Die Berliner Mobilitätswende hat begonnen. Zumindest offiziell. Denn in den Unfall-Meldungen spiegelt sich das bisher nicht: „Zwei Mädchen angefahren und verletzt.“ „88-jähriger Radfahrer angefahren und am Kopf verletzt.“ „Fußgänger in Friedrichshain von Auto erfasst.“
[Inzwischen haben wir die Ergebnisse ausgewertet. Sie finden Sie in unserem Auswertungsartikel]
Das soll besser werden. Die Berliner Landesregierung hat es in den Koalitionsvertrag geschrieben und im Sommer 2018 das Mobilitätsgesetz beschlossen. Die Stadt soll „nicht nur sicherer, sondern vor allem lebenswerter“ werden, sagt Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne). Erste Erfolge kann sie vorweisen: „Wir haben die ersten Kilometer neuer Protected Bike Lanes in der Stadt, dazu 20 Kilometer grünmarkierte Radwege“, sagt sie.
Andere sehen das kritischer. „Die Umsetzung des Mobilitätsgesetzes können wir bislang nur als ungenügend bezeichnen“, heißt es vom ADFC Berlin. „Die Umsetzung steht weit hinter den Erwartungen, insbesondere derer, die sich ein solches Gesetz gewünscht haben“, sagt der ADAC. „Auf den Straßen ist davon noch wenig zu sehen“, meint Roland Stimpel vom FUSS e.V.
Derweil steigt der Druck auf die Straßen. Weil Berlin stark wächst, müssen sich immer mehr Menschen die gefährliche Infrastruktur teilen. 144.000 Unfälle gab es allein vergangenes Jahr. Das ist weniger als in den Jahren zuvor. Aber von dem Rückgang profitieren hauptsächlich Autofahrerinnen und Autofahrer. Zu Fuß und auf dem Rad verunglückten sogar mehr Menschen als im Vorjahr. Und von Radwegen, auf die sich auch Kinder oder Ältere trauen, kann Berlin derzeit nur träumen.
So muss die Verkehrssenatorin letztlich eingestehen, dass man noch „am Anfang der Verkehrswende“ steht. „Wir sind dabei, ein Mobilitätssystem, das 70 Jahre für den motorisierten Individualverkehr konzipiert war, von Grund auf neu auszurichten“, sagt sie. Das Geld für die ersten Umbaumaßnahmen ist zwar bewilligt, aber nur wenig davon ausgegeben. Und eine Mobilitätswende müsse auch von den Bürgern gewollt sein, sagt Günther.
Was aber heißt das eigentlich, „von den Bürgern gewollt“? Genau hier klafft in der ganzen Debatte um die Umgestaltung Berlins eine Wissenslücke. Denn bisher gibt es kaum Erhebungen, welche Arten von Straßen, Wegen und Kreuzungen die Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer selbst überhaupt als sicher empfinden. Sind beispielsweise Radwege mit Pollern ernsthaft die beste Lösung, um Konflikte zwischen Auto und Fahrrad zu vermeiden? Sind grüne Radwege angenehmer als graue? Welche Straßenführung fühlt sich sowohl auf dem Rad als auch im Auto sicher an?
Wir nehmen die schleppende Umsetzung der Verkehrswende als Chance. Und schließen diese Wissenslücke. Gemeinsam mit allen Berlinerinnen und Berlinern wollen wir herausfinden, wie die Straßen der Zukunft aussehen müssten, damit sie sich für alle besser anfühlen. Dazu haben das Projekt FixMyBerlin und das Tagesspiegel Innovation Lab eine neue Art von Umfrage entwickelt. Damit die Fakten vorliegen, bevor das Falsche gebaut wird.
Im Straßencheck können Sie simulierte Straßen, Wege und Situationen im Verkehr bewerten und Ihre Meinung abgeben, was die größten Missstände im Berliner Verkehr sind.
Die Ergebnisse der Umfrage werden anonym gesammelt und fortlaufend analysiert. Sobald wie möglich werden erste Ergebnisse veröffentlicht. Wir werden auf tagesspiegel.de in Infografiken und Texten darüber berichten und am Schluss eine ausführliche Analyse der Ergebnisse liefern.
Wir werden die ausgewerteten Ergebnisse mit den wichtigsten Verantwortlichen in Forschung, Politik und Verkehrsplanung diskutieren. Wir werden sie fragen, ob sie diese Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen – oder warum sie es bislang nicht tun. So soll der Straßencheck denen eine Stimme geben, die den Verkehr ausmachen: Ihnen, liebe Berlinerinnen und Berliner.
Der Straßencheck will herausfinden, wie die Straßen für alle Menschen sicherer werden können. Berlinerinnen und Berliner können mit Hilfe von Bildern mit unterschiedlichen Perspektiven angeben, wie sie Situationen im Verkehr wahrnehmen. Die Bilder sind 3D-Modelle, in denen dutzende Faktoren und Möglichkeiten des Straßenbaus unterschiedlich kombiniert werden. Das soll ausschließen, dass Straßenabschnitte deswegen anders bewertet werden, weil man sie kennt. Es ermöglicht zudem, verschiedene Möglichkeiten der Straßengestaltung zu simulieren, die es noch nicht oder nur selten auf Berliner Straßen gibt.
So soll analysiert werden, welche Infrastruktur sich auch aus der Sicht der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer wirklich sicher anfühlt. Dabei kann die Straße aus mehreren Perspektiven betrachtet und bewertet werden – aus dem Auto, vom Rad, oder zu Fuß.
Seit im Juni 2018 das Berliner Mobilitätsgesetz in Kraft getreten ist, soll die Verkehrsplanung den Fußverkehr, Bus, Bahn und den Radverkehr stärker berücksichtigen. Dafür werden Straßen umgestaltet. Doch bisher ist unbekannt, welche Arten von Straßen, Wegen und Kreuzungen für alle Verkehrsteilnehmer am besten sind. Denn Erhebungen gibt es dazu kaum. Mit der Umfrage können sich alle Berliner Bürgerinnen und Bürger am Prozess beteiligen. Je mehr sich beteiligen, desto genauer die Rückschlüsse.
Ergebnisse der Umfrage werden auf tagesspiegel.de und unter fixmyberlin.de veröffentlicht. Sie werden außerdem aufbereitet und der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz zur Verfügung gestellt. Außerdem stehen die Daten Forscherinnen und Forschern zur Verfügung. Auch für die Forschung und Planungen in anderen Städten sollen die Ergebnisse der Umfrage grundlegende Erkenntnisse liefern.
Die Umfrage wurde in einer Kooperation von FixMyBerlin und dem Tagesspiegel entwickelt. Die Gestaltung der Umfrage wurde durch zahlreiche Expertinnen und Experten aus der Unfall- und Verkehrsforschung begleitet. Die Senatsverwaltung für Verkehr, Umwelt und Klimaschutz hat die Umfrage ebenfalls fachlich begleitet. Die Umfrage wird durch den ADFC und den ADAC unterstützt.
Gefördert wird das Projekt durch Mittel des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur im Rahmen des Nationalen Radverkehrsplans 2020 sowie durch die Berliner Senatskanzlei.