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Die schönsten Liebesbriefe

„Nimm hin den Gruß, den süßen Kuß“

Die Linguistin Eva Lia Wyss hat ein Archiv mit mehr als 22.000 privaten Liebesbriefen aufgebaut. Eine Reise durch ein Jahrhundert Erotik, Leidenschaft und Kitsch
Die Linguistin Eva Lia Wyss hat ein Archiv mit mehr als 22.000 privaten Liebesbriefen aufgebaut. Eine Reise durch ein Jahrhundert Erotik, Leidenschaft und Kitsch
Geehrtes Fräulein G.
Möchte mich vorerst wegen meinem Betragen am gestrigen Abend entschuldigen. Hoffentlich zürnen sie mir nicht mehr! Bin am heutigen Morgen gesund und munter angekommen. Hoffentlich haben sie bei Ihren Eltern keine Unannehmlichkeiten gehabt was mir sehr Leid Tun würde. Wenn sie mir nicht mehr zürnen, so würde ich mich sehr freuen einmal Nachricht von Ihnen zu erhalten: Auf jedenfall würde ich sehr erfreut sein wenn ich sie am folgenden Sonntag am Millerntor erwarten dürfte wenn es Ihnen recht ist 8 Uhr. Bis dahin seien sie herzlich gegrüßt von Ihrem Paul—
Bild: Liebesbriefarchiv LB_00741_0001

Hamburg, 1910er Jahre. Paul macht eine Bekanntschaft – und benimmt sich daneben. Am nächsten Tag bittet er um Verzeihung und eine zweite Chance, Sonntag um acht am Millerntor. Gibt der Wortlaut sich sittsam, herrscht auf dem umseitigen Postkartenmotiv Sturm und Drang. „Der ewige Augenblick“ heißt das dort abgebildete Gemälde von Maximilián Pirner. Die Ewigkeit fand nicht statt. Die zwei wurden kein Paar.

Die Postkarte (oben) ist eine von Tausenden amourösen Bekundungen, die im Archiv der Sprachwissenschaftlerin Eva Lia Wyss liegen. 1997 hatte die heute in Koblenz lehrende Schweizer Professorin die Idee, Liebesbriefe als Alltagsartefakte zu untersuchen. „Im Jahr darauf hat es Briefe auf mein Pult geregnet“, erzählt Wyss per Video aus ihrem Zürcher Homeoffice, „nach sechs Monaten hatte ich 2500 Stück.“ Inzwischen sind es mehr als 22.000. Wir zeigen einige der schönsten.

Nach 1945 weicht das „emotionale Regime“ auf

Liebesbriefe seien stets auch Selbstinszenierungen, sagt Eva Lia Wyss, der auch nach beinahe 25 Jahren Liebesbriefforschung ihr Enthusiasmus anzumerken ist. „Die Schreibenden betonen, sie wüssten nicht, wie sie ihre Gefühle ausdrücken sollten. Man könnte darin einen Unsagbarkeitstopos sehen, es ist aber auch eine strategische Bescheidenheit: Ich formuliere hier so viele gewichtige Zeilen, weiß aber gar nicht, ob das gut bei dir ankommt.“

Auch in Sachen Sex hätten sich Verliebte lange mit Andeutungen begnügt. „Die Männer schrieben dann über die Augen der Frauen, über ihre Lippen und über ihre Körper. Das waren – und sind bis heute – drei zentrale Elemente des männlichen Codes.“ Erst in den Nachkriegsjahrzehnten sei das „emotionale Regime“ etwas aufgeweicht, sagt Wyss. „In den achtziger Jahren sind dann auch Anreden wie ‚Mein Liebesgott‘ oder ‚Mein Sexgott‘ möglich.“

Vergiss mein nicht (um 1900)

„Meine Äuglein weinten heute schon viele Thränen“, schreibt die in München vom in die Schweiz abgereisten Oskar unglücklich zurückgelassene Sänli auf das mit Rosen und Vergissmeinnicht-Blüten verzierte Papier. Dass ihr Brief, der von der vorletzten Jahrhundertwende stammt, voller lyrischem Überschwang ist, sei außergewöhnlich, sagt Wyss. „Im 19. Jahrhundert gab es in der Ratgeberliteratur eine Kodierung des Begehrens, laut der Männer Leidenschaftlichkeit durch Literarizität ausdrücken sollten. Frauen dagegen sollten einfach züchtig den Brief beantworten.“

Für solch vornehme Zurückhaltung hatte Sänli keine Geduld. Wie es mit ihr und Oskar weiterging, ist nicht bekannt. Der Rosenbrief war ein Zufallsfund eines Mannes, der Jahrzehnte später das Haus kaufte, in dem sich die Seiten befanden. Er überließ sie Eva Lia Wyss und ihrem Liebesbriefarchiv – das weiterhin um Zusendungen bittet. Die intime Schriftlichkeit früherer Generationen ist in ihm tausendfach verewigt. Geheim bleibt nur, was auch das Papier nichts angeht: die intime Mündlichkeit.

Lieber Oskar!
So sei’s nun, daß Du wieder von hier ziehen willst. Schwer ist es mir zu Muthe; denn mein armes Herz fühlt sich jetzt so verlaßen, und meine Äuglein weinten heute schon viele Thränen. Lieber Oskar, ach könnte ich es Dir sagen, wie so sehr ich Dich liebe, aber mein armes Herz muß es Dir verhehlen, weil es nicht genug paßende Worte dafür findet. In süßester Erinnerung werden mir alle diese schönen Stunden bleiben, die ich an Deiner theuren Seite zugebracht. O, ich fühlte mich jedesmal so glücklich, wenn ich bei Dir war, und wünschte mir öfters so im Stillen, könnte ich doch nur dieses liebe Herz „Mein“ nennen. Mein Lieber, gewiß schlägt mein Herz warm u. edel für Dich; und Du wirst stets das Ideal meines Herzens sein. Noch eins Oskar, daß Du mir nicht böse sein wirst, daß ich mir erlaubte an Dich zu schreiben; aber der Drang des Herzens zu Dir, forderte mich dazu auf. Nimm hin den Gruß, — den süßen Kuß, von Deinem armen, verlaßenen Sänli
Bild: Liebesbriefarchiv LB_00097_0004

Als wir flogen (1931)

Dieser Brief ist Teil eines Dachbodenfundes, der Korrespondenzen mit mehr als 20 Verehrern aus den Jahren 1926 bis 1939 enthält. Sie gehörten einer Frau in Zürich, die sich Anfang 1931 in Neapel aufhielt, wohl bei ihren Eltern. Der hier als „Solo“, ein Burschenschaftsname, pseudonymisierte Autor schreibt vieldeutig: „Wann kommst Du heim? (…) Wenn man so im elterlichen Hause bemuttert & mit strengem Vaterernste zurückgebunden wird, muss man das Fliegen auf die Zeit verlegen, wo keine Schranken einen hindern. – Begreifst Du?“

Mein liebes Lisel, Du lustiger Firlefanz,
Teu-teu-teu möchte ich auf den Tisch pochen. Verstehst Du dies? Deine – na hör mal, was kam Dir wohl in den Sinn – Deine vier Seiten waren gerade zu eine Ueberraschung. Pass beim Kastor und Pollux nur auf, dass Du mich nicht verwöhnst. (…) Du erinnerst mich an den nächsten Sonntag vor einem Jahr – hm – schnalzen könnte ich mit der Zunge dabei – die Lippen zurücksaugen, dass selbst auf die Entfernung Z.–Neapel hin Dein Brüstchen darob spitz werden möchte & und Du zu zittern & beben anfingest wie auf jenem 1 ½ m² Bodenfläche, der dem Menschen genügen kann, um sich glücklich zu fühlen, (…) Mensch zu Mensch sein zu können ohne Hinterhalt, Hinterlist & Berechnung, ohne instinktiv-bestialisch sich gebärden zu müssen, sondern (…) sinnlich & seelisch zu lieben. So war es doch – wenn ich mich nicht täusche. Auch Du stehst dazu – schriebst doch so zaghaft-fesch von einer gewissen Süssigkeit jener Champagnerstübchen Stimmungen, Heimeligkeiten & ungezwungener Lässigkeit (…). Lieb ist mir zu wissen, dass Du es süss empfunden & diese Süssigkeit noch in Deinen Nerven fühlst (…). Ich möchte, ich könnte sie Dir wiederverschaffen, mit Dir teilen & selbst daran betäubt an Deinem Herzen ruhen. (…) Und nun Du drolliges, tolles, fesches Sapperlots-Maidlein – lass Dich küssen, küssen, küssen, dass all der Küsse müde Du in Dein Bett sinkest (…), vom unverbesserlich wohl meinenden Solo
Bild: Liebesbriefarchiv LB_00175_0007

Wie das Leben entscheidet (1946)

Als Soldat im Zweiten Weltkrieg hat der Autor dieses insgesamt achtseitigen Briefes bei einem Flugzeugabsturz schwere Knochenbrüche erlitten. Im Herbst 1946 ist er noch immer angeschlagen. „Am Ende hat sie ihn nicht haben wollen“, erzählt Forscherin Wyss. „Ich habe erst kürzlich mit ihr gesprochen, sie ist über 90. Ich sagte: Warum haben Sie den denn nicht haben wollen? Warum den anderen? Er hat doch viel besser geschrieben!“

Liebste Eva!
Halloh! Ein Hot kommt aus unserem klapprigen Lautsprecher! Momentan ein doller Carioca. Kennst doch hoffentlich diesen zum Bauchtanz neigenden mexicanischen Tanz? Meine Stimmung ist heut überhaupt bestens, denn ich habe seit Dienstag zum ersten Mal wieder einen Brief von Dir gutem Stückchen. (…) O’ Du schräger Vogel! Um ½ 8 erst nach Hause! Da muss es ja bestimmt sehr nett gewesen sein! Aber mit den Gedanken, die Du mir „in den Kopf legst“ („Mund“ kann man ja schlecht sagen, nöch?), hast Du Dich doch sehr getäuscht. Ich bin doch nicht so ein „Primitivling“, der alle Mädchen, die überhaupt nur mal und gleich auf welche Weise und zu welchem Zwecke mit Tommies zusammenkommen, verurteilt. (…) Du, das wird wohl kaum was sein mit meiner Teilnahme an Eurem Januar-Fest! (…) Mädchen, ich kann doch nur geradeso eben Swing tanzen, eventuell Wiener Walzer, aber das ist noch fraglich. Sieh mal, es ist überhaupt allerhand, dass ich schon das kann, denn mein Fahrgestell ist noch alles andere als kräftig, hat – man kann fast sagen jahrelang in Schienen, Gipsen und Ähnlichem gelegen. (…) Soeben erklingt der Chanson „Parlez-moi d’amour“! Leichtsinnige Aufforderung, oder nicht?!!! (…) Sag’ mal Kleines, so für den Fall der Fälle: Kann ich denn in Recklinghausen übernachten? Du brauchst nicht gleich zu befürchten, dass ich nun gleich angerauscht komme, denn ich liege ja Gottseidank noch im Bett! Schönen Montag, kleine Eva, und recht viele Grüsse von Deinem S.
Bild: Liebesbriefarchiv LB_00266_0011

Belangloses zuerst (1980)

„Wie geht es Dir? Mir geht es schlecht“, beginnt die 1980 elfjährige Autorin ihre Feriengrüße. Nach pflichtschuldigem Abhandeln des Wetters (immer sonnig) schreibt sie: „Was machen Deine Tiere? Meinen geht es allen gut. Wenn ich komme, dann bringe ich Dir eine kleine Schildkröte mit. Ich weis nicht mehr was ich schreiben soll.“ Die wichtigste Botschaft steht ohnehin auf der Rückseite.

Lieber E.!
Wie geht es Dir? Mir geht es schlecht, weil ich nicht mehr bei Dir bin, und weil am Montag die Schule wieder anfängt. Aber wir kommen in drei Wochen wieder. Wie ist bei euch das Wetter? Bei uns scheint die ganze Zeit nur die Sonne. Gestern war ich bei unseren Nachbarn schwimmen. Was machen Deine Tiere? Meinen geht es allen gut. Wenn ich komme dann bringe ich Dir eine kleine Schildkröte mit. Ich weis nicht mehr was ich schreiben soll. (Schreibe bitte zurück)
Bild: Liebesbriefarchiv LB_00208_0006

Militanter Minnesang (2009)

„Wir haben schnelle Pferde, sind bewaffnet und haben einen eisernen Willen“, informiert der anonyme Verehrer die Empfängerin dieses Briefes von 2009, „nur leider keinen Plan, wie wir die Festung erobern können“. Eingefügt ist ein Bildausriss, der drei Reiter zeigt: „meine Kumpels und ich – die Bandidos“. Ob die Avance zielführend war, ist nicht überliefert.

Warum ich Dir schreibe willst Du bestimmt wissen... Das hier sind meine Kumpels und ich – die Bandidos… und wir sind gekommen, um Dich zu holen… Wir haben schnelle Pferde, sind bewaffnet und haben einen eisernen Willen… nur leider keinen Plan, wie wir die Festung erobern können… HILF UNS! Bild: Liebesbriefarchiv LB_00696_0001
Mitmachen

Wer seine Liebesbriefe dem Archiv überlassen möchte, kann sich an liebesbriefarchiv@uni-koblenz.de oder Liebesbriefarchiv, Universität Koblenz, Universitätsstr. 1, 56070 Koblenz wenden. In Zusammenarbeit mit Forschenden der TU und der Hochschule Darmstadt werden die Bestände derzeit digital erschlossen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Seit April 2021 fördert das Bundesforschungsministerium das auf drei Jahre angelegte Projekt mit einer halben Million Euro.

Einige Namen und Orte wurden aus rechtlichen Gründen abgekürzt.

Über die Autoren

Eric Beltermann
Webentwicklung
Cornelius Dieckmann
Text
Manuel Kostrzynski
Artdirektion
Veröffentlicht am 26. Mai 2021.