Was immer für die Henne sprechen mag, das Ei ist ihr in der kulinarischen Wandlungsfähigkeit weit voraus. Es ist ein kleines Labor der natürlichen Molekularküche, begeistert durch seine unglaubliche Vielseitigkeit und seine verblüffenden Eigenschaften, kostet nicht viel Geld und ist überall mit ein wenig Mühe in guter Qualität zu haben.
Deshalb hat es sich in den letzten Jahren nicht nur in der kostenbewussten Gourmetstilistik etabliert, sondern ist auch zum heimlichen Star der (ovo-)vegetarischen Küche geworden, in der es Bindung und Schmelz liefert und allzu harsche Pflanzenattacken mild abfedert.
In der veganen Stilistik hat es keinen Platz, eine an sich banale Feststellung. Aber viele ehrgeizige Köche stellen nach kurzer Zeit fest, dass sie eben auf genau diese verbindenden Eigenschaften nicht verzichten wollen, und kehren deshalb, wie Micha Schäfer vom Berliner „Nobelhart“, zu vegetarischen statt veganen Zubereitungen zurück.
Es lässt sich nur spekulieren, wann der Mensch das Ei entdeckt hat. Vielleicht hat irgendein Neandertaler den Ur-Eichelhäher beim Nestraub beobachtet und ist auf die Idee gekommen, dass ihm das auch schmecken könnte. Und als das Feuer erfunden war und man so herumprobierte, was damit geht, dürften das weiche Frühstücks- und das hart gekochte Picknickei rasch auf dem Speisezettel gelandet sein, egal von welchem Vogel.