Lehrermangel, Probleme bei der Digitalisierung, Sanierungsstau und dazu steigende Schülerzahlen – beim Thema Schule gibt es in Berlin viele Baustellen: Während einige Schulgebäude zerfallen, platzen andere aus allen Nähten.
Hinzu kommt das Personalproblem, das Rot-Grün-Rot mit der Wiedereinführung der Verbeamtung bekämpfen wollte. Wie erfolgreich war die Koalition? Daten zeigen: Die kleinen Fortschritte sind angesichts der großen Probleme nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Schüler*innen um 18 Prozent gestiegen. Im Vergleich zum Schuljahr 2021/2022 waren es knapp zwei Prozent. Schon jetzt fehlen 10.000 Schulplätze. Dafür ist Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) nicht alleine verantwortlich. Der Platzmangel war lange absehbar. Seit 1996 liegt die Senatsverwaltung in der Hand der SPD. Immerhin: 2022/23 gab es über 5000 neue Schulplätze, die durch Neubau oder Erweiterung geschaffen wurden, mehr als im Schuljahr zuvor.
Trotz des Zuwachses haben im Sommer vor allem an weiterführenden Schulen Plätze gefehlt – rund 170 Kinder bekamen über das reguläre Verfahren zunächst gar keinen Schulplatz. Fast jedes zehnte Kind konnte an keinem seiner drei Wunschschulen unterkommen.
Damit mehr Kinder Platz finden, gibt es seit 2016 die Schulbauoffensive. Sie soll den Sanierungsstau abarbeiten und 60.000 zusätzliche Schulplätze bauen. Inzwischen werden allerdings bereits 70.000 Plätze benötigt. Um Schulneubau und -sanierung kümmert sich nicht nur die Bildungsverwaltung, sondern auch die ebenfalls SPD-geführte Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.
Die Gelder kommen aus der Grünen-geführten Finanzverwaltung, gegen die zuletzt Kritik laut wurde. Denn trotz Proteste der Bezirke gab es im Investitionsplan 2022 bis 2026 bei weitem nicht genug Geld für Schulsanierungen und Neubau. Bezirke und Bildungsverwaltung hatten 173 Vorhaben zu Schulerweiterungen und Großsanierungen priorisiert, aber nur rund 40 bekamen dann auch den Zuschlag von der Senatsverwaltung für Finanzen.
Dass die im vergangenen Jahr beschlossenen Gelder reichen, gilt als ausgeschlossen. Durch Inflation und Ukrainekrise haben die Baukosten stark angezogen. Und weil die Schülerzahlen dermaßen steigen, baut der Senat mit den knappen Geldern zurzeit mehr Neubauten, anstatt bedarfsgerecht zu sanieren. Der seit 20 Jahren entstandene Sanierungsstau kann daher nicht so stark abgebaut werden, wie das 2016 zu Beginn der Schulbauoffensive geplant war.
Neue Gebäude allein reichen allerdings nicht, um den steigenden Schüler*innenzahlen gerecht zu werden. Es braucht auch Lehrkräfte – die aber fehlen in ganz Deutschland. Die rot-grün-rote Koalition hat die Rückkehr zur Verbeamtung daher Ende 2021 beschlossen – nach 18 Jahren Pause –, um den Standort Berlin attraktiver zu machen. Das konnte sich 2022 noch nicht relevant auswirken. Parallel mussten rund 10.000 geflüchtete Schüler*innen zusätzlich untergebracht werden.
Und weil die Pensionierungswelle weiterlief, blieben im vergangenen Sommer rund 900 Lehrerstellen unbesetzt. Für das Jahr 2022 nennt die Bildungsverwaltung 1302 neu eingestellte Lehrer*innen mit Lehramtsausbildung. Vergleicht man diese aktuelle Zahl mit Angaben aus dem jährlichen statistischen Bericht der Kulturministerkonferenz, so wurden 316 Lehrkräfte weniger eingestellt als 2021.
Die Bildungsverwaltung schränkt den Vergleich der Zahlen der Kultusministerkonferenz mit ihren eigenen Angaben ein. „Vergleiche mit KMK-Veröffentlichungen sind nicht 1:1 möglich, da hier viele Besonderheiten zur Definition der einzelnen Kategorien gelten“, heißt es. Dass der Trend in der Entwicklung in den jeweiligen Statistiken aber komplett unterschiedlich verläuft, ist unwahrscheinlich.
Weil im ganzen Land Fachkräfte fehlen, locken die Bundesländer mit eigenen Angeboten – Bayern setzt auf finanzielle Anreize, Brandenburg will die Verbeamtung als „Bildungsamtmann” oder „Bildungsamtfrau” nach einem beliebigen Bachelorabschluss anbieten.
Da wirkt die Wiedereinführung der Verbeamtung in Berlin als schwacher Anreiz, zumal sich das Problem in den kommenden Jahren immer weiter verschärfen wird, wie die Prognosen des Monitoringberichts der Bildungsverwaltung zeigen. Geburtenstarke Jahrgänge gehen in Rente, gleichzeitig gibt in den geburtenschwachen jungen Jahrgängen allein weniger Menschen, die den Beruf ergreifen könnten.
Lässt sich die Bildungsverwaltung immer wieder neue Bezeichnungen einfallen, damit das Ausmaß des Fachkräftemangels nicht zu sehr auffällt? So könnte man zumindest vermuten. Lehrkraft ohne volle Lehrbefähigung, Seiteneinsteiger*in oder doch Quereinsteiger*in – da noch durchzublicken ist nicht einfach.
Gibt es auch gute Nachrichten aus Bildung und Schule? Zum Teil, zumindest für die Jüngsten in der Stadt. Denn die Zahl der verfügbaren Kitaplätze ist im vergangenen Jahr um drei Prozent auf über 180.000 Plätze gestiegen. Die schlechte Nachricht: Berechnet man mit Hilfe von Geburtenstatistiken und aktuellen Studien den Bedarf an Plätzen, so reicht er auch 2022 nicht.
Um den Bedarf an Kitaplätzen modellhaft zu berechnen, nutzen wir die Kinderbetreuungsstudie (KiBS) des Deutschen Kinder- und Jugendinstituts, die Umfragen unter Eltern gemacht haben. Dort gaben annähernd 100 Prozent der Eltern von drei- bis fünfjährigen Kindern sowie rund 60 Prozent der Eltern von unter Dreijährigen Kindern einen Platzbedarf an. Rechnet man diese Angaben auf die Geburtenstatistik um, so ergeben sich die in der Grafik gezeigten Werte für den ungefähren Bedarf an Kitaplätzen. Nicht eingerechnet sich Zu- und Wegzüge von Kindern.
Sobald das Kind ein Jahr alt ist, haben Eltern einen Anspruch auf einen Platz. Auch hier fehlen Personal und Räume. Die neuen Plätze sind ein kleiner Fortschritt. Doch bei 25.000 Plätzen, die nach unseren Berechnungen in 2022 nicht vorhanden sind, gibt es noch viel zu tun.
Fehlt nur noch eine große Baustelle der Berliner Bildung: die Digitalisierung. Gerade während Corona zeigten sich Probleme – kaum Breitbandanschlüsse an Schulen, kaum W-Lan, zu wenige Endgeräte. 2022 und 2023 wurden nun aber 167 Glasfaseranschlüsse realisiert – eine enorme Zahl, wenn man bedenkt, dass es noch vor zwei Jahren nur vereinzelt Anschlüsse gab.
An W-Lan fehlt es trotzdem überall. Demnach verfügt bislang nur jede dritte Berliner Schule über ein W-Lan, das mindestens 70 Prozent der Räume abdeckt, heißt es in einer parlamentarischen Anfrage aus dem November. Unwahrscheinlich, dass sich diese Situation grundlegend verbessert hat.
Chaos gab es auch bei der Bereitstellung von Endgeräten für Lehrer*innen. Tablets im Wert von 14 Millionen Euro verstaubten ungenutzt in den Schulen. Lehrkräfte benutzen lieber ihre privaten Geräte weiter, weil sie auf den Dienst-Tablets nicht ihre bevorzugten Programme installieren können. Für Schüler*innen hatte sich die rot-grün-rote Koalition erst im Januar auf ein Konzept zu Anschaffung solcher Geräte geeignet. Die Ausschreibung dauert allerdings neun Monate.
Wie dringend die Anschaffung ist, zeigt der Vorschlag der Kultusministerkonferenz: Hybridunterricht als eine mögliche Übergangslösung für den Lehrermangel. Das dürfte in Berlin somit ausfallen. Auf die neue Regierung wird eine Mammutaufgabe zukommen.