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Sexuelle Belästigung

„Ich habe ihre Brüste berührt, ich weiß nicht, ob sie das wollte“

Etliche Frauen erzählen von erlebten Übergriffen. Und sechs Männer hinterfragen ihre Taten.
Etliche Frauen erzählen von erlebten Übergriffen. Und sechs Männer hinterfragen ihre Taten.

Es begann mit Hashtags. Unter #Metoo oder #aufschrei teilten unzählige Frauen, wie sie in ihrem Leben sexuell belästigt wurden. Das Schweigen war gebrochen. Obwohl Umfragen zufolge fast jede zweite Frau in Deutschland Opfer sexueller Belästigung ist, sprechen die wenigsten darüber. Doch nur wenn ein Problem sichtbar ist, kann es gelöst werden.

Ein Mann fährt in Charlottenburg auf einem Fahrrad an mir vorbei und sagt: du bist aber geil zum Arschficken.
(Ronja K, 30, Charlottenburg )
Ich wurde im X11er Bus am Bahnhof Zoo begrapscht.
(Geraldine, 30, Steglitz)
Angetatsche im Club, anzügliche Sprüche, Dickpics, Beleidigungen bei Neinsagen auf Anmachen…
(Katja G, 34, Pankow)
Masturbation in der U-Bahn und an einem See, zwischen die Beine grabschen beim Laufen, hinterherrufen, Geräusche machen.
(Josephin B, 27 Lichtenberg)
Ein Typ hat mich nach meiner Nummer gefragt. Weil ich sie ihm nicht geben wollte, ist er mir bis nach Hause gefolgt. Ich habe dann die Tür zugemacht und ihn stehen lassen.
(Lena, 16, Steglitz)
Mir wurde auf einem KIZ Konzert unter den Rock und in den Schritt gegriffen. Ich war 16.
(Amber, 28, Kreuzberg)
Winter, übervoller Bus TXL. Ein Mann reibt seinen Penis an mir.
(Romina, Moabit, 31 )
Ein Mann wollte mich nachts in den Fahrstuhl drängen. Nach Anschreien ist er abgehauen…
(Romina, Moabit, 31 )
Mit 15 hat mir im Sommer ein Mann in Pankow an die Brüste gefasst, als ich auf den Bus wartete.
(Doreen R, Treptow-Köpenick, 29 )
Ich saß tagsüber in der U1 zwischen Möckernbrücke und Görli und neben mir stand ein Typ. Plötzlich wollte er mich wie aus dem nichts küssen.
(Luisa M, 30, Friedrichshain )
Mir wurde gesagt, ich muss nur gescheit gebumst werden, dann stehe ich auch wieder auf Männer.
(Sandra U, 33 )
Ich wurde von der U-Bahn bis nach Hause verfolgt. Konnte gerade noch die Tür schließen.
(Helen, 24, Kreuzberg )
In der Bahn hat ein Typ sein Glied ausgepackt und gefragt, ob ich ihn anfassen will.
(Magdalena B, 25, Treptow )
Der Taxifahrer hat mir an den Oberschenkel gefasst. Seitdem habe ich Angst, Taxis zu nehmen.
(Inga S, 36, Kreuzberg )
Ein Mann hat mich auf der Karl-Liebknecht-Straße in Mitte nach der Uhrzeit (15 Uhr) gefragt. Und hat sich dabei einen runter geholt…
(Nicole R. 27, Prenzlauer Berg )
In der U-Bahn masturbierte ein Mann unter vorgehaltener Aktentasche vor mir.
(Yvonne B, Steglitz, 49 )
Einfach im Club angefasst worden. Mehrfach…
(Sarah H, 37, Wilmersdorf )
Als ich elf war, ist ein Mann am Nollendorfplatz in Schöneberg endlos neben mir hergelaufen und hat mich nach Sex gefragt.
(Nura E, 21, Wilmersdorf )
Ko-Tropfen im Club. Auf offener Straße gesagt bekommen, dass man Sex mit mir möchte.
(Mona A. 28, Pankow )
Ein Mann hat in der S1 neben mir gesessen und auf einmal seinen Penis rausgeholt.
(Laura S, 25, Wilmersdorf )
Grabschen, Dickpicks und sexistische Kommentare.
(Jessica K, 28, Lichtenberg )
Mir wurde von hinten unter den Rock gefasst.
(Lara S. 32 Reinickendorf )
Ich wurde im Bus bedrängt.
(Annabel W, 24 ,Tegel )
Nachts in Mitte angegriffen und bedrängt – durch Zivilcourage ist nicht mehr passiert…
(Angelina J., 24, Prenzlauer Berg )
Ich bin mittags in Reinickendorf nach Hause gelaufen. Ein Typ kam näher und sagte: Hübscher Popo.
(Alexandra S, 21, Reinickendorf )
Ich war circa 14 Jahre alt, da hat mir ein Typ, als ich von der U-Bahnstation Neukölln die Treppe hochging, an den Hintern gefasst…
(Natalia S, 25, Neukölln )
Ich wurde in der U6 gegen meinen Willen fotografiert. Als ich den Wagon gewechselt habe, wurden mir sexualisierte Ausdrücke hinterhergerufen.
(Anna M, 22, Kreuzberg )
Taxifahrer sagte beim Warten auf den Bus in der Nähe vom U-Bahnhof Bülowstraße zu mir „anfassen geht auch“. Ich war 18 und trug Jeans und Pullover.
(Jorina D. 29, Charlottenburg )
Alleine in der U-Bahn nachts – angeguckt von Männern, als ob ich Freiwild wäre.
(Juliane, Prenzlauer Berg )
Einmal wurde ich im U-Bahnhof Nauener Platz von einer Gruppe eingekreist und von einem Mann aus der Runde an die Wand gedrängt, wo er sich an mir rieb. Macht Angst, versetzt in Panik, wirkt lange nach...
(Hannah F., 36, Wedding )
In einem Club voller Leute hat mir ein gleichaltriger Mann an den Po gepackt, mich angegrinst und ist im Getümmel verschwunden.
(Jana C, 33, Essen )
Ich war 16 oder 17, in der U-Bahn rutschte ein Mann nah an mich heran und legte seine Hand auf meinen Oberschenkel.
(Hannah B, 24, Reinickendorf )
Mein Nachbar hat sich selbst in meine Wohnung eingeladen, mich an sich gezogen und mich auf die Wange geküsst.
(Natalie Z, 30, Zehlendorf )
Mir hat ein Mann von hinten in den Schritt gefasst und danach an seiner Hand gerochen. Das war in der Hermannstr., Höhe Boddinstr.
(Katharina S, 29, Kreuzberg )
Ich arbeite im Einzelhandel in Tempelhof-Schöneberg und habe einen Kunden gefragt, ob er noch weitere Wünsche hat. Seine Antwort war: „Ja, aber die kannst du mir nicht hier vor allen Leuten erfüllen.“
(Tabea R, 19, Tempelhof-Schöneberg )

Auch, wenn immer mehr Frauen ihre Geschichten erzählen, so ist von den Tätern wenig zu hören. Für diese Recherche hat der Tagesspiegel daher nicht nur Frauen gebeten, von ihren Erlebnissen zu berichten, sondern auch Männer, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren. Hunderte Frauen vertrauten uns ihre Geschichten an. Männer zu finden, die selbst Grenzen überschritten hatten und bereit waren, dies anzuerkennen, schien derweil fast unmöglich.

Trotzdem haben sich einige Männer bereiterklärt, darüber zu sprechen. Ihre Protokolle sind keine Abbitte, keine Beichte mit der Aussicht auf schnelle Vergebung. Und schon gar kein Vergleich zu dem Leid, das viele Frauen geschildert haben. Dennoch sind diese Schilderungen, in denen bestimmte Verhaltensweisen überwunden werden, wichtig. Damit dieses Problem irgendwann der Vergangenheit angehört.

Alle Gesprächspartner:innen dieser Recherche haben jedoch eines gemeinsam: Sie wollen, dass sich etwas ändert. Die sechs Männer berichten, nun reflektierter Frauen gegenüberzutreten. Es könnte ein Anfang sein.

Die Protokolle
Über das Inhaltsverzeichnis können Sie auch direkt zu einem der Protokolle springen
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Hilfsangebote für Frauen

Hilfsangebote für Männer

Saskia Kühn*, 45
Freie Fotoredakteurin

Foto: privat

Ich war mit meinem Freund im Urlaub auf Sylt. Er wollte sich eine neue Badehose kaufen, also sind wir in ein Geschäft gegangen. Ein Verkäufer, er war um die 50, hat ihn in die andere Ecke des Geschäfts zu den Badehosen geschickt. Als ich dann gerade auf dem Weg in die Umkleide war, um einen Pulli anzuprobieren, sagte er zu mir: „Ich komm auch gerne rein und helfe dir beim Ausziehen.“

Mein Freund war zufällig gerade zurückgekommen und hat das gehört, er ist richtig böse geworden. Er meinte „der Einzige, der meiner Freundin aus den Klamotten hilft, bin ich“. Es hat ihn total beschäftigt. Für mich war die Situation gar nichts Besonderes, es war für mich normal.

„Du bist so betrunken, du kannst dich gar nicht wehren.“

Das erste Mal sexuell belästigt wurde ich mit 15. Es war auf einer Geburtstagsparty bei uns im Dorf, ich hatte sehr viel Weinbrand-Cola getrunken und war das erste Mal richtig betrunken. So betrunken, dass meine Freunde mich in einem Raum aufs Bett gelegt haben. Irgendwann, ich war ganz alleine, habe ich in dem dunklen Raum eine Stimme gehört.

Ein Mann stand vor mir und hat gesagt: „Du bist so betrunken, du kannst dich gar nicht wehren. Ich kann jetzt alles mit dir machen, was ich will.“ Irgendwas habe ich wohl gemacht, um ihn zu vertreiben, es ist nichts weiter passiert. Ich habe das nie jemandem erzählt. Und ich habe nie wieder so viel Alkohol getrunken, dass das nochmal passieren könnte.

„Hab ich’s mir doch gedacht, du bist richtig eng.“

Eine andere Situation war vor drei Jahren. Ich musste meine Gebärmutter entfernen lassen und war dafür bei einer Voruntersuchung in einem Berliner Krankenhaus. Der Arzt, der Leiter der Gynäkologie, der mich später operieren sollte, war so ein schmieriger Typ. Als er mich dann untersucht hat, meinte er „Hab ich’s mir doch gedacht, du bist richtig eng.“ Seine Assistentin im Raum hat mir einen Blick zugeworfen, aber nichts gesagt. Ich fand diesen Satz so übergriffig und widerlich. Gesagt habe ich nichts.

Eine Woche später, auf dem Weg zur Operation, habe ich mir dann schon Gedanken gemacht. Ich wollte diesem Mann nicht in der Narkose hilflos ausgeliefert sein. Ich habe mich dann damit beruhigt, dass bei der OP mehrere Personen anwesend sind. Trotzdem habe ich mich sehr unwohl gefühlt. Ich hatte mehrere Möglichkeiten, danach dem Arzt zu sagen, dass ich das nicht okay fand, oder mich auf Patientenzufriedenheitsbögen zu beschweren, aber ich habe es nie gemacht. Das ärgert mich.

*Name von der Redaktion geändert

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Lisa Tix, 18
Studentin

Foto: privat

Ich stand letzten Sommer tagsüber, zu den Stoßzeiten, in einer sehr vollen Berliner U-Bahn. Wir waren alle dicht gedrängt. Dann habe ich gemerkt, dass sich jemand an meinem Hintern reibt. Ich habe gedacht: oh mein Gott was passiert da? Ich habe mich umgedreht und einen Mann gesehen. Er war etwa Ende 20 und sah ganz normal aus. Er hatte seine Hände in seiner Jackentasche. Die war auf der Höhe von meinem Hintern. Ich habe ihm in die Augen geguckt und mich wieder zurückgedreht.

Dann ging es wieder los. Es war so widerlich. Ich hatte keine Möglichkeit, in der U-Bahn wegzulaufen. Und niemand anderes hat es gesehen. Ich habe mich nicht getraut, etwas zu sagen. Ich dachte: Was ist, wenn ich sage „Hör auf mich zu begrabschen“ und er dann sagt „Ich mache doch gar nichts“. Dann schauen mich die Leute komisch an. Ich habe das Gefühl ich darf nichts sagen, wenn es nicht so schlimm ist.

Nachts wechsle ich die Straßenseite, wenn ich Männer sehe

Diese „kleinen“ Formen von sexueller Belästigung passieren ständig. In den Clubs passiert es oft, dass ich ungewollt von hinten angetanzt und angefasst werde. An der Hüfte, am Hintern, an den Schulten. Es hat mich schonmal einer, mit dem ich vorher nicht einmal Blickkontakt hatte, einfach an sich ran gezogen und sich an mich ran gepresst. Er hat mich so gezogen als könnte er mit mir machen was er will. Ich habe ihn dann weggeschubst und bin gegangen. Ich habe mich noch nie getraut, jemanden richtig zur Rede zu stellen.

Leider darf man in Clubs keine Pfeffersprays mitnehmen, deshalb habe ich meistens, wenn ich nachts alleine nach Hause laufe, einen Schlüssel in der Hand. Das gibt mir zumindest ein bisschen Sicherheit. Auf der Straße passiert es oft, dass mir Männer hinterherpfeifen oder hupen. Ich ignoriere sie immer, dann geht die Situation am schnellsten vorbei. Wenn ich nachts einzelne Männer oder Männergruppen sehe, wechsle ich die Straßenseite.

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Definitionen
Sexismus, sexuelle Belästigung, sexualisierte Gewalt?

Was ist Sexismus?

Das Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend schreibt in einer Studie: „Sexismus ist ein Sammelbegriff für verschiedene Formen der Übergriffigkeit und Herabwürdigung des anderen Geschlechts.“

Was ist sexuelle Belästigung?

Dazu heißt es auf der Homepage des Familienminsteriums: „Sexuelle Belästigung reicht von weniger schwerwiegenden Formen wie Anstarren, anzüglichen Bemerkungen oder Belästigungen per Telefon oder im Internet über unerwünschte sexualisierte Berührungen, sexuelle Bedrängnis bis hin zu sexualisierten körperlichen Übergriffen. Je nach Form, Kontext und Ausmaß können sexuelle Belästigungen strafbare Handlungen sein, zum Beispiel Beleidigung, sexuelle Nötigung oder Nachstellung.“

Es gibt also viele Formen von sexueller Belästigung, aber nur wenige sind strafbar. Anzügliches Anstarren oder unangebrachte Komplimente beispielsweise sind gesellschaftlich nicht erwünscht, können aber nicht angezeigt werden. Allerdings kann ein sexistischer Witz gegenüber einer Arbeitskollegin zu arbeitsrechlichen Konsequenzen führen, zum Beispiel zu einer Abmahnung – ganz zu schweigen davon, dass er Kolleginnen den Tag versaut.

Die Berliner Strafrechtsanwältin Christina Clemm vertritt vor Gericht regelmäßig Frauen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Sie sagt dazu: „Meines Erachtens brauchen wir nicht weitere Straftatbestände, es muss nicht immer alles strafbar sein. Sexuelle Belästigung und Sexismus müssen vor allem gesellschaftlich bekämpft werden.” Es gebe viele belästigende Situationen, die weit unterhalb einer Straftat geschehen. Deshalb brauche es auch bei den Männern ein großes Umdenken, immerhin gehe Sexismus und Gewalt gegen Frauen vor allem von Männern aus. „Das Strafrecht ist die ultima ratio, wenn etwas nicht in Ordnung ist. Letztlich brauchen wir aber eine klare gesellschaftliche Meinung die beinhaltet, dass wir bestimmtes Verhalten nicht dulden.“

Was ist der Unterschied zwischen sexueller Belästigung und sexualisierte Gewalt?

Clemm differenziert klar zwischen den beiden Begriffen: „Sexuelle Belästigung ist der rechtliche Ausdruck. Sexualisierte Gewalt wäre aber der richtige Ausdruck.“ Denn es gehe nicht um Sex, sondern um eine massive Erniedrigung durch sexuelle Handlungen. Deshalb, so erklärt die Anwältin, würde dieser Begriff von Opferschutzverbänden und Feministinnen genutzt.

Tobias Schuhmacher*, 40
Produktionsmitarbeiter

Ich würde mich gerne bei allen Frauen entschuldigen, die ich manipuliert und ausgenutzt habe. Leider habe ich zu vielen keinen Kontakt mehr. Ich bin erst durch die MeToo Debatte 2017, und durch meine Freundin, die sich für Frauenrechte engagiert, aufgewacht.

Ich bin viel zu sexualisiert aufgewachsen. Durch meine älteren Geschwister hatte ich schon vor der Grundschule Zugang zu Pornos. Mit 15 hatte ich zum ersten Mal Sex, bin dafür mit einer 22-Jährigen zusammengekommen. Kurz danach, auf einer Party bei mir zuhause, hat ein zwei Jahre älterer Freund einem Mädchen gesagt, sie soll doch mit ihm und mir ins obere Stockwerk gehen. Für einen Dreier. Sie wollte nicht. Sie hat mehrmals nein gesagt. Wir haben nicht lockergelassen, bis sie mitgekommen ist.

Ich habe nicht akzeptiert, wenn sie nein gesagt hat

Das war falsch von uns. Es war auch falsch, dass ich jahrelang Frauen manipuliert habe, damit sie mit mir ins Bett gehen. Ich habe ihnen jemanden vorgespielt, der ich nicht bin. Ich habe ihnen gesagt, was sie hören wollten. Ich habe nicht akzeptiert, wenn sie nein gesagt haben. Auch nach dem zweiten Mal nicht. Ich habe einen Dackelblick aufgesetzt und sie immer wieder zum Sex gedrängt, sie überredet. Vielleicht haben sie sich gezwungen gefühlt. Wenn es um den Körper eines anderen Menschen geht, sollte man nicht aufdringlich sein. Ich würde das gerne rückgängig machen.

Bei meinen Kumpels habe ich mit meinen Frauenerfahrungen geprahlt. Ich habe erzählt, mit welchen Frauen ich im Bett war und was ich genau mit ihnen angestellt habe. Bei meinem jetzigen Job gibt es einige Männer, die sich ständig darüber unterhalten, welche Frauen sie flachgelegt haben und weitere Dinge, die ich hier gar nicht wiederholen möchte. Obwohl auch Frauen bei uns arbeiten. Die hören weg. Ich kann nicht weghören, ich drehe mich dann meistens um, murmle, dass das sexistisch ist und gehe.

Ich würde mir gerne selbst dafür in die Fresse schlagen, wie ich früher mit den Frauen umgegangen bin. Sexuelle Belästigung fängt im Kopf an, bei den Gedanken. Alles, was darüber hinausgeht, sollte bestraft werden. Bei den Frauen von damals, zu denen ich noch Kontakt herstellen konnte, habe ich mich inzwischen entschuldigt. Das lag mir sehr am Herzen. Ich habe begriffen, dass es scheiße war.

*Name von der Redaktion geändert

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Lilly Ilinca*, 34
Journalistin

Foto: privat

Mir ist es jetzt schon drei Mal passiert, dass jemand gegen meinen Willen vor mir seinen Penis ausgepackt hat. Ich habe nichts dagegen gesagt, weil ich dachte, als Frau kann einem das einfach passieren. Inzwischen wünsche ich mir, ich hätte diese Männer angezeigt.

Als es das erste Mal passiert ist, war ich noch in der Grundschule. In der zweiten oder dritten Klasse in Marzahn. Ich war auf dem Spielplatz. Ein Mann ist auf dem Fahrrad an mir vorbeigefahren, er wollte sich unbedingt präsentieren. Ich weiß nur noch, dass er obenrum angezogen war, aber unten sein Penis rausgehangen hat. Ich bin schnell weggelaufen, so wie es meine Mutter mir für solche Fälle geraten hatte.

Beim zweiten Mal war ich zwölf. Ich war mitten am Tag in unserer Wohnsiedlung in Charlottenburg unterwegs. Da war ein Mann mit einem Mantel, der darauf gewartet hat, dass sich ihm jemand nähert. Dann hat er vor mir seinen Mantel aufgerissen, auf seinen Penis gezeigt und gesagt: „Willst du mal lutschen?“

„Hast du Bock auf Gangbang?”

Bei der dritten Situation hatte ich richtig Angst. Das war 2013 im Wedding. Ich war 26 oder 27 Jahre alt und hatte einen sehr alten und langsamen Hund, der abends noch spät raus musste. An einem Abend musste ich kurz nach Mitternacht mit ihm Gassi gehen. Mir kamen zwei Männer entgegen, die müssen 19 oder 20 gewesen sein, und haben mich angesprochen. Einer meinte: „Hast du Bock auf Gangbang? Wir sind im Wedding bekannt dafür, dass wir Schwänze aus Stahl haben.“ Ich weiß noch, wie gelähmt ich war.

Ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht, was die beste Strategie für diese Situation ist. Frech sein? Wegrennen? Ich habe dann was gesagt von wegen „ach komm Jungs, lasst mal gut sein.“ Gegenüber vom Gehweg war eine Tiefgarage. Einer von ihnen meinte: „Schau, wir gehen da kurz rein.“ Ich bin tausend Tode gestorben. Ich dachte, was mache ich, wenn die mich jetzt da reinziehen? Dann hat einer seinen Penis rausgeholt und angefangen, sich einen zu wichsen. Ich wollte nicht nach Hause rennen, das wäre ganz nah gewesen, weil ich dachte, sie werden mir folgen. Ich habe auch nicht geschrien.

Ich hatte Glück, das bei einem Park in der Nähe eine Frau überfallen wurde. Jemand hatte ihr die Handtasche geklaut, daraufhin wurde es dort lauter und die Polizei kam. Ich bin also in diese Richtung gegangen zur Polizei und einer der Männer, die mich belästigten, meinte zum anderen: „Komm, lass gehen“.

Ich habe die Belästiger nicht bei der Polizei angezeigt. Ich habe gedacht „Scheiße, aber sowas passiert Frauen, und ich kann froh sein, dass sie mich nicht angefasst haben.“ Ich habe gedacht, da bekomme ich dann irgendwann einen Brief, dass die Anzeige eingestellt wurde. Weil man sowieso nichts beweisen kann.

*Name von der Redaktion geändert

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Rechtsprechung
Was ist strafbar, welche Möglichkeiten haben Opfer?

Was ist strafbar?

Seit Ende 2016 ist sexuelle Belästigung ein eigener Straftatbestand, § 184i im Strafgesetzbuch (StGB). So heißt es dort: „Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften dieses Abschnitts mit schwererer Strafe bedroht ist. In besonders schweren Fällen ist die Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.“

Weitere Straftaten gegen die „sexuelle Selbstbestimmung“, wie der strafrechtliche Überbegriff lautet, finden sich im Gesetz in den Paragraphen 174 bis 184j, StGB. Darunter fallen schwere Fälle wie sexueller Missbrauch und Vergewaltigung, aber auch die Straftatbestände Exhibitionistische Handlungen und Erregung öffentlichen Ärgernisses (§§ 183, 183a StGB). Im Gesetz heißt es dazu: „Ein Mann, der eine andere Person durch eine exhibitionistische Handlung belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“ Auch Beleidigungen können eine sexuelle Grundlage haben. Dann fallen sie unter Umständen unter den Straftatbestand der Beleidigung in Paragraph 185 StGB.

Was können betroffene Frauen tun?

Viele Frauen schrecken vor einer Anzeige und dem darauf folgenden Prozess zurück, weil er belastend sein kann. Sollte die Betroffene sich für eine Anzeige entscheiden, so rät Anwältin Christina Clemm so schnell wie möglich zur Polizei zu gehen oder eine Anzeige im Internet zu stellen. „Wichtig ist, dass sie [die Betroffene], wenn sie Sorge um ihre Sicherheit hat, nicht ihre private Adresse angibt, sondern beispielsweise die ihres Arbeitgebers“, sagt Clemm. Denn der Beschuldigte hat das Recht auf Akteneinsicht. Und in der Akte ist die Adresse zu finden. Jede Betroffene solle sich direkt nach der Situation alle Details notieren und gegebenenfalls Beweise wie Fotos sicherstellen, sagt Clemm weiter. „Die Polizei kann den Täter möglicherweise durch Personenbeschreibung oder Videoüberwachung finden.“

Sollte es dann zu einem Gerichtsprozess kommen, steht es, wie häufig bei Sexualdelikten, Aussage gegen Aussage. Dann überprüft das Gericht, welcher Aussage gefolgt werden kann. Etwa, ob es ein Motiv der Falschbezichtigung oder Wahrnehmungsprobleme gibt. „Bei sogenannten Fremdtätern ist eine Chance auf Verurteilung nicht gering, wenn hinreichend Beweise hinsichtlich der Identitätsfeststellung vorliegen“, sagt Clemm.

Wie könnte man Frauen diesen Prozess erleichtern?

„Ganz ersparen werden wir den Prozess den Betroffenen nicht können“, sagt Clemm. Wichtig wäre, die Verfahren schneller zu beenden. „Wir bräuchten viel mehr Kapazitäten dafür bei den Ermittlungsbehörden und in der Justiz und bessere Ausbildung und Fortbildung. Es gibt zu wenig Wissen über das Ausmaß, Täterstrukturen, Traumatisierung und sonstige Folgen der Taten.“

Christian Voigt*, 29
arbeitet bei einer PR-Agentur

Ich war mit Freunden in einer Bar und hatte ein bisschen was getrunken. Ich war 23, schon länger Single und wieder auf einen One-Night-Stand aus. Deshalb habe ich ziemlich plump ein Mädel über einen Drink angequatscht und aggressiv mit ihr geflirtet. Sie hat mich nicht weggeschickt, war aber sehr schüchtern und unsicher. Sie hatte noch nie einen One-Night-Stand und es war schnell klar, dass sie auch keinen mit mir wollte.

Ich wollte meine Triebe befriedigen. Deshalb habe ich sehr penetrant versucht sie zu überreden. Ich habe gesagt: Wenn man so offenherzig rumläuft, muss man auch zum Sex bereit sein. Ich habe gemerkt, dass sie das Gefühl hatte sie muss die Erwartungen von Männern erfüllen, die sie versehentlich geweckt hat. Deshalb habe ich sie genau dahingehend manipuliert. Ich habe psychischen Druck aufgebaut, bis sie nichts mehr dagegen gesagt hat.

Ihren Blick kann ich bis heute nicht vergessen

Am Ende sind wir zu ihr und hatten dort Sex, einvernehmlich. Als ich dann am nächsten Morgen aufgewacht bin, habe ich ihren Blick gesehen, den ich bis heute nicht vergessen kann. Er war voller Scham und Ekel. Es war so deutlich, dass sie sich vor mir und vor sich selbst geekelt hat, für das, wozu ich sie überredet hatte. Wir haben nicht darüber gesprochen und ich bin nach Hause gefahren. Mir ging die Situation aber nicht aus dem Kopf. Ein paar Tage später habe ich ihr eine Nachricht geschrieben, „Hey, alles klar bei dir? Hoffe dir geht’s gut“, oder so. Weil ich ein schlechtes Gewissen hatte. Sie hat nicht darauf geantwortet.

Es hat ein paar Jahre gedauert, bis ich das jemandem erzählt habe. Einer Freundin. Inzwischen sind sechs Jahre vergangen. Ich bin 29 und habe mich verändert. Es ist mir wichtig, jedem Menschen mit Respekt zu begegnen.

Er nannte die Frauen „Edelhure“ und „nächste Generation Nutte“

Für mich kann ich das einhalten, aber letzte Woche kam es zu einer anderen, unangenehmen Situation. Ich habe mich mit drei Kumpels getroffen. Einer von ihnen war richtig im Tindergame. Er hat die ganze Zeit damit geprahlt, mit wie vielen Frauen er Sex hat. Dabei ist er schon Anfang 30. Er hat die Frauen, die er über die Dating-App kennt und mit denen er Sex hat, als „Edelhure“ und „nächste Generation Nutte“ bezeichnet. Er hat auch erzählt, dass er gerade versucht eine „perfekte Woche“ zu haben. Also an sieben Tagen mit sieben Frauen zu schlafen. Es war so widerlich, wie abwertend er über die Frauen geredet hat. Ich bin eigentlich nicht schüchtern, aber ich habe trotzdem nicht meinen Mund aufgemacht.

Wir sollten unter Männern darüber reden, wo die rote Linie ist, und einschreiten, wenn degradierend über Frauen gesprochen wird oder Frauen belästigt werden. Zuallererst sollte aber jeder von uns Männern bei sich selbst anfangen und sein eigenes Verhalten reflektieren.

*Name von der Redaktion geändert

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Julia Götte, 25
Studentin

Foto: privat

Ich war etwa zehn Jahre alt, als ich das erste Mal sexuell belästigt wurde. Damals habe ich noch in einem Vorort von Stuttgart gewohnt und war mit meiner Mutter Kleidung kaufen. Mir war schon vorher ein älterer Mann aufgefallen, der mich immer mal wieder angeschaut hat. Er war sehr groß und schlank, etwa Ende 30. Als ich mich alleine in der Umkleide umgezogen habe und in Unterwäsche dastand, habe ich auf einmal gesehen, dass er über die Wand der Nachbarkabine zu mir geschaut hat.

Ich bin erst erstarrt und wusste nicht, was ich tun sollte. Dann bin ich rausgerannt zu meiner Mutter. Sie hat dann, zusammen mit einer Mitarbeiterin, den Mann vor die Tür gesetzt. Wir haben nicht wirklich darüber geredet. Aber ich habe mich danach noch viele Jahre unwohl gefühlt in öffentlichen Umkleiden oder Toiletten.

„Mein Schoß ist leer, da wünsche ich mir die N** her.“

Ein anderes Mal war vor ein paar Jahren in der U1 in Kreuzberg. Ich wurde schon vor dem Einsteigen in die U-Bahn von einer Gruppe junger Männer angeflirtet. Ich war 18, sie vielleicht Mitte 20. Ich habe ihre Sprüche ignoriert und mit meinen Kopfhörern Musik gehört. In der vollen U-Bahn hat mich einer von ihnen mehrfach direkt angesprochen, bis ich genervt meine Kopfhörer rausgemacht und gefragt habe, was er wolle. Da sagte er sehr laut und deutlich: „Mein Schoß ist leer, da wünsche ich mir die N** her.“ Und klopfte dabei auf seinen Schoß. Ich war schockiert.

Ich war doch in Kreuzberg, einem Ort, wo ich mich als Schwarze Frau eigentlich sicher fühle. Niemand in der U-Bahn hat reagiert. Also habe ich mich rumgedreht und zu den Leuten gesagt: „Sie haben doch alle mitbekommen, dass er das N-Wort benutzt hat. Sie sollten nicht so tun als würden Sie nichts hören.“ Bei meinen weißen Freundinnen bemerke ich, dass sie seltener den Mund aufmachen, wenn sie belästigt werden. Vielleicht, weil sie mit Diskriminierung nicht so oft konfrontiert sind wie People of Color.

Daniel Hansen, 30
Student

In meinem früheren Freundeskreis, als ich 16 oder 17 Jahre alt war, war es normal, dass Dick Picks verschickt wurden. Damals gab es noch kein Instagram, das lief über Jappy, Knuddels und SchülerVZ. Wir waren in der Pubertät und wollten Sex. Meine Freunde haben auf diesen Seiten mit Frauen gechattet und ihnen relativ schnell geschrieben, dass sie mit ihnen schlafen wollen. Dann haben sie ungefragt Penisbilder geschickt. Es ging nicht darum, den eigenen Penis zu präsentieren, sondern vor allem um den Drang, möglichst schnell mit einer Frau ins Bett zu gehen. Unter uns Jungs haben sie damit geprahlt, Dick Picks verschickt zu haben, und auch erzählt, die Frauen hätten sich darüber gefreut. Inzwischen glaube ich, dass die Frauen sich belästigt gefühlt haben. Aber damals fand ich das cool und männlich. Ich wollte es auch machen, aber ich habe mich nicht getraut.

Von meinen Freunden aus der Jugend, bei denen einige Dick Picks verschickt haben, werden nicht alle Geschichten wahr sein, die sie damals erzählt haben. Weil es doch immer darum ging, sich gegenseitig zu übertrumpfen. Jeder musste selbst seinen Status verteidigen. Wir waren meistens etwa fünf Leute, und irgendjemand hat dann damit angefangen mit Sexgeschichten zu prahlen. Wenn wir feiern waren und ich ein Mädchen angebaggert habe, die mir einen Korb gegeben hat, habe ich meinen Kumpels erzählt: „Ich hab sie flachgelegt“.

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Asmaa Yousef, 40
Journalistin

Foto: privat

Beim Arbeiten auf der Demo zum 1. Mai musste ich mehrmals an einer Gruppe von etwa sechs Männern vorbeilaufen. Jedes Mal haben sie mir etwas hinterhergerufen. „Hey Hübsche“ oder „schöne Brüste!“ Ich habe nicht alles verstanden, aber ich habe mich unwohl gefühlt und mich geschämt. Was mich schockiert hat, war, dass sie das mitten in dieser Demonstration gemacht haben, wo auch ganz viele Polizisten unterwegs waren. Sie haben sich offensichtlich sicher gefühlt. Ich habe mich direkt gefragt, ob das Kleid, das ich trage, zu kurz ist. Es war mir unangenehm, an dieser Gruppe vorbeilaufen zu müssen.

Bis vor fünf Jahren habe ich noch in Ägypten gelebt und dort viel schlimmere Dinge erlebt. Dort wurde ich, schon als ich noch zur Schule gegangen bin, zum Beispiel in Bussen angegrabscht. Ich wurde regelmäßig in verschiedenen Situationen ungefragt berührt.

Fremde Männer starren auf meine Brüste

Hier in Deutschland ist die Situation eine ganz andere. Ich fühle mich viel sicherer. Ich habe kein Pfefferspray und auch kein Messer dabei, wenn ich noch spät abends im Wedding unterwegs bin. Mich hat hier in den fünf Jahren noch niemand ungefragt angefasst. In Deutschland sind die Gesetze klarer und sie werden durchgesetzt.

Trotzdem gibt es hier einiges, was sich in dieser Hinsicht verändern sollte. Sexuelle Belästigung fängt damit an, dass mir öfter, wenn ich mit der U6 oder der U7 fahre, fremde Männer lange auf die Brüste starren. Sogar, wenn ich einen Schal darüberlege. Ich fühle mich jedes Mal nackt und unwohl. Ich möchte nicht so angeschaut werden. Bei diesen Blicken könnte man, in manchen Fällen, vielleicht noch sagen, das war ein Versehen. Aber spätestens verbale Belästigung sollte die rote Linie sein.

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Max Deibert, 25
Student

Foto: privat

Vor acht Jahren, ich war gerade im Auslandsjahr in den USA, bin ich mit meinem Gastbruder und einigen Freunden zu einem Konzert gegangen. Ich habe beobachtet, wie meine Freunde dort von hinten Frauen angetanzt und später auch mit einigen rumgemacht haben. Ich hatte damit noch keine Erfahrung und dachte, das macht man eben so. Also bin ich zu einem hübschen Mädchen gegangen und habe sie von hinten angetanzt. Ich habe keinen Blickkontakt aufgenommen, nicht hallo gesagt, nicht gefragt, ob es okay ist, dass ich sie anfasse.

Ich stand dann hinter ihr und wir haben so miteinander getanzt. Irgendwann habe ich mich nach vorne gebeugt und sie geküsst. Sie hat sich nicht gewehrt. Sie hat mitgemacht, aber ich kann nicht sicher sagen, ob sie das auch wollte. Wir haben in dieser Position rumgemacht, ich habe sie an den Brüsten und am Po berührt, über der Kleidung. Da es dunkel war und sie mit dem Rücken zu mir stand, konnte ich keine Signale sehen, ob das okay für sie ist. Am Ende des Abends tauschten wir Nummern aus. Das waren die einzigen zwei Sätze, die ich an diesem Abend mit ihr gewechselt habe. Ich habe ihr danach geschrieben, ob wir uns treffen wollen, aber sie ging nicht darauf ein.

Ich hatte Angst vor einer Schlägerei

Heute tut mir das leid und ich würde mich anders verhalten. Es kam schon einige Male vor, dass ich Situationen beobachtet habe, in denen Frauen belästigt wurden und nicht eingeschritten bin. Ich war früher ab und zu mit meiner Ex-Freundin in Clubs feiern. Wir hingen nicht immer zusammen rum, sondern tanzten auch gern für uns. Da kam es regelmäßig vor, dass sie von irgendwelchen Typen von hinten angetanzt und auch angegrabscht wurde.

Manchmal habe ich die Männer weggeschubst. Aber wenn meine Freundin mir erzählt hat, dass ihr jemand an den Po gefasst hat, habe ich nicht gefragt, wer das war. Ich hatte Angst vor einer Schlägerei. Ich konnte gar nicht entspannt feiern gehen, weil ich mich immer gefragt habe, ob ich mich nicht eigentlich mit solchen Typen prügeln müsste: Sollte ich nicht meine Freundin beschützen? Andererseits ist sie auch kein Objekt, das ich verteidigen will, als würde es mir „gehören“. Es war für mich okay, mit meinem Körper dazwischen zu gehen. Aber das Thema bei den Tätern anzusprechen, ist nochmal eine andere Hemmschwelle. Heute würde ich zu so einem Typ gehen und fragen, was die Scheiße soll.

Als Mann muss man sagen: „hier ist ein Problem und wir sind in der Verantwortung, eine Lösung zu suchen“. Statt das Problem zu relativieren, weil wir uns selbst keiner Schuld bewusst sind.

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Benjamin Maack, 42
Redakteur

Foto: privat

Inzwischen ist es etwa sieben Jahre her. Ich hatte eine Lesung bei einem Literatur-Club in Hamburg. Ich hatte vorher auf der Bühne einiges getrunken. Nach der Lesung standen wir in einer kleinen Runde und ich habe gegenüber einer Bekannten einen ziemlich unanständigen Witz gemacht. Mittlerweile würde ich ihn sexistisch nennen. Ihre Reaktion kann ich bis heute nicht vergessen. Sie hat nichts gesagt, aber sie hat mich angeschaut als würde sie denken: „Echt jetzt? Hätte nicht gedacht, dass du so ein Idiot bist“. Wir haben weitergeredet, als wäre nichts gewesen, es hat auch kein anderer etwas gesagt, die Situation war nie wieder ein Thema.

Vier Jahre später, das war 2017, gab es in Deutschland die MeToo-Debatte. Bis dahin wusste ich zwar, dass es sexuelle Belästigung gibt, hatte mich aber nie ernsthaft damit auseinandergesetzt. Kurz darauf gab es den Hashtag #howIwillchange, unter dem Männer von ihren Verfehlungen berichtet haben. Ich habe länger darüber nachgedacht, ob ich mich mal Frauen gegenüber falsch verhalten habe. Mir ist die Lesung eingefallen. Ich habe die Situation, natürlich ohne den Namen der Betroffenen zu nennen, auf Facebook gepostet und einen Text für „Spiegel Online“ darüber geschrieben.

Die beiden Frauen konnten sich nicht erinnern

Mir ist auch noch eine zweite Situation eingefallen. Das war etwa ein Jahr vor MeToo. Wir hatten eine Redaktionskonferenz mit etwa 15 bis 20 Leuten. Jemand hatte etwas in der Runde gesagt, woraufhin ich einer Kollegin einen blöden, sexistischen Scherz zugeflüstert habe. Ich erinnere mich daran, dass er ziemlich deftig und total unangemessen war. Sie hat die Augen gerollt und den Kopf geschüttelt. Schon nachdem ich es ausgesprochen hatte, war mir klar, dass es daneben war.

Als ich durch MeToo wieder an diese beiden Situationen erinnert wurde, habe ich mich dazu entschieden, mich bei beiden Frauen zu melden, um mich zu entschuldigen. Ich hatte Angst vor ihren Reaktionen. Aber ich glaube auch, dass sich nichts verändert, wenn man nicht darüber spricht. Beide Frauen haben mir gesagt, dass sie sich an die Situationen nicht mehr erinnern können, weil sie seitdem genug andere, deutlich schlimmere Situationen in Bezug auf sexuelle Belästigung erlebt haben.

Nach meinem Artikel wurde ich dafür kritisiert, dass ich eine „Kleinigkeit“ aufgeschrieben hätte. Aber genau darum geht es mir. Wenn das Kleine sich ändert, wird das Große nicht mehr selbstverständlich sein. Das wichtigste beim Thema Sexismus ist – ebenso wie bei Rassismus – nicht zu sagen „Ich bin kein Sexist oder Rassist“, sondern sich immer wieder selbst zu beobachten und sein Verhalten in Frage zu stellen.

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Magdalena Schneider*, 47

Vor fünf Jahren saß ich mit meiner Partnerin in einem Café. Es war ein Sonntag, wir waren frisch verliebt und haben uns geküsst. Ein paar Tische weiter saß eine Familie mit Kindern, sie waren schick gekleidet. Nach einer Weile hat der Mann eine Frau zu uns rübergeschickt. Die hat uns dann gesagt, wir sollen uns nicht mehr küssen, weil das nicht gut sei für ihre Kinder. Wir haben ihr dann gesagt, wir küssen uns trotzdem weiter, weil es gerade einfach zu schön ist.

An einem anderen Tisch neben uns war eine Gruppe von jungen Frauen, die so halblaut meinten, das sei jetzt aber schon homophob. Die haben uns unterstützt. Dann habe ich mich zu denen gebeugt und gesagt „das ist nicht nur homophob, sondern auch transphob“. Da sind den Frauen die Gesichtszüge entgleist. Sie hatten nicht gemerkt, dass ich eine trans Frau und keine cis Frau bin. Als sie das dann verstanden haben, waren sie plötzlich still.

„Euch sollte man erschießen, erschlagen, verbrennen, totficken.“

Das ist etwas, was Belästigung von trans Frauen und cis Frauen unterscheidet. Cis Frauen kann es noch passieren, dass sie Hilfe bekommen, wenn sie belästigt oder angegriffen werden. Für sie ist es ratsam, sich dort aufzuhalten, wo auch andere Menschen sind, die helfen könnten. Für uns trans Frauen gilt das nicht unbedingt. Wir erfahren sehr wenig Solidarität und müssen eher mit weiteren Angriffen rechnen.

Vor einem Jahr bin ich mit meiner Partnerin aus der U-Bahn am Halleschen Tor raus und die Straße entlanggelaufen. Da hat es gerade gedämmert. Wir hielten uns an der Hand. Das war ein Auslöser für zwei junge Männer: „Euch sollte man erschießen!“ oder „Wir erschießen euch!” zu rufen. Diese krassen Ausrufe und auch die reale Gewalt sind leider keine Einzelfälle. „Euch sollte man erschießen, erschlagen, verbrennen, totficken.” So etwas wird uns hinterhergerufen.

Ich lebe jetzt schon über 25 Jahre mein Transsein und habe gelernt, damit umzugehen. Trotzdem ist es schlimm. Ich meide zu bestimmten Zeiten Außenbezirke und U-Bahnhöfe, die nur einen Ausgang haben. Außerdem rate ich trans Frauen immer, einen 50 Euro Schein in der Tasche zu haben, um in brenzligen Situationen mit dem Taxi nach Hause fahren zu können, wobei natürlich auch Taxifahrer diskriminieren können.

*Name und Alter von der Redaktion geändert

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Karl Fehrs*, 29
Student

Vor etwa fünf Jahren, als ich Liebeskummer hatte, bin ich auf eine Party gegangen und habe da mit einigen Mädels geflirtet. Das war auch im Rahmen. Ich habe mich aber richtig stark betrunken. Als ich dann in einer Gruppe von Männern von der Party weggegangen bin, habe ich Sachen über die Frauen gesagt, die ich inzwischen bereue. Richtig primitive und detaillierte Aussagen, was ich mit denen im Bett anstellen würde. So rede ich sonst nie. Ein anderer Kumpel, auch betrunken, hat daraufhin ähnliche Sachen gesagt, nur nicht ganz so abwertend.

Am nächsten Tag habe ich einen anderen Kumpel gefragt, ob ich das wirklich gesagt habe, und er meinte „Ja, war nicht cool von dir“. Dann habe ich geschrieben „Fuck“ und er meinte: „du warst betrunken, ist schon okay“. Ich war 24, danach ist mir das nie wieder passiert. Ich war schwanzgesteuert, ich habe nicht nachgedacht und mich gehen lassen.

Er hat sie einfach angestarrt

In meinem früheren Fitnessstudio musste ich sowas dauernd mit anhören, der klassische Lockerroom-Talk. In der Umkleide haben aufgepumpte Machos über Frauen geredet als seien sie Trophäen. Jedes Mal habe ich mich gefragt: Darf ich was dagegen sagen? Oder ist das noch Grauzone? Ehrlich gesagt, habe ich mich auch einfach nicht getraut, mehrere Männer mit breiten Kreuzen zu kritisieren. Die strahlen Dominanz aus und wenn ich als kleiner Hanswurst anfange da was zu sagen, fühlen die sich angegriffen.

Im Fitnessstudio musste ich vor etwa einem Jahr auch eine andere Situation ansehen. Da war ein älterer Mann, der immer sehr auffällig die jungen, hübschen Frauen beim Trainieren beobachtet hat. An einem Tag ging es dann so weit, dass ein Mädchen gerade eine Übung gemacht hat und er sich einfach vor sie gestellt hat und zwei Mal von oben bis unten durchgecheckt hat. Er hat sie einfach angestarrt. Das war mir beim Zuschauen schon unangenehm. Ich war wütend und dachte, ich muss etwas sagen. Und dann dachte ich aber: wenn die sich kennen, ist es peinlich. Tatsächlich hat sie dann auch irgendwas zu ihm gesagt, als würde sie ihn kennen, und ich war froh, nichts gesagt zu haben. Dann ist er aber noch weiter, und hat dasselbe bei einer anderen Frau gemacht. Sich direkt vor sie gestellt und sie angegafft.

Woher weiß ich, ob ich übertreibe? Hätte er sie angefasst, wäre das ein anderes Level gewesen. Da wäre mir klar gewesen, dass ich was machen muss. Als es dann noch mal passiert ist, habe ich es für mich so gelöst, dass ich den Mann einfach so lange und auffällig angestarrt habe, dass er sich irgendwann erwischt gefühlt hat und weggegangen ist. Das war das mutigste, was ich mich getraut habe.

*Name von der Redaktion geändert

Beratungsstellen
Wo Frauen Hilfe finden

Welche Anlaufstellen gibt es für betroffene Frauen?

LARA Krisen- und Beratungszentrum Das Zentrum bietet persönliche und telefonische Beratung und Krisenintervention für vergewaltigte und sexuell belästigte Frauen in Berlin, aber auch E-Mail-Beratung und Kurzzeittherapie, auch in Gruppen. Außerdem gibt es Rechtsberatung sowie eine Begleitung bei Anzeige und Prozess. Die Angebote sind kostenlos und auf Wunsch anonym.

Website: lara-berlin.de
Telefon: 030 216 88 88

Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ Das bundesweites Beratungsangebot richtet sich an Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben. Unter der Nummer 08000 116 016 und via Online-Beratung werden Betroffene aller Nationalitäten, mit und ohne Behinderung unterstützt – 365 Tage im Jahr, rund um die Uhr. Auch Angehörige, Freundinnen und Freunde sowie Fachkräfte werden anonym und kostenfrei beraten.

Website: hilfetelefon.de
Telefon: 08000 116 016

Opfer-Telefon Weisser Ring e. V. Der Weisse Ring e. V. bietet Opfern von Verbrechen, Kriminalität und Gewalt, aber auch sexueller Belästigung emotionale Unterstützung, klärt sie über ihre Rechte auf und verweist auf weitere Hilfeangebote. Das Opfer-Telefon des Weissen Rings ist täglich zwischen 07.00 und 22.00 Uhr zu erreichen.

Website: weisser-ring.de
Telefon: 116 006

Beratungsstellen des Bundesverbandes der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe Im Bundesverband der Frauenberatungsstellen sind rund 200 Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen zusammengeschlossen. Sie leisten in Deutschland den hauptsächlichen Anteil der ambulanten Beratung und Hilfestellung für weibliche Opfer von Gewalt. Auf der Webseite findet man Beratungsstellen im eigenen Umkreis.

Website: frauen-gegen-gewalt.de

Beratungsstellen
Wo Männer Beratung finden

Welche Anlaufstellen gibt es für betroffene Männer?

Tauwetter

Tauwetter bietet Beratungen für männliche Opfer von sexualisierter Gewalt an. Beratungen finden per Telefon, per Brief oder Mail oder im direkten Gespräch statt. Bei Tauwetter beraten Männer und Frauen. Die offene Erstberatung führt aber immer ein Mann durch, der Telefondienst wird abwechselnd von allen in der Beratung tätigen Mitarbeitenden durchgeführt.

Website: tauwetter.de
Telefon: 030 693 80 07

Welche Hilfsangebote gibt es für (potentielle) Täter?

Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden!“

Das Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“ bietet deutschlandweit ein kostenloses und durch die Schweigepflicht geschütztes Behandlungsangebot für Menschen, die therapeutische Hilfe suchen, weil sie sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen und darunter leiden.

Website: kein-taeter-werden.de
Telefon: 030 450 529 450

Hilfeportal Sexueller Missbrauch

Auf den Seiten des Hilfeportal Sexueller Missbrauch findet sich eine Übersicht mit Beratungsstellen in ganz Deutschland, die mit erwachsenen Sexualstraftätern arbeiten. Auch zwei Stellen in Berlin sind dabei. (Stand: 2019)

Hier geht es zur Übersicht.

Was können Männer und Frauen tun, die sexualisierte Belästigung in ihrem Umfeld wahrnehmen?

Wie man ein Verbündeter gegen sexualisierte Gewalt wird, erklärt das Netzwerk „Unser Campus“ in diesem Artikel.

Die Autorinnen und Autoren

Eric Beltermann
Webentwicklung
Selina Bettendorf
Recherche & Text
Maris Hubschmid
Redigatur
Manuel Kostrzynski
Artdirektion
Helena Wittlich
Grafiken & Produktion
Veröffentlicht am 18. Januar 2021.