Frieden, Frohsinn, Zukunft: Die Namen der Berliner Kleingarten-Kolonien strahlen Ruhe und Optimismus aus. Aber wie selbstverständlich ist das Laubenpieper-Glück in einer Stadt wie Berlin? Schließlich ist die Wohnungsnot groß, die Grundstückspreise sind in den vergangenen Jahren explodiert. Bauland, noch dazu öffentliches, wird dringend benötigt.
Berlins Kleingärten, von denen rund drei Viertel dem Land gehören, nehmen 3,2 Prozent der Stadtfläche ein, achtmal so viel wie das Tempelhofer Feld. Aber während es längst kein Tabu mehr ist, die Bebauung des Tempelhofer Feldes öffentlich zu debattieren – jüngst schrieb der Senat einen Ideenwettbewerb aus – sind die Kleingärten nicht Teil der Debatte. Im Gegenteil: Der Senat erarbeitet derzeit ein Gesetz, das ihre Bebauung dauerhaft ausschließen soll.
Die Kleingärten verteilen sich über die Stadt, vor allem außerhalb des S-Bahn-Rings. 82 Prozent der Fläche sind laut dem aktuellen Kleingartenentwicklungsplan gesichert oder zu erhalten, 9,4 weitere Prozent sind bis mindestens 2030 gesichert, werden also bis dahin nicht bebaut oder anderweitig genutzt.
Die übrigen Kleingärten könnten rein theoretisch bebaut werden – je nach Kategorie etwa, weil sie für Bahn-Verkehrsinfrastruktur benötigt werden oder auf Privatgrundstücken angelegt sind. Der bisherige Kleingartenentwicklungsplan ist eine Art Selbstverpflichtung des Senats, kein Rechtsschutz.
Der Gesetzesentwurf hingegen, an dem der Senat gegenwärtig arbeitet, soll alle Kleingärten der Stadt dauerhaft schützen. Obwohl das von SPD und Linken initiierte Gesetz seit 2021 im Gespräch ist, ist über den konkreten Inhalt bisher kaum etwas zu erfahren: Das Thema ist hochpolitisch.
Kein Wunder, denn theoretisch könnten auf den Kleingartenflächen 150.000 Wohnungen entstehen, wie eine Beispielrechnung des Tagesspiegel Innovation Lab zeigt. Das ist ein Vielfaches der 5000 Wohnungen, von denen die Politik zuletzt als Wohnbau-Potenzial für die 72 Hektar Randfläche des Tempelhofer Feldes gesprochen hatte.
Um die theoretisch auf den Kleingarten-Flächen mögliche Bebauuung zu schätzen, haben wir 50 Wohnungen pro Hektar angenommen und nur zusammenhängende Flächen berücksichtigt, die größer als zwei Hektar sind.
Es ist eine vorsichtige Schätzung. Andreas Becher vom Berliner Architektenverband geht von mehr als doppelt so vielen möglichen Wohnungen auf den Kleingartenflächen aus, wie er 2021 dem „Deutschlandfunk Kultur“ sagte.
Bechers Rechnung zufolge könnten Kleingärten also das Wohnungsproblem lösen: 220.000 Wohnungen werden bis 2040 laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gebraucht. Fragt man Berliner*innen auf Wohnungssuche, bräuchte die Stadt sie schon jetzt.
Aber auch grüne Oasen sind knapp und nötig – für Natur, Tiere und die Lebensqualität der Bewohner. Hinzu kommt: Gemessen an der Einwohnerzahl gibt es in Berlin im deutschlandweiten Vergleich nur durchschnittlich viele Kleingärten.
Trotzdem ist es in der Hauptstadt eine Menge Platz, der per Gesetz bald dauerhaft geschützt sein soll. Die Schrebergärten Berlins belegen mit 28,8 Quadratkilometern mehr als die Hälfte des Platzes, den alle öffentlichen Grünflächen der Stadt zusammengerechnet einnehmen.
Schrebergärten seien unverzichtbar für die Biodiversität und für Kühlungsschneisen, die in Zeiten des Klimawandels immer wichtiger werden, zudem essenziell für den sozialen Zusammenhalt, sagen die einen. Die vielen Kleingärten seien das Privileg weniger in einer Stadt, in der steigende Wohnungspreise den sozialen Zusammenhalt gefährden, sagen die andern.
Was ist von höherer Bedeutung für die Stadt? Kleingärten für rund 71.000 Pächter, von denen mutmaßlich viele in engen Mietwohnungen leben und die ihre Gärten in den Sommermonaten oft mit Freunden und Angehörigen teilen? Öffentliche Parks, zusätzliche Schulen und Sportplätze? Oder doch Hunderttausende zusätzliche, womöglich sogar bezahlbare Wohnungen?
Die anteilig größte Fläche nehmen Kleingärten in Neukölln ein – dort vor allem im Süden. 8,5 Prozent der Bezirksfläche besteht aus Kleingärten, vor allem wegen der großen Kolonien in Buckow und Britz.
Rund 20.000 Wohnungen könnten – ebenfalls bei einer Annahme von 50 möglichen Wohnungen je Hektar – allein auf Neuköllner Kleingartenflächen entstehen. Aber die Gärten müssten weichen, es ginge auf Kosten des Stadtgrüns, der Artenvielfalt und der Menschen, die eine Parzelle ergattern konnten und Ruhe suchen in einem immer voller werdenden Berlin.
Dieser Artikel ist Teil der europäischen Recherche „Sacred Grounds”, in deren Rahmen ein internationales Team zu Kirchenbesitz in mehreren Ländern recherchiert. Mehr Informationen finden Sie auf der auf der Website des Projekts.
Es ist die Fortsetzung der Recherche „Ground Control”. Mithilfe von Datenanalysen, Satellitenbildern, Vor-Ort-Reportagen und Experteninterviews versucht „Ground Control”, Licht ins Dunkel des europäischen Bodenmarkts zu bringen. Besonderer Fokus ist Bauland und der Handel mit Grundstücken. Der europäische Bodenmarkt ist intransparent. Das erschwert es, Unternehmen zu identifizieren, die Land kaufen, um damit zu spekulieren, oder die Politik für verantwortungslose Deals zur Rechenschaft zu ziehen. Und es verhindert eine transparente Debatte darüber, wie wir als Stadt die letzten Freiflächen nutzen können.
Deswegen recherchieren Medien in verschiedenen europäischen Hauptstädten gemeinsam urbanen Landbesitz. Eine Übersicht aller internationalen Veröffentlichungen finden Sie auf der Projektwebseite.
Die Veröffentlichungen unserer internationalen Partner zu Kirchenbesitz beschäftigen sich mit Verkäufen der katholischen Kirche an andere Konfessionen (Göteborgs Posten, Schweden), Rekordeinkünften der katholischen Kirche durch Staatsleistungen (Deník Referendum, Tschechien) und damit, wie die katholische Kirche ihre Immobilien bewirtschaftet (IrpiMedia, Italien).
Belgien: Apache, Tschechien: Deník Referendum, Frankreich: Mediapart, Polen: Gazeta Wyborcza, Frontstory.pl, Ungarn: Telex, Slowakei: ICJK, Norwegen: iTromsø, Schweden: Göteborgs Posten, Italien: Irpi Media
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