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Woher die neuen Wähler der AfD kommen

Vor allem die CDU verliert an die Rechten. Unsere interaktive Analyse zeigt die Wählerwanderung bei der Landtagswahl Thüringen.
Vor allem die CDU verliert an die Rechten. Unsere interaktive Analyse zeigt die Wählerwanderung in Thüringen.
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Das hat es in der deutschen Nachkriegsgeschichte noch nicht gegeben: Zusammengenommen haben auch CDU, SPD, FDP und Grüne im Landtag von Thüringen keine Mehrheit mehr. Mehr als die Hälfte aller Wahlberechtigten wählten die Linke oder die AfD.

Entstanden ist diese Situation – auch – durch die deutlich gestiegene Wahlbeteiligung. Sie kletterte von 52 auf rund 65 Prozent. Das hat sich laut Analyse der Daten von Infratest dimap im Auftrag der ARD auch auf die Wählerwanderung ausgewirkt: Einstige Nichtwähler sind zur besonders wichtigen Kraft geworden. Dadurch gewannen in Thüringen nahezu alle Parteien neue Wähler hinzu.

Am stärksten von Nichtwählern profitieren konnte die AfD mit 81.000 Stimmen. Aber auch die Linke konnte geschätzt 60.000 ehemalige Nichtwähler motivieren, für sie zu stimmen, die CDU 46.000. Unsere interaktive Analyse zeigt, wer an wen am meisten gewonnen und wer verloren hat.

Zuwanderung war nicht das entscheidende Thema

Die Zuwanderung – das Kernthema der AfD – spielte nur für neun Prozent der Wählerinnen und Wähler die größte Rolle bei der Wahlentscheidung. Trotzdem konnte die AfD von ihren Kokurrenzparteien profitieren: Sie zog der CDU 37.000 Stimmen ab, der Linken 18.000. Und das, obwohl laut Umfragen 82 Prozent aller Wählberechtigten in Thüringen der Auffassung sind, die Partei distanziere sich nicht genug von rechtsextremen Positionen.

Interessanterweise profitierte aber auch die Linke stark von der CDU: Von dort wechselten 27.000 Wahlberechtigte zur Linken. Auch die SPD verlor an die Linke 27.000 Wählerinnen und Wähler, gewann aber auch 21.000 Nichtwähler hinzu. Die Grünen profitierten vor allem von der CDU (6000 Stimmen), verloren aber noch mehr Stimmen an die Linke (12000 Stimmen).

„Bürger zweiter Klasse“

Viele Bürgerinnen und Bürger fühlten sich offenbar nicht so recht mitgenommen: Der Aussage „Ostdeutsche sind an vielen Stellen immer noch Bürger zweiter Klasse“ stimmten laut Infratest dimap 70 Prozent der Befragten zu, bei AfD-Wählern waren es 86 Prozent. 40 Prozent aller Stimmberechtigten waren der Ansicht, dass die Interessen der Ostdeutschen am ehesten von der Linken vertreten wird. Mit Blick auf die AfD meinten das nur 16 Prozent.

Zugleich waren zwar 68 Prozent zufrieden mit der Entwicklung seit der Wiedervereinigung. Hier zeigen sich jedoch große Unterschiede mit Blick auf die Anhänger der Parteien: Bei der CDU waren es 87 Prozent – bei der AfD nur 44 Prozent. Ihre Anhänger stimmen auch zu 95 Prozent der Aussage zu: „Bei bestimmten Themen wird man heute ausgegrenzt, wenn man seine Meinung sagt.“

Wahlentscheidend waren Löhne und Renten

Die größte Rolle für die Wahlentscheidung spielten die Themen Löhne und Renten, gefolgt von sozialer Sicherheit und der Bildung. Am wenigsten wichtig waren den Wahlberechtigten laut der Umfrage die Themen Kriminalität und die Innere Sicherheit.

Was die Wahlergebnisse außerdem zeigen: Es zieht sich ein tiefer Graben durch die politische Landkarte Thüringens. Bodo Ramelow baut als erster und einziger Linken-Ministerpräsident der Bundesrepublik zwar seinen Erfolg auf über 30 Prozent aus. Doch zugleich erreicht die AfD mit ihrem Spitzenkandidat Björn Höcke 23,5 Prozent und landet damit auf Platz zwei vor der CDU mit 22,1 Prozent.

Die Grenze zwischen den Geschlechtern

Der Graben zwischen Links und Rechts wird noch tiefer, wenn man die Ergebnisse entlang von demografischen Merkmalen betrachtet. Besonders viel Zulauf hatte die AfD demnach bei männlichen Wählern in Thüringen. Hätten nur Frauen gewählt, wäre Ramelows Linke hingegen sogar auf 32 Prozent gekommen.

Die AfD erreicht jetzt auch die Jüngeren

Besonders auffällig ist bei der Wahl in Thüringen ist jedoch noch ein anderes Phänomen. Während die Jüngeren in anderen Bundesländern in den letzten Jahren meist überdurchschnittlich linkere Parteien wie Grüne und Linke wählten, konnte die AfD in Thüringen auch die Jüngeren unter 30-Jährigen erreichen. Die Linke hat hier vor allem die Rentnerinnen und Rentner überzeugt.

Woher kommen die Daten?
Die Methodik

Die dargestellten Werte zeigen die Wanderung der Zweitstimmen zwischen den Parteien. Dabei werden die aktuelle und die vorhergehende Landtagswahl verglichen. Die Werte sind Schätzwerte und werden von infratest dimap berechnet.

Die Grundlage für diese Berechnungen bilden amtliche Statistiken, repräsentative Umfragen sowie das vorläufige Endergebnis der Auszählung der Zweitstimmen am Wahlsonntag. In der Wählerwanderung werden insbesondere auch Nichtwähler berücksichtigt sowie die Fälle in denen sich die Wählerschaft verändert: Zuzüge, Wegzüge, Tod und Erreichen des Wahlalters (18).

Über die Autorinnen und Autoren

Lubena Awan
Infografik
Lubena Awan ist derzeit GNI Fellow beim Tagesspiegel und ist Designerin für UX und UI. Sie hat sich überlegt, wie man die Wählerwanderung anschaulich darstellen kann.
Michael Gegg
Webentwicklung
Michael Gegg arbeitet beim Tagesspiegel als Redakteur für Softwareentwicklung. Er hat die Wählerwanderung programmiert und die Daten aufbereitet.
Fabian Löhe
Text
Fabian Löhe arbeitet als Redakteur im Meinungsressort. Er hat die Wahl Thüringen den gesamten Abend begleitet.
Veröffentlicht am 28. Oktober 2019.