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Finanzierung der Weltgesundheit

Wer entscheidet, worum die WHO sich kümmert?

Während der Corona-Pandemie war die Weltgesundheitsorganisation sehr präsent. Daten zeigen: Nicht über alle Gelder und Spenden verfügt sie frei. Wie die WHO funktioniert.
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Während der Corona-Pandemie war die Weltgesundheitsorganisation sehr präsent. Daten zeigen: Nicht über alle Gelder und Spenden verfügt sie frei. Wie die WHO funktioniert.
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Es ist eine ehrgeizige Initiative, auf die sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) derzeit konzentriert. Bis Ende 2023 will sie einer Million Menschen eine bessere Gesundheitsversorgung verschaffen. Das hat die Organisation in ihrer „Triple Billion Targets“-Initiative festgelegt, die seit 2019 läuft.

Dieser Plan hat seinen Preis. Die WHO braucht Geld, um das in ihrer Verfassung festgeschriebene Ziel zu erreichen: „den höchsten erreichbaren Gesundheitsstandard als Grundrecht eines jeden Menschen“. Ihn umzusetzen, ist nicht einfach – auch, weil die Organisation über große Teile ihres Budgets nicht frei verfügen kann.

Die Organisation finanziert sich nämlich vor allem mit freiwilligen Beiträgen von Staaten und anderen Organisationen. Daten zeigen: In vielen Fällen entscheiden die Spender, wofür das Geld ausgegeben wird.

1948 gegründet, um die Gesundheitsangelegenheiten des UN-Systems zu koordinieren, konzentrierte sich die Arbeit der UN-Sonderorganisation WHO zunächst auf Malaria, Tuberkulose, Geschlechts- und andere übertragbare Krankheiten. Heute arbeiten über 8400 Fachleute aus 160 Ländern in ihren 216 Büros rund um den Globus. In westlichen Ländern ist die öffentliche Wahrnehmung der WHO derzeit vor allem durch die Corona-Pandemie geprägt. In afrikanischen Ländern hingegen spielt sie etwa bei Impfkampagnen oder im Kampf gegen Tuberkulose eine wichtige Rolle.

Welche Art von Beiträgen bekommt die WHO?

Alle 194 WHO-Mitgliedsstaaten müssen einen Betrag zahlen, der nach dem Bruttosozialprodukt eines Landes und seiner wirtschaftlichen Lage berechnet wird. Reichere und stabile Länder zahlen den höchsten, ärmere und instabile Länder den niedrigsten Beitrag. Deutschland zahlte 2022 und 2023 beispielsweise 58 Millionen US-Dollar. Gambia und Bhutan mussten nur etwa 9570 US-Dollar abgeben. Die USA leisten mit 219 Millionen Euro den höchsten Beitrag.

Die WHO kann selbst entscheiden, wie sie diese Festbeiträge verwendet – etwa für die Bekämpfung des Ebola-Virus in Afrika, für die Bekämpfung der Malaria in Südostasien oder für ihre Verwaltung.

Der Großteil der Finanzierung stammt aus freiwilligen Beiträgen

Pflichtbeiträge sind aber nur ein kleiner Teil der Finanzierung. Fünfmal so hoch sind die zugesagten freiwilligen Beiträge der Staaten, zumindest für 2022 und 2023. Länder, aber auch Einrichtungen wie Nichtregierungsorganisationen, entscheiden sich, zusätzliche Mittel bereitzustellen.

Gesamtbeiträge an die WHO
Die Grafik zeigt die Gelder, die der WHO zur Verfügung stehen – aufgeschlüsselt nach Art des Beitrags.
Daten: Weltgesundheitsorganisation

Wie die Grafik zeigt, gibt es drei Arten freiwilliger Beiträge. Freiwillige Kernbeiträge können flexibel verwendet werden. Sie machen aber nur einen kleinen Anteil aus. Betrachtet man alle Gelder für die Jahre 2022 und 2023, kann die WHO nur 17 Prozent ihrer Gelder völlig autonom verwenden.

Die WHO hat nur eine begrenzte Kontrolle über ihre Mittel

Beim größten Anteil freiwilliger Beiträge muss die WHO das Geld für ein bestimmtes Thema oder eine bestimmte Region ausgeben. Die zweckgebundenen freiwilligen Beiträge sind zugleich die unflexibelsten. China kann etwa mit Äthiopien vereinbaren, einen Betrag für die Tuberkulose-Aufklärung bereitzustellen.

Statt das Programm selbst durchzuführen, kann China die Aufgabe so an die WHO weitergeben. Es ist also nicht die WHO, sondern die Geldgeber, die entscheiden, welche Gesundheitsprobleme in Angriff genommen werden. Meist sind das die Mitgliedsstaaten.

Die Organisation agiert dann eher als internationales „Sekretariat“ oder als „Agentur“, die Mitgliedsstaaten Fachwissen zur Verfügung stellt. Sie kann beraten, drängen und vermitteln, aber nicht unabhängig entscheiden. Die WHO bestimmt also die Agenda für die Weltgesundheit nicht selbst. Das tun die Mitgliedsstaaten.

Diese Länder zahlen die höchsten freiwilligen Beiträge
Daten: Weltgesundheitsorganisation

Wenig überraschend: Die Vereinigten Staaten haben die meisten freiwilligen Mittel zugesagt, nämlich rund 2460 Millionen US-Dollar zwischen 2016 und 2023. Nahezu alle Beiträge der USA sind zweckgebunden, ein großer Teil ist entweder für Nothilfe oder für die allgemeine Gesundheitsversorgung bestimmt.

Der zweitgrößte Geber freiwilliger Beiträge ist zugleich der größte Spender der WHO, der kein Land ist: die US-amerikanische Bill and Melinda Gates Foundation. Die 2445 Millionen US-Dollar, die zwischen 2016 und 2023 von ihr stammen, sind an Ziele geknüpft – ein großer Teil an das der Ausrottung der Kinderlähmung sowie an die Bereitstellung allgemeiner Gesundheitsversorgung.

Deutschland ist mit 1716 Millionen US-Dollar an speziell gebundenen Beiträgen und 260 Millionen US-Dollar an thematisch gebundenen Beiträgen der drittgrößte freiwillige WHO-Geldgeber. Maike Voss, Geschäftsführerin des in Berlin ansässigen Think Tanks „Centre for Planetary Health Policy“, sagt: „Deutschlands Interesse an der globalen öffentlichen Gesundheit besteht darin, vier Säulen auszubalancieren“.

Der Bundesrepublik gehe es um vier Dinge. Erstens darum, die Gesundheit der deutschen Bevölkerung zu schützen. Zweitens: „die internationale Gesundheitsordnung zu erhalten und zu stärken“. Ein drittes Ziel sei, seine „Entwicklungspolitik und den Handel mit Gesundheitsprodukten voranzutreiben“, viertens das „Engagement für ‚Gesundheit für alle‘ als Menschenrecht zu zeigen“.

In den vergangenen Jahren sind die deutschen Beiträge um ein Vielfaches gestiegen – von 70 Millionen US-Dollar in den Jahren 2016 und 2017 auf 953 Millionen US-Dollar in den Jahren 2020 und 2021. „Nach der Covid-19-Pandemie wird die Gesundheitssicherheit zum dominierenden Faktor“, begründet Voss den Anstieg. Deutschland betrachte die Finanzierung der globalen Gesundheit strategisch. Das Land setze sich dafür ein, dass die globale Gesundheit auf der internationalen Agenda steht: aus moralischen als auch aus wirtschaftlichen Gründen, etwa mit Blick auf die deutsche biomedizinische Industrie.

Behält Deutschland seine wichtige Rolle in der globalen Gesundheitspolitik?

Zuletzt sind Deutschlands freiwillige Beiträge jedoch gesunken, von 1090 Millionen US-Dollar in 2020 und 2021 auf 578 Millionen in 2022 und 2023. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich Deutschland zurückzieht. Das Land finanziert weiterhin die Vorbereitung der Länder auf gesundheitliche Notfälle (29 Millionen US-Dollar), die Pandemieprävention (55 Millionen US-Dollar) und die Erkennung gesundheitlicher Notfälle (37 Millionen US-Dollar). Außerdem stellt Deutschland nach wie vor 321 Millionen US-Dollar für Notfallmaßnahmen zur Verfügung.

Für die hohe Nothilfe-Finanzierung gibt es politische Gründe. Programme, die einfacher zu verfolgen, zu kommunizieren und zu berichten sind, würden mehr Mittel anziehen, sagt Voss. Es sei einfacher, die Zahl der Menschen zu beziffern, für die Deutschland direkt oder indirekt Impfungen finanziert hat, als zu sagen, dass es ein Gesundheitssystem etwa in Uganda aufgebaut hat.

Das habe zur Folge, dass einige Programme unterfinanziert bleiben. Das gelte zum Beispiel für die Stärkung der Arbeitskräfte im Gesundheitswesen oder die Gesundheits- und Politikforschung. Auch Diplomatie bestimmt, wer wofür Geld gibt. Die Nothilfe in einigen Ländern wurde auf bilateraler Ebene durch deutsche Beiträge aufgestockt.

Diese Länder haben Hilfen von Deutschland empfangen
Die Daten zeigen die erhaltenen Gelder in den Jahren 2020 und 2021.
Daten: Weltgesundheitsorganisation

Nigeria, die Türkei, Afghanistan, Pakistan und die Demokratische Republik Kongo waren die größten Empfänger deutscher Beiträge, die über die WHO abgewickelt wurden. Diese Länder erhielten insgesamt rund 100 Mio. US-Dollar in den Jahren 2018 und 2019.

In den Coronapandemie-Jahren 2020 und 2021 hat Deutschlandseine bilaterale Hilfe deutlich ausgeweitet. So stieg die Hilfe für Indien von nur 11.400 US-Dollar in den Jahren 2018 und 2019 auf 21 Millionen US-Dollar in den Jahren 2020 und 2021.

Ausgaben der freiwilligen Beiträge nach Gesundheitszielen
Daten: Weltgesundheitsorganisation

Die Pandemie forderte von der WHO eine schnelle Reaktion. 47 Prozent aller freiwilligen speziellen und thematisch gebundenen Beiträge für 2020 und 2021 (2992 Millionen US-Dollar) wurden für Notfallmaßnahmen zugesagt. Für 2022 und 2023 beträgt dieser Anteil weiterhin 42 Prozent (2233 Millionen US-Dollar). Das ist fast eine Verdopplung im Vergleich zu 2016 und 2017. In diesen Jahren betrugen diese freiwilligen Beiträge für gesundheitliche Notfälle nur 21 Prozent oder 761 Mio. US-Dollar.

Die durch die globale Pandemie veränderten Umstände haben dazu geführt, dass für bestimmte Initiativen wie die Ausrottung der Kinderlähmung nun weniger Mittel zur Verfügung stehen. In den Jahren 2016 und 2017 gehörte die Initiative mit 1247 Millionen US-Dollar zu den am besten finanzierten Initiativen. Nun sank sie in den Jahren 2022 und 2023 auf 767 Millionen.

Mit Blick auf die Zukunft befindet sich die WHO in einer Sackgasse. Seit Jahren fordert die Organisation eine Erhöhung der Pflichtbeiträge, um ihr Budget autonomer verwenden zu können. In einer idealen Welt würden ihre Ausgaben von gesundheitlichen Prioritäten bestimmt. Derzeit entscheiden aber auch politische Interessen mit.

Das Team

Vihang Jumle
Text und Recherche
Lennart Tröbs
Grafiken
Helena Wittlich
Redigatur, Produktion
Veröffentlicht am 15. März 2023.