Auf die Frage, ob Franziska Giffey auch mit CDU oder FDP koalieren würde, erwiderte Berlins ehemaliger Bürgermeister Klaus Wowereit in kürzlich im Interview mit dem Tagesspiegel: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das in der SPD durchsetzen kann“. Trotzdem weigerte sich SPD-Landesvorsitzende Giffey im Wahlkampf, andere Koalitionen als Rot-Rot-Grün auszuschließen.
Eine Tagesspiegel-Analyse der Parteipositionen aus dem Berlin-O-Mat ergibt jedoch, dass die inhaltlichen Unterschiede zwischen SPD, Grünen und Linken deutlich geringer sind als mit CDU und FDP. Insbesondere bei der Miet- und Wohnpolitik sowie sozialpolitischen Fragen gibt es große Differenzen zu CDU und FDP. Geringer fallen die Unterschiede beim Dauerstreitthema Verkehr aus. Dennoch gibt es auch hier gewichtige Differenzen. Wir haben die Unterschiede im Detail ausgewertet.
Für die Wahlhilfe Berlin-O-Mat haben die Berliner Parteien zu insgesamt 60 Thesen Stellung genommen. Sie haben jeweils angegeben, ob sie die Aussage ablehnen, stark ablehnen, ihr neutral gegenüber stehen, ihr zustimmen, oder stark zustimmen. Zum Beispiel der Aussage: „Die Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs (BVG) in Berlin sollte kostenfrei sein.“ Auf dieser Basis lässt sich sehr genau berechnen, wie häufig es in Sachfragen Konfliktpotenziale zwischen einzelnen Parteien gibt.
Es zeigt sich, dass SPD, Grüne und Linke nur bei wenigen Inhalten über fundamentale Differenzen verfügen. Das bestätigt auch unsere kürzlich veröffentliche Analyse zur ideologischen Verortung der Berliner Landesparteien.
Allerdings wird es nach der Berliner Wahl dieses Mal ziemlich wahrscheinlich nicht für eine Koalition aus nur zwei Parteien reichen. Und da wird es mit den möglichen Konfliktthemen etwas komplizierter.
In einem zweiten Schritt haben wir uns deshalb die Differenzen für potentielle Dreier-Koalitionen angeschaut. Laut aktuellen Umfragen wird es für vier denkbare Bündnisse eine Mehrheit im nächsten Abgeordnetenhaus geben: für eine Neuauflage von Rot-Rot-Grün, für eine Deutschland-Koalition aus SPD, CDU und FDP sowie für ein Jamaika-Bündnis aus SPD, Grünen und CDU. Auch eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP wäre rechnerisch möglich.
Wir haben für alle vier momentan rechnerisch möglichen Koalitionen die inhaltlichen Übereinstimmungen mittels der Parteipositionen aus dem Berlin-O-Mat berechnet. Dafür haben wir für jede Koalition und für jede mögliche Frage berechnet, ob die Parteien in ihrer Antwort völlig, stark, teilweise, wenig oder gar nicht übereinstimmen.
Rot-Rot-Grün verfügt demnach derzeit unter allen rechnerisch möglichen Koalitionsoptionen über die größte inhaltliche Übereinstimmung. Von insgesamt 60 Berlin-O-Mat-Fragen, die den Landesparteien gestellt wurden, stimmen Rot-Rot-Grün in 23 völlig, in 27 hoch und in 6 teilweise überein. Lediglich bei vier Fragen gibt es nur eine geringe Übereinstimmung. Bei keiner einzigen Frage wurden völlig entgegengesetzte Antworten gegeben.
Weit abgeschlagen davon landet die Ampel. Von den insgesamt 60 Fragen stimmen SPD, Grüne und FDP in elf Fragen völlig, in 26 Fragen hoch und in sieben Fragen teilweise überein. Im Gegensatz zu Rot-Rot-Grün stimmen die Ampel-Parteien in immerhin 16 Fragen nur wenig oder gar nicht überein. Das ist das Vierfache der Fragen von Rot-Rot-Grün.
Bei einer Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP wäre die inhaltliche Übereinstimmung noch geringer. Diese Parteien stimmen lediglich in acht Fragen völlig überein. Bei 27 Fragen gibt es eine hohe, bei neun eine teilweise, bei sechs eine geringe und bei zehn überhaupt keine Übereinstimmung.
Am größten wären die inhaltlichen Unterschiede jedoch bei einer Deutschland-Koalition aus SPD, CDU und FDP. Diese Parteien stimmen lediglich in acht Fragen völlig und in 23 Fragen hoch überein. Das sind die niedrigsten Werte für diese Kategorien für alle beschriebenen Koalitionsformen. Dagegen ist die Anzahl an Fragen, in denen SPD, CDU und FDP nur teilweise oder sogar noch weniger übereinstimmen, beachtlich. Bei neun Fragen zeigt sich eine teilweise, bei 15 eine geringe und bei fünf Fragen gar keine Übereinstimmung.
Wo die größten inhaltlichen Differenzen liegen, unterscheidet sich allerdings stark. Wir zeigen deshalb noch mal im Einzelnen, wo die Streitpunkte genau liegen.
Besonders uneinig wären sich die Parteien einer Deutschland- oder Jamaika-Koalition bei der Miet- und Wohnpolitik. Die obere Tabelle zeigt das Antwortverhalten der momentan im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien zu diesen Fragen aus dem Berlin-O-Mat. Zustimmung zu den Thesen ist als blau, Ablehnung als rot hervorgehoben.
Es zeigt sich, dass sich SPD, Grüne und Linke in ihren Antworten in der Regel vergleichsweise wenig unterscheiden. So lehnen beispielsweise alle drei Parteien die Abschaffung des Zweckentfremdungsverbots in Berlin stark ab. Auch bei der Erhöhung des kommunalen Wohnbesitzes sind sich die jetzigen Regierungsparteien sehr einig. Es gibt jedoch auch Unterschiede. So stimmt die Linke der These, dass große Wohnungsunternehmen enteignet werden sollen, stark zu, während diese Position bei Grünen und insbesondere SPD auf Skepsis stößt. Dies ist angesichts des zeitgleich zur Wahl stattfindenden Volksentscheids wenig überraschend. Dieser wird unter den momentan im Abgeordnetenhaus sitzenden Parteien lediglich von der Linken voll unterstützt.
Unsere Tabelle zeigt auch, dass Bündnisse zwischen SPD, CDU und FDP beim Thema Wohnen weniger an der CDU, sondern an den großen Differenzen gegenüber der FDP zu scheitern drohen. So liegen SPD und CDU in ihren Antworten vergleichsweise nahe beieinander, nicht jedoch SPD und FDP.
Ähnliches zeigt sich, wenn auch in etwas weniger ausgeprägter Form, bei der Sozialpolitik. Auch hier sind sich Rot-Rot-Grün insgesamt sehr einig. Stattdessen sind sich SPD und Grüne mit CDU und FDP uneiniger. Nehmen wir als Beispiel die Antworten der Parteien zur Frage zur Armutsbekämpfung. Während SPD, Grüne und Linke völlig miteinander übereinstimmen, dass Familien in Armut mehr Unterstützung erhalten sollten, ist man sich im rechten Lager uneiniger – insbesondere die FDP sieht diese Aussage skeptischer.
Lediglich beim Thema Wirtschaft und Finanzen liegt die Lage anders. Hier wäre die Übereinstimmung sowohl in einer Jamaika- als auch in einer Deutschland-Koalition etwas größer als bei Rot-Rot-Grün.
Auch wenn sich die Parteien beim Thema Verkehr insgesamt einiger sind als bei der Wohn- und Sozialpolitik, gibt es auch hier markante ideologische Streitfragen. Die obere Tabelle enthält die Fragen mit dem größten Konfliktpotential. So gibt es beispielsweise unter den Parteien im linken Lager eine Tendenz dem Fahrradverkehr eine größere Bedeutung zuzumessen sowie sich gegen den Neubau von Autobahnen in Berlin auszusprechen. Hier gibt es starken Widerspruch bei den Parteien rechts der Mitte, insbesondere bei der FDP.
Auch wenn die Nähe bei Sachfragen ein wichtiger Indikator dafür ist welche Koalitionen sich nach einer Wahl bilden werden, spielen andere Faktoren, beispielsweise persönliche Sympathien, eine Rolle. Aus Sicht Franziska Giffeys ist es dabei gar nicht so ungeschickt sich mehrere Optionen offenzuhalten.
Dadurch erhöht Giffey den Druck auf Grüne und Linke in den nächsten Koalitionsverhandlungen. Ganz getreu dem Motto: Wenn ihr mir nicht noch mehr entgegenkommt, gehe ich zur Konkurrenz. Ob die Wählerinnen und Wähler diese Taktiererei klug oder unehrlich finden, wird die Wahl zeigen.