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Gartenglück oder Wohnungsbau?

Alle Kleingärten Berlins auf einer Karte: wie viele Wohnungen könnte man auf den Schrebergärten bauen?

Viele Berliner lieben ihre Kleingärten. Doch kann die Stadt es sich leisten, die grünen Oasen zu erhalten, wenn Wohnraum immer knapper wird? Um wie viel Fläche es dabei wo in Berlin geht, zeigt unsere Datenanalyse. Das Tempelhofer Feld wirkt dagegen winzig.
Viele Berliner lieben ihre Kleingärten. Doch kann die Stadt es sich leisten, die grünen Oasen zu erhalten, wenn Wohnraum immer knapper wird? Um wie viel Fläche es dabei wo in Berlin geht, zeigt unsere Datenanalyse. Das Tempelhofer Feld wirkt dagegen winzig.

Frieden, Frohsinn, Zukunft: Die Namen der Berliner Kleingarten-Kolonien strahlen Ruhe und Optimismus aus. Aber wie selbstverständlich ist das Laubenpieper-Glück in einer Stadt wie Berlin? Schließlich ist die Wohnungsnot groß, die Grundstückspreise sind in den vergangenen Jahren explodiert. Bauland, noch dazu öffentliches, wird dringend benötigt.

Berlins Kleingärten, von denen rund drei Viertel dem Land gehören, nehmen 3,2 Prozent der Stadtfläche ein, achtmal so viel wie das Tempelhofer Feld. Aber während es längst kein Tabu mehr ist, die Bebauung des Tempelhofer Feldes öffentlich zu debattieren – jüngst schrieb der Senat einen Ideenwettbewerb aus – sind die Kleingärten nicht Teil der Debatte. Im Gegenteil: Der Senat erarbeitet derzeit ein Gesetz, das ihre Bebauung dauerhaft ausschließen soll.

Die Kleingärten verteilen sich über die Stadt, vor allem außerhalb des S-Bahn-Rings. 82 Prozent der Fläche sind laut dem aktuellen Kleingartenentwicklungsplan gesichert oder zu erhalten, 9,4 weitere Prozent sind bis mindestens 2030 gesichert, werden also bis dahin nicht bebaut oder anderweitig genutzt.

Grüne Flecken außerhalb des Rings: Alle Kleingärten Berlins auf einer Karte
Die Karte zeigt die Kleingarten-Flächen Berlins, eingefärbt je nachdem, ob sie laut Kleingartenentwicklungsplan 2020 als gesichert oder zu erhalten (grün) gelten, ab frühestens 2030 umgewandelt werden können (gelb) oder theoretisch bereits jetzt (rot). Wählen Sie ein Grundstück aus, um den Namen der Kolonie sowie Quadratmeter- und Parzellenanzahl zu sehen.
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Für eine bessere Darstellung haben wir die acht Kategorien, in die der Kleingartenentwicklungsplan die Grundstücke einteilt, zusammengefasst. Grün dargestellt sind die Kategorien 1 („dauerhaft gesichert“) und 2 („dauerhaft zu erhalten: bauliche Nutzung nicht genehmigungsfähig“). Gelb gezeigt wird die Kategorie 3 („gesichert bis 2030“). Kategorien 4 („bauliche Entwicklung: müssen für Infrastrukturmaßnahmen in Anspruch genommen werden“), 5 („Baunutzungsplan setzt andere Nutzung fest oder bauliche Nutzung kommt infrage“), 6 („Bahnflächen“) und 7 („Umwandlung in Erholungsanlagen oder Einfamilienhausgebiete vorgesehen“) sind in rot dargestellt, die Kategorie 1E („Ersatzflächen“) und Grundstücke, die nicht zugeordnet sind, in grau.

Die übrigen Kleingärten könnten rein theoretisch bebaut werden – je nach Kategorie etwa, weil sie für Bahn-Verkehrsinfrastruktur benötigt werden oder auf Privatgrundstücken angelegt sind. Der bisherige Kleingartenentwicklungsplan ist eine Art Selbstverpflichtung des Senats, kein Rechtsschutz.

Der Gesetzesentwurf hingegen, an dem der Senat gegenwärtig arbeitet, soll alle Kleingärten der Stadt dauerhaft schützen. Obwohl das von SPD und Linken initiierte Gesetz seit 2021 im Gespräch ist, ist über den konkreten Inhalt bisher kaum etwas zu erfahren: Das Thema ist hochpolitisch.

Kein Wunder, denn theoretisch könnten auf den Kleingartenflächen 150.000 Wohnungen entstehen, wie eine Beispielrechnung des Tagesspiegel Innovation Lab zeigt. Das ist ein Vielfaches der 5000 Wohnungen, von denen die Politik zuletzt als Wohnbau-Potenzial für die 72 Hektar Randfläche des Tempelhofer Feldes gesprochen hatte.

Mehr als 140.000 Wohnungen könnten statt der Berliner Kleingärten entstehen
Die Grafik zeigt eine beispielhafte Rechnung der möglichen Wohneinheiten auf Kleingartenflächen im Vergleich zur Gesamtzahl der existierenden Kleingarten-Parzellen sowie dem Bedarf an zusätzlichen Wohnungen bis 2040.
* Es handelt sich um eine Überschlagsrechnung. Dafür wurden 50 Wohnungen je Hektar Fläche angenommen, was der Untergrenze der vom BBSR ermittelten Bebauungsdichte in Großstädten entspricht. Das BBSR geht von bis zu 100 möglichen Wohneinheiten je Hektar in Großstädten aus, zwischen den Häusern nötige Freiflächen, Wege und Infrastruktur sind darin einkalkuliert. Zudem wurden für diese Beispielrechnung keine Flächen berücksichtigt, die kleiner als zwei Hektar sind oder von Straßen getrennt. Es handelt sich also um eine konservative Schätzung.

Um die theoretisch auf den Kleingarten-Flächen mögliche Bebauuung zu schätzen, haben wir 50 Wohnungen pro Hektar angenommen und nur zusammenhängende Flächen berücksichtigt, die größer als zwei Hektar sind.

Es ist eine vorsichtige Schätzung. Andreas Becher vom Berliner Architektenverband geht von mehr als doppelt so vielen möglichen Wohnungen auf den Kleingartenflächen aus, wie er 2021 dem „Deutschlandfunk Kultur“ sagte.

Bechers Rechnung zufolge könnten Kleingärten also das Wohnungsproblem lösen: 220.000 Wohnungen werden bis 2040 laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gebraucht. Fragt man Berliner*innen auf Wohnungssuche, bräuchte die Stadt sie schon jetzt.

Aber auch grüne Oasen sind knapp und nötig – für Natur, Tiere und die Lebensqualität der Bewohner. Hinzu kommt: Gemessen an der Einwohnerzahl gibt es in Berlin im deutschlandweiten Vergleich nur durchschnittlich viele Kleingärten.

Im bundesweiten Vergleich ist Berlin nur Kleingarten-Mittelfeld
Dargestellt sind die Kleingarten-Parzellen pro Einwohner und Stadt. Leipzig verfügt über dreimal so viele Parzellen pro Einwohner als Berlin, Schlusslichter sind Stuttgart und München.
Im bundesweiten Vergleich ist Berlin nur Kleingarten-Mittelfeld
Dargestellt sind die Kleingarten-Parzellen pro Einwohner und Stadt. Leipzig verfügt über dreimal so viele Parzellen pro Einwohner als Berlin, Schlusslichter sind Stuttgart und München.

Trotzdem ist es in der Hauptstadt eine Menge Platz, der per Gesetz bald dauerhaft geschützt sein soll. Die Schrebergärten Berlins belegen mit 28,8 Quadratkilometern mehr als die Hälfte des Platzes, den alle öffentlichen Grünflächen der Stadt zusammengerechnet einnehmen.

Kleingärten in Berlin nehmen die achtfache Fläche des Tempelhofer Felds ein
Die Grafik zeigt die Gesamtflächen von öffentlichen Grünflächen, Kleingärten, Parkplätzen und Friedhöfen im Vergleich.
Geoportal Berlin (2024), Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt Berlin (2022 und 2024)

Schrebergärten seien unverzichtbar für die Biodiversität und für Kühlungsschneisen, die in Zeiten des Klimawandels immer wichtiger werden, zudem essenziell für den sozialen Zusammenhalt, sagen die einen. Die vielen Kleingärten seien das Privileg weniger in einer Stadt, in der steigende Wohnungspreise den sozialen Zusammenhalt gefährden, sagen die andern.

Was ist von höherer Bedeutung für die Stadt? Kleingärten für rund 71.000 Pächter, von denen mutmaßlich viele in engen Mietwohnungen leben und die ihre Gärten in den Sommermonaten oft mit Freunden und Angehörigen teilen? Öffentliche Parks, zusätzliche Schulen und Sportplätze? Oder doch Hunderttausende zusätzliche, womöglich sogar bezahlbare Wohnungen?

Die anteilig größte Fläche nehmen Kleingärten in Neukölln ein – dort vor allem im Süden. 8,5 Prozent der Bezirksfläche besteht aus Kleingärten, vor allem wegen der großen Kolonien in Buckow und Britz.

In Treptow-Köpenick und Neukölln befindet sich am meisten Kleingartenfläche pro Einwohner
Vergleich der Berliner Bezirke nach ihrem Kleingartenbestand in Parzellen und Quadratmetern je 1000 Einwohner sowie im Verhältnis zur Bezirks-Gesamtfläche.
Daten: Geoportal Berlin (2024), eigene Berechnungen

Rund 20.000 Wohnungen könnten – ebenfalls bei einer Annahme von 50 möglichen Wohnungen je Hektar – allein auf Neuköllner Kleingartenflächen entstehen. Aber die Gärten müssten weichen, es ginge auf Kosten des Stadtgrüns, der Artenvielfalt und der Menschen, die eine Parzelle ergattern konnten und Ruhe suchen in einem immer voller werdenden Berlin.

Über das Projekt

Dieser Artikel ist Teil der europäischen Recherche „Sacred Grounds”, in deren Rahmen ein internationales Team zu Kirchenbesitz in mehreren Ländern recherchiert. Mehr Informationen finden Sie auf der auf der Website des Projekts.

Es ist die Fortsetzung der Recherche „Ground Control”. Mithilfe von Datenanalysen, Satellitenbildern, Vor-Ort-Reportagen und Experteninterviews versucht „Ground Control”, Licht ins Dunkel des europäischen Bodenmarkts zu bringen. Besonderer Fokus ist Bauland und der Handel mit Grundstücken. Der europäische Bodenmarkt ist intransparent. Das erschwert es, Unternehmen zu identifizieren, die Land kaufen, um damit zu spekulieren, oder die Politik für verantwortungslose Deals zur Rechenschaft zu ziehen. Und es verhindert eine transparente Debatte darüber, wie wir als Stadt die letzten Freiflächen nutzen können.

Deswegen recherchieren Medien in verschiedenen europäischen Hauptstädten gemeinsam urbanen Landbesitz. Eine Übersicht aller internationalen Veröffentlichungen finden Sie auf der Projektwebseite.

Die Veröffentlichungen unserer internationalen Partner zu Kirchenbesitz beschäftigen sich mit Verkäufen der katholischen Kirche an andere Konfessionen (Göteborgs Posten, Schweden), Rekordeinkünften der katholischen Kirche durch Staatsleistungen (Deník Referendum, Tschechien) und damit, wie die katholische Kirche ihre Immobilien bewirtschaftet (IrpiMedia, Italien).

Partnermedien und Rechercheorganisationen

Belgien: Apache, Tschechien: Deník Referendum, Frankreich: Mediapart, Polen: Gazeta Wyborcza, Frontstory.pl, Ungarn: Telex, Slowakei: ICJK, Norwegen: iTromsø, Schweden: Göteborgs Posten, Italien: Irpi Media

In den nächsten Wochen werden weitere Egebnisse veröffentlicht. Einige Rechercheergebnisse aus anderen Städten und Sprachen werden wir zusammenfassen und auf Deutsch übersetzen.

Die Entwicklung der Technologien für das Urban Journalism Network sowie diese Recherche werden durch das Programm Stars4Media unterstützt.

Fragen? Hinweise? Anregungen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Die Autorinnen und Autoren

Nina Breher
Datenrecherche und Text
Katja Demirci
Redigatur
David Meidinger
Webentwicklung
Sarah Saak
Webentwicklung
Lennart Tröbs
Design, Visualisierung, Datenanalyse
Helena Wittlich
Datenanalyse
Veröffentlicht am 29. November 2024.
Zuletzt aktualisiert am 2. Dezember 2024.