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Verlassene Landstriche, wachsende Städte

Wo Europas Bevölkerung wächst und wo sie schrumpft

Die Diskussion um die wachsende Weltbevölkerung dreht sich meist um Asien und Afrika. Aber wie entwickelt sich die Bevölkerung eigentlich in Europa? In manchen Ländern soll sie um die Hälfte abnehmen. Die regionalen Unterschiede sind gewaltig.
Die Diskussion um die wachsende Weltbevölkerung dreht sich meist um Asien und Afrika. Aber wie entwickelt sich die Bevölkerung eigentlich in Europa? In manchen Ländern soll sie um die Hälfte abnehmen. Die regionalen Unterschiede sind gewaltig.

Acht Milliarden Menschen. So viele sollen am 15. November 2022 auf der Erde leben. Ob es dieser genaue Tag ist, ist selbstverständlich unklar. Aber statistisch ist es dieser Tage soweit, verkündeten die Vereinten Nationen am Dienstagmorgen. Und das Wachstum geht weiter: Bis Ende des Jahrhunderts sollen zehn Milliarden den Planeten bevölkern.

Die Weltbevölkerung wächst vor allem außerhalb Europas. Ein Großteil des Wachstums bis 2050 konzentriert sich auf lediglich acht Länder: Indien, Pakistan, Philippinen, Demokratische Republik Kongo, Ägypten, Äthiopien, Nigeria und Tansania. Die Bevölkerung in China, lange Spitzenreiter, wächst wegen der früheren Ein-Kind-Politik inzwischen weniger stark.

Und Europa? Durch den Fokus auf die Weltregionen mit dem stärksten Bevölkerungswachstum wirkt es oftmals, als ändere sich hier kaum etwas. Ein falscher Eindruck, denn die Bevölkerungsentwicklung in Europa unterscheidet sich drastisch nach Ländern – und nach Regionen.

Während die europäische Bevölkerung von 1960 bis 2022 laut dem Statistischen Amt der EU Eurostat von 355 Millionen auf 447 Millionen wuchs, soll sie bis 2100 leicht sinken. Die Summe aller Menschen in Europa bleibt laut Vorhersagen der Population Division der Vereinten Nationen dennoch relativ stabil. Für diese Modelle werden die nationalen Zensus der Länder verarbeitet. Die Zukunftsvorhersagen berücksichtigen Migration, Geburtenrate, Sterblichkeit, Lebenserwartung und weitere Faktoren.

Besonders auffällig ist das vorhergesagte Wachstum für Malta, Irland und Island. Anhand dieser Länder wird deutlich, wie mehrere Faktoren zusammenwirken. So hatte Irland in den vergangenen Jahren mehr Geburten als Todesfälle, eine steigende Lebenserwartung durch bessere Gesundheitsversorgung und mehr Zu- als Abwandernde.

Migration, Renten, Medizin

Migration wird in vielen Ländern maßgeblich entscheiden, ob ihre Bevölkerung zukünftig wächst oder schrumpft. Die Geburtenrate in Europa ändert sich nicht mehr stark. In Kombination mit Migration bedeutet das beispielsweise: In Schweden mit seiner recht hohen Immigration müsste eine Frau im Schnitt 1,2 Kinder bekommen, damit die Bevölkerung gleich groß bleibt. In Rumänien oder Bulgarien müsste jede Frau drei bekommen.

Auch die steigende Lebenserwartung macht einen großen Unterschied. Sie soll in der EU bis 2100 um durchschnittlich 5,1 Jahre steigen. Moderne Medizin und gesündere Ernährung lassen uns älter werden. Das bedeutet auch, dass bis 2100 weniger als zwei Menschen im erwerbstätigen Alter auf einen Menschen in Rente kommen.

In den Modellen stecken allerdings viele Annahmen. Deutschlands Bevölkerungszahl würde laut UN-Berechnung bis 2050 um fünf Prozent abnehmen. Würde sich aber das Gesundheitssystem wesentlich verschlechtern und weniger Einwanderung erlaubt, würde die deutsche Bevölkerung stark schrumpfen.

Noch unklarer ist, wie viele Menschen auswandern werden. Gerade zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz herrscht Konkurrenz um gut ausgebildete Arbeitskräfte. Die Bevölkerungsdichte spielt ebenfalls eine Rolle. Dünn besiedelte Länder wie Schweden, Irland oder Norwegen haben mehr Möglichkeiten, neue Grundstücke zum Bauen freizugeben als beispielsweise Deutschland oder Italien.

In den europäischen Ländern, die der Prognose zufolge bis 2050 besonders viel Bevölkerung verlieren werden, ist fast immer Abwanderung der treibende Faktor. Portugal, Griechenland unnd Kroatien könnten in den nächsten 28 Jahren über 11 bis 18 Prozent ihrer Bevölkerung verlieren, Bulgarien und Lettland sogar über 24 Prozent. Bis 2100 gehen die UN-Modelle gar von einem Bevölkerungsrückgang von knapp 40 Prozent für Italien und Griechenland aus. Bulgarien würde demnach gar 58 Prozent weniger Menschen beherbergen. Aber auch in Deutschland würde die Bevölkerung bis 2100 um 17 Prozent schrumpfen.

Die Perspektive auf Migration über Ländergrenzen verdeckt allerdings eine vielerorts weitaus stärkere Dynamik. Die Bevölkerungsentwicklung der letzten zehn Jahre in Europa zeigt: Die größte Veränderung geschieht durch die Abwanderung vom Land in die Städte.

Diese Dynamik wird sich voraussichtlich fortsetzen. 2018 lebten laut UN Habitat mehr als 75 Prozent der Europäer*innen in urbanen Gebieten. 2040 sollen es 80 Prozent sein, 2050 dann 85. Besonders stark wird die Wachstumsrate der Städte voraussichtlich in ärmeren europäischen Ländern sein, so der World Cities Report.

In West- und Nordeuropa schreitet das urbane Wachstum nur noch langsam voran. Dennoch sieht man auf obiger Karte die großen regionalen Unterschiede: In Deutschland verzeichnen die meisten Regionen in den vergangenen Jahren eine Zunahme der Bevölkerung, Ausnahmen bildeten viele Bundesländer im Osten.

In Österreich hingegen wuchs die Bevölkerung in allen Regionen. In Italien zeigt sich ein starkes Gefälle zwischen dem Süden und dem Norden. Aber in fast allen Ländern wuchsen die Hauptstadtregion besonders. Oft wachsen die umliegenden Gebiete genauso stark – oder sogar stärker wie in Ungarn um Budapest herum. Selbst in Ländern, in denen die Bevölkerung insgesamt abnimmt, steigt sie in den Metropolregionen.

Die Entwicklung ausgewählter europäischer Hauptstädte über die vergangenen zehn Jahre vermittelt einen Eindruck, wie stark manche weiterhin wachsen. Und das, obwohl die Pandemie das Wachstum in manchen Metropolregionen verlangsamt hat.

Im weltweiten Vergleich wachsen Städte in Europa trotzdem nur noch langsam. Sie werden aller Voraussicht nach auch nicht so groß. Denn sie sind bereits dicht besiedelt, Denkmalschutz hält die Häuser niedrig und die Menschen sind seit Jahrzehnten in die Städte abgewandert.

Um sich die Geschwindigkeit der Verstädterung in anderen Ländern vorzustellen: Zu Beginn 2014 lebte noch weniger als die Hälfte der Menschheit in Städten, 2050 sollen es zwei Drittel sein – bei dann neun Milliarden Menschen. Die UN geht davon aus, dass bis zu 68 Prozent davon in Slums leben werden. Diese Städte werden also anders aussehen als die europäischen. Bereits jetzt gibt es 45 Megastädte mit jeweils mehr als zehn Millionen Menschen. In Europa liegen davon nur London und Istanbul.

Das Team

Eric Beltermann
Webentwicklung
Nina Breher
Redigatur
Tamara Flemisch
Webentwicklung
Gaby Khazalová
Datenrecherche
Hendrik Lehmann
Text und Recherche
David Meidinger
Webentwicklung
Veröffentlicht am 14. November 2022.