Der Trend Die Analyse Die Milieuschutzgebiete Über uns
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Möbel statt Mietpreisbremse Möbel statt Mietpreisbremse Über das Geschäft mit möblierten Wohnungen. Und wie sich mit ihnen der Mietspiegel umgehen lässt. Immer mehr Berliner Wohnungen werden möbliert angeboten, buchbar mit wenigen Klicks auf neuen Online-Plattformen. Die Mietpreisbremse gilt dann nicht. Was steckt dahinter? Im Rahmen von „Wem gehört Berlin?” haben wir uns auf dem neuen Markt genauer umgeschaut. Teil 1 erzählt, wie das System funktioniert – und wer davon betroffen ist.

Immer mehr Berliner Wohnungen werden möbliert angeboten, buchbar mit wenigen Klicks auf neuen Online-Plattformen. Die Mietpreisbremse gilt dann nicht. Was steckt dahinter? Im Rahmen von „Wem gehört Berlin?” haben wir uns auf dem neuen Markt genauer umgeschaut. Teil 1 erzählt, wie das System funktioniert – und wer davon betroffen ist.

Der Trend

Nikita Chicherin ist kein Mann, der sich viel Gedanken über Einrichtung macht. Ein Tisch, zwei Stühle, ein Bett, ein Regal, ein kleines Sofa. Viel mehr ist in der 60 Quadratmeter großen Charlottenburger Dachgeschosswohnung unweit des Savignyplatzes nicht zu finden. „Reicht mir zum Wohnen“, sagt er. Die meiste Zeit verbringt der 28-Jährige sowieso bei der Arbeit. Dabei ist die Wohnung ein Glücksgriff: Schöner Kiez, ruhige Seitenstraße, zentral gelegen. Und Chicherin brauchte nur wenige Stunden, sie zu finden. Voll eingerichtet.

Eingerichtet hat die Wohnung nicht Chicherin, sondern sein Vermieter. Als der Programmierer vor knapp drei Jahren aus Russland nach Berlin zog, suchte er gezielt nach möblierten Wohnungen, fand über Google die Berliner Firma Wunderflats und konnte kurze Zeit später einziehen. Eine Schufa-Auskunft war nicht nötig, Schlange stehen für eine Wohnungsbesichtigung auch nicht. Seitdem mietet er Wohnung für Wohnung über das Portal, das von sich selbst sagt, es habe deutschlandweit mehr als 33 000 Angebote möblierter Wohnungen auf seiner Plattform, mehr als 13 000 davon in Berlin.

Die angebotenen Wohnungen bei Wunderflats kommen in allen Geschmacksrichtungen und Wohnlagen. Hier beispielsweise ein »Wunderschönes Designer-Loft« in der City West. Die 54 Quadratmeter in Charlottenburg-Wilmersdorf gibt es für 1100 Euro im Monat. Foto: Wunderflats/Dan Safier
Etwas großzügiger geschnitten ist diese Wohnung in Schöneberg. Ein »modisches und großartiges Apartment im Herzen der Stadt« mit 72 Quadratmetern in zwei Zimmern kostet hier 1450 Euro. Foto: Wunderflats/Dan Safier
Hohe Altbaudecken, Dielen und gehobenere Designermöbel können in Charlottenburg bewohnt werden. Die »stilvoll sanierte und hochwertig möblierte 3 Zimmer-Altbauwohnung« mit insgesamt 90 Quadratmetern kostet dann 1750 Euro. Foto: Wunderflats/Dan Safier
Wer eher auf Vintage Chic steht, bekommt ein »helles, liebevoll ausgestattetes Loft in Kreuzberg« für 1800 Euro. Foto: Wunderflats/Dan Safier
Wer weniger Mittel zur Verfügung hat, kann ein »stilvolles Apartment mitten in Gesundbrunnen« buchen. Die Couch kann zum Bett ausgezogen werden. Insgesamt 30 Quadratmeter Wohnfläche kosten 800 Euro im Monat. Foto: Wunderflats/Dan Safier

Die Plattform ist nicht die einzige. Jeder, der gerade in Berlin auf Wohnungssuche ist, wird früher oder später auf die vielen Angebote bezugsfertiger möblierter Wohnungen stoßen. Anbieter wie Wunderflats besitzen die Wohnungen nicht, die Firma ist nur Vermittler und bedient Eigentümer, die Wohnungen möbliert vermieten wollen. Auch Berlinovo, ein landeseigenes Unternehmen, bewirtschaftet mit insgesamt 6500 Apartments ganze Blocks auf diese Weise. Und die Orbis Group, die Wohnungen von Eigentümern und Investoren anmietet, sie entsprechend ausstattet und weitervermietet.

Glaubt man den Portfolien mancher Investmentfonds und den Anbietern selbst, ist das erst der Anfang. „Der Markt ist nur zu Bruchteilen gedeckt“, sagt Jan Hase, einer der Gründer von Wunderflats, „es wäre Bedarf nach 1,5 Millionen solcher Wohnungen in Deutschland.“ Chicherin ist da ein typischer Fall. Er ist Teil einer begehrten, hoch mobilen Schar von Fachkräften, die vor allem von Technologiekonzernen und Start-ups überall auf der Welt umworben werden. Und die irgendwo unterkommen müssen. Eine fertig möblierte Wohnung ist da bequem und praktisch. Erst recht, wenn man nicht weiß, wie lange man bleibt.

Doch die Fertigwohnungen haben ihren Preis. Chicherins Mietvertrag ist befristet. Und er zahlt eine wesentlich höhere Miete, als er ohne Möbel zahlen würde: 1075 Euro für 60 Quadratmeter, 17,92 Euro pro Quadratmeter.

Das ist kein Einzelfall. Wer jetzt glaubt: Das kenne ich doch, und an das Angebot möblierter Unterkünfte auf Plattformen wie Airbnb denkt, irrt. Diese neue Strategie zielt nicht auf Touristen ab, und sie gilt auch nicht tageweise, sondern für längere Zeiträume. Damit gilt das Modell nicht als Ferienwohnung und unterliegt nicht dem Zweckentfremdungsverbot, mit dem der Senat Teile des Wohnungsmarktes vor der Umnutzung als billige Hotelzimmer bewahren will.

Die Analyse

Wohnlagen. Möblierte Wohnungen werden überall in der Stadt angeboten. Ein Schwerpunkt liegt allerdings auf den etablierten besseren Wohnlagen innerhalb vom Ring.

Dass möblierte Wohnungen unter Eigentümern hoch im Kurs stehen, hat mit den hohen Renditen zu tun, die sich in Zeiten von Mietpreisbremse und Wohnungsknappheit auf diese Weise erzielen lassen. Denn es sind Stuhl, Bett, Kühlschrank und dergleichen, mit denen man die Vorgaben der Mietpreisbremse umgehen kann.

Nachdem uns zahlreiche Berliner im Rahmen unserer Langzeitrecherche „Wem gehört Berlin?“ berichteten, dass die Anzahl möblierter Wohnungen in ihrem Kiez an Zahl ständig steige, sind wir dem Phänomen nachgegangen.

Wir haben sämtliche Angebote der großen Anbieter möblierter Wohnungen in Berlin ausgewertet, die online vermarktet werden. Mehr als 9000 waren so auffindbar. Diejenigen, die doppelt vorkamen, lediglich einzelne Zimmer enthielten, als professioneller Hotelbetrieb geführt werden oder Studentenwohnheime sind, haben wir aussortiert. 3298 Einheiten mit einer Mindestmietdauer von zwei Monaten blieben so für die genauere Analyse übrig. Tatsächlich dürfte die Zahl solcher Angebote wesentlich höher sein. So tauchen Wohnungen, die aktuell vermietet oder schon auf lange Zeit ausgebucht sind, auf manchen Plattformen nicht auf.

Das Angebot reicht von Privatwohnungen, Apartments, die an Studenten vermietet werden, bis hin zu luxuriösen Apartments. Die Auswertung liefert einen soliden Einblick in diesen neuen Markt, der sich in Berlin etabliert. Erstes Ergebnis: Der durchschnittliche Quadratmeterpreis beträgt 27,44 Euro. Die teuerste Wohnung liegt bei 79,30 Euro pro Quadratmeter, die günstigste bei 10,15 Euro.

Spitzenreiter Mitte. In keinem Bezirk werden mehr möblierte Wohnungen angeboten. Klicken Sie auf die Buttons um nach anderen Kriterien zu sortieren.

Um seine Wohnung möbliert vermieten zu können, reicht es nicht, ein Bett hineinzustellen. Eine Wohnung gilt juristisch als möbliert, wenn sie vom Vermieter ganz oder überwiegend mit wesentlichen Einrichtungsgegenständen ausgestattet ist. Solche Möbelstücke sind Schränke, Tische, Stühle, ein Bett sowie eine funktionierende Küche. Geschirr oder Bettwäsche gehören nicht dazu. Bei vielen Plattformen können aber auch diese Dinge als Service dazu gebucht werden. Meist sind das dann ganze Apartmentgebäude, die mehr mit Hotels gemein haben als mit Wohnhäusern.

Der Übergang ist fließend. Solange ein Mietvertrag abgeschlossen wird, spricht man von Wohnen. Und so finden sich zwischen den Angeboten von professionellen Betreibern viele Wohnungen, die private Vermieter eingerichtet haben und ohne große Zusatzleistungen wie etwa einen Putzservice vermieten – beispielsweise, weil sie länger im Ausland sind. Die Portale arbeiten mit den Eigentümern zusammen, übernehmen oft das Fotografieren oder Filmen der Wohnung. Bei allen ist das Anmieten einfach online möglich, das wichtigste Kriterium ist eine Kreditkarte mit ausreichend hohem Limit.

Ein Laptop, Küche, Bad. Chicherin braucht nicht viel Wohnungseinrichtung zum Leben. Foto: Mike Wolff

Genau das sprach Nikita Chicherin an: Er hatte ein knappes Budget, als er nach Berlin zog, erzählt er. Für Möbel wollte er kein Geld ausgeben: Sie kosten am Anfang einmal viel, und was hat man nach dem Auszug davon? Mit schwarzer Jeans und Band-T-Shirt bekleidet steht er am Fenster der Dachgeschosswohnung. Ein bisschen deutsch spricht der Mann mit dunklem Bart mittlerweile, doch lieber unterhält er sich auf Englisch. Seine Gitarre liegt in der Ecke auf dem Boden. Musik und Fotografie, das sind seine Hobbys, wenn er nicht am Laptop sitzt.

Fünf Mal hat er in den vergangenen Jahren die Wohnung gewechselt. Er ist da flexibel. „Meine wichtigsten Anforderungen sind eine ruhige Nachbarschaft und Internetzugang”, sagt er. Chicherin mag seine Nachbarschaft. „Man grüßt sich.“

Manche Nachbarn sehen so was anders. Ein Neuköllner Wohnungsbesitzer hat sich selbst vor einigen Jahren eine Wohnung gekauft, um unabhängig vom Mietmarkt zu werden. Ein Nachbar tat dasselbe, habe allerdings wenig später eine weitere Wohnung im Haus gekauft, und begann, sie möbliert auf einem Portal anzubieten.

Dadurch seien dann plötzlich 1600 Euro pro Monat erzielbar, wo eine Wohnung selbst am oberen Ende des Mietspiegels nur 650 Euro kosten dürfte. „Mich ärgert das, weil viele Freunde von mir solche Wohnungen suchen. Und die kriegen keine. Hier wird Profit mit einem Grundrecht gemacht.” Für M. ist klar: Möblierte Wohnungen sind ein Weg zur Umgehung des Mietspiegels. “Wir stolpern über unsere eigene Gier”, sagt er.

Die Milieuschutzgebiete

Druck auf den Boxi. Die Karte zeigt, wie viele möblierte Wohnungen in allen Berliner Milueschutzgebieten angeboten werden. Klicken Sie auf ein Gebiet für genauere Informationen!

Ein genauerer Blick auf die zahlreichen Angebote online zeigt: Nicht wenige der inserierten Wohnungen liegen in Milieuschutzgebieten. Zum Beispiel in Friedrichshain. „Heute sind wohl um die 20 Wohnungen gleichzeitig neu eingerichtet worden. Die vielen Kartons mit Kühlschränken und Spülen standen auf der Straße“, sagt eine Mieterin in der Gegend. 69 Quadratmeter kosten dort 1400 Euro monatlich. Mehr als das doppelte, als andere in der Gegend zahlen.

Beim Bezirk sei das seit kurzem bekannt, heißt es in einem Antwortschreiben auf Beschwerden der Anwohner. Man prüfe, ob diese Vermietungspraxis im Milieuschutzgebiet verhindert werden kann. Sie befänden sich in einer Grauzone bisheriger rechtlicher Regelungen. Sobald Möbel in einer Wohnung stehen, handelt es sich in rechtlicher Hinsicht nicht um Leerstand. Also gilt das nicht als Zweckentfremdung.

Die Praxis demonstriert, wie Vermieter bewusst Schwachstellen des Gesetzes nutzen, um den Begrenzungen durch Bezirksämter zu entgehen.

Dabei ist es nicht verboten, Wohnungen befristet zu vermieten. Zeitverträge sind zulässig, wenn es einen Grund gibt. Zum Beispiel, wenn der Vermieter selbst die Wohnung beziehen will oder eine Renovierung plant. Anders sieht es aus, wenn nicht der Vermieter, sondern der Mieter einen Grund zur Befristung hat. Etwa weil er für ein Projekt in die Stadt zieht. Das Zweckentfremdungsgesetz erlaubt das ausdrücklich. Doch ob der Mieter wirklich nur einen befristeten Mietvertrag will oder diesen aus Not heraus unterschreibt, kann kaum jemand überprüfen. Und auf den Plattformen können Mieter von vorneherein nur Wohnungen auswählen, die befristet sind.

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Fakt ist auch: Wer seine Wohnung möbliert, darf einen Zuschlag verlangen. Gibt der Vermieter ihn im Vertrag an, so kann jeder prüfen, ob er angemessen ist. Dafür gibt es Berechnungsmodelle. Doch üblicher ist eine „Inklusivmiete“, die weit über dem Mietspiegel liegt. Und hier versteckt sich das zweite Problem: Weil der Mieter nicht weiß, wie viel er für die bereitgestellten Möbel bezahlt und wie viel für die Miete, kann der Zuschlag willkürlich festgelegt werden.

„Wer meint, dass die Miete zu hoch ist, muss einen Teil der Miete zurückfordern und den Vermieter notfalls verklagen. Dieser wird dann vor Gericht offenlegen, was er für die Wohnungsmiete und welchen Betrag für den Möbelzuschlag berechnet“, sagt Mathias Münch, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht. Aber wer sowieso nur für kurze Zeit in einer Wohnung lebt, klagt normalerweise nicht. Reiner Wild vom Berliner Mieterverein sieht das kritischer. „Bei einer Inklusivmiete mit Möblierung ist die Anwendung der Mietpreisbremse umstritten.“ Und so gibt es kaum Gerichtsurteile darüber, wie hoch der Möblierungszuschlag sein darf. Und noch kein einziges darüber, ob bei einer Inklusivmiete der Zuschlag offengelegt werden muss.

Die Zuschläge dürften hoch sein. Geht man vom höchsten Quadratmeterpreis im Mietspiegel und durchschnittlich hohen Betriebs- und Nebenkosten aus, so kommt man etwa für eine online angebotene 47-Quadratmeter-Wohnung in Neukölln auf einen Zuschlag von knapp 400 Euro pro Monat. Zurückgerechnet nach dem Berliner Modell hätten diese Möbel um die 20 000 Euro gekostet. Und müssten ganz neu sein.

Bei Chicherins Fall kommt man mit derselben Rechnung auf einen Möblierungszuschlag von 200 Euro pro Monat. Die wenigen Möbel in seiner Wohnung hätten also um die 10 000 Euro gekostet.

Dass seine Wohnung teuer ist, ist auch Chicherin klar. Trotzdem glaubt er, wäre es für ihn umständlicher, sich eine Wohnung mit eigenen Möbeln anzuschaffen. „Natürlich wäre das schön“, sagt er. „Und der ständige Umzug nervt.“ Aber im Jahr 2019 in Berlin sei das eben sehr kompliziert. Also zieht er mit fünf Koffern und seinen Gitarren weiter. Die Bestätigung für seine neuen Bleibe für die nächsten sechs Monate liegt schon auf dem Tisch.


Diese Veröffentlichung ist Teil unserer Langzeit-Recherche Wem gehört Berlin? Mit der Recherche wollen der Tagesspiegel und das gemeinnützige Recherchezentrum Correctiv gemeinsam mehr über die Eigentumsverhältnisse in Berlin herausfinden. Sie können sich an der Recherche auf verschiedene Weise beteiligen. Im Crowd Newsroom können uns Ihren Eigentümer mitteilen oder an unserer Mietenumfrage teilnehmen.

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