Mit der Wut der Menschen gegen den iranischen Staat wächst die Zensur im Netz. Das Regime übt massive Gewalt gegen seine Bürger aus. Dazu greift es auch immer tiefer in die digitale Infrastruktur ein. Die deutsche Bundesregierung gibt sich solidarisch mit den Protestierenden und setzt sich international für ein freies Netz ein. Der Iran erwirkt mit seinen Arbeiten an einem „nationalen Internet“ das Gegenteil: Er schottet seine Bürger vom globalen Internet ab.
Doch eine konkrete Option, dem Iran diese Art der Unterdrückung ein wenig zu erschweren, prüft die Regierung offenbar erst jetzt. Denn es gibt Hinweise, dass Aktivitäten eines deutschen Unternehmens möglicherweise dazu beitragen. In einem Gewerbegebiet in Meerbusch bei Düsseldorf hat seit 2019 die „Softqloud GmbH“ ihren Sitz. Die Firma steht mit dem großen iranischen Internet-Dienstleister Arvancloud in Verbindung, der auch unter seinem persischen Namen „Abr Arvan“ bekannt ist. Die Verflechtungen sind auffallend eng. So taucht Softqloud etwa zeitweise im Impressum von Arvancloud auf, Softqloud gibt E-Mail-Adressen mit Arvancloud-Domains an, auch technisch gibt es enge Verbindungen.
Das ist potenziell brisant. Denn IT-affine Aktivist:innen beschuldigen Arvancloud, unmittelbar in die iranische Internet-Zensur involviert zu sein – und indirekt dessen weitgehend unbekannten Ableger in Deutschland namens Softqloud. Die Vorwürfe sind nicht zweifelsfrei belegt, aber falls sie stimmen, könnte das heißen, dass die Unterdrückung iranischer Bürger über europäische Firmen begünstigt wird. Klar ist, dass Arvancloud Dienstleister für die iranische Regierung ist und etwa Regierungs-Websites hostet. Laut Recherchen von „Correctiv“, „Taz“ und „Netzpolitik“ zeigen die Dienstleistungen, die Softqloud in Kooperation mit Arvancloud anbietet, dass das Unternehmen an der Internetkontrolle des iranischen Regimes mitwirkt.
Und die zuständigen Behörden in Deutschland? Die sind offenbar lange nicht tätig geworden. Außenministerin Annalena Baerbock sagt in einem Interview mit der Karolin-Kebekus-Show zu den Recherchen des Kollektivs, die entsprechenden Sicherheitsbehörden würden den Fall prüfen. Doch nach Informationen des Tagesspiegels hat die Bundesregierung lange nicht so genau hingeschaut, wie es möglicherweise nötig gewesen wäre.
Dabei gab es Hinweise. Einer an die EU-Kommission versandete nach Informationen des Tagesspiegels, er war über ein Whistleblower-Tool für Sanktionsbrüche eingereicht worden. Die Bundesregierung unternimmt scheinbar erst nach aktuellen Medienanfragen erste Schritte in Richtung Ermittlungen. Softqloud agiert in Deutschland bisher offenbar ohne Restriktionen.
Auf den ersten Blick ist der Hosting-Anbieter auch nicht weiter auffällig. Bei Softqloud können Firmen Speicherplatz kaufen, der mindestens teilweise auf europäischen Servern gespeichert wird. Das Unternehmen verspricht „effektive und tiefe Beziehungen mit großen und wichtigen Anbietern in Deutschland, Europa und weltweit“. Die nutzen offenbar vor allem iranische Akteure. Unter den Websites, die Softqloud als Hosting-Unternehmen zuweisbar sind, befinden sich zu einem großen Teil iranische Websites: ein Frisör-Buchungs-Portal, eine Buchungs-Website für Flüge und Züge, ein Shop für Schönheits-Behandlungen, E-Mail-Server.
Weniger unscheinbar könnte es im Fall Arvancloud aussehen. Das iranische Unternehmen ist unter anderem Dienstleister für den iranischen Staat und hostet Regierungs-Websites. Die Firma steht im Verdacht, aktiv an der Internetzensur beteiligt zu sein: 2021 berichtete BBC Persian über einen Vertrag zwischen Arvancloud und dem iranischen Kommunikations-Ministerium. In ihm gehe es um das Projekt „Iran Cloud“, das helfen soll, das nationale Internet aufzubauen und das Land weiter vom globalen Netz abzuschotten. Das würde heißen, dass Arvancloud daran beteiligt ist, Internet-Zensur und Überwachung im Iran aufzubauen. Auch ein von Aktivisten geleakter Vertrag zwischen Arvancloud und dem iranischen Staat legt das nahe.
Arvancloud bestreitet, „direkt oder indirekt“ in Verbindung mit der iranischen Regierung zu stehen, noch sei man von ihr beeinflusst und schreibt dem Tagesspiegel: Internet-Unterbrechungen würden das eigene Geschäft schädigen, deshalb sei man nicht interessiert, an Internet-Sperren mitzuwirken. Man sei einer Rufmord-Kampagne ausgesetzt, werde „fälschlich verdächtigt“. Zur Beziehung zwischen Arvancloud und Softqloud gibt das iranische Unternehmen an, dass das deutsche ein „internationaler Partner” gewesen sei. Der „Vertrag nach deutschem Recht“ sei am 30. September 2022 von Softqloud aufgekündigt worden. Zu den Gründen machte Arvancloud keine Angaben, die Trennung der Unterenhmen soll Ende des Jahres vollzogen sein. Eine Reaktion vom deutschen Unternehmen Softqloud, an das die ursprüngliche Anfrage gerichtet war, gab es hingegen nicht.
Auch wenn nicht zweifelsfrei belegt ist, dass das deutsche Unternehmen Softqloud in iranische Zensurmaßnahmen involviert ist: Es gibt Hinweise. Recherchen von “Correctiv”, “Taz” und “Netzpolitik” zufolge etwa ist bei der Gründung von Softqloud ein Mann anwesend, dem der Verfassungsschutz in den Achtziger Jahren Verbindungen zum iranischen Nachrichtendienst attestierte.
Denn Aktivist:innen fordern die Behörden in Deutschland und anderen Staaten schon länger auf, den Fall endlich zu untersuchen - insbesondere, seit das Regime Protagonisten der iranischen Software-Szene inhaftiert, etwa Hossein Ronaghi oder den Blogger und Aktivisten Amiremad Mirmirani, genannt Jadi. Er hatte Arvanclouds Rolle öffentlich hinterfragt.
Die Menschenrechtsaktivistin und digitale Medienberaterin Azadeh Akbari, die in London wohnt, sagte dem Tagesspiegel, bereits im Mai Hinweise auf einen möglichen Sanktionsbruch durch Softqloud in einer Hinweisgeber-Plattform der Europäischen Kommission hochgeladen zu haben - ohne sichtliches Ergebnis.
Bei der zuständigen deutschen Außenwirtschaftsbehörde scheint ihr Hinweis jedenfalls nicht gelandet zu sein. Wie das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) am Montag bestätigte, hatte es bis zum Zeitpunkt der Anfrage keine Erkenntnisse zur Causa Softqloud. Das dem BMWK untergeordnete Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) will sich zu dem Einzelfall nicht äußern. Ob etwaige neue Informationen schon an die zuständigen Ermittlungsbehörden weitergegeben wurden, ist also unklar.
Dass die Kommission dem Hinweis von Mai nicht aufgenommen oder zumindest nicht an das Bafa weitergegeben hatte, könnte einen ernüchternd banalen Grund haben: Angeblich gab es keine persischsprachigen Sachbearbeiter, die die Informationen hätten übersetzen können, teilte man ihr mit.
Für andere strafrechtliche Delikte könnten die Sicherheitsbehörden zuständig sein, allerdings hat das Bundesinnenministerium eine Anfrage des Tagesspiegels zu möglichen Ermittlungen noch nicht beantwortet. Obwohl sich die Außenministerin nun, konfrontiert mit den Recherchen, empört gibt, hatte ihr Ministerium dem Tagesspiegel eine Anfrage zu dem Sachverhalt nicht beantwortet - wohl, weil es sich bis vor kurzem gar nicht nicht nicht zuständig sah.
„Der deutsche Staat ist in der dringenden, rechtlichen Pflicht, im Wege der Gefahrenabwehr etwas gegen das Unternehmen zu tun”, schätzt der Frankfurter Rechtsanwalt und Experte für Sanktionen, Viktor Winkler, die Situation ein. Dafür müssten die Vorwürfe keineswegs schon jetzt bewiesen oder breit untermauert sein. Die besondere Schwere und Bedeutung der möglichen Straftaten erfordere ein „sofortiges, massives Eingreifen“, so Winkler, der zuvor dem Konzernbereich Sanktionen bei der Commerzbank geleitet hat und im Bundestag Sachverständiger zu Sanktions-Durchsetzung war. Tätigkeiten eines Unternehmens, das direkt oder indirekt an den Repressionen im Iran beteiligt ist, könnten gegen das Recht verstoßen.
Hinweise darauf, dass ein genauerer Blick auf Softqloud sich lohnen könnte, gibt es auch aus technischer Sicht. Softqloud und Arvancloud sind, technisch betrachtet, derselbe Hosting-Anbieter. Kunden kaufen bei einer der Firmen Speicherplatz und laden zum Beispiel eine Website hoch. Ruft jemand nun diese Website auf, erreicht der Traffic irgendwann einen von zwei großen niederländischen Server-Anbietern – Serverius und i3D.net. Das ist an sich nicht illegal, Geschäfte mit dem Iran sind nicht verboten.
i3D.net bestätigt dem Tagesspiegel, Softqloud Server zur Verfügung zu stellen. Softqloud-Kunden kaufen also letztlich Server-Speicherplatz in den Niederlanden. Jedoch entschied das Unternehmen am Mittwoch, Softqloud vorerst von seinen Servern zu suspendieren. Man untersuche eventuelle Verbindungen zur iranischen Regierung, seit Anfang Oktober ein anonymer Hinweis eingegangen sei. I3D.net betont aber auch, bisher habe man keine verdächtigen Aktivitäten feststellen können.
Aber was heißt schon verdächtig, wenn es um Netzsperren gegen die Bevölkerung und ihre Schlupflöcher geht? Für das Regime wäre es opportun, eigene Services und für die Wirtschaft wichtige Unternehmen auf stabilen Servern im Zentrum des globalen Internet auszulagern. Denn man kann sich das Internet als ein Netzwerk von Knoten vorstellen, sie sind untereinander verbunden. In einem Land wie Deutschland kommt man schnell von einem Punkt zum anderen. In die iranischen Bereiche des Internets aber gibt es nur wenige Zugangspunkte – es werden immer weniger. Es ist erklärtes Ziel des iranischen Staates, ein möglichst national begrenztes Datennetz aufzubauen, das sogenannte „National Information Network“.
Einer der vier Zugangspunkte in den Iran ist laut den Recherchen von “Correctiv”, “Taz” und “Netzpolitik Arvancloud. Von dort führt eine Brücke direkt auf ein sogenanntes Autonomes System, das auf Softqloud registriert ist. Insofern hätte Softqloud eine wichtige Rolle bei der Abschottung des iranischen Netzes, heißt es. Arvancloud bestreitet das. Man sei falschen Anschuldigungen ausgesetzt und sei bereit, mit Behörden zu kooperieren: “Wenn uns eine Rechtsbehörde einen illegalen Kunden meldet, werden wir den Kunden so schnell wie möglich sperren.”
„Gerade wenn Regierungs-Websites betrieben werden, kann ich mir gut vorstellen, dass man erreichbar bleiben will, egal, wie es um das iranische Netz steht“, sagt Jan-Peter Kleinhans, zuständig für Technologie und Geopolitik bei der Stiftung Neue Verantwortung. Je stärker der iranische Staat das Internet kontrolliert, desto mehr Interesse hat er, die eigene Infrastruktur woanders abzusichern.
Auffällig viele Softqloud-Domains sind offenbar nur vom Iran aus oder mit einem VPN erreichbar. Dieses Verfahren nennt sich „geofencing“. Dabei überprüft die angesteuerte Seite, aus welchem Land der Seitenaufruf kommt und zeigt nur Menschen aus dem Iran die Webseiten an. Besucher:innen aus anderen Ländern bekommen eine Fehlermeldung. Sie sind nur für Menschen im Iran bestimmt. Arvancloud teilt dazu mit, das sei Sache der Domain-Administratoren, also der Kunden.
Was immer die tatsächlich Rolle und der mögliche Zweck der Softqloud-Aktivitäten, in jedem Fall wittert der Jurist Winkler „harte strafrechtlich relevante Delikte, vom Sanktionsverstoß über mögliche Dual-Use-Vergehen bis hin zum Völkerstrafgesetzbuch – kein Gedöns.“ Eine rein geheimdienstliche Beobachtung des Unternehmens wäre deshalb sicher nicht ausreichend und die Bundesregierung rechtlich wie politisch in der Verantwortung zu handeln – auch im Interesse der Frauen im Iran.