
Die Karriere des ersten Thüringer Ministerpräsidenten Duchac endete abrupt – der Stasi-Mitarbeit verdächtigt, trat er im Februar 1992 zurück. Die Koalition wählte einen Westimport zum neuen Ministerpräsidenten: Bernhard Vogel, ehemals Regierungschef in Rheinland-Pfalz und eigentlich als Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung schon im politischen Vorruhestand.
Der väterliche Vogel wurde, ähnlich wie „König“ Kurt Biedenkopf im Nachbarland Sachsen, zur prägenden Figur des Landes. 1999 führte er die CDU auf den Gipfel der Zustimmung und konnte anschließend mit einer absoluten Mehrheit von 50,1 Prozent der Stimmen allein regieren. 2003 übergab der 73jährige aus Gesundheits- und Altersgründen das Amt an den Kronprinzen Dieter Althaus.
Althaus, der aus dem katholischen Eichsfeld stammt, konnte die absolute Mehrheit 2004 verteidigen, allerdings nach herben Verlusten von rund acht Prozent nur noch als Mehrheit der Sitze. 2009 war es auch damit vorbei – die CDU verlor mehr als zehn Prozent. Selbst zusammen mit der nach langer Durststrecke in den Landtag zurückgekehrten FDP war keine Koalition möglich. Der ehemalige Ministerpräsident, nach einem schweren Skiunfall auch gesundheitlich angeschlagen, zog sich zurück. Neue starke Frau der CDU wurde Christine Lieberknecht, die mit der SPD eine große Koalition einging.
Fünf Jahre später erlebte Erfurt einen politischen Erdrutsch. Lieberknechts CDU legte zwar bei der Landtagswahl 2014 um mehr als zwei Prozentpunkte zu. Sie ging damit abermals als Erste aus dem Wahlabend hervor. Aber die Parteienlandschaft hatte sich massiv zu ihren Ungunsten verschoben. Ihr Koalitionspartner SPD kassierte mit 12,4 Prozent das schwächste Ergebnis seiner Landesgeschichte. Die AfD war auf der Bildfläche erschienen und bekam – obwohl noch niemand etwas vom Flüchtlingsjahr 2015 ahnen konnte – auf Anhieb 10,6 Prozent. Die FDP flog wieder raus, die Grünen blieben schwach.
Den großen Triumph trug die Linke davon, die sich seit der Jahrtausendwende nach und nach zur 25-Prozent-Kraft in Thüringen hochgearbeitet hatte. 2014 erzielt sie mit 28,8 Prozent ihre Landes-Bestmarke. Bodo Ramelow, ebenfalls aus dem Westen, regiert seither als einziger Linken-Regierungschef der Republik. Mit der denkbar knappen Mehrheit von nur einem Sitz im Landtag war es eine oft schwierige, aber wider viele Erwartungen bis zuletzt stabile rot-rot-grüne Koalition.
Die aktuellen Wahldaten stammen vom Landeswahlleiter. Die historische Wahldaten stammen vom Thüringer Landesamt für Statistik. Die Geodaten der Gemeinden basieren auf dem aktuellsten Datensatz des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie (Stand: 01.01.2019).
Die Karte zeigt die Gemeinden in ihren derzeitigen Grenzen. Seit 1990 hat sich das Gebiet einiger Gemeinden verändert – etwa durch Eingemeindungen oder Aufteilungen. Um diese Neugliederungen aufzunehmen, haben wir die historischen Daten mit Hilfe einer Umschätzungstabelle des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung auf die aktuellen Gemeinden und Bevölkerungszahlen umgerechnet. Für die Ergebnisse der Wahl 1990 mussten zunächst die Gemeindeschlüssel der DDR auf entsprechende Gemeindeschlüssel der Bundesrepublik umgerechnet werden. Dies geschah mit Hilfe einer Umrechnungstabelle des Thüringer Landesamtes für Statistik.
Die Ergebnisse wurden auf Gemeinden umgerechnet, weil die abstrakten Wahlkreise – gerade in Flächenländern wie Thüringen – wenig Menschen einen direkteren Bezug erlauben. Gemeindenamen sind im Vergleich dazu weitaus allgemeiner verständlich.
Die Kartenansicht bezieht sich ausschließlich auf die Zweitstimmen. Für eine Analyse der Erststimmen ist die Ebene der Gemeinden nicht geeignet, da die Direktkandidaten auf Wahlkreisebene gewählt werden.
Die historischen Ergebnisse werden ohne Briefwahlstimmen angezeigt, da sich diese nicht eindeutig einer Gemeinde zuordnen lassen.
Die Einfärbung der Karte gibt das Wahlergebnis der Partei in der jeweiligen Gemeinde an. Lässt man sich die Karte nach einzelnen Parteien anzeigen, wurde die Skala auf das beste Ergebnis der jeweiligen Partei normiert. So lassen sich die Wahlergebnisse einer Partei zwischen den einzelnen Wahljahren gut vergleichen. Die Ergebnisse der Parteien untereinander können mit diesen Farbskalen allerdings nicht verglichen werden. Hierzu dienen die zusätzlichen Balkendiagramme rechts der Karte.
In der Gewinneransicht ist die Karte auf das beste Ergebnis über die Jahre hinweg normiert. Hier ist ein Vergleich zwischen Jahren und zwischen Parteien möglich.
Die Pop-Ups rechts zeigen die Wahlergebnisse aller Parteien an, die in der jeweiligen Gemeinde mehr als drei Prozent der Stimmen erhalten haben. Parteien, die in der Übersicht ausgewählt werden können, waren in den vergangenen 29 Jahren mindestens einmal im Landtag vertreten. Kann die Partei in der Übersicht ausgewählt werden, so erscheint sie aus Konsistenzgründen auch im Diagramm, wenn ihr Ergebnis unter fünf Prozent lag.
Für die Wahlen vor 2009 werden die Ergebnisse der PDS als Stimmen der Linken angezeigt. 1990 trat die PDS mit anderen linken Vereinigungen als “PDS-Linke Liste” an.
1990 traten die Grünen gemeinsam mit der Bürgervereinigungen “Neues Forum” und “Demokratie jetzt” an.