Bis noch kurz vor der Wahl wurde diskutiert, ob die Berliner Wahl von 2021 wiederholt werden sollte oder nicht. Stimmzettel fehlten, Wahllokale schlossen nicht rechtzeitig und Warteschlangen waren zu lang.
Der damalige Innensenator Andreas Geisel (SPD) übernimmt bis heute keine klare
Verantwortung für das Wahldebakel und spielte seinen Einfluss daran herunter.
Die Landeswahlleiterin musste gehen. Grund genug, sich einmal genauer
anzuschauen, wie es bei der
Wahlwiederholung
mit der Auszählung lief.
Ein Anhaltspunkt, wie korrekt die Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses
abgelaufen ist, könnte der Anteil ungültiger Stimmen sein.
Bei der Wiederholungswahl in diesem Jahr lag der Anteil ungültiger Stimmen bei 0,89 Prozent (Erststimme) bzw. 0,73 Prozent (Zweitstimme). 2021 war der Anteil mit 1,41 bzw. 0,91 Prozent deutlich höher. Insgesamt ist der Anteil ungültiger Stimmen 2023 so gering wie noch nie seit 1995. Eine positive Bilanz für den aktuellen Landeswahlleiter Stephan Bröchler.
Zwischen den Berliner Bezirken gab es zum Teil starke Unterschiede zwischen 2021 und 2023. In Charlottenburg-Wilmersdorf hat sich der Anteil ungültiger von 1,59 Prozent auf 0,71 Prozent mehr als halbiert. Ähnlich war es in Steglitz-Zehlendorf. Laut dem Bericht der Landeswahlleitung wurden 2021 in diesem Bezirk in zwei Wahlkreisen insgesamt 1099 falsche Stimmzettel für die Erststimme der Abgeordnetenhauswahl ausgegeben, die als ungültig gewertet wurden. In Treptow-Köpenick war der Unterschied zu 2021 am geringsten. Hier ist der Anteil der ungültigen Stimmen von 1,31 in 2021 auf 0,96 Prozent in 2023 nur um etwa ein Viertel geschrumpft.
Auch im nationalen Vergleich steht Berlin nicht schlecht da. Bei der Landtagswahl in Niedersachsen am 9. Oktober 2022 lag der Anteil ungültiger Stimmen laut Niedersächsischer Landeswahlleiterin bei 1,33 Prozent (Erststimme) bzw. 0,93 Prozent (Zweitstimme), also knapp 50 bzw. 27 Prozent mehr als dieses Jahr in Berlin.
Betrachtet man den Anteil der ungültigen Stimmen während der letzten dreißig Jahre lässt sich ein starker Trend beobachten. Seit 2005 sinkt der Anteil der ungültigen Stimmen sowohl in der Erst- als auch in der Zweitstimme stetig. Selbst 2021 gab es trotz der Wahl-Pannen 37 Prozent weniger ungültige Zweitstimmen als noch 2016.
Als ungültig gilt eine Stimme laut Landeswahlgesetz, wenn der Stimmzettel nicht den Vorschriften entspricht, die Wahlabsicht nicht erkennen lässt oder einen Zusatz oder Vorbehalt enthält.
Somit kann ein Stimmzettel als ungültig gezählt werden, weil Bürger:innen ihren Stimmzettel absichtlich durchgestrichen oder aus Versehen falsch ausgefüllt haben, aber auch, weil das Bezirkswahlamt einen falschen Stimmzettel herausgegeben hat. Ungültige Stimmen können daher sowohl auf Unzufriedenheit der Bürger:innen hindeuten, als auch auf eine inkorrekt durchgeführte Wahl.
Eine Sprecherin von der Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport, der die Wahlleitung angehört, kann den Trend nicht erklären. Ungültige Stimmen können auf vielfältige Ursachen zurückzuführen sein: die Komplexität der Stimmzettel, wie viele Wahlen gleichzeitig stattgefunden haben, ob es einen Volksentscheid gab, wie viele Parteien angetreten sind, wie sich die Wahlbeteiligung entwickelt hat oder wie die politische Stimmung war. All dies könne den Anteil ungültiger Stimmen beeinflussen.
Rechtlich gesehen macht es in Berlin übrigens einen Unterschied, ob ungültig oder nicht gewählt wird. Die Fünf-Prozent-Hürde bezieht sich laut Landeswahlgesetz auf die insgesamt abgegebenen Zweitstimmen – also auch die ungültigen. Auf Bundesebene und in allen anderen Bundesländern zählen hingegen nur die gültigen Zweistimmen. Die Fünf-Prozent-Hürde ist in Berlin somit geringfügig höher.
Stark verändert hat sich auch die Wahlbeteiligung im Laufe der Zeit. Mitte der 50er Jahre hatte die Wahlbeteiligung in Berlin ihren Höchststand erreicht: 93 Prozent der Berliner:innen gingen wählen. Willy Brand (SPD) wurde 1957 Regierender Bürgermeister. Nach dieser Hochzeit fiel die Wahlbeteiligung bis 2006 rapide auf 58 Prozent ab. Seit der Zeit von Klaus Wowereit (SPD) stieg das Interesse an der Politik erneut und zur annullierten Wahl 2021 gingen dreiviertel der Berliner:innen wählen.
Umso auffälliger ist der Rückgang der Wahlbeteiligung bei der Berlin-Wahl 2023. Etwas weniger als zwei Drittel der Wahlberechtigten Berliner:innen gingen 2023 wählen, 12 Prozent weniger als zwei Jahre zuvor. Bereits am Wahltag berichteten viele Bürger:innen von leeren Wahlbüros.
Ein möglicher Grund ist ein geringeres Interesse an einer Wiederholungswahl im Vergleich zur annullierten Wahl in 2021. Ein anderer Grund wird darin vermutet, dass in der Wahl 2021 gleichzeitig auch Bundestag und Volksentscheid gewählt wurden. Doch die Gründe können vielfältig sein und auch mit dem politischen Interesse, den Wahlmöglichkeiten und dem Angebot der Parteien zusammenhängen.
In den einzelnen Bezirken schwankte die Wahlbeteiligung leicht. Am höchsten war sie in Steglitz-Zehlendorf mit 71,1 Prozent. Hier hat sie im Vergleich zu 2021 mit 10,4 Prozentpunkten auch am wenigsten abgenommen. Während 2021 noch zwei Wahlkreise im Nord-Osten rot bzw. grün gefärbt waren, hat sich dieses Jahr in ganz Steglitz-Zehlendorf die CDU durchgesetzt.
Am niedrigsten war die Wahlbeteiligung in Marzahn-Hellersdorf mit 56,1 Prozent. Dies ist der einzige Berliner Bezirk, in dem die AfD zwei Wahlkreise gewinnen konnte. Bereits 2021 gewann die AfD Hellersdorf 1 und 3 am östlichen Rand Berlins mit etwas mehr als 20 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung in diesen Wahlkreisen lag bei gerade einmal 45 bzw. 46 Prozent. Dieses Jahr konnte die AfD den Vorsprung gegenüber der zweitstärksten Kraft – vor zwei Jahren SPD, dieses Jahr CDU – weiter ausbauen.
Im Vergleich zu 2021 war die Veränderung im Bezirk Mitte am größten: hier ist die Wahlbeteiligung um fast 15 Prozentpunkte zurückgegangen. In dem historisch eher links orientierten Bezirk hat die CDU erstmals seit 1999 zwei Wahlkreise gewonnen: Mitte 2 und 5 (damals noch „Wedding 1“). Besondere Aufmerksamkeit erregte der Sieg der CDU in Mitte 2, da dort der für Autos gesperrte Teil der Friedrichsstraße liegt. In diesem Teil fiel die Wahlbeteiligung von 78,8 Prozent auf 64,5 Prozent. 2021 gewann die Linke mit 20,7 Prozent, die CDU belegt mit 14,7 Prozent den vierten Platz. Dieses Jahr gewann die CDU knapp 10 Prozentpunkte, die Linke sackte um drei Punkte auf den dritten Platz ab.
Am zweitstärksten ist die Wahlbeteiligung in Friedrichshain-Kreuzberg zurückgegangen. Dieses Jahr sind nur noch 58,7 Prozent der Wahlberechtigten wählen gegangen. In diesem Bezirk haben die Grünen alle sechs Wahlkreise gewonnen; auch Friedrichshain-Kreuzberg 4, der 2021 noch an die Linken gegangen war. Dies ist jedoch in dieser Wahl der einzige Wahlkreis, in dem ein Linker, Damiano Valgolio, das Direktmandat für sich gewinnen konnte. In allen anderen Wahlkreisen in Friedrichshain-Kreuzberg gewannen Grüne Kandidat:innen das Mandat.
Es wäre also eine sehr stumpfe Vereinfachung, zu sagen, das gute Wahlergebnis der CDU sei allein auf die niedrige Wahlbeteiligung zurückzuführen. Sonst müssten die Ergebnisse diverser sein.