Kreuzberg, im Milieuschutzgebiet: In der Weihnachtszeit vor einigen Jahren hängt ein Aushang im Treppenhaus. Die Mieter sollen die Miete auf ein neues Konto überweisen. Das Haus wurde verkauft. Die Polizei kommt, vermutet eine Betrugsmasche dahinter. Doch es stimmt. Das Haus wurde verkauft. An wen, das weiß keiner. Vor Gericht wehren sich die Mieter gegen den Rausschmiss, der wenig später folgt. Der Vermieter zeigt keine Kompromissbereitschaft. Ein Gericht gibt den Bewohnern recht. Sie dürfen bleiben.
Die Mieter wollen nur anonym auftreten, auch ihre genaue Adresse oder den Namen der Briefkastenfirma nicht in der Zeitung lesen. Zu groß ist die Angst vor Folgen, gerade hat sich die Lage etwas beruhigt. „Wenn man rausfliegen würde, ist die Chance niedrig, etwas anderes Vergleichbares zu finden“, sagt einer.
Gegen wen sie hier eigentlich kämpfen, wussten sie lange nicht. Die Angaben des Vermieters führen nach Luxemburg, ansprechbar ist nur die Hausverwaltung. Seit kurzem ist bekannt: Ihr Haus gehört einem der größten Finanzinvestoren der Welt: Blackstone.
In Debatten um den Berliner Wohnungsmarkt fiel dieser Name bisher selten. Auf Listen mit den größten Eigentümern tauchte das in New York ansässige Private-Equity-Unternehmen nicht auf. Eine Studie des politischen Ökonomen Christoph Trautvetter, die am Dienstag veröffentlicht wird und dem Tagesspiegel vorab vorliegt, liefert nun Hinweise, dass Blackstone nicht nur zahlreiche Bürogebäude, sondern auch mehrere Tausend Wohnungen in der Stadt gehören. Tagesspiegel-Recherchen belegen nun konkret: Blackstone besitzt mindestens 3500 Wohnungen in Berlin.
Die Mieter dieser Wohnungen haben oft keine Ahnung, an wen ihre Miete letztlich geht. Das Unternehmen Blackstone um CEO und Gründer Steven Schwarzman verwaltet 571 Milliarden Dollar (482 Milliarden Euro). Zum Vergleich: das Hilfspaket der Europäischen Union in der Coronakrise umfasst etwa 500 Milliarden Euro (etwa 590 Milliarden Dollar). Ende der 2000er-Jahre war Schwarzman als König der Wallstreet mit exzessiven Feiern bekannt geworden. In den letzten Jahren beriet er den US-Präsidenten Donald Trump. Im US-Wahlkampf spendete er ausgiebig für die Republikaner.
Der Slogan von Blackstone prangt groß auf der Unternehmenswebsite: „Impact Beyond Returns”, auf Deutsch übersetzt: „Wirkung, die über Renditen hinausgeht”.
Wer Blackstones Investoren sind? Nicht bekannt. „Wir investieren im Auftrag von Pensionsfonds und anderen führenden Institutionen in verschiedene alternative Anlageklassen.“ So heißt es auf der Website. Ihnen verspricht das Unternehmen hohe Renditen. Nicht nur in Berlin, auch in anderen deutschen und europäischen Städten besitzt Blackstone Wohnungen. Auf den Konten welcher Personen die Gewinne aus den Mieten landen, kann nicht nachvollzogen werden.
Die unbekannten Investoren sind es, die von den Wertsteigerungen und steigenden Mieten auf dem Berliner Immobilienmarkt profitieren. Ihr prominentester Besitz sind wohl die Bürogebäude der Treptowers an der Spree. 288 weitere Gewerbeeinheiten in Berlin listet der Geschäftsbericht 2019 der „Blackstone Property Partners Europe Holdings S.à r.l.” (BPPEH), einer Tochterfirma der Blackstone Group.
Wohnungen sind es weit mehr. 3714 Wohnungen werden im selben Geschäftsbericht genannt. Damit müsste Blackstone auf der Liste der großen privatwirtschaftlichen Eigentümer Berlins stehen. Der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ist Blackstone als solcher auch bekannt, teilt sie auf Anfrage mit. Über die Zahl der Wohnungen, die das Unternehmen besitzt, kann die Verwaltung aber keine Auskunft geben.
Verwunderlich ist das nicht: Der Geschäftsbericht der BPPEH belegt die Zahlen zwar eindeutig, ist aber nur relativ versteckt auf den Webseiten des Unternehmens zu finden. Dort steht außerdem, wo sich die meisten Wohneinheiten in der Stadt befinden: „Mehr als die Hälfte unseres deutschen Wohnungsbestands befindet sich in den Bezirken Mitte, Charlottenburg-Wilmersdorf und Friedrichshain-Kreuzberg.“
Welche Häuser das genau sind, weiß keiner so wirklich. „Der Berliner Immobilienmarkt, genauso wie der internationale Finanzmarkt, sind sehr intransparent. Bei Blackstone treffen sich diese zwei intransparenten Märkte“, sagt Experte Trautvetter. In einer Studie zu Berlins größten Immobilieneigentümern im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die im Rahmen des Projektes Wem gehört die Stadt? erstellt wurde, beschreibt Trautvetter die Intransparenz des Wohnungsmarktes.
Ein Objekt von Blackstone liegt im Heegermühler Weg 43 in Niederschönhausen. Lange gingen die Mieter davon aus, dass ihr Haus Taliesin, einem Immobilienfonds, ansässig auf der Kanalinsel Jersey, gehörte, die das Gebäude mit 22 Wohneinheiten im Jahr 2008 erwarb. Die Mieter bekamen seither regelmäßig Mieterhöhungen. Dass der Eigentümer abermals wechselte, darüber wurden sie nicht informiert. Dabei hatte Blackstone bereits 2018 den Fond für 260 Millionen Euro gekauft. Weil der Finanzinvestor mit Übernahme des Fonds nicht das Haus direkt kaufte, änderte sich der Name im Grundbuch nicht. Offiziell gehört das Haus noch Talisien.
Erst ein Blick in deutsche und luxemburgische Handelsregister zeigt, wie Blackstone das Eigentum dieses und weiterer 30 Taliesin-Häuser in Berlin organisiert hat – diese Adressen tauchen in einem Vollmachtsschreiben der Hausverwaltung auf. Eine komplizierte Struktur aus mehreren luxemburgischen Gesellschaften führt zu einer Blackstone-Gesellschaft auf den Cayman-Inseln, die Inselgruppe steht auf Platz drei des Steueroasenindex des Tax Justice Network.
Um von Niederschönhausen auf den Cayman-Islands zu gelangen, muss man ins deutsche Handelsregister blicken: Dort sind die Canary Holdco S.à r.l und die Wren Holdcco S.à r.l in Luxemburg als Gesellschafter gelistet. Das luxemburgische Handelsregister verrät wiederum ihre Teilhaber. Canary Holdo S.à r.l gehört zu 100 Prozent der Canary Pledgeco S.à r.l, die wiederum zu 90 Prozent der Alpha German Topco. Über drei weitere Firmen gelangt man zu Blackstone Property Partners Europe Holding S.à r.l. Und hier ist noch nicht Schluss. Über vier weitere luxemburgische Gesellschaften landet man zuletzt bei Blackstone Property Associates Europe L.P. Laut Geschäftsbericht der Blackstone Group sitzt diese Firma auf den Cayman Islands.
Ähnlich verläuft die Kette, wenn man den zweiten Gesellschafter der Taliesin I GmbH, die Wren Holdco S.à r.l, in den Handelsregistern nachschlägt. Auf Wren Pledgeco S.à r.l folgt Delta Investment Topco S.à r.l als Gesellschafter, dann Delta Investment Topco S.à r.l, BPPI German Investment Topco S.à r.l und zu guter Letzt: Blackstone Property Partner International A II AIV L.P. mit Sitz in Delaware. Der US-Bundesstaat gilt ebenfalls als Steuerparadies, die Regierung Delawares wirbt auf ihrer Website mit „modernen und flexiblen Unternehmensgesetzen“.
Warum der Aufwand? Experten erklären diese Geflechte mit einem Grund – die Unternehmen wollen Steuern vermeiden. Die Taktik ist spätestens seit den Lux-Leaks bekannt. Die Partnerfirmen geben sich untereinander Kredite. Die Zinsen, die dann gefordert werden, kann die Firma, der das Haus gehört, von den Mieteinnahmen abschreiben. Sie macht so keine Gewinne mehr, die in Deutschland versteuert werden müssten.
Was sagt das Unternehmen selbst dazu? Auf Tagesspiegel-Anfrage teilt ein Unternehmenssprecher mit: „Blackstone besitzt weniger als 0.5 Prozent aller Mietwohnungen in Berlin und verhält sich absolut konform mit deutschem Recht, einschließlich unserer Firmenstruktur und Steuerzahlungen. Zwischen 2015 und 2019 hat Blackstone mehr als 200 Millionen Euro in Unternehmenssteuern in Deutschland abgeführt, und ungefähr 400 Millionen Euro reinvestiert, um unsere deutschen Immobilien zu verbessern und zu erhalten. Unsere deutschen Portfoliounternehmen beschäftigen knapp 1000 Mitarbeiter.“ Im Mai 2018 meldete das Unternehmen in einer Pressemitteilung, 2500 Wohnungen in Berlin erworben zu habe.
Blackstone ist nicht der einzige Finanzinvestor, der auf dem Berliner Wohnungsmarkt aktiv ist. Wie viele es sind, ist vollkommen unklar. In Eigentümergruppen gegliedert, fallen sie in die größte Gruppe – die privaten Unternehmen.
Immobilienexperte Michael Voigtländer am Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln hält die Zahl der ausländischen Investoren eher für überschätzt, sagt aber auch: „Wir haben relativ wenig Transparenz, was Eigentumsverhältnisse in Deutschland angeht“. Aufgrund dieser fehlenden Daten sei es für den Staat relativ schwer, das zu beobachten. Die Forschung ist dadurch oft auf Einzelfälle angewiesen. Mit einem öffentlichen Immobilienregister könnte besser beobachtet werden, inwiefern sich der Anteil bestimmter Investoren verändere, meint der Experte. „Ein Register könnte eine Grundlage für eine rationalere Wohnungspolitik stellen”, sagt Voigtländer.
Aber ein solches Register gibt es in Deutschland nicht. Also bleibt manches unentdeckt – auch bei Blackstone. „Weil Blackstone selbst an vielen Stellen ein schwarzes Loch ist, in dem hunderte Milliarden Euro verschwinden, können wir selbst mit intensiver Recherche nicht sagen, wie viele Immobilien Blackstone ganz genau in Berlin besitzt”, sagt auch Trautvetter. Unklar ist seiner Einschätzung nach auch, ob und in welchen anderen Blackstone-Fonds Berliner Immobilien enthalten sind. So könnten noch weitere Tochtergesellschaften, nicht nur die „Blackstone Property Partners Europe Holdings S.à r.l.”, kurz BPPEH, Immobilien halten.
Blackstones Rechnung mit Berliner Wohnungen scheint allerdings nur so halb aufzugehen. Im BPPEH-Geschäftsbericht aus Luxemburg heißt es: Wegen des Mietendeckels sei im vergangenen Jahr der Wert des Wohnungsportfolios gesunken. Obwohl man nach wie vor an die langfristigen Faktoren für ein Investment auf dem Berliner Wohnungsmarkt glaube, bestehe eine erhebliche Unsicherheit.
Bedeutet diese Unsicherheit für Investoren mehr Sicherheit für die Mieterinnen und Mieter? In Kreuzberg ist man da unsicher. Nachdem der Rausschmiss gescheitert ist, könnten Umwandlungen in Eigentumswohnungen anstehen, fürchten Mieter. Da würde auch der Mietendeckel nicht helfen.