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Zuerst kreisten Flieger über ihrem Dorf. „Wir sahen die Flugzeuge, wussten aber nicht, was sie bedeuten.“ Etwa zehn Jahre ist das her. Christine Nyangoma, vier Kinder, alleinerziehend, ist eine zierliche Frau. Sie trägt ein glitzerndes Kleid und Pferdeschwanz. Mit müder Stimme erzählt sie von dem, was seit 2012 passierte.

Nach den Flugzeugen kamen Beamte des Ministeriums für Energie und Ölentwicklung in das Dorf nahe des Albertsees in Uganda. Sie beriefen eine Gemeindeversammlung ein. Das Land werde für den Bau einer Raffinerie benötigt – und für den Kabaale International Airport, einen neuen Flughafen für die Region, in der ab 2025 Öl gefördert werden soll. 2012 standen dort Hütten, Scheunen, Ziegen.

Heute sieht man hier eine planierte Mondlandschaft, die später die Landebahn sein wird. Die Männer hätten eine Entschädigungszahlung oder die Umsiedlung in ein neues Haus mit Land versprochen, nach international anerkannten Standards. Alle Menschen würden profitieren. „Die Versprechen waren so groß“, sagt Nyangoma.

Doch das mit den Versprechen ist so eine Sache. Auf der einen Seite: 1,2 bis 1,7 Milliarden Barrel förderbares Öl, pro Tag sollen 220000 Barrel aus der Erde gepumpt werden – in Russland sind es im Schnitt 10,1 Millionen. Auf der anderen Seite ein Land, in dem der durchschnittliche Monatslohn 2020 bei umgerechnet 53 Euro lag und 70 Prozent in der Landwirtschaft arbeiten. Auf der einen Seite: Mehr als zehn Milliarden Dollar Gesamtinvestitionen, bessere Straßen, die Hoffnung auf etwas mehr Teilhabe am Weltmarkt, auf dem der Ölpreis wieder stark steigt. Ugandas Präsident Yoweri Museveni versprach, die Wirtschaft könnte ab Beginn der Ölproduktion um zehn Prozent jährlich wachsen. Energieministerin Mary Goretti Kitutu sprach von mehr als 160 000 neuen Jobs.

Auf der anderen Seite: Zehntausende wie Nyangoma, die für das Öl ihr Haus oder Land verlieren – und der Zweifel, ob der Wohlstand je bei der Bevölkerung ankommt.

Zwischen den Ölvorkommen am Albertsee im Westen Ugandas und dem Meer in Tansania, wo das Öl auf Tanker verladen werden soll, liegen Nationalparks und einige der artenreichsten Gebiete des Planeten. Umweltschützer sagen: Unverantwortlich! Und: Wenn wir jetzt noch neue Ölvorkommen erschließen, wird das 1,5-Grad-Ziel unmöglich und die Klimafolgen noch schlimmer, gerade in Ländern wie Uganda, das schon heute stark davon betroffen ist.

Der französische Ölkonzern Total, der chinesische Konzern CNOOC sowie die Regierungen von Uganda und Tansania erschließen das Ölvorkommen am Albertsee trotzdem. Um das Öl von den zwei Fördergebieten Tilenga und Kingfisher bis zum Meer zu bekommen, baut das Konsortium die längste beheizte Rohölpipeline der Welt, die East African Crude Oil Pipeline (EACOP): 1443 Kilometer bis nach Tanga am indischen Ozean.

Im Februar 2022 fiel die finale Investitionsentscheidung. Schaut man sich die geopolitische Landkarte an, wird klar: Es könnte der Beginn eines Ölbooms in der ganzen Region sein. Und weil Europa aufgrund der Invasion der Ukraine kein Öl mehr aus Russland kaufen will, wird afrikanisches Öl attraktiver.

Was bedeutet eine solche Großoperation in einem Land, das laut Entwicklungsindex der Vereinten Nationen 2020 gerade einmal auf Platz 159 von 189 landet? Was ist dran an den Warnungen der Menschenrechts- und Umweltorganisationen? Wir haben mit Menschen vor Ort gesprochen. Das Bild, das sich dabei abzeichnet, ist weniger glamourös als die Prospekte der Energiekonzerne.

Die Vertriebenen

Christine Nyangoma verlor ihr Zuhause, weil ihr Mann mit der Entschädigung verschwand. Foto: Isaac Kasamani

Nyangoma gehört zu den Menschen, die in Firmen- und Regierungsdokumenten „PAP“ genannt werden, „Project Affected Persons“ – vom Projekt betroffene Personen. Oxfam geht von 60 000 Betroffenen in Uganda und Tansania allein durch die Pipeline aus, die ugandische NGO Afiego von mindestens 100 000 durch Pipeline und Ölförderung, die französische NGO Amis de la Terre von mehr als 117 000. Total nennt auf Anfrage 18 800 PAP im Fördergebiet Tilenga und durch EACOP, nur 723 davon müssten umgesiedelt werden. Laut Definition der Internationalen Finanz-Corporation der Weltbank könne eine PAP jedoch auch einen Haushalt bezeichnen.

In Kabaale soll außer dem Flughafen auch ein Ölverarbeitungsterminal und eine kleine Raffinerie für den nationalen Bedarf entstehen. Viele Betroffene hier entschieden sich für Geld anstatt Umsiedlung. So auch der damalige Ehemann von Christine Nyangoma. Dann verschwand er mit der Entschädigung. Bis heute wisse sie nicht, wo er sei.

Wie ihr gehe es zahlreichen Frauen, berichtet Afiego. In Uganda ist der Großteil des Landes traditionell in Männerhand und wird von den Vätern an ihre Söhne vererbt. Nur 15 Prozent der Frauen haben laut der UN-Organisation FAO Besitz- oder Eigentumsrechte. Die Entschädigungen für Land, Pflanzen oder Häuser würden jedoch an die jeweiligen Haupteigentümer bezahlt. Immerhin gehörte Nyangoma ein kleines Stück Land, bezahlt von Ersparnissen aus ihrer Arbeit als Schneiderin. Sie wählte für sich und die Kinder die Option der Umsiedlung, gemeinsam mit 93 anderen Familien aus dem ehemaligen Dorf.

Die neue Ortschaft heißt Kyakaboga Resettlement Village und ist gut 15 Kilometer von der alten Siedlung entfernt. Wer hier hin will, muss über staubige Straßen fahren. Die roten Böden sind karg. Schon von weitem sieht man auf einer Anhöhe eine schnurgerade Reihe gelber Häuser mit roten Dächern, alle baugleich. In einem der Häuser hat Christopher Opio sein Büro. Er hat eine Anwohnervereinigung gegründet, nachdem seine Familie umgesiedelt wurde. Er sagt: Mit der traditionellen Lebensweise hat die neue Siedlung nichts zu tun.

Normalerweise stehen die Häuser auf dem Land einzeln inmitten des eigenen Grundstücks. Im Kyakaboga Resettlement Village wurden die Häuser penibel aufgereiht. Das führt zu Problemen. Foto: Isaac Kasamani

Vor dem Umzug in die Ersatzsiedlung hieß es warten. Die Schule wurde schon 2013 geschlossen. „Das Dorf glich irgendwann einer Geistersiedlung mit nur wenigen bewohnten Häusern“, erinnert sich Opio. Die verbliebenen Bewohner bekamen die Auflage, auf ihrem Land nur Pflanzen anzubauen, die sich in kurzer Zeit abernten lassen.

Das Problem: 39 Prozent der Landwirtschaft in Uganda dient dem Eigenbedarf. Viele Felder gleichen eher Wäldern als deutschen Kornfeldern. Pflanzen wie Kochbananen, Maniok oder Jackfruit sind Stauden, Sträucher und Bäume. Bis sie tragen, dauert es oft Jahre. Dass diese Ernten wegfielen, auch an anderen Orten des Öl-Projekts, habe zu Nahrungsmittelunsicherheit und Einkommensverlusten geführt, kritisieren Menschrechtsorganisationen.

Die Ersatzsiedlung wurde erst im März 2018 fertig. Wo sie gebaut wurde, durften die Bewohner nicht mitentscheiden. Und was dort gebaut wurde, „ist eher ein Lager als ein Dorf“, sagt Opio. Er bittet in sein Büro und zeichnet auf, wie Familien vorher lebten: Jede auf ihrem Land inmitten der eigenen Felder. Um das Haupthaus gruppierten sich andere kleine Gebäude, Vorratskammern oder Ställe. Wenn ein Sohn 18 Jahre alt wurde, bekam er eine eigene Hütte auf dem Grundstück. Mehrere Generationen lebten so zusammen.

Christopher Opio setzt sich für die Rechte der verdrängten Bevölkerung ein. Auch seine Familie musste dem Öl weichen. Foto: Hendrik Lehmann

Nach der Umsiedlung erhielten alle Familien ein Standard-Haus als Ersatz – drei kleine Schlafzimmer, ein winziges Bad, ein Wohnraum, hinterm Haus Kochstelle und Latrine, nur ein paar Meter Abstand zum nächsten Haus. Das führt zu Konflikten, sagt Opio: Ziegen laufen übers Grundstück der Nachbarn und essen Maniok, der in der Sonne zum Trocknen liegt. Es gibt keinen Platz für Gerätschaften, keine Privatsphäre für Jugendliche. Und wenn jemand nachts auf den Feldern klaut, wacht niemand davon auf. Manche Dorfbewohner bauten sich deshalb eine zusätzliche Hütte inmitten ihrer Felder – auf eigene Kosten.

Christine Nyangoma bekam kein Ersatzhaus, denn auf ihrem Stück Land stand zuvor kein Haus. Und ihr Ex-Mann wurde ja für das Haus entschädigt, in dem sie lebte. Also musste sie ihr neues Lehmhaus selbst bauen. Die Dorfgemeinschaft half ihr. Es ist höchstens 30 Quadratmeter groß.

Im Vorraum hat sie ihr Nähzimmer, mit einer mechanischen Singer-Nähmaschine schneidert sie Schuluniformen und Kleider. Von den Einnahmen bezahlt sie das Schulgeld für ihre Kinder. Und die helfen nach der Schule oft auf dem Feld, so wie durchschnittlich 28 Prozent aller Kinder in Uganda. Eineinhalb Kilometer ist das Feld nun vom Haus entfernt, Werkzeuge und Ernte transportieren sie zu Fuß oder auf dem Rad.

Christine Nyangoma in ihrem Haus an der Nähmaschine. Alle paar Monate, wenn sie genug Geld zusammen hat, fährt sie mit dem Bus in die Hauptstadt, um neue Stoffe einzukaufen. Foto: Isaac Kasamani

Nach dem Umzug der nächste Schock: 2019 habe die Regierung mitgeteilt, dass auch dieses Land von der Ölförderung betroffen ist – durch eine Zubringer-Pipeline für die Ölbrunnen im Norden des Albertsee. „Ich dachte, ich sei sicher, als ich hierherkam“, sagt sie. „Doch wenn man in der Nähe der Pipeline lebt, weiß man nie, was als nächstes passiert.“

Der Ankläger

Jelousy Mugisha wurde ebenfalls enteignet. Doch ein neues Haus bekam er nicht. Foto: Hendrik Lehmann

Jelousy Mugisha hat beschlossen, sich das Ganze nicht gefallen zu lassen. Der großgewachsene hagere Mann lebt im Distrikt Buliisa, etwas weiter nördlich. Dort sind am meisten Menschen in Uganda vom Öl betroffen. Mit 423 Brunnenlöchern fördert Total hier künftig den Großteil des Öls, bis zu 190 000 Barrel am Tag. Weil er die angebotene Entschädigung viel zu niedrig fand, sagte Mugisha vor Gericht aus. Erst in Uganda, dann in Frankreich. Das Ergebnis: Einschüchterungen und bis heute kein neues Zuhause.

Mugisha hat auf einem kleinen Stück Land von Verwandten eine temporäre Bleibe für sich, Frau und Kinder gebaut. Ihn zu besuchen, ist kompliziert. Der Weg führt über holprige Nebenstraßen, denn auf der Hauptstraße nach Buliisa gibt es Checkpoints, in der gesamten Region sind viele Sicherheitsleute präsent, manche von der Regierung, manche von privaten Sicherheitsfirmen im Auftrag der Unternehmen. „Da können wir nicht durch mit Kameras im Auto“, sagt der lokale Aktivist, der den Weg zeigt. Würde er zusammen mit Weißen am Checkpoint auftauchen, sei sofort klar, was los ist. Denn Kritik am Ölprojekt sei nicht erwünscht. Zu viele seien bedroht, verhaftet, eingeschüchtert worden, wenn sie kritisch über das Großprojekt sprachen.

Mugisha sagt, ihm wurde kein Ersatz angeboten für sein Zuhause, sondern Bargeld. Denn sein Haus wurde als Zweitwohnsitz eingestuft. 12,5Millionen ugandische Schilling, das sind ungefähr 3300 Euro. Er wollte aber ein neues Haus, wenn man ihm schon seines nehme. Und für das Geld könne er woanders kein neues Zuhause bauen. Die Unterfirma habe seinen Fall an Total weitergegen, dann an ein ugandisches Gericht. Sie entschieden gegen ihn. „Wir versuchen nicht, Totals Projekt zu sabotieren“, sagt er. „Aber sie müssen unsere Rechte ernst nehmen.“

Weil Mugisha mit seiner Forderung nicht durchdrang, sagte er in Frankreich gegen Total aus – im Rahmen einer Klage der ugandischen NGO Afiego und der französischen Amis de la Terre gegen Total. Bisher ist es für internationale Konzerne meist einfach, in Afrika zu agieren: Gibt es Probleme, können sie die Verantwortung auf Unterauftragnehmer schieben. Ein neues Lieferkettengesetz, das loi de vigilance, erlaubt aber seit 2017, den wirtschaftlichen Profiteur am Ende der Kette zu belangen. Nach der Rückkehr wurde Mugisha am Flughafen Entebbe von der Polizei festgenommen. „Warum gehst du nach Frankreich vor Gericht, wenn wir auch in Uganda Gerichte haben?“, habe man gefragt. „Mach das nicht noch mal, wir warnen dich ernsthaft.“

Ohne Anklage wurde er am Abend wieder freigelassen. Später habe er anonyme Droh-Anrufe erhalten. Das Verfahren ist noch offen. So lange bleibe er ohne Zuhause. Total nimmt zu dem konkreten Fall keine Stellung, sondern nur allgemein: Das Unternehmen dulde keine Drohungen gegen diejenigen, die Menschenrechte friedlich verteidigen.

Die Wasserträgerinnen

Aisha Tumuheirwe holt regelmäßig Wasser neben der Straße – so wie die meisten aus ihrem Dorf. Foto: Isaac Kasamani

Es ist schwer, die Aussagen der Menschen vor Ort unabhängig zu bestätigen. Aber es gibt zu viele Vorkommnisse wie die von Nyangoma oder Mugisha, um sie als Einzelfälle zu sehen. Die Organisation Oxfam führte eine Studie in Uganda und Tansania durch und befragte 1211 Menschen aus 36 Dörfern. Das Ergebnis: Entschädigungen kamen zu spät, Bewertungsmaßstäbe waren nicht nachvollziehbar, es fehlte an Transparenz.

Einige der Probleme liegen wortwörtlich am Straßenrand. Während Flughafen, Bohrlöcher und Verarbeitungsanlagen gebaut werden und die Pipeline noch nicht zu sehen ist, sind die neuen Straßen unübersehbar. Um gigantische Mengen an Materialien und Arbeitskräften zu transportieren, baut die ugandische Regierung sogenannte Oil Roads durch die Regionen entlang des Albertsees. Ein großer Teil ist schon fertig.

Die nagelneuen asphaltierten Straßen sind ein seltener Anblick in Uganda, wo die meisten Menschen alles von Hühnern bis zu Bananenstauden zu Fuß, auf dem Fahrrad oder auf Motorradtaxis befördern. Die Straßen sind Ugandas Anzahlung, um es den Ölfirmen einfacher zu machen. Der Bevölkerung werden sie als zukunftsweisende Entwicklung für das Land angepriesen.

Die neuen „Oil Roads“ sind breiter, glatter und sauberer als manch europäische Schnellstraße. Foto: Hendrik Lehmann

Das Geld dafür allerdings hat sich die Regierung teils von chinesischen Gebern geliehen, nur einzelne werden von den Ölfirmen selbst gebaut. Würde es am Ende nicht klappen mit der Ölförderung, bliebe das Land auf den Schulden sitzen.

Wer über die Straßen fährt, ist meistens einsam. Außer großen Lastern mit Baumaterialien und Pick-ups der Ölfirmen finden sich nur vereinzelte Motorräder und Schulkinder, die zum nächsten Ort laufen. Einen Bordstein für Fußgänger haben die Bauherren anscheinend nicht eingeplant.

Und vielerorts haben die Straßen unerwartete Nebenwirkungen. In der Siedlung Nyairongo zum Beispiel. Neben der Schnellstraße, die auf einem Wall liegt, geht es einige Meter hinab. Dort unten schöpfen Frauen und Kinder mithilfe von Bechern und Schalen Wasser in neongelbe Kanister aus dem braunen Rinnsal, das unter der Straße hervortritt. Zahlreiche Familien leben von diesem Wasser. Feste Leitungen gibt es meist nur in den Städten, und auch dort nicht überall.

Eine der Frauen an der Wasserstelle ist Aisha Tumuheirwe. Das Wasser hier fließe seit dem Bau der Straße schlechter, erzählt sie. Die Straßenbaubehörde habe versprochen, dass man eine neue, bessere Wasserstelle bauen werde, erzählt ein anderer Dorfbewohner.

Die Wasserstelle neben der Straße am späten Nachmittag. Foto: Hendrik Lehmann

Die neue Wasserstelle gibt es auch, einige Meter weiter. Ein Tümpel, am Ufer grasen Ziegen. Doch Wasser, das zum Trinken benutzt wird, muss fließen, sagen die Menschen hier. Zu viele Keime sammeln sich in stehendem Wasser. Also holen die meisten ihr Wasser weiter an der Straße.

Das Wasserproblem zieht sich durch die Region wie die neu gezogenen Straßen. Einige Orte weiter klagt der Ortsvorsteher von Bwendero Village. In seinem Dorf gibt es eine saubere, eingefasste Quelle. Ein seltener Luxus. Doch auf der Oil Road durch sein Dorf sammelt sich bei dem typischen Starkregen mancher Jahreszeiten so viel Wasser, dass Löcher in die Wege durchs Dorf gespült werden. Dadurch sei es viel mühsamer geworden, bergab zu der Quelle zu gelangen. Und die versprochenen Seitenstraßen, die Dorfwege an die neue Hauptstraße anschließen sollten, wurden auch nicht gebaut. Auf seine Briefe habe die Regierung nicht reagiert, sagt er.

Die Bewahrerin

Lilian Namukose ist Rangerin. Seit 2016 arbeitet sie im Murchison Falls Nationalpark – dem ältesten Nationalpark von Uganda. Foto: Hendrik Lehmann

Wenn Rangerin Lilian Namukose zu ihrem Fernglas greift, hat sie etwas entdeckt. Sie deutet auf einen Baum neben der Sandpiste im Nationalpark. Ein Leopard sitzt reglos auf einem Ast und bobachtet zurück. Namukose trägt gefleckte Tarnkleidung und Lederstiefel, für den Notfall hat sie ein Gewehr über der Schulter. Es dauert nicht lange, bis die ersten Büffel in Sichtweite vorbeilaufen. Ein älterer Elefant ist in den Morgenstunden alleine unterwegs, rupft Blätter vom Baum. Dahinter grast eine Herde Antilopen.

Murchison Falls ist der älteste Nationalpark Ugandas, mehr als 3800 Quadratkilometer groß. Namensgebend sind die mächtigen Wasserfälle im Osten des Parks, wo der Nil mehr als 40 Meter in die Tiefe stürzt. Der Park liegt ebenfalls in der Region Buliisa. Er beginnt etwa zehn Kilometer von dort, wo Jelousy wohnt.

Die Tierbestände haben sich gerade wieder erholt, erzählt Namukose. Unter dem früheren Diktator Idi Amin wurde viel gejagt. Während des ugandischen Bürgerkriegs richteten Rebellen hier Unterschlüpfe ein und versorgten sich mit Wildfleisch. Erst seit den 1990ern kehrte langsam wieder Ruhe ein.

Heute leben wieder mehr als 2700 afrikanische Elefanten im Nationalpark. Löwen sind hier zu Hause, Leoparden, Giraffen, Nilpferde – 76 verschiedene Säugetierarten. Besonders häufig ist die Kob-Antilope, das ugandische Wappentier. Und die Feuchtgebiete entlang des Nils beherbergen 451 Vogelarten, davon sind etliche bedroht.

In dem Nationalpark leben nicht nur Elefanten und Affen, sondern auch Leoparden und Giraffen. Fotos: Hendrik Lehmann

Der Klimawandel macht der Natur allerdings zu schaffen. Als es 2020 nach Starkregenfällen zu heftigen Überschwemmungen am Viktoriasee kam, überfluteten auch im Nationalpark die Ufer. „Krokodile fanden keinen Platz mehr, um Eier zu legen“, sagt Namukose. „Vögel konnten nicht in den Bäumen nisten, weil sie im Wasser verschwanden.“

Naturschützern bereitet noch etwas anderes Sorgen: Im Nationalpark soll künftig Öl gefördert werden. Zehn der 34 Bohrstationen des Tilenga-Projekts befinden sich im Park. Total antwortet, man habe die Zahl der Orte so stark wie möglich begrenzt, nur 0,05 Prozent der Parkfläche seien vom Projekt betroffen.

Die Straße vom Eingang im Südosten durch den Park wird ebenfalls ausgebaut und asphaltiert. Der erste Teil der Strecke durch den Wald ist fertig, am Straßenrand liegen überfahrene Affen. Wer später den Nil überquert, setzt nicht mehr per Fähre über, sondern nimmt die neue mehrspurige Brücke. Hier fahren täglich Laster, um zur Baustelle im Savannen-Teil des Parks zu gelangen.

Naturschützer sagen voraus, dass etliche Tiere sich nicht mehr über die neue Straße trauen werden, wenn die Sonne den Asphalt erhitzt. Schon jetzt sei zu beobachten, dass sie die Lastwagen und Bauarbeiter in der Nähe meiden. Wissenschaftler untersuchten für Total, wie Elefanten ihr Wanderverhalten durch die Probebohrungen änderten. Analysen hätten gezeigt, dass die Tiere auf Bohrlöcher und seismische Aktivitäten reagierten, „indem sie sich größtenteils entfernten“.

Wenn Wildtiere ihre bisherige Umgebung verlassen, kann das zu neuen Konflikten führen. Der Nationalpark ist nicht eingezäunt. In der Nähe der Dörfer würden nun häufiger Elefanten gesichtet, erzählen Bewohner. Und die können nicht nur Ernten zertrampeln und Vorräte essen, sondern auch die Menschen angreifen, die dazwischenkommen.

Haben die Verantwortlichen die möglichen Folgen also nicht ausreichend bedacht? Die Park-Rangerin will über das staatlich geförderte Öl-Projekt lieber nicht reden. Sie sagt nur so viel: Teile des Parks seien in Mitleidenschaft gezogen worden, es sei Druck auf die Natur entstanden. „Jede Entwicklung geht mit Zerstörung einher.“ Sie hofft, dass „die Verantwortlichen schon die nötigen Vorkehrungen getroffen hätten“ und der Park, den sie bewahren möchte, nicht beeinträchtigt wird. „Wir vertrauen ihnen“, sagt Namukose. „Wir versuchen, ihnen zu vertrauen.“ Sie zögert kurz. „Wir versuchen wirklich, ihnen zu vertrauen.“

Totals Ölprojekt Tilenga, das die Bohrlöcher im Nationalpark umfasst, wurde übrigens nach dem lokalen Namen für die ugandische Antilope benannt, die im Park lebt.

Die Fischer

Morris Ouchi fischt seit 18 Jahren am Lake Albert. Unter dem See wird künftig Öl gefördert. Foto: Isaac Kasamani

Auch der chinesische Teil des Bohrprojekts hat seine Inspiration bei der Natur gefunden. Kingfisher, wie das Fördergebiet entlang des Albertsees heißt, ist der Name eines seltenen Vogels, der in den Feuchtgebieten lebt. Der leuchtend-blaue Vogel ernährt sich vor allem von Fisch. So wie ein großer Teil der lokalen Bevölkerung.

Als Morris Ouchi vor 18 Jahren nach Kaiso an den Albertsee zog, lief das Geschäft mit dem Fisch gut. Er kaufte Mopeds, um die Region zu beliefern. Über eine Länge von 170 Kilometern erstreckt sich der See, durch den die Grenze zwischen Uganda und dem Kongo verläuft. Mehr als 45 Fischarten sind hier zu Hause, unter anderem Nilbarsch und Tilapia. 30 Prozent des ugandischen Fischfangs wird aus diesem See gedeckt.

Doch der Fisch sei weniger geworden, sagt Ouchi. Unter seiner Anleitung baut eine Gruppe junger Männer gerade ein neues Holzboot. Am Seeufer liegen bunt angestrichene Boote. Die Männer am Strand reparieren Netze, kleine Jungs rudern auf den See, um ihre Angeln auszuwerfen. Als er kam, hätten nur wenige Menschen in Kaiso gelebt, sagt Morris. Allerdings sei die Bevölkerung stark gewachsen, der See überfischt.

Durch Starkregen wurden Teile der Fischersiedlung überschwemmt. Im Meer stehen Palmen und verlassene Häuser. Foto: Hendrik Lehmann

Er zeigt auf eines der Häuser, die halb im Wasser versunken sind. Als es vor zwei Jahren am Viktoriasee zu Überschwemmungen kam, stieg auch hier der Wasserpegel. Unweit von dort, wo nun eine Palme im See steht, fanden vorher Probebohrungen statt. Das Ergebnis: Ein großer Teil der Ölvorkommen befindet sich unter dem See.

Welche Folgen wird es für die lokalen Fischer haben, wenn künftig entlang des Seeufers Öl gefördert wird? Ouchi überlegt einen Moment. Bisher habe er nur Gerüchte gehört. Vielleicht müssten sie das Seeufer räumen, wenn das Ölgeschäft erstmal beginne. Ob das stimmt, kann er nicht belegen.

Am Lake Albert leben fast alle vom Fischen. Hier bereiten Fischer gerade Öllampen vor, die sie auf schwimmende Bojen binden. Nachts fahren sie heraus und locken mit dem Licht der Lampen Fische an die Wasseroberfläche. Foto: Isaac Kasamani

Die größte Katastrophe für die Leute hier wären Öl-Lecks direkt am See. Aber auch die 1443 Kilometer-Pipeline überquert mehrere Feuchtgebiete und Flüsse. Umweltverbände und Gegner des Projekts verweisen auf Nigeria, wo es im Zuge der Ölförderung jahrzehntelang zu Verschmutzungen von Böden und Gewässern kam. Oder auf Ecuador, wo erst vor wenigen Wochen abermals eine Pipeline platzte. Von Total heißt es, die Pipeline verliefe größtenteils unter der Erde und sie würde stetig mithilfe von Fiberglas-Kabeln entlang der Pipeline überwacht. Umweltaktivisten sagen: Bei sehr vielen Ölförderung gibt es langfristig Lecks.

Im März veröffentlichte die ugandische Regierung einen Plan, der regeln soll, was bei einem Unfall zu tun wäre. Ob dieser im Ernstfall funktionieren würde, ist zumindest fraglich. Die Erfahrungen der Behörden mit vergleichbaren Vorkommnissen sind gering. Als es in der Nacht des 29. März 2020 bei geothermischen Bohrungen in Kibiro am Albertsee zu Explosionen kam, waren die schwermetallbelasteten Abfälle auch Monate später nicht beseitigt, wie eine Untersuchung, die von der Norwegischen Agentur für Entwicklungszusammenarbeit unterstützt wurde, im Nachhinein zeigte.

Widerstand und Untergrund

In Uganda arbeiten inzwischen zahlreiche Aktivisten gegen das Ölprojekt – und für die Betroffenen. Foto: Hendrik Lehmann

Ölförderung in einem Land, in dem vorher nie Öl gefördert wurde, ohne erfahrene Institutionen, die im Ernstfall schnell reagieren können und in einer der artenreichsten Regionen des Kontinents: Zumindest riskant. Gegen das Projekt hat sich deshalb eine zunehmend globale Bewegung formiert, die auch außerhalb Ugandas versucht, auf mögliche Investoren und Unternehmen Einfluss zu nehmen. Mehrere Rückversicherer, unter anderem die deutsche Hannover Re und die französische SCOR haben bereits angekündigt, das Projekt nicht zu versichern. Doch während viele internationale NGOs lautstark vor den Klimafolgen des Projekts warnen, haben lokale Aktivisten mit persönlichen Folgen zu kämpfen.

Einer dieser lokalen Aktivisten ist ein junger Mann, der aus Uganda nach Deutschland floh, um zumindest eine zeitlang Verhaftungen und Drohungen zu entkommen. Als er das erste Mal per verschlüsselter Verbindung antwortet, ist er gerade in Nordrhein-Westfalen untergebracht, mithilfe eines Schutzprogramms für verfolgte Menschenrechtsaktivisten, das vom Auswärtigen Amt finanziert wird. Die schriftliche Bestätigung seitens des Schutzprogramms liegt dem Tagesspiegel vor. Auf Blogs berichtet er regelmäßig anonym, wenn gegen lokale zivilgesellschaftliche Organisationen vorgegangen wird.

Im Call erzählt er von Verhaftungen, wenn Versammlungen einberufen werden, Anrufe bei Radiosendern, wenn er dort auftreten soll, Schmutzkampagnen. „Letztlich erfuhr ich sogar, dass Anschläge gegen mich geplant wurden“, sagt er. Kein Einzelfall: Seit 2020 dokumentierten Amis de la Terre 40 Einschüchterungsversuche oder Verhaftungen von lokalen Akteuren. Einer habe 58 Nächte im Gefängnis verbringen müssen. Auch Oxfam verweist auf zahlreiche Fälle, unter anderem darauf, dass 2021 eine italienische Journalistin festgenommen wurde, als sie zum Projekt recherchierte.

Total sagt, dass das Unternehmen den Schutz von Menschenrechtsschützern als wichtig erachte und gegebenenfalls selbst versuche, seinen Einfluss auf Stakeholder und Dritte geltend zu machen, entsprechend der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Nachdem man am 25. Mai 2021 von der Internationalen Liga für Menschenrechte informiert worden sei, dass ein Mitglied von Afiego und eine ausländische Journalistin von der Polizei in Buliisa festgenommen worden seien, habe man sowohl gegenüber den lokalen Behörden Initiative ergriffen als auch den UN-Hochkommissar für Menschenrechte in Uganda informiert. Außerdem habe man einen Brief an den ugandischen Präsidenten geschrieben, und gefordert, die Rechte der betroffenen Individuen zu respektieren. Die ugandische staatliche Ölgesellschaft Unoc und die nationale Ölbehörde äußerten sich bis zum Redaktionsschluss nicht auf Anfragen zu Menschenrechtsverletzungen.

Das zweite Fördergebiet Kingfisher wird von dem chinesischen Staats-Ölkonzern CNOOC umgesetzt. Dort kann man vom Hügel aus bereits das Ausmaß eines der künftigen Fördergebiete am Lake Albert sehen. Die gerade Strecke ist eine Landebahn, einige der Häuser sind Arbeitersiedlungen. Foto: Hendrik Lehmann

Der anonyme Aktivist sagt im Videocall, lokale Organisationen seien zu schlecht ausgestattet, um gegen solche Gegner vorzugehen. Neue Gesetze würden systematisch gegen NGOs eingesetzt – unter dem Vorwand, sie seien regierungsschädlich oder Terroristen. Der NGO Afiego beispielsweise sollte die Genehmigung entzogen werden, ebenso wie 22 anderen Organisationen.

Umso wichtiger sei es, den Menschen vor Ort bessere Möglichkeiten zu bieten, ihre Rechte wahrzunehmen und sich gegen unfaire Entschädigung zu wehren. Wenn die Ölförderung erst einmal beginne, schwinde wahrscheinlich das Interesse der großen spendenfinanzierten NGOs aus dem Westen. Dabei brauche es gerade dann Leute, die hinschauen. „Ich werde so viele Leute wie möglich ausbilden, sich friedlich zu wehren und Mittel dafür zu akquirieren, dass es nicht mehr reicht, gegen mich vorzugehen.“

Tilenga und Kingfisher sind erst der Anfang, glaubt der Menschenrechtsaktivist. Ugandas Präsident Museveni sagte am 11. April 2022 in einer Rede: Die Pipeline könnte der Kern einer größeren Entwicklung sein, wenn Kongo und Südsudan beschlössen, sie ebenfalls zu nutzen. Dort liegt noch mehr Öl. Wenn erst einmal eine Pipeline bis zum Meer in Tansania steht, wird es schlagartig realistischer, auch hier zu bohren.

Klimaaktivistinnen in Afrika
Über das Projekt

Das Projekt

Dieser Artikel ist Teil einer einjährigen Recherche zu den Folgen des Klimawandels in besonders betroffenen Regionen in Afrika. Dabei liegt der Hauptfokus auf Klimaaktivistinnen, die vor Ort versuchen, Probleme aufzuzeigen und Lösungen zu finden.

Die globale Klimabewegung wird von jungen Frauen geprägt. Hierzulande stehen Aktivistinnen wie die Schwedin Greta Thunberg im Vordergrund - oder Luisa Neubauer, das deutsche Gesicht von “Fridays for Future”. Ihre Mistreiterinnen aus Afrika werden oft übersehen, dabei sind ihre Länder schon heute viel stärker von der Klimakrise betroffen.

Im Rahmen des Projekts A Female Fight for the Future begleitet der Tagesspiegel ein Jahr lang Klimaaktivistinnen in afrikanischen Ländern und visualisiert klimarelevante Entwicklungen. Wir schauen uns Projekte vor Ort an, mit denen der Klimawandel bekämpft werden soll, zeigen, wie sich neue politische Netzwerke bilden und zeigen, wo Menschen schon heute besonders unter der ökologischen Krise leiden.

Alle bisherigen Artikel aus der Serie finden Sie auf der Projektseite.

Die Finanzierung:

Das Rechercheprojekt wird vom European Journalism Centre im Rahmen des European Development Journalism Grants Programms finanziert. Unterstützt wird dieses Programm von der Bill&Melinda Gates Stiftung.

Das Team

Cordula Eubel
Text und Recherche
Tamara Flemisch
Webentwicklung
Moritz Honert
Redigatur
Isaac Kasamani
Fotos
Hendrik Lehmann
Text, Recherche und Bilder
Thomas Weyres
Artdirektion
Veröffentlicht am 14. Mai 2022.