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Wem gehört(e) der Boxi?

Immobilieninvestoren schufen den Boxhagener Platz Anfang des 20. Jahrhunderts. Erst teilten sie den Grund auf, dann die Häuser. Eine hausgenaue Eigentums-Dokumentation vom 18. Jahrhundert bis heute.
Erst teilten Investoren am Boxhagener Platz den Grund auf, dann die Häuser. Eine hausgenaue Eigentums-Dokumentation.
Ein gemeinsames Projekt mit Studierenden der FH Potsdam Ein gemeinsames Projekt mit
Studierenden der FH Potsdam
I – Vom Acker zum Tourismus-Magneten
Die Geschichte des Boxhagener Platzes beginnt vor den Toren der Stadt. Zuzügler und Geld verändern die Nachbarschaft - bis heute.
II – Die Eigentümer heute
Nicht nur bei Touristen, auch bei Investoren ist der Boxi beliebter denn je. Für noch mehr Profit tritt der Platz in eine neue Phase der Teilung.
III – Der Boxi – Haus für Haus
Entdecken Sie die Eigentumsverhältnisse der einzelnen Häuser am Platz auf der interaktiven Karte.

Wer an einem Samstag durch Friedrichshain flaniert, die Sonntagstraße runter über den Wühlischplatz und die Gärtnerstraße, landet beim Wochenmarkt auf dem Boxhagener Platz. Besucherinnen und Besucher drängen sich entlang der Stände, kaufen Brandenburger Birnen, Biobrot, bunte Postkarten.

Zwischendrin steht ein gusseiserner grüner Pavillon. Über 100 Jahre steht das öffentliche Klo schon dort. Wegen seiner achteckigen Form erhielt es schnell den Spitznamen „Café Achteck“. Aufgestellt wurde das Pissoir zu der Zeit, als der Boxi geboren wurde. Damit die Händler nicht in den Park pinkeln.

Heute nennen Reiseführer den Boxi „The heart of Friedrichshain“. Die Wohnungen ringsherum sind begehrt, die Mieten explodiert. 15 Euro pro Quadratmeter kostet der Blick auf den Platz laut aktuellem Online-Angebot. Das Herz von Friedrichshain ist zum Paradebeispiel der Gentrifizierung geworden. Hier eine Wohnung zu finden: nahezu unmöglich. Hier ein Haus zu besitzen: Gold wert.

Wie ist das passiert? Studierende der Fachhochschule Potsdam haben sich ein Semester lang mit Unterstützung des Tagesspiegel Innovation Labs auf Spurensuche begeben. Anlässlich der Recherche Wem gehört Berlin? wollten sie wissen: Welches Bild ergibt sich, wenn man die Eigentumsverhältnisse eines Berliner Platzes bis an den Anfang zurückverfolgt? Wie wird aus einem Acker ein begehrtes Immobilienportfolio? Und wem gehören die Häuser am Platz heute?

Um Antworten zu finden, wurden die Eigentümer jedes einzelnen Hauses am Platz recherchiert, wurde jede auffindbare historische Karte des Platzes studiert und mit Experten und Anwohnern gesprochen. Die akribische Dokumentation führt von Großgrundbesitzern über Enteignungen, Leerstand und Hausbesetzer bis hin zu einer wenig bekannten Immobilienfirma in Dänemark, die inzwischen mindestens zweitausend Wohnungen in der Stadt besitzt.

Doch die Dokumentation ergibt noch ein größeres Bild. Wer die Geschichte des Boxhagener Platzes entlang seiner Eigentumsverhältnisse seziert, findet inmitten wiederkehrender Konflikte die Geschichte einer immer weiter gehenden Aufteilung. Und eine mögliche Zukunft von Berlin.

I – Vom Acker zum Tourismus-Magneten

Im nächsten Jahr feiert die Hauptstadt „100 Jahre Groß-Berlin“, das Jubiläum der Stadterweiterung. Die Geschichte des Boxis ist noch älter. Und wäre ohne Immobilienspekulation so nicht passiert.

II – Die Eigentümer heute

Das DDR-Grau ist vom Boxhagener Platz verschwunden, die Häuser sind saniert, einige haben Dachausbauten und Balkone bekommen. Leerstand gibt es nicht mehr. Heute ist der Wohnraum wieder knapp. Das treibt die Nachfrage nach Eigentumswohnungen an. Und so werden die Häuser abermals aufgeteilt, wie die erste hausgenaue Analyse des Platzes zeigt.

Vor einem Jahr riefen der Tagesspiegel und das Recherchezentrum Corrrectiv die Berlinerinnen und Berliner dazu auf, auf einer anonymen Internetplattform anzugeben, wer die Eigentümer der Häuser sind, in denen sie leben. Denn viele Mieter wissen nicht, wem ihr Haus gehört, weil Deutschland kein öffentlich einsehbares Immobilienregister hat. Im Gegensatz übrigens zum Anfang des 20. Jahrhunderts.

Tausende Hinweise erreichten seither die Redaktionen. Und lieferten Hinweise auf die Strukturen und Missstände am Berliner Immobilienmarkt. Zum Beispiel dazu, wie Wohnungen möbliert werden, um die Mietpreisbremse zu umgehen. Zu einem komplizierten Geflecht aus Briefkastenfirmen, das verschleierte, dass eine einzige Familie über 3000 Wohnungen in der Stadt kaufte. Oder zu Verflechtungen der Immobilien-AGs und des Finanzmarktes, die dazu führen, dass viele Mieter selbst unwissentlich zu ihren steigenden Mieten beitragen.

Für die 23 Häuser um den Boxhagener Platz haben Studierende der FH Potsdam die Informationen in langwieriger Kleinstarbeit und zahlreichen Gesprächen für jedes einzelne Haus vervollständigt. Die Erhebung zeigt, welche Eigentumsformen es am Boxhagener Platz gibt. Und sie zeigt, dass der Boxi exemplarisch für eine Entwicklung steht, die in vielen Kiezen zunehmend spürbar ist.

In dieser neuen Entwicklung wird das Eigentum abermals aufgeteilt. Und die Teilung selbst wird zum Geschäftsmodell.

III – Der Boxi – Haus für Haus

Die Geschichte des Boxhagener Platzes zeigt keine lineare Entwicklung. Stattdessen haben immer wieder historische Ereignisse die Eigentumsverhältnisse fundamental verändert. Phänomene wie Wohnungsnot und Enteignung treten immer wieder auf. Nun, dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer, scheint sich trotzdem ein neues Modell durchgesetzt zu haben: Nicht ganze Häuser dienen als Investment, sondern einzelne Wohnungen. Anleger sind nicht nur Firmen, sondern Einzelne, die ihr Geld in einer Wohnung an einem der bekanntesten Plätze Berlins anlegen wollen. Sei es, um darin zu wohnen, oder um sie wiederum zu vermieten. Sei es aus Gewinnstreben oder als Altersvorsorge.

Ist das schon das Finale? Oder werden in Zukunft die Wohnungen abermals aufgeteilt, so wie in den Hochzeiten der Industrialisierung, und dann zimmerweise weiterverkauft oder vermietet? Dazu kamen schon damals Vermietungen nach Stunden, die gar nicht so weit von der Idee hinter Airbnb entfernt sind. Die durchschnittliche Wohnung im Milieuschutzgebiet Boxhagener Platz ist 64 Quadratmeter groß. In wie viele Einheiten ist sie noch teilbar?

Welcher Art von Eigentümern der Boxhagener Platz heute gehört, können Sie auf unserer Karte erkunden. Haus für Haus. Klicken Sie auf eines der 23 Gebäude!

Wem gehört Berlin?
Über das Projekt

Wem gehören die Häuser, in denen wir leben? Das wollten die Redaktionen von Tagesspiegel und dem gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv gemeinsam mit Berliner Bürger*innen herausfinden. Auf Diskussionsveranstaltungen luden wir Leserinnen und Leser, Politikerinnen und Politiker und Vertreterinnen und Vertreter der Immobilienbranche sowie Expertinnen und Experten dazu ein, die Wohnungskrise der Hauptstadt zu diskutieren.

Das Semesterprojekt

Im Rahmen des Seminars Mapping Cities – Making Cities an der Fachhochschule Potsdam im November 2018 stellten Tagesspiegel-Redakteure das Projekt vor. Der Kurs widmet sich der Analyse, Visualisierung und Kommunikation urbaner Daten. Die Studierenden erarbeiteten dabei in Gruppen eine interaktive Erzählung, basierend auf ihren Forschungsergebnissen.

Hier entstand das Semesterprojekt „Wem gehört(e) der Boxhagener Platz?“. Fünf Studierende verbrachten dafür ein halbes Jahr in Archiven, Ämtern und am Boxhagener Platz selbst, um eine hausgenaue Analyse der Eigentumsstrukturen am Platz zu erstellen. Betreut wurde der Kurs von Prof. Dr. Marian Dörk. Das Projekt wurde zusammen mit dem Tagesspiegel Innovation Lab weiter ausgearbeitet, überprüft und ergänzt.

Die Daten

Die Angaben zu den Eigentumsverhältnissen stammen aus Belegen von Anwohnern und aus dem Grundbuchamt. Namen oder persönliche Informationen zu Privatpersonen, die Wohnungen oder Gebäude besitzen, werden aus Datenschutzgründen nicht angezeigt. Sämtliche Informationen zu Eigentümern vor 1945 entstammen den Berliner Adressbüchern von 1799 bis 1970, die auf der Website der Digitalen Landesbibliothek frei einsehbar sind. Weitere Daten zu den Eigentümern entstammen der 2013 veröffentlichten Liste der Jewish Claims Conference, die sich um nicht-beanspruchte jüdische Vermögenswerte aus der ehemaligen DDR kümmert.

Der Dank

Die Studierenden möchten sich vor allem bei den gesprächsbereiten Anwohnerinnen und Anwohnern sowie den Gewerbetreibenden am Boxhagener Platz bedanken. Mit Informationen rund um den Platz brachten sie das Rechercheteam immer wieder auf die richtige Spur. Außerdem danken sie der Fachabteilung Vermessung des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg und dem Archiv des Friedrichshain-Kreuzberg Museum. Sie standen ihnen nicht nur bei der Auswahl der Archivalien zur Seite, sondern lieferten auch spannende Anekdoten zum Boxhagener Platz. Paul Roeder entwickelte im Kurs einen ersten Entwurf dieser Website. Und sie danken ihrem Betreuer Prof. Dr. Marian Dörk, der dieses Projekt erst möglich gemacht hat.

Über das Rechercheteam

David Amacher
Text & Recherche
David Amacher studiert an der Fachhochschule Potsdam und arbeitet an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er forscht zur Berliner Wohnungspolitik und arbeitete sich für das Projekt in die Geschichte des Boxhagener Platzes ein.
Dominik Berton
Websitegestaltung & Illustration
Dominik Berton ist Kommunikationsdesigner und studiert Urbane Zukunft an der Fachhochschule Potsdam. Er hat sich überlegt, wie man visuell und konzeptionell eine Geschichte über Eigentumsverhältnisse erzählen kann.
Michael Gegg
Webentwicklung & Datenanalyse
Michael Gegg arbeitet beim Tagesspiegel als Redakteur für Softwareentwicklung. Er hat die Karten programmiert, Dokumente gewälzt und Daten generiert.
Felix Jaekel
Recherche & Text
Felix Jaekel ist Geograf und studiert Urbane Zukunft an der Fachhochschule Potsdam. Das Projekt war für ihn als Berliner eine Herzensangelegenheit, bei der er tief in die Eigentumsverhältnisse am Boxhagener Platz eingetaucht ist.
Hendrik Lehmann
Projektbetreuung
Er hat den an der FH Potsdam Recherchen des Tagesspiegels vorgestellt und im Anschluss das gemeinsame Projekt betreut.
David Meidinger
Webentwicklung
David Meidinger arbeitet beim Tagesspiegel als Redakteur für Softwareentwicklung. Er hat die Grundstruktur dieser Webseite programmiert.
Léonie Schwöbel
Illustration & Visualisierungen
Léonie Schwöbel studiert an der Fachhochschule Potsdam. Als Designerin hat sie für dieses Projekt die Veränderungen der Häuser um den Boxi illustriert und die Geschichte visuell aufgearbeitet.
Helena Wittlich
Koordination & Archivrecherche
Helena Wittlich ist Redakteurin im Tagesspiegel Innovation Lab. Sie hat das Projekt redaktionell betreut.
Veröffentlicht am 21. Oktober 2019.