Die Gründer
Jan Hase und Arkadi Jampolski haben geschafft, wovon viele träumen. Sie haben eine Firma gegründet, die in wenigen Jahren zu einem Unternehmen mit knapp 100 Mitarbeitern und zehntausenden Kunden wurde. Ihr Startup heißt Wunderflats. Es hat seine Zentrale in einem Plattenbau am Alexanderplatz. An jenem Ort, wo Gebäude aus DDR-Zeiten vom damaligen Glauben ans normierte Wohnen für alle künden, wollen die beiden wieder eine neue Art des Wohnens schaffen. Wenngleich eine sehr andere.
Ihr Geschäftsmodell ist simpel. Sie betreiben eine Webseite, auf der Wohnungseigentümer möblierte Wohnungen auf Zeit inserieren können. Obendrein bieten sie einen professionellen Fotoservice an. Und einen standardisierten Mietvertrag. Weil die Wohnungen nicht wochenweise vermietet werden, sondern immer mindestens einen Monat, gilt das nicht als Beherbergung wie bei Airbnb. Und fällt deshalb auch nicht unter das Zweckentfremdungsgesetz. 33 000 Wohnungen haben sie schon auf ihrer Plattform, mehr als 13 000 davon in Berlin.
Die Tauschbörse
Angefangen hat das Ganze als Wohnungstauschbörse für Auslandsstudenten, erzählt Hase, ein großgewachsener Informatiker aus Berlin mit Hornbrille und Vollbart. Das lief auch gut – bis das Angebot etwas kosten sollte. Arkadi Jampolski sagt: „Unsere Zielgruppe, die Studenten, hat im Bereich Wohnen gern Geld gespart, und es lieber für Reisen oder Freizeitaktivitäten ausgegeben. Also mussten wir eine Zielgruppe finden, die sich gern Zeit und Gemütlichkeit kauft.“ Die fanden sie in der steigenden Zahl von Berufseinsteigern und jungen Fachkräften, die in die Stadt ziehen. 2015 bauten sie die Plattform um. Jackpot!
„In den letzten drei Jahren sind wir jeweils um den Faktor drei gewachsen“, erzählt Jampolski. Er trägt ebenfalls Hornbrille und Vollbart. Dazu Hemd und Jacket. Jampolski wohnt selbst seit zwei Jahren in Wunderflats-Wohnungen. Gerade lebt er in der zwölften.
Gefördert vom Land
Will ein Startup so schnell wachsen, braucht es vor allem eines: Kapital. 2017 gab es eine große Förderrunde von rund drei Millionen Euro. Ein großer Teil davon kam von der Investitionsbank Berlin (IBB). Und die gehört dem Land. Sie fördert regelmäßig Startups. Das Unternehmen, das in der Kritik steht, den aufgeheizten Mietmarkt weiter anzufeuern, wurde also teilweise mit Geldern des Landes aufgebaut. Im Aufsichtsrat sitzt Finanzsenatorin Ramona Pop von den Grünen. Sie äußerte sich auf mehrfache Tagesspiegel-Anfrage nicht dazu.
Ein Großteil der Wohnungen stammt dabei von Privatleuten. „80 Prozent unserer Wohnungen sind privat“, sagt Hase: „Die meisten unserer Vermieter haben eine oder mehrere Wohnungen, die sie über uns anbieten.“ Für viele Vermieter sei das eine wichtige Säule ihrer Altersvorsorge.
Bürokratie und Zeitersparnis
Die Wohnungen auf der Webseite gibt es in verschiedenster Ausführung. Von Wohnungen, in denen gerade einmal genug Möbel stehen, damit eine Wohnung als möbliert gilt, bis hin zu Altbauwohnungen mit Designermöbeln unweit vom Regierungsviertel. Die Preise reichen laut Tagesspiegel-Analyse von 10,15 Euro pro Quadratmeter bis hoch zu 62,89 Euro, der Durchschnittswert aller online erreichbaren Angebote liegt bei 27,78 Euro pro Quadratmeter.
Das Schmiermittel der Plattform ist die fehlende Bürokratie und die Zeitersparnis. Mieter brauchen keine Schufa-Auskunft. Stattdessen lässt sich Wunderflats vom Arbeitgeber bestätigen, dass der Mieter zahlen kann. Statt Besichtigungen gibt es standardisierte Fotos von allen Teilen der Wohnung und Listen der Ausstattung. Und ein deutsches Konto ist auch nicht notwendig.
Wohnen wie Musik
Glaubt man einem Marktbericht von Jones Lang Lasalle und Berlinovo, hat sich der Markt für möbliertes Wohnen in Deutschland ab dem Jahr 2016 stark gewandelt. Investoren in dem Segment konzentrierten sich vorher hauptsächlich auf studentisches Wohnen heißt es darin, sie kauften beispielsweise privatisierte Studentenwohnheime als Teil größerer Investmentfonds. Doch nun wandelt sich der Markt zunehmend hin zu neuen Zielgruppen. “Ab 2016 wird daher mehr vom Segment Mikrowohnen gesprochen”, heißt es in dem Bericht. Und an diesem Segment beteiligen sich laut des Reports seit 2018 eine sprunghaft steigende Zahl internationaler Investoren.
So etablieren sich neben Plattformen wie Wunderflats und ihrem Konkurrenten Homelike ein ganzer Blumenstrauß von Anbietern. Von privatisierten Studentenwohnheimen, über Business Apartments bis hin zu ganzen Apartmentkomplexen, die nur für diesen Zweck gebaut oder umgewandelt werden.
Housing as a Service
Für Jampolski liegt in der Einfachheit der Wohnungssuche die Zukunft des Wohnens. „Housing as a service” nennt er das. „Es ist wie mit Musik”, sagt er. „Bei Musikdiensten wie Spotify kann man jederzeit jede beliebige Musik hören.” Genauso sei es mit einem einfacheren Zugang zum Wohnen, sagt er. „Möblierte Wohnungen sind nur die erste Form.”
Glaubt man den beiden, ermöglicht dieser einfachere Zugang eine völlig neue Freiheit. „Ziel soll es sein, dass jeder in Deutschland dort leben und arbeiten kann, wo er möchte, wann immer er möchte”, sagt Hase.
Doch genau in dem Vergleich zwischen Wohnungen und Musik liegt ein Problem: Musik wird nicht weniger, wenn jeder von überall darauf zugreifen kann. Wohnraum schon. Möblierte Wohnungen sind teurer als unmöblierte. Und so vermutet Reiner Wild vom Berliner Mieterverein, dass viele diese Wohnungen mieten, die eigentlich nicht möbliert und befristet wohnen wollen. Und Jochen Biedermann, Bezirksrat für Stadtentwicklung in Neukölln, sagt: „Das ist eine ganz klare Praxis, um die Mietpreisbremse legal zu umgehen.” Man habe aber im Moment keine Handhabe dagegen.
Wohnungsfürsorge
Die beiden Gründer glauben nicht, dass ihr Angebot den Druck auf den Mietmarkt erhöht. Man brauche von allen Wohnungen mehr, sagt Hase, möbliert und unmöbliert. Da helfe nur Neubau. Außerdem gelte die Preisbegrenzung bei Wiedervermietungen auch für möblierte Wohnungen. Ein Zuschlag für Möblierung und Dienstleistungen sei zulässig. Nur prüfen kann das kaum jemand.
Fragt man die IBB, warum Wunderflats Geld bekommen hat für eine Idee, die Mieten weiter hochtreiben könnte, heißt es, dass so auf die Konkurrenz von Nutzergruppen untereinander eingegangen werde. Es sei wichtig, auch für Erwerbskräfte, die nur einen befristeten Zeitraum in Berlin seien, die Wohnungssuche möglich zu machen. Eine Ironie der Geschichte ist dabei wohl, dass die IBB 1924 ursprünglich als „Wohnungsfürsorgegesellschaft” gegründet wurde. Ihre Aufgabe war die Finanzierung des Wohnungsbaus für die Berliner Bevölkerung.
Zeitstrahl: Geschichte des möblierten Wohnens
Die »Schlafburschen«-Regelung
Polizei regelt »unkontrolliertes Zusammenleben«
Der »möblierte Herr«
Schriftsteller Hans Fallada, möbliert in Moabit
Die »Wilmersdorfer Witwen«
Ärger mit kommunaler Wohnungsbaugesellschaft
Möbliertes Wohnen, vom Land bezahlt
Die »Seniorenimmobilie«
Berlinovo – landeseigene Gesellschaft, größter Anbieter möblierter Apartements
Der Kampf gegen Airbnb
Vermieter und Verteiler
Genau wie Airbnb baut oder besitzt Wunderflats die Wohnungen nicht, sondern vermittelt sie nur. Sie stellt den Kontakt vom Besitzer zum Nutzer der Wohnung her und bietet eine leicht bedienbare Oberfläche. Der Ablauf ist immer der gleiche. Mieter suchen sich eine Wohnung aus und können sie mit wenigen Klicks buchen. Sie sind wie ein Betriebssystem für Immobilien. Aber die Hardware, das sind die Wohnungen. Und die kommen von Wohnungseigentümern wie Jürgen Jordan, der inzwischen 30 möblierte Wohnungen über Wunderflats vermietet. Nicht in Berlin, sondern in Hamburg, wo der Markt für möblierte Wohnungen ebenfalls brummt. Von den kleineren Berliner Vermietern bei Wunderflats fand sich keiner, der mit uns sprechen wollte.
Jordan hat 25 Jahre in der Finanzbranche gearbeitet, mit 48 hat er dann angefangen, nur noch seine Immobilien zu verwalten. „Mein Geschäft sieht so aus: Wenn ich eine Wohnung bekomme, wird sie saniert oder renoviert. Und dann folgt die Möblierung. Bis hin zur Ausstattung mit Leuchtkörpern und Besteck“, erzählt er am Telefon.
Angenehme Mieter
Dass er die Wohnungen möbliert, statt sie leer zu vermieten, begründet Jordan mit der Nachfrage: „Die Nachfrage danach ist größer als nach unmöblierten Wohnungen“. Er sieht sich als Investor und Vermögensverwalter und konzentriert sich „auf die Top-Lagen, zentrumsnah in etablierten Wohngegenden.“ Außerdem macht es ihm Spaß. „Ich mag ordentliche Wohnungen. Guter Wohnraum für gutes Geld ist für mich entscheidend.“ Und die Mieter, die über Wunderflats kommen, seien angenehm: „Hochwertiger Wohnraum zieht auch hochwertige Bewohner an. Viele sind Ingenieure und IT-Spezialisten“, sagt Jordan.
Und was sagt Jordan denjenigen, die kritisieren, dass die möblierten Wohnungen die Preise auf dem Mietmarkt in die Höhe treiben? Er sagt: „Dass das eine Verknappung darstellt, glaube ich nicht. Denn die Anzahl der temporär vermieteten Wohnung steht in keinem Verhältnis zu unmöblierten Wohnungen.“
Die Betreiber
Ähnlich argumentieren auch jene, die möblierten Wohnraum in größeren Mengen bereitstellen. Sie werden auf dem Markt „Betreiber“ genannt. Orbis ist der größte in der Stadt. Über 600 Apartments betreibt das Unternehmen in Berlin - als Serviced Apartments und Aparthotels, auch Boarding Houses genannt. Wie ein Hotelbetreiber könne man ihren Job verstehen, sagt Geschäftsführer Florian Wichelmann. Das Unternehmen benannten er und sein Geschäftspartner nach dem internationalen Club „Orbis Humboldtianus“ der Humboldt-Universität Berlin. Dort hatten sich die beiden kennengelernt. Seit viereinhalb Jahren sind sie nun gemeinsam im Immobiliengeschäft tätig.
Ihre Angebote platzieren sie über Plattformen wie Wunderflats und Spotahome – wenn sie langfristig vermietet werden. Die Angebote, die tage- oder wochenweise vermittelt werden, finden sich auf Portalen wie Booking oder Agoda und brauchen eine Genehmigung. Die „Serviced Apartments“ haben eine Mindestmietdauer von ein bis drei Monaten. Und auch sie gelten deswegen nicht als Beherbergung.
Wichelmann sagt: „Wir bieten den Berufstätigen eine günstige Alternative zum Hotel. Warum sollte man den Aufenthalt von Personen, die zum Beispiel für vier Monate in Berlin sind, nicht auch wohnenswert nennen?“ Ein weiteres Argument von Wichelmann: Die Wohnungen stünden sonst leer. Denn Bauland sei in den vergangenen Jahren so teuer verkauft worden, dass dort gebaute Wohnungen für andere Zielgruppen kaum erschwinglich seien.
Für Investoren und Eigentümer bietet Orbis den Rundum-Service – angefangen bei der Sanierung. Die Orbis Unternehmensgruppe hat mittlerweile 60 Mitarbeiter. „Wir entwickeln Immobilien“, sagt Wichelmann. Auf der Homepage heißt es: „In unserer Gruppe bündeln wir Kompetenzen für eine maximale Wertschöpfung in Entwicklung und Betrieb von Immobilien.“ So erziele man „überdurchschnittliche Renditen“.
Die Steigerung
Gibt es noch eine Steigerung? Klar! Einzelne Betten vermieten. Bei Spotahome, die ebenfalls in Berlin Schlafplätze anbieten. Insgesamt sieben Betten listet das Portal für eine Drei-Zimmer-Wohnung in Pankow. Die Bilder zeigen Holzstockbetten, der Mietpreis pro Monat schwankt zwischen 375 bis 450 Euro. Das Portal präsentiert die Zimmer per Video. Sogenannte „Homespotter“ führen durch die Wohnung. Eine Besichtigung ist nicht möglich. Und erst am Ende der Anzeige findet sich der entscheidende Hinweis: „Der angegebene Preis ist pro Bett. Andere Betten können an Personen vermietet werden, die Sie nicht kennen.“ Geschlechter sind klar getrennt, heißt es weiter.
Das dritte Zimmer, das von der Küche abgeht, erinnert eher an eine Speisekammer als an ein Zimmer. Dafür ist es ein Einzelzimmer, das Bett lässt sich aus einem Schrank ausklappen und versperrt den Zugang zu Toilette und Waschbecken, die gegenüber der Zimmertür angebracht sind. Kosten pro Monat 450 Euro. Rund 2100 Angebote hat das Unternehmen in Berlin. „Wir vermeiden Leerstand“, sagen sie dazu.
Diese Veröffentlichung ist Teil unserer Langzeit-Recherche Wem gehört Berlin? Mit der Recherche wollen der Tagesspiegel und das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv gemeinsam mehr über die Eigentumsverhältnisse in Berlin herausfinden. Sie können sich an der Recherche auf verschiedene Weise beteiligen. Im Crowd Newsroom können uns Ihren Eigentümer mitteilen oder an unserer Mietenumfrage teilnehmen.