Umwelt-Belastungen wie Lärm, schlechte Luft und Hitze können krank machen – und sie treffen einige Berliner Kieze besonders schwer. Oft stinkt es nach Abgasen und im Sommer kocht der Beton unter den Füßen.
Um zu ermitteln, wen Umweltbelastungen wo in Berlin besonders treffen, hat die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität und Verbraucher die Stadt in 542 kleine Planungsräume, sogenannte „lebensweltlich orientierte Räume“, aufgeteilt und vier Belastungs-Kategorien erfasst: Lärm, verschmutzte Luft, Hitzegefahr und fehlende Grünflächen in der Nähe. Nur 35 Prozent aller Berliner:innen haben an ihrem Wohnort keine solche Belastung. Die Daten zeigen außerdem, dass Stadtplanung auch eine soziale Frage ist. Denn sozial Benachteiligte und Frauen sind wesentlich häufiger diesen Belastungen ausgesetzt.
In Mitte gibt es die meisten Gegenden mit hohen Belastungen, gefolgt von Friedrichshain und Charlottenburg-Wilmersdorf. Vergleichsweise wenig belastet sind Steglitz, Reinickendorf und Spandau.
„Wer sich in Berlin auskennt, den wundert nicht, dass gerade Quartiere im Innenstadtbereich hoch belastet sind“, sagt Christa Böhme, Stadtplanerin am Deutschen Institut für Urbanistik. Diese Kieze sind nämlich dicht besiedelt, es gibt wenig Grünflächen, dafür aber viel Verkehr. Für eine Großstadt sei das nicht ungewöhnlich, sagt Böhme. „Tendenziell steigen die Umweltbelastungen in den Städten, und gerade der Stadtraum konzentriert sich.“
Die Belastungen verteilen sich nicht nur räumlich ungleich. Sie treffen bestimmte vulnerable Gruppen schwerer als andere.
Während 35 Prozent aller Berliner:innen in unbelasteten Kiezen leben, sind es unter Menschen aus Einwandererfamilien nur 31, bei Frauen 28 Prozent. Letztere sind statistisch betrachtet außerdem am häufigsten vierfach belastet, also sowohl von Lärm, schlechter Luft, aufgeheizten Böden im Sommer und fehlenden Grünflächen in der Nähe.
„Wir gehen davon aus, dass Frauen bei sozialräumlichen Problemen stärker belastet sind“, sagt Gabriele Kämper, im Berliner Senat für Gleichstellung zuständig. Denn Frauen, vor allem Rentnerinnen, seien häufiger arm als Männer. Eine Rolle könnte auch spielen, dass viele Alleinerziehende Frauen sind. Denn Alleinerziehende können häufig nicht viel Geld verdienen. „Dass Frauen einen Großteil der unbezahlten Arbeit übernehmen, führt oft dazu, dass sie sich in den ungesunden, weil günstigeren Wohnlagen wiederfinden“, sagt Kämper.
Lärm, ein Indikator für ungesunde Wohnlagen, kann etwa zu Hörverlust führen, Herz-Kreislauf-Probleme verursachen oder die Leistung beeinträchtigen. Das hat das Schweizer Bundesamt für Umwelt untersucht. Und er schlägt sich auf die Psyche nieder: Menschen, die stark unter Lärmbelästigung leiden, haben ein doppelt so hohes Risiko, mental zu erkranken. Das ergab eine Studie der Universität Lübeck und des Robert Koch-Instituts 2012.
Auch dreckige Luft ist schädlich. Jos Lelieveld, Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemie, hat zusammen mit anderen Wissenschaftler:innen die statistischen Zusammenhänge zwischen Todesrate und Feinstaubbelastung erforscht. Das Ergebnis: Jährlich sterben in Deutschland etwa 120.000 Menschen vorzeitig wegen Luftverschmutzung, oft an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall. Auch Lungen- und Atemwegserkrankungen hängen natürlich mit schlechter Luft zusammen.
Grünflächen helfen, Umweltbelastungen auszugleichen. Sie filtern nicht nur Schadstoffe aus der Luft und sind in Hitzeperioden kühle Refugien. Sie fördern auch die Immunabwehr und laden dazu ein, körperlich aktiv zu werden. Das schreibt das Umweltbundesministerium in der Publikation „Grün in der Stadt“ von 2015. Grünflächen reduzieren womöglich auch Stress. Das untersucht der Psychiater Mazda Adli der Charité in Berlin mit dem Umweltbundesamt. Ergebnisse von Hirnscans deuten darauf hin, dass Grünflächen in der Nähe die stressausgleichenden Areale im Gehirn stärker aktivieren können.
Gerade für weniger mobile Gruppen wie ältere Menschen oder Kinder sind nahe gelegene Grünflächen wichtig. Kinder, die kaum Grün in ihrer Nähe haben, sind etwa mit höherer Wahrscheinlichkeit fettleibig. Darauf weisen Forscher:innen der Vytautas Magnus University aus Litauen und des Zentrums für Umweltepidemiologische Forschung in Barcelona hin.
Knapp 30 Prozent aller Berliner Kinder und Jugendlichen können städtisches Grün schlecht erreichen. Sie müssen mindestens 500 Meter zu einer Grünfläche laufen. Insgesamt ist etwa die Hälfte aller Berliner:innen nur mittel oder schlecht mit Grünflächen versorgt.
Orientierungswerte des Fachmagazins „Stadt + Grün“ geben an, dass alle Einwohner:innen im Umkreis von 500 Metern eine Grünfläche haben sollte, die größer als ein Hektar ist. Was öffentliches Grün ist, sei bundesweit allerdings nicht einheitlich definiert, sagt Stadtentwicklerin Böhme.
Definitive Zusammenhänge zwischen Umweltbelastungen und der Gesundheit abzuleiten, findet sie zudem schwierig. „Man muss sich immer fragen: Lässt es sich wirklich nur auf das Wohnumfeld zurückführen? Wir bleiben ja nicht unser Leben lang an einem Ort.“ Umzüge, Wege zur Arbeit und weitere Faktoren – es sei schwer, genau nachzuvollziehen, was davon sich auf die Gesundheit auswirkt. Als weiteren Schritt empfiehlt Böhme deshalb, alle Bewohner:innen zu befragen, um mehr über deren Lebensalltag zu erfahren.
Ist zumindest Wohnraum dort günstiger, wo es die meisten Belastungen gibt? Auf den ersten Blick scheint in Berlin genau das Gegenteil der Fall zu sein: In den Bezirken mit den höchsten Belastungen sind die mittleren Nettokaltmieten am höchsten. In Mitte, dem am meisten belasteten Bezirk, sind Mietwohnungen am teuersten: 14 Euro pro Quadratmeter im Durchschnitt. Am günstigsten sind die Mieten in Spandau mit 8,22 Euro – dort, wo die wenigsten Belastungen vorkommen. Das zeigt der Wohnungsmarktbericht des IBB von 2021.
Wie sich das bizarre Verhältnis der Umweltbelastungen und Mietkosten erklären lassen kann, weiß Christa Böhme. Zum einen müsste man in den Bezirken etwas genauer differenzieren, sagt sie. So stehe etwa der Bereich um das Kottbusser Tor in Kreuzberg nicht für den gesamten Bezirk, auch Charlottenburg-Nord unterscheide sich von anderen Teilen der Gegend. Darum müsse man sich auch die jeweiligen Mietkosten in den kleineren Lebensräumen anschauen. ‚ Wichtig sei außerdem, wer die Freiheit hat, den lauten Kiez auch mal zu verlassen. „Manche möchten in der Innenstadt wohnen. Meist sind das auch besser Situierte, die die Ressourcen haben, am Wochenende einen Ausflug ins Grüne zu machen“, sagt Böhme.
Die Datensätze des Umweltgerechtigkeitsatlas speisen sich aus unterschiedlichen Datensätzen aus verschiedenen Jahren (siehe Quelle), da der Senat die jeweiligen Indikatoren in unterschiedlichen Perioden erhebt. Je mehr dieser Daten miteinander in Verbindung gebracht werden, desto schwieriger wird der Vergleich, wie der Senat in den Grenzen der Methodik erläutert. Dennoch sei der Atlas aussagekräftig genug, um auf die größeren Zusammenhänge hinzuweisen. Zum Vergleich mit den Einwohner:innen wurde der aktuellste Datensatz von Juni 2022 verwendet, um möglichst genau die aktuelle Lage darstellen zu können.