Keine Verschärfung, keine Lockerung. Das ist das Ergebnis des Bund-Länder-Treffens am Montagabend. „Wir wissen noch nicht, wie sich die Infektionszahlen weiterentwickeln”, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz im Anschluss des Treffens, ob es noch einmal „eine dramatischere Entwicklung gebe” oder ob Deutschland relativ gut durch diese Zeit komme.
Gut sieht es nicht aus. Die Inzidenz liegt am Mittwoch um 60 Prozent höher als in der Vorwoche. Experten gehen davon aus, dass der Höhepunkt der Omikron-Welle noch bevorsteht. Weil die Testkapazitäten in Deutschland knapp werden, wollen Bund und Länder die Teststrategie anpassen. Beschlossen ist noch nichts. Doch ein solcher Beschluss hätte auch Folgen für die Corona-Daten. Erst kürzlich hatte der Experten-Rat die unvollständige und oft zeitlich verzögerte Datenlage in Deutschland kritisiert. Ist die Omikron-Welle in Deutschland überhaupt messbar? Wie zuverlässig sind Coronazahlen aktuell überhaupt noch? Ein Überblick:
Die 100.000 gemeldeten Neuinfektionen pro Tag bringen viele Gesundheitsämter an ihre Belastungsgrenzen. In weiten Teilen Deutschlands ist die Zahl der positiven Tests so groß, dass die Gesundheitsämter nur noch sehr eingeschränkt Kontakte nachverfolgen können. Die Berliner Gesundheitsämter konzentrieren sich auf vulnerable Gruppen. Aus Treptow-Köpenick heißt es, dass keine Kontaktverfolgung mehr betrieben wird. “Diese ist bereits ab einer Inzidenz von 50/100.000 Einw. nicht mehr zeitnah möglich, um Kontaktketten zu unterbrechen.”
Die Überlastung führt auch zu einem zusätzlich immer größeren Stau von noch nicht bearbeiteten Neuinfektionen. Diese fließen entsprechend nicht in die Inzidenz der Landkreise ein. Spricht man mit dem Gesundheitsamt in Deutschlands aktuellem Corona-Hotspot, dem Amt in Berlin-Mitte, sieht die Lage noch düsterer aus. Die gemeldete Inzidenz liegt hier jenseits der 3000. Nah am realen Infektionsgeschehen ist dieser Wert nicht mehr. Laut dem Bezirksstadtrat für Gesundheit, Christoph Keller (Die Linke) führt die Zahl aufkommt es aktuell zu “Meldeverzögerungen von mehreren Tagen” zurück. In Spandau gibt es dem Gesundheitsamt zufolge einen Melderückstand von “momentan bis zu einer Woche”.
Die Überlastung wird dadurch verstärkt, dass bei vielen Gesundheitsämtern nach fast zwei Jahren Corona-Pandemie das Personal knapp wird. Viele erkranken selbst oder kündigen, wie etwa das Gesundheitsamt der Stadt Offenbach bestätigt.
Die Dunkelziffer der Coronainfektionen dürfte in Deutschland schon immer hoch gewesen sein. In den kommenden Wochen könnte sie weiter steigen. Die steigende Positivrate des durchgeführten Tests deutet schon jetzt auf eine hohe Dunkelziffer hin. Je höher die Rate, desto mehr unentdeckte Fälle gibt es mutmaßlich. Der Der Verband der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) meldete für die Vorwoche eine Positivrate von über 30 Prozent. Die Zahlen des RKI erscheinen wöchentlich am Donnerstag.
Die Testkapazitäten spielen eine wichtige Rolle bei der möglichst vollständigen Erfassung des Infektionsgeschehens. Diese sind für PCR-Tests bald ausgeschöpft. ALM meldete für die vergangene Woche eine Auslastung von 95 Prozent für ganz Deutschland. In Berlin sind die Kapazitäten längst überschritten.
Auch deshalb sollen in Zukunft Risikogruppen und Personal insbesondere in Krankenhäusern, in Praxen, in der Pflege, Einrichtungen der Eingliederungshilfe bei PCR-Tests priorisiert werden. Bisher gilt nur der PCR-Test als Nachweis einer Infektion, die in die Statistik einfließt. So könnte sich die Dunkelziffer vergrößern, die Statistik würde noch ungenauer.
Die Priorisierung bringt weitere Probleme mit sich. Ohne PCR-Test keinen Genesenenstatus, keine Quarantänebescheinigungen, keine Ansprüche bei Krankenkassen. Deswegen plädieren Politiker für eine neue Testverordnung, so dass auch Schnelltests als Nachweis anerkannt werden. Für die Statistik brächte das ein neues Problem hervor. Denn ab dann wären aktuelle Zahlen nicht mehr mit den Daten der vergangenen Wellen vergleichbar. Das RKI prüft derzeit, ob und wie Antigentests in die Statistik mit einfließen können.
Bereits vor einigen Wochen teilte das Paul-Ehrlich Institut (PEI) mit, dass die in Deutschland zugelassenen Schnelltests auch die Omikron-Variante zuverlässig erkennen. Je nach Viruslast des Erkrankten sind aber Tests bestimmter Hersteller zuverlässiger als andere. Welche in den Testzentren verwendet werden, ist nicht herauszufinden. Mehrere Anfragen an die Betreiber verschiedener Zentren in Deutschland blieben unbeantwortet. Lediglich vom Anbieter „SchnelltestBerlin.de” mit 34 Standorten in der Stadt kam die Rückmeldung, dass verschiedene Marken verwendet würden, die durch sämtliche Prüfinstanzen seien, sowie zusätzliche Omikron- Nachweiszertfikate besitzen.
Wer sich zu Hause testen möchte, kann die Zuverlässigkeit der Tests auf der Webseite schnelltest.de für die jeweiligen, vom PEI geprüften Tests abrufen. Ob zu Hause oder im Testzentrum, entscheidend ist auch, ob der Testabstrich richtig durchgeführt wurde. Ein Restrisiko bei Schnelltests bleibt also – auch weil sie die Infektion oft erst mehrere Tage nach der Ansteckung anzeigen. Das könnte sowohl zu weiteren Ansteckungen führen als auch die Zahl der Dunkelziffer an Infizierten weiter erhöhen.
In den vergangenen Wochen hatte es Diskussionen um die von einigen Bundesländern falsch berechneten Inzidenzen nach Impfstatus gegeben. Dabei hatten die Länder Infizierte, deren Status unbekannt war, automatisch den Ungeimpften zugerechnet. Damit lagen die Inzidenzen in dieser Gruppe zu hoch. Mittlerweile melden die betroffenen Länder die Inzidenzen nach Impfstatus nicht mehr. Für ganz Deutschland berechnet das RKI weiterhin die Inzidenzen nach Impfstatus, bezieht aber nur symptomatische Fälle ein.
Auch wenn die Omikron-Variante den Schutz der Impfung vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus deutlich reduziert, schützen die Impfstoffe gerade nach drei Impfdosen noch sehr zuverlässig vor schweren Erkrankungen, wie die Grafik zeigt. Weil der Impfstatus der Erkrankten von den Gesundheitsämtern erhoben werden muss, diese aber bereits jetzt überlastet sind, dürften diese Werte immer weniger aussagekräftig werden. Das Land Berlin meldet Inzidenzen für symptomatisch Erkrankte nach Impfstatus, weist aber jetzt deutlich daraufhin, dass diese Werte aufgrund von Datenlücken verzerrt sind.
Wer bisher eine roten Warnhinweis bei der Corona-App erhielt, konnte kostenfrei einen PCR-Test machen lassen. War dieser positiv, so ließ sich der Test leicht in der App eintragen. Menschen, denen man in den vergangenen Tagen begegnet war und die ebenfalls die App nutzen, wurden so gewarnt. Zwischen 300.000 und 400.000 rote Warnungen pro Tag erhielt die App in der vergangenen Woche, indem Nutzer:innen ihre Testergebnisse eintrugen.
Vor einer Woche hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) noch darauf hingewiesen, wie wichtig die Warn-Funktion der App für die Entschleunigung des Infektionsgeschehens sei. Da immer weniger Gesundheitsämter Kontaktverfolgung betreiben, galt die App bisher als wichtige Ergänzung.
Neue Regelungen könnten diese wichtige Funktion eindämmen. Denn der kostenlose PCR-Test bei rotem Warnhinweis soll mit der neuen Teststrategie wegfallen. Doch längst nicht alle Ergebnisse der vielen Schnelltestzentren lassen sich in die App übertragen. Isolieren sich Menschen nach einem positiven Selbsttest zu Hause, ohne diesen von einem Testcenter bestätigen zu lassen, so kann dieser gar nicht in die App übertragen werden. Wie nützlich die App in Zukunft also sein wird, hängt vor allem vom Verhalten der Nutzer:innen ab. Ganz nutzlos ist die App so oder so nicht. Test- und Impfzertifikate können weiterhin abgerufen werden, die App zeigt den 2G- oder den 2G-Plus-Status bei negativem Testergebnis. Bald sollen auch Auffrischungsimpfungen als 2G-Plus angezeigt werden.
Sollten Fallzahlen weiter steigen, kann die Zahl der täglich gemeldeten Fälle nicht mehr sinnvoll gemessen werden. Vergangene Woche hatte das RKI deshalb erstmals neue Kennzahlen im Wochenbericht vorgestellt, die dabei helfen sollen, die Pandemielage bewerten zu können. Dazu gehört die geschätzte Inzidenz für symptomatisch Erkrankte.
Grundlage ist die Zahl der Menschen, die jede Woche mit Symptomen einer Corona-Erkrankungen bei einem Arzt erscheinen. Basierend darauf lässt sich eine Inzidenz der symptomatischen Fälle abschätzen. Für die Zeit vom 10. bis 16.1 berechnete das RKI damit eine symptomatische Inzidenz zwischen 500 und 1100. Die gemeldete Inzidenz dieses Zeitraums, die zusätzlich noch asymptomatische Fälle umfasst, lag laut RKI bei rund 570.
Ein Vorteil der neuen Werte des RKIs: Sie seien unabhängig von Testkapazitäten und Testverhalten der Menschen. Somit seien die Zahlen auch über mehrere Wellen vergleichbar. Mehr Gewicht bei der Bewertung der aktuellen Corona-Lage soll außerdem die Auslastung der Krankenhäuser erhalten. Ein Teil der Daten dazu wird durch das Divi-Intensivregister erhoben. Weitere Daten kommen über die Erfassung von Krankenhauseinweisungen mit Symptomen einer Atemwegserkrankung und positivem Corona-Test. Diese Daten konnten die Belastung der Krankenhäuser in den vergangenen Wellen zuverlässiger erfassen als die Hospitalisierungsinzidenz des RKI. Diese wird aufgrund des Meldeverzuges erst Wochen später genau angezeigt.
In Zukunft wird wohl nur eine Kombination aus verschiedenen Werten einen Überblick über die Pandemie liefern. Auch die Zahl der täglich gemeldeten Todesfälle kann Aufschluss darüber geben, wie schwer die Omikron-Welle verläuft. Allerdings kann es auch bei der Meldung der Todesfälle zu Verzögerungen kommen. Seit Mitte Dezember waren weniger Todesfälle gemeldet worden. Am Dienstag stiegt die Zahl erstmals wieder.
Vor allem wohl steigende Fallzahlen. In den Gesundheitsämtern rechnet man nicht mit einer Entlastung – und hat schon eine weitere Variante im Blick. Der Omikron-Subtyp BA.2., eine Art Schwester-Variante des in Deutschland am meisten verbreiteten Types, löst in Dänemark aktuell die Omikron-Variante BA.1 ab. Zwischen 10.1 und 16.1 wurde BA.2 bereits in 45 Prozent aller gemeldeten Covid19-Fälle nachgewiesen. In den Daten werden die beiden zunächst nicht gesondert aufgeführt. In der Woche vom 3.1 bis 9.1 hatte Omikron einen Anteil von 60 Prozent – die Daten werden mit einer Verzögerung von zwei Wochen veröffentlicht. Mittlerweile dürfte die Delta-Variante vollständig verdrängt sein.
Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO beobachtet die Schwestervariante, die in einigen Mutationen unter anderem im Spike-Protein von der klassischen Omikron-Variante BA.1 abweicht, inzwischen gesondert. In Deutschland sei BA.2. bisher erst 38-mal nachgewiesen worden, heißt es vom RKI. Der Bioinformatiker Moritz Gerstung teilt auf Twitter ein regelmäßiges Omikron-Update für Deutschland. Damit ergibt sich ein anderes, aktuelleres Bild. Danach beträgt der Anteil der gemeldeten BA.2-Fälle in Berlin bereits um die 30 Prozent.