Wir treffen Nils in der Meoclinic wieder. Seine All-In-One-Operation zur Geschlechtsangleichung liegt elf Tage zurück. Kurz danach hat er zwei Tagen auf der Intensivstation verbracht, zur Überwachung, um schnell auf mögliche Komplikationen reagieren zu können. Danach konnte er auf die Normalstation wechseln, wo er seit neun Tagen in einem Einzelzimmer liegt.
Nils kann schon wieder herumgehen, nutzt die Flure des Krankenhauses für immer längere Spaziergänge. Schon in zwei Tagen soll er entlassen werden, einen Tag früher als geplant. Die Heilung läuft gut, sagt Nils. Noch aber trägt er mehrere Verbände. Zeugen dafür, dass er eine große Operation überstanden hat.
Auf seinem Nachtischchen steht eine He-Man-Figur, die auf einer Fabelraubkatze reitet. He-Man ist eine Action-Spielfigur: Ein muskelbepackter Held aus den 1980er Jahren, das heutzutage wohl als leicht übertriebenes Bild von Männlichkeit wahrgenommen wird.
Wieso hat Sie He-Man in die Klinik begleitet?
Es ist eine Figur aus meiner Kindheit, als die Trickfilme mit den Masters of the Universe im TV liefen und man die Action-Figuren kaufen konnte. He-Man steht für Maskulinität, Furchtlosigkeit und Durchhaltevermögen – alles Dinge, die gerade für mich eine große Rolle spielen.
Das war eine große und wie ich fand auch blutige Operation, die heftige Wunden hinterlassen hat: die Brustamputation, die Entfernung der Gebärmutter und Eierstöcke, die für die Phalloplastik entnommene Hautfläche am Unterarm, das Loch in der Bauchdecke für den Penis und die scheibchenweise entfernte Vagina.
Dass es blutig werden würde, hatten die Chirurgen offenbar auch so erwartet. Im Aufklärungsgespräch vorab sagte man mir, dass für die OP vier Blutkonserven für mich bereitliegen würden. Als gelernter OP-Pfleger weiß ich: das ist schon recht viel. Letztlich habe ich dann aber nur zwei gebraucht. Ich war darauf vorbereitet, dass was schiefgehen könnte. Ich habe vorher mein Testament geschrieben.
Wie geht es Ihnen heute, elf Tage nach dem Eingriff?
Die Wunde im Bauch, da wo man mir die Gebärmutter und Eierstöcke entfernt hat, hat am meisten wehgetan. Das fühlte sich an wie Nachwehen, an die ich mich noch gut erinnern kann, damals nach der Geburt meiner Tochter. Aber sonst habe ich fast keine Schmerzen, weder am Unterarm noch an der Brust. Obwohl das ein sehr großer Schnitt ist. Und auch die Phalloplastik macht keine Beschwerden, was nicht überrascht, denn da ist kein Gefühl drin, noch ist das alles taub. Die Nerven müssen da noch hineinwachsen.
Sie gehen erstaunlich gelassen damit um.
Wie gesagt, ich kenne diese Art von Schmerzen, habe sie nach der Geburt alle gespürt. Da musste sich auch alles neu sortieren im Bauch. Selbst die Schmerzen durch die Entfernung der Vagina und das anschließende Vernähen ähneln dem, was Gebärende durch einen Dammriss erfahren. Und nach einer Geburt schluckt keine Frau Unmengen Schmerzmittel. Für mich ist alles okay. Ich komme mit drei Ibuprofen am Tag gut hin – was mich ehrlich auch erstaunt. Ich habe Schlimmeres erwartet. Ich hatte mir vorher extra einen Rollkoffer gekauft, weil ich dachte, eine Weile nichts tragen zu können. Aber ich bin mir sicher, dass ich schon jetzt einen Rucksack problemlos aufsetzen könnte.
Es gehört zu dieser Operation, dass dafür der Kitzler quasi geschält wird. So soll es den Nerven möglich sein, in den Penis zu wachsen und ihm so eine Empfindungsfähigkeit zu geben. Nun ist die Klitoris ja ein sehr empfindliches Organ…
Oh, das war mir so gar nicht klar. Wenn ich das jetzt so höre, denke ich auch kurz „Aua“. Klar spüre ich jetzt auch meine Klitoris. Frauen können das ja bewusst, in dem sie den Beckenboden anspannen. Aber Schmerzen sind das nicht. Es fühlt sich an wie immer.
Schon abenteuerlich, dass es so möglich ist, aus einer Rolle aus der Haut des Unterarms einen empfindungsfähigen Penis zu machen.
Ich bin gespannt darauf, wie sich das anfühlt. Von anderen, die die OP schon länger hinter sich haben, weiß ich, dass man spüren kann, wie die Nerven langsam den Penis hinaufwachsen.
Sie haben mit der OP einen Riesenschritt getan auf dem Weg zum auch äußerlich sichtbaren Körper eines Mannes.
Von Bekannten und Freunden, die mich auf den Fotos nach der OP sehen, bekomme ich das Feedback: Du strahlst. Das freut mich natürlich, und das ist sicher auch so. Aber ich kann nicht zu 100 Prozent sagen: Ja, das ist es jetzt endlich. Am vergangenen Sonntag, vor vier Tagen, wurden das erste Mal der Verband am Penoid, also der Penisplastik, gewechselt. Da habe ich das erste Mal meinen Penis gesehen. Ich habe gedacht: Ach du Scheiße, was ist das denn? Es war alles rot-blau blutunterlaufen und durch das aufgetragene Jod bräunlich verfärbt. Eigentlich sah es aus wie eine dicke Knackwurst. Das war ein Schock.
Hinzu kam, dass darin null Gefühl ist. Ein Stück Holz zwischen meinen Beinen, das irgendwie noch nicht zu mir gehört. Und ja, in dem Augenblick habe ich mich gefragt, war das jetzt die richtige Entscheidung. Ist das wirklich das, was ich wollte? Ich hatte noch keine Beziehung zu dem neuen Körperteil. Es fühlte sich an wie ein zusammengenähtes, gebasteltes Etwas, das neu an mir hing.
Sind die Zweifel geblieben?
Nein. Am Sonntagabend wechselte ein Chirurg den Brustverband. Als ich die neue Brust sah, waren die Zweifel weg. Ich dachte, ja, es ist alles korrekt, wie es jetzt ist. Mir wurde klar, dass ich mehr Zeit brauche, um mich an alles zu gewöhnen. Und je mehr Zeit vergeht, desto mehr freunde ich mich mit allem an, was sich an mir geändert hat. Klar sehe ich, dass hier was draufgenäht ist, woanders etwas zusammengenäht und wieder anderswo ein Schnitt in meiner Haut ist. Es ist wie ein Puzzle, das noch nicht ganz komplett ist. Aber morgen kommt schon der nächste Schritt. Da wird der Blasenkatheter entfernt und ich kann das erste Mal im Stehen pinkeln. Das ist für mich eine sehr wichtige Wegmarke.
Sie haben auf Instagram Ihre Enttäuschung gepostet, dass Sie so lange nicht aus dem Bett aufstehen durften. Warum war das so enttäuschend?
Weil man aus dem Alltag rausgenommen ist. Ich wusste ja, dass ich sechs Tage lang nicht aufstehen durfte. Aber ich war nicht autark, mein alltägliches Leben war auf den Inhalt meines Nachtschränkchens begrenzt. Doch nun endlich komme ich zurück, kann schon auf dem Flur vor dem Patientenzimmer ein paar Schritte gehen und es werden täglich mehr. Mein Mikrokosmos Nachtschrank wird Schritt für Schritt größer.
Sie sagten, der Umschwung kam mit dem ersten Blick auf Ihre nun flache Brust. Warum ist das so wichtig?
Ich habe eine ganz andere Körperform unter dem T-Shirt. Früher hatte ich unbewusst immer eine leicht gebeugte Körperhaltung, um die Brüste zu verbergen. Jetzt bin ich aufrechter, ich bin bestimmt einige Zentimeter größer.
Ein Teil Ihrer Brust blieb Ihnen erhalten, als Haut, um die Wunde an Ihrem Unterarm, aus der die Phallusplastik gemacht wurde, zu schließen.
Ja, und dort wird sie auch sichtbar bleiben, weil sie flacher ist, als die ursprüngliche Haut am Arm.
Deshalb tätowieren viele trans Männer diesen Übergang. Planen auch Sie das?
Ja. Manche lassen sich florale Muster oder Blätter stechen. Aber ich bin nicht so der Blättertyp. Ich stelle mir etwas geometrisches vor, vielleicht eine Form mit Streifen, auf jeden Fall etwas geradliniges, so wie ich es ja auch bin. Ich muss damit aber noch einige Monate warten, denn die verpflanzte Haut hat noch kein Gefühl, weil erst die Nerven nachwachsen müssen.
Brustwarzen, Penoid, Unterarm. Es sind einige Stellen Ihres Körpers, die nach der OP kein Gefühl mehr haben…
Hauptsache, es ist nicht der Kopf (Nils lacht) und die Empfindungsfähigkeit kehrt ja wieder zurück.
Während der OP sagte mir einer der Chirurgen, dass es relativ oft passiere, dass trans Männer die Angleichung ihres Körpers nach der Amputation der Brust erst einmal für längere Zeit unterbrechen oder sogar komplett auf eine Entfernung der inneren Geschlechtsorgane und eine Phalloplastik verzichten.
Die Entfernung der Brüste ist für viele trans Männer tatsächlich der entscheidendere Schritt. Einfach deshalb, weil man das sofort bemerkt. Was man in der Hose hat, sieht ja keiner, wenn man angezogen ist.
Und trotzdem wollten Sie das Komplettpaket.
Das würde ich jederzeit wieder so machen. Für mich gehört an einen Mann ein Penis. Und ich und mein Penoid kommen uns jeden Tag bildlich gesprochen ein Stückchen näher. Ich muss mich daran gewöhnen, am Umgang damit und dass es jetzt zu mir gehört. Das wird sicher sehr viel leichter werden, wenn da Gefühl drin ist.
Ihrer 13-jährigen Tochter haben Sie vor der Operation erzählt, welche Entscheidung Sie getroffen haben. Ihrem 10-jährigen Sohn noch nicht. Haben Sie inzwischen mit ihm gesprochen?
Ich habe mit meiner inzwischen von mir getrennten Frau besprochen, dass wir das später gemeinsam und in Ruhe machen werden. Er ist noch sehr jung.
Weiß er, dass Sie im Krankenhaus sind?
Nein, er denkt, ich bin im Urlaub.
Wie vielen Menschen haben Sie es vorher gesagt, was Ihnen bevorsteht.
Nur wenigen, natürlich der Familie und den engsten Freunden. Alle anderen werden es jetzt erfahren, nachdem es passiert ist.
Ihre Strategie ist also, Ihre Umgebung vor vollendete Tatsachen zu stellen?
Ja, das ist das leichteste. Wenn mein Sohn, ja im Prinzip, wenn es alle sehen, dass ich mich menschlich nicht verändert haben, dann können sie die körperliche Veränderung besser akzeptieren. Meine Erfahrung ist, dass es viel mehr kaputt macht, wenn man lange vorher allen sagt, ich bin trans und lasse mich operieren. Ich hätte ständig das Gefühl gehabt, mich rechtfertigen zu müssen, weil Nils auf meinem Namensschild steht, ich aber Brüste habe.
Die Leute sind oft so unaufgeklärt über das Thema, dass sie dann sonstwas da hinein fantasieren. Es ist viel einfacher, danach zu sagen, ich bin operiert und jetzt offensichtlich Herr Mertins.
Die Gesellschaft erwartet von einem, sich erklären zu müssen. Eigentlich schräg.
Das hat mich auch geärgert, dass ich immer auf alle zugehen musste. Ich trug deshalb viel Groll in mir, vor allem denjenigen Kolleginnen gegenüber, die nicht wussten, warum ich so lange krankgeschrieben bin, und die dann tuschelten. Meine beste Freundin sagte mir: Die erwarten von Dir, dass Du das von Dir aus sagst. Aber warum denn? Die hätten mich doch einfach fragen und vielleicht ein paar aufmunternde Worte sagen können. So was macht doch eigentlich jeder, wenn ein Kollege lange krankgeschrieben ist.
Sie sind als Nadine in die Klinik gegangen und kommen als Nils in Ihren Alltag nach Bielefeld zurück. Erwarten Sie Probleme?
Natürlich habe ich hier in der Klinik, wo ich viel Zeit zum Nachdenken habe, mich gefragt, ob ich einfach so wiederkommen und als Nils weitermachen kann wie vorher als Nadine. Ehrlich gesagt, kann ich das im Moment nicht einschätzen. In meinem Leben hatte bisher alles irgendeinen Sinn. Und wenn das jetzt nicht so klappen sollte, wie ich es hoffe, wird auch das wieder einen Sinn für mein Leben ergeben und sich ein Weg auftun, der dann richtig für mich ist.
Sind Sie jetzt glücklicher als vorher?
Glücklich war ich auch vorher schon, durch meine Kinder, meine guten Freundinnen und Freunde und vielem mehr. Entscheidend ist, dass ich nun mehr in meiner Mitte bin. Das habe ich schon am dritten Tag nach der OP gemerkt. Ich lag hier im Bett. Weil ich nicht viel Fernsehen gucke, habe ich aus dem Fenster geguckt und die Fledermäuse, die hier im Innenhof in der Dämmerung fliegen, beobachtet. Da habe ich gemerkt, wie gewisse Dinge in den Hintergrund treten, die früher wichtig waren. Zum Beispiel finanzielle Sicherheit. Ich habe früher viel daran gedacht, was wohl geschehen würde, wenn ich meinen Job wechsele. Ich hatte die Furcht, dass mich das belasten würde, wenn ich plötzlich weniger verdiene. Das ist mir jetzt gar nicht mehr so wichtig.
Wenn es einer Art von Beweis bedarf, dass das jemand wirklich will, dann ist es diese Operation, die einem körperlich, mental und auch finanziell sehr viel abverlangt.
Billig ist es tatsächlich nicht. Ich habe mehr als 12.000 Euro Eigenanteil gezahlt. Die restlichen 43.000 Euro hat die Krankenkasse getragen. Ich hätte die 55.000 Euro aber auch allein gezahlt, wenn es nicht anders gegangen wäre. Dann hätte ich meine Wohnung verkaufen müssen. Oder eine Lebensversicherung auflösen müssen. Aber ich hätte es aufbringen können, denn ich bin in einem Alter, in dem man was ansparen konnte. Doch die meisten trans Menschen sind zwischen 20 und 30. Die können sich so etwas natürlich meist noch nicht leisten und müssen das machen, was die Kassen zahlen, also die schrittweise OP mit all ihren – aus meiner Sicht – Nachteilen.
Sie sagen, Sie seien nun mehr in Ihrer Mitte. Was bedeutet das?
Mein Kopf war immer schon ein Mann. Doch er passte nicht zu meinem Körper und diesen Widerspruch musste ich über Jahrzehnte hinweg kompensieren, was sehr anstrengend ist. Denn das kriegt man nur hin, wenn man verdrängt und wegdrückt, um das so auszuhalten. Als trans Mensch kann man Kopf und Körper nicht als eine Einheit sehen. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, nirgendwo dazuzugehören. Weder zu den Frauen, denn das passte vom Gefühl her nicht. Noch zu den Männern, weil ich einen Frauenkörper hatte. Im Grunde ist deshalb jeder trans Mensch alleine.
Fühlen Sie sich noch allein?
Jetzt, nach der Operation kann ich meinen Kopf und meinen Körper endlich als Einheit betrachten. Ich merke deutlich, wie viel mehr Ruhe in mir davon kommt. Und deswegen will ich erzählen, wie es mir erging, weil es auch mir sehr geholfen hat, Biographien von anderen trans Menschen zu lesen. Weil mir das das Gefühl gab, Du bist nicht allein. Es gibt Menschen, die Dir helfen können. Deshalb bin ich auch auf Instagram so aktiv und offen mit meiner Geschichte. Und irgendwann möchte ich auch ein Buch darüber schreiben.