unabhängigen Journalismus für Berlin.
„Nicht nur, dass sie unsere Anrechte nicht akzeptieren und Gesetze gebrochen haben“, erbost sich Dieng zunehmend energischer und meint, dass der Mindestabstand der technischen Anlage zu bewohntem Gebiet nicht eingehalten wurde. „Sie sagen, dass der Fortschritt Gutes bringe, aber uns schadet er. Denn sie haben uns das Land weggenommen, auf das wir hätten umsiedeln können, um dem Meer zu entkommen.“
In Bargny fühlen sich viele von einer Entwicklung in die Zange genommen, die keinen Ausweg lässt. Das Land muss sich entwickeln, weiß auch Dieng. Einige ihrer Enkel gehen in Dakar auf höhere Schulen, profitieren vom Aufschwung. Doch um welchen Preis?
Die Fischbestände gingen zurück, seit die Regierung Fangkonzessionen an Trawler-Gesellschaften aus Europa oder China vergebe. Bevor sie die Schwärme von der Küste aus erreichen könnten, seien diese längst weggefischt. „Ohne moderne Technik sind wir nicht konkurrenzfähig“, sagt Pape Ndiaye, 46.
Seine Freunde haben süßen Tee aufgesetzt, kauern neben dem langen Holzboot, dessen Planken unter schweren Hammerschlägen erzittern. Es wird ausgebessert. Pape Ndiaye ist ihr Anführer, ein stiller Mann mit kahlem Schädel, ein zerkratztes Mobiltelefon in der Hand, der einen aufgebrachten Kollegen durch eine Berührung am Ellbogen zu beruhigen weiß. Seit 20 Tagen, sagt er, sei er nicht mehr draußen gewesen, auf dem Meer. Es habe ja doch keinen Zweck, und eine Fangfahrt, die nichts einbringt, kann er sich nicht mehr leisten. „Dieses Land war reich, wir hatten Fisch.“
Nach Angaben von USAid gilt die Hälfte der senegalesischen Fischbestände als überfischt und der Fortbestand der anderen Hälfte als bedroht. Eine halbe Million Tonnen würde jährlich aus westafrikanischen Küstengewässern geholt und zu Fischmehl oder -öl verarbeitet, um in Asien oder Europa an Tiere verfüttert zu werden. Ein moderner Trawler kann mit einem einzigen Hol so viel Fisch aus der Tiefe ziehen, wie 50 Pirogen in einem Jahr. Der Raubbau hat bittere Konsequenzen für die traditionellen Strukturen der lokalen Kleinfischerei, von der nach Schätzung von Greenpeace 600 000 Beschäftigte in Senegal abhängen.
Hinzu kommt, dass die Fischer durch die Pandemie monatelang gezwungen waren, an ihrem Heimatort zu bleiben, statt wie gewöhnlich den Fang dort anzulanden, wo er am meisten Profit verspricht. Der Markt brach zusammen. Pape Ndiaye saß fest, „betete“, wie er säuerlich sagt. Ein Frühstück hat er heute noch nicht eingenommen. Der zuckrige Tee in einem kleinen Glas scheint ihm und seinen Männern vorerst genügen zu müssen.
Kapitän Ndiaye gibt zu, dass der Klimaprotest von den Frauen vorort getragen werde. Als würde das Kohlemonstrum sie als Fischer weniger stark betreffen. „Wir sehen kein Ergebnis“, fügt Ndiaye mit Blick auf seine jungen Gefährten hinzu und meint, dass sie durchaus radikaler vorgehen würden, aber sich zurückhalten aus Furcht vor den Konsequenzen ihres Zorns für die Kommune. Ein Marsch würde Aggressionen entfesseln, sagt er mit ernster Miene, die jeder von ihnen tief in sich spüre. Also lieber nicht. Ndiaye hofft, dass Senegal ein Land von Teranga bleibe. Teranga ist das Wolof-Wort für Gastfreundschaft, Höflichkeit.
Eine schwer benennbare Agonie hat Bargny erfasst. Als würde seine eingezwängte Lage zwischen Kohlehalden und Meer in Resignation und Untätigkeit umschlagen.
Das ist auch jenseits des Strandes zu spüren, wo normalerweise zahllose Räucherstellen davon künden, dass ein frischer Fang im schwelenden Feuer von Erdnussschalen geröstet wird. Es ist die traditionelle Art, Fisch haltbar zu machen. Immerhin fast zwei Drittel der senegalesischen Fischerträge werden auf diese Weise weiterverarbeitet, meistens von den Frauen der Fischer, die einen wesentlichen Teil zum Einkommen der Familien beitragen.
Sie bräuchten eine Pumpe, um es fortzuschaffen. Tatsächlich suchten sie gerade jemanden, der ihnen eine verkaufen könne. In früheren Jahren hätten sie sich eine Pumpe geliehen. Die habe sie jedes Mal umgerechnet 75 Euro gekostet. Eine eigene würde das Zehnfache betragen.
Und dann erzählen sie wild durcheinander, wie es hier normalerweise zugehe. Die Pirogen gingen mit ihrem Fang vor dem Strand vor Anker. Kistenweise würde der Fisch von Männern über dem Kopf durch die Brandung balanciert und auf hochachsige Fuhrwerke verladen, deren Kutscher den Fang zu den Frauen führen. Alles im Laufschritt, damit die Ware in der Hitze nicht verderbe. Eintausend Frauen arbeiteten an ihren Feuerstellen, jede von ihnen beschäftige Helfer, Träger, Fuhrleute, Feuerwachen, was in der Hochsaison 10 000 Menschen einspannt.
Drei Tage dauere der Verarbeitungsprozess jeweils. Dichte Rauchschwaden zögen über die Sandbänke, der Qualm steche in den Augen, raube ihnen den Atem, bevor der geröstete Fisch in Säcke geschippt und an Händler verkauft werde, die ihn ins Innere Afrikas transportieren.
Aber jetzt steht Wasser auf der Ebene.
Wieso hätten eintausend Frauen das Geld für eine Pumpe nicht angespart?
„Wir haben Geld zurückgelegt“, entgegnen sie, „es hilft den Bedürftigen.“
Wieso ihnen die Bedürftigen wichtiger seien als ihr Geschäft?
Das sei es nicht. Gerade gestern hätten sie beschlossen, sagt die kleinste Frau, dass eine Pumpe anzuschaffen Priorität besitzen müsse.
Solange die Frauen nicht weiterkommen, haben sie ihren Männern gesagt, sollten die ihren Fisch woanders verkaufen.
Sicher, so simpel wie die Dinge in Bargny scheinen, sind sie nicht. Das Kohlekraftwerk ging nie ans Netz, technische Probleme der Anlage häuften sich. Bislang ist es eine Investitionsruine, die weniger dem Erdklima als den Bilanzen der Geldgeber geschadet hat. Das rechnen sich die Bürgerbewegungen vorort als Erfolg an. Aber sie haben womöglich nur das Schlimmste verhindert. Ein Plan für die eigene Zukunft ist nicht daraus entstanden.
„Unser Leben ist von jeher einfach“, sagt Dieng bedrückt, „aber Fisch auf traditionelle Art zu fangen und zu räuchern, Boote zu bauen, wie wir es tun, ist kein Wissen, das in den modernen Fabriken benötigt wird. Wir finden dort keine Arbeit.“
Mit Sorge beobachtet die Dame deshalb auch die Bauarbeiten für den Industriepark, der neben dem „Centrale charbon“ entsteht. Eine Landungsbrücke wurde eben südlich von Bargny drei Kilometer weit aufs Meer hinausgetrieben, um Massengutfrachtern die Möglichkeit des Andockens zu geben. Lagerstätten für Düngemittel und Mineralien werden hochgezogen im Senegal Minergy Port (SMP), der mit einer Kapazität von 20 Millionen Tonnen zum Rohstoffzentrum des Landes werden dürfte. Dieng schüttelt den Kopf. Es gebe so viele Kapitalfonds, „aber sie haben nie Geld für das Nötigste. In unserem Fall für einen wirksamer Schutz gegen das Meer.“
Bevor das Wasser das Haus von Familie Dieng erreichte, verschwanden bereits fünf Häuserreihen, ebenso ein Fußballplatz, die frühere Moschee und der Friedhof. „Versunken wie …“, sie sucht nach dem Wort, den Namen jener Stadt, der es ähnlich ergangen ist… „Wie in Atlantis.“
An einem Ort im Süden des Senegal zeigt sich ein anderes Bild: Dank einer Solaranlage können die Bewohner einer Insel dort neuerdings Eis herstellen – und damit die Wirtschaft ankurbeln. Reicht das, um eine Zukunft aufzubauen? Ist Eis besser als Drogen zu verkaufen? Unsere Reportage aus Saloulou können Sie hier lesen.
Dieser Artikel ist Teil einer einjährigen Recherche zu den Folgen des Klimawandels in besonders betroffenen Regionen in Afrika. Dabei liegt der Hauptfokus auf Klimaaktivistinnen, die vor Ort versuchen, Probleme aufzuzeigen und Lösungen zu finden.
Die globale Klimabewegung wird von jungen Frauen geprägt. Hierzulande stehen Aktivistinnen wie die Schwedin Greta Thunberg im Vordergrund - oder Luisa Neubauer, das deutsche Gesicht von “Fridays for Future”. Ihre Mistreiterinnen aus Afrika werden oft übersehen, dabei sind ihre Länder schon heute viel stärker von der Klimakrise betroffen.
Im Rahmen des Projekts A Female Fight for the Future begleitet der Tagesspiegel ein Jahr lang Klimaaktivistinnen in afrikanischen Ländern. Wir schauen uns ihre Projekte vor Ort an, mit denen der Klimawandel bekämpft werden soll, aber auch den Versuch, über weltweite Netzwerke Druck auf die internationale Politik aufzubauen.
Alle bisherigen Artikel aus der Serie finden Sie auf der Projektseite.
Das Rechercheprojekt wird vom European Journalism Centre im Rahmen des European Development Journalism Grants Programms finanziert. Unterstützt wird dieses Programm von der Bill&Melinda Gates Stiftung.