Die meisten Unfälle in Berlin passieren an Kreuzungen. Gerade für Radfahrende sind es die sogenannten „Abbiegeunfälle“, die noch viel zu oft tödlich enden. Das Berliner Mobilitätsgesetz verspricht die Vision Zero, also keine Verkehrstote mehr. Dazu will die Senatsverwaltung für Verkehr 30 Unfallschwerpunkte pro Jahr beseitigen. Erst kürzlich wurde bekannt, dass die Verkehrsverwaltung aus Personalmangel nicht alle der Unfallpunkte mit Schwerverletzten prüft.
Welche Kreuzungen in Berlin sind für Radfahrende besonders gefährlich? Um das herauszufinden, hat das Berliner Startup „FixMyBerlin“ alle Unfälle der Jahre 2017 bis 2019 ausgewertet – und alle gesammelt, an denen Radfahrer:innen beteiligt waren. 220 Kreuzungen gelten nach ihrer Analyse in Berlin als Unfallschwerpunkte. Bei der Bewertung orientiert sich FixMyBerlin an den Vorgaben des Mobilitätsgesetzes - aber bezieht sie ausschließlich auf Unfälle mit beteiligten Radfahrenden.
Die folgende Tabelle zeigt alle Kreuzungen, an denen sich die Fahrradunfälle zwischen 2017 und 2019 gehäuft haben. Das Jahr 2020 ist nicht in den Daten enthalten.
„Das Ergebnis zeigt, wie groß die Aufgabe der Vision Zero im Mobilitätsgesetz ist“, heißt es in der Pressemitteilung von FixMyBerlin. Tatsächlich zeigt die Auswertung, dass es beim Thema Sicherheit für Radfahrende noch viel zu tun gibt. Die meisten Fahrrad-Unfallschwerpunkte gibt es im Bezirk Mitte (63). Es folgen die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg (40) und Charlottenburg-Wilmersdorf (29). Die wenigsten Unfallschwerpunkte für Radfahrende hat Spandau.
FixMyBerlin hat die Unfallschwerpunkte auf einer Karte dargestellt. Hier gelangen Sie zur Karte.
Im Mobilitätsgesetz heißt es zu den Unfallschwerpunkten: „Treten ein oder mehrere Merkmale auf, wird die Örtlichkeit besonders beobachtet, um möglichst rasch zu handeln.“ Natürlich bezieht das nicht nur Kreuzungen mit Fahrradunfällen, sondern auch mit allen anderen Verkehrsteilnehmern mit ein.
Aber passiert das auch? Ende 2020 nannte die Verkehrsverwaltung rund 50 Stellen, an denen etwas getan oder geplant sei. Wie ist der Stand ein Jahr später, vor allem an den gefährlichen Stellen für Radfahrende?
Zu sieben von acht Kreuzungen, an denen Radfahrende besonders häufig oder besonders tödlich verunfallen, listet die Senatsverwaltung auf Anfrage umgesetzte Maßnahmen auf: zum Beispiel geschützte Radwege und eine getrennte Abbiege-Ampelschaltung an der Kreuzung Alexanderstraße/Otto-Braun-Straße/Karl-Marx-Allee, Pop-up-Radwege und neue Radwege rund um die Kreuzung Zossener Straße/Gitschiner Straße/Lindenstraße oder der verbreiterte Schutzstreifen auf der Oberbaumbrücke. In einigen Fällen sind weitere Maßnahmen geplant.
An einer besonders unfallträchtigen Kreuzung jedoch passiert nichts: dort, wo in Mitte die Mollstraße auf die Otto-Braun-Straße trifft. „Aufgrund der sehr komplexen Verkehrssituation“ habe die Unfallkommission „bisher keine Einzelmaßnahmen veranlasst“, es seien auch keine geplant, teilt Senatssprecher Jan Thomsen mit. Hier müsse „eine gesamthafte Verkehrsuntersuchung“ stattfinden. „Auch ein kompletter Kreuzungsumbau ist nicht ausgeschlossen“, so Thomsen. Die Statistik des Ortes: ein getöteter Radfahrer, drei schwerverletzte und 21 leichtverletzte (2017-2019).
Ein Sonderfall ist der Moritzplatz: Er ist in der Rangliste weiterhin weit oben, trotz vieler Maßnahmen seit 2015. Hier finden derzeit 40 Prozent weniger Unfälle mit Radfahrer:innen statt, teilt der Senat mit. Eine Verbesserung – aber noch immer passieren hier viele Unfälle, wie aus der FixMyBerlin-Auswertung hervorgeht.
Eine isolierte Betrachtung der Unfallkreuzungen greife zu kurz, sagte Thomsen. Es gehe bei der „Vision Zero“ nicht allein um Einzelmaßnahmen an auffälligen Kreuzungen. Dort gelte es zwar, zu verbessern und zu entschärfen, wo möglich – dafür sei die Unfallkommission eine Taskforce. Um die „Vision Zero“ zu erreichen, müsse man jedoch grundlegend eingreifen: „Es sind insbesondere bundesrechtliche Änderungen nötig“, schreibt Thomsen und erwähnt etwa Tempo-30-Strecken auf Hauptstraßen, Vermeidung von Lkw-Fahrten innerorts, „die umfassende Ausrüstung mit Abbiegeassistenten“, „erleichterte Anordnungen für Zebrastreifen“ sowie vermehrte Kontrollen.
Außerdem sei bei vielen Unfallschwerpunkt-Kreuzungen zu beachten, dass dort besonders viel Verkehr ist. Es kommt dort also absolut betrachtet häufiger zu Unfällen als in kleineren Straßen. Das ist logisch – logisch ist aber auch, dass es dort besonders vielen Verkehrsteilnehmern helfen würde, wenn gerade diese Orte so sicher wie möglich sind.