Berlin will klimaneutral werden, und zwar bis 2045 – fünf Jahre früher, als es das Pariser Klimaabkommen vorsieht. Der Senat will die Emissionen bis 2030 um 70 Prozent gegenüber 1990 reduzieren, so steht es im Koalitionsvertrag. Bis 2040 sollen es sogar 90 Prozent weniger sein. Was hat die Berliner Regierung im letzten Jahr dabei erreicht?
Um das zu beurteilen, muss man sich die politischen Maßnahmen in den Bereichen mit den höchsten Emissionen anschauen: Strom und Wärme (41 Prozent) und Verkehr (30 Prozent). Außerdem können etwa Baumpflanzungen dazu beitragen, die Emissionen zu kompensieren.
Vielen Menschen sind die Regierungsziele nicht ambitioniert genug: Ein Volksentscheid will die Klimaneutralität bereits bis 2030. Seit über einem Jahr kleben sich Aktivist:innen auf die Straße und fordern schnelleres Handeln.
Zentrales Leitprojekt im Koalitionsvertrag für weniger Klimagase ist der „Masterplan Solarcity“. Er wurde bereits 2019 beschlossen. 25 Prozent des Stromverbrauchs soll bis 2035 durch Solaranlagen erzeugt werden. Um das zu erreichen, müssen Solaranlagen mit einer Gesamtleistung von 4400 Megawatt auf Berlins Dächern installiert werden. Ende 2022 waren es 14.290 Anlagen mit einer Spitzenleistung von 183 Megawatt. Je nach Tageszeit und Wetter lassen sich damit zwei bis drei Prozent des Stromverbrauchs decken, wie das PV-Dashboard.Berlin zeigt.
Die Grafik zeigt die CO2-Emissionen (Verursacherbilanz) Berlins im Millionen Tonnen seit dem Referenzjahr 1990. Zwischen 2011 und 2020 lag die durchschnittliche Veränderung pro Jahr bei –4,05%.
Der Ausbau machte 2022 Fortschritte: Im vergangenen Jahr wurden laut dem Marktstammdatenregister 3168 neue Photovoltaikanlagen installiert – 70 Prozent mehr als im Vorjahr. 93 Prozent der Anlagen stehen auf Wohngebäuden und haben eine Spitzenleistung von 30 Kilowatt.
Die meisten Solaranlagen wurden 2022 in Marzahn-Hellersdorf gebaut. Das Ausbaupotential ist jedoch laut der Expertenempfehlung zum Masterplan im Bezirk Tempelhof-Schöneberg am höchsten – dort wurde aber nur mittelmäßig viel ausgebaut.
Rot-Rot-Grün hat zusätzlich im Juli 2021 das Berliner Solargesetz verabschiedet: Ab 2023 muss auf allen Neubauten eine Photovoltaikanlage auf dem Dach installiert sein. Außerdem wurden kleine private Solaranlagen nahe der Wohnung von der Mehrwertsteuer befreit. Zusätzlich hat der neue Senat beschlossen, die Installation privater Balkon-Photovoltaikanlagen mit 500 Euro zu fördern. Für das Förderprogramm stellt Berlin 2022 und 2023 insgesamt 23,7 Millionen Euro zur Verfügung, womit laut Schätzungen ab diesem Februar 14.000 Anträge bezuschusst werden könnten.
Fossile Wärmeversorgung soll durch erneuerbare Energien ersetzt, fossil befeuerte Heizungen durch klimaneutrale Anlagen ausgetauscht werden. Da Wärmegewinnung gemeinsam mit Stromerzeugung für 40 Prozent der Emissionen verantwortlich ist, ist das der wichtigste Ansatzpunkt. Der Senat will den Gesamtenergieverbrauch um 46 Prozent senken und die Zusammensetzung der Wärmequellen ändern. Fernwärme soll mit 44 Prozent Anteil die zentrale Wärmequelle werden, 2020 lag der Anteil nur bei 32 Prozent.
Um das zu erreichen, wird derzeit diskutiert, dass das Land Berlin große Teile von Vattenfall zurückkaufen will: Wärme Berlin, die Fernwärme und den Vattenfall-Anteil von 31,6 Prozent an der Gasag. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) schrieb auf Twitter: „Wir wollen das Fernwärmenetz zurück in die öffentliche Hand holen. Durch die Mehrheitsbeteiligung wollen wir als Land mehr Einfluss auf die Versorgungssicherheit und die Zukunft der Energie- und Wärmeversorgung in Berlin nehmen.“ Konkrete Verhandlungen haben allerdings noch nicht begonnen.
Das novellierte Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz von 2021 verpflichtet zudem insbesondere Betreiber der Berliner Fernwärmeversorgung, einen Dekarbonisierungsfahrplan aufzustellen, der den Anteil erneuerbarer Energien und die CO₂-Emissionen reduziert. Das müsste dann das Land Berlin selbst umsetzen.
Während im Nahverkehr einiges passiert ist, hat sich in Sachen Privatverkehr wenig getan. Die Zahl zugelassener Pkw stieg in den letzten Jahren kontinuierlich, Kurzzeit-Parkplätze sind noch immer billig, die Gebühren für Langzeitparken sollen irgendwann im Jahr 2023 erhöht werden – geplant ist das schon seit Jahren.
Im Oktober berichtete die Senatsverwaltung zwar von einer „leichten Zunahme des Verkehrsaufkommens“ im Vergleich zum ersten Quartal 2022. Doch die Daten für diesen Winter sind nicht vollständig, wie die Verwaltung mitteilte – die Zählstellen waren defekt. „Das Daten-Gap (…) ist auf die installierte Solartechnik mit sehr alten Batterien zurückzuführen, die versagt haben“, schreibt die Senatsverwaltung auf Nachfrage. „Die Daten sind mutmaßlich verloren gegangen.“ Ob diesen Winter mehr oder weniger Kfz unterwegs waren: Die Stadt wird es womöglich nie erfahren.
2022 war das Jahr von 9-Euro- und 29-Euro-Ticket, letzteres von der aktuellen Regierung geplant und umgesetzt. Ob Menschen in diesem Zeitraum wirklich ihr Auto haben stehen lassen, ist schwer belegbar, aber die Zahl der Nutzer:innen von Bus und Bahn stieg massiv an.
Fakt ist auch: Viele der Maßnahmen kommen zu spät. Die Folgen des Klimawandels sind bereits jetzt in Berlin zu spüren. Das Jahr 2022 war das trockenste der letzten 70 Jahre. Dies wird insbesondere die Wasserknappheit verschärfen und den Pflanzen zusetzten.Der Februar 2022 war zwar überdurchschnittlich feucht, der Sommer hingegen sehr trocken. Und der Winter 2023 ist bislang sehr warm.
Die linke Grafik zeigt den jährlichen Niederschlag in Berlin seit 1950 – 2022 war trockener als alle Jahre zuvor. Die rechte Grafik zeigt den monatlichen Niederschlag im gleichen Zeitraum als helle Kurven im Hintergrund und das langjährige Mittel. Der Februar 2022 war überdurchschnittlich feuchten, der Sommer hingegen sehr trocken.
Bäume könnten das abmildern. In Berlin stehen etwa 430.000 Straßenbäume – Bäume in Wäldern und Parks nicht mitgezählt. Aber der Bestand nimmt ab: Knapp 6300 Bäume mussten alleine 2021 gefällt werden. Es gibt viele Gründe, warum Bäume gefällt werden müssen. Insbesondere die Zahl der abgestorbenen Bäume hat in den letzten fünf Jahren stark zugenommen. Bäume mit “leerem Standort” müssen entfernt werden, weil sie aufgrund eines Sturms umfielen oder in nicht mehr verkehrssicherem Zustand sind. Biologische Versagekriterien betreffen den Befall mit Schadenserregern, diese haben stark abgenommen. Mechanische Versagekriterien, zum Beispiel Anfahrschäden durch Fahrzeuge, Vandalismus oder Sturm, haben leicht zugenommen.
Damit die Stadtbäume erhalten bleiben, pflanzen die Bezirke regelmäßig neue Bäume. Der Berliner Senat unterstützt dies und initiierte 2012 die Stadtbaumkampagne. Seit Beginn der Kampagne wurden etwa 2,5 Millionen Euro Spenden gesammelt, womit mehr als 14.000 Bäume gepflanzt wurden.
Zuletzt verringerte sich die Zahl der geplanten Pflanzungen von 1400 im Jahr 2021 auf 1170 im Jahr 2022. Die Gesamtbilanz bleibt damit knapp negativ. Die Zahlen für 2022 werden erst im Frühjahr geliefert, doch da die Bilanz über die letzten sechs Jahre hinweg stabil bei -1 Prozent lag, ist mit keiner Verbesserung zu rechnen.
Ein deutschlandweites Novum war die Gründung eines Bürger:innenrates. Nach einer Bürgerinitiative der Bewegung Klimaneustart Berlin stimmte die vorherige Regierung der Gründung dieses Rates aus 100 zufällig ausgelosten Berliner*innen zu. Im Frühjahr 2022 trat er erstmals zusammen. Ende Juni übergab der Rat 47 Empfehlungen zur Klimapolitik. Senat und Abgeordnetenhaus geben an, die Empfehlungen ernsthaft zu prüfen, sie sind jedoch nicht bindend.
Auf Vorschlag von Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne) wurde im März 2022 außerdem der Klimaschutzrat berufen: Ein 18-köpfiges, unabhängiges Expert:innengremium, das die Regierung in Klima- und Energiefragen beraten soll. Bisher gab es jedoch erst zwei Stellungnahmen des Rates – zum Angriffskrieg auf die Ukraine und zu Empfehlungen des Klimabürger:innenrats.