Dass eine soziale Durchmischung von Schulen wichtig für den Bildungserfolg von Kindern aus weniger privilegierten Familien ist, haben in den vergangenen Jahrzehnten Studien wieder und wieder gezeigt. Tatsächlich scheint soziale Diversität, also eine Mischung nach sozioökonomischen Kriterien, an den Berliner Schulen nur schwer herstellbar zu sein.
Die soziale Segregation an Berliner Grundschulen ist von 2010 bis 2020 deutlich gestiegen, sie sind zunehmend polarisiert.
Dieser Trend ist gerade deshalb so überraschend, weil die residentielle Segregation, also die räumliche Ungleichverteilung von Bevölkerungsgruppen auf Grundlage ihres gemeldeten Wohnortes, in Berlin seit 2010 eigentlich konstant abnimmt. Arme Familien leben heute an viel mehr unterschiedlichen Orten in der Stadt als noch vor zehn Jahren.
Doch in den Schulen spiegelt sich diese Entwicklung der Wohnorte nicht wider.
Für staatliche Berliner Grundschulen gilt: Ihre Schülerschaft sollte aus dem zugewiesenen Einzugsgebiet kommen. Die genauere Betrachtung zeigt jedoch, dass die Schulen deutlich polarisierter sind als ihre Nachbarschaft(en) – gerade in Kreuzberg, sowie bestimmten Gebieten von Mitte und Neukölln.
Auf der sozialen wie auch der sprachbezogenen Ebene gilt: die Berliner Schulen sind deutlich segregierter als ihre Einzugsgebiete es vermuten ließen. Schon früher war dies so, und auch deutlicher, als die Bewohnerschaft der Umgebung es nahelegt. Doch die zunehmende Durchmischung der Kieze zeigt sich – vor allem für den sozialen Indikator – überhaupt nicht in der Schülerschaft der Schulen.
Berechnung der Polarisierung anhand des „Index of Segregation“: Der Index of Segregation nach Duncan und Duncan berechnet sich aus der Anzahl der Schulen bzw. Einzugsgebiete in Berlin und der Gesamtbevölkerung sowie einer Referenzbevölkerungsgruppe:
wobei n die Anzahl der Einheiten (in diesem Fall Schulen bzw. Einzugsgebiete) in Berlin darstellt, x_i die Gesamtbevölkerung von Gruppe X in Einheit i, t_i die Referenzbevölkerungsgruppe in Einheit i, X die Gesamtbevölkerung der Gruppe X in Gesamt-Berlin and T die Referenzbevölkerungsgruppe in Gesamt-Berlin.
Mehr dazu lesen Sie hier.
Hier gilt ein genau gegenteiliger Trend: Sie waren in 2020 im Hinblick auf Kinder aus Familien mit geringem Einkommen deutlich ungleicher als noch in 2010.
Im Grundschulbereich lässt sich also eine stärkere Spaltung der Schulen aus sozialer Sicht beobachten, unabhängig davon, ob mehr wohlhabende Familien in die Nachbarschaften gezogen sind. Die Senatsverwaltung für Jugend, Bildung und Familie veröffentlicht den Proxy-Indikator der sozialen Zusammensetzung (Lernmittelbefreiung) nicht.
Eltern haben also darüber keine offiziellen Informationen, wählen Schulen aber augenscheinlich auf dieser Grundlage aus. Wer nicht möchte, dass der Nachwuchs eine bestimmte Einrichtung besucht, stellt einen Umschulungsantrag, klagt im Zweifelsfall – oder wählt eine Privatschule.
Privatschulen folgen dem System der Einzugsgebiete nicht, sondern nehmen von überall aus der Stadt Kinder auf. Ihr Anteil hat über die letzten 15 Jahre stetig zugenommen.
Im Schuljahr 2022/23 besuchten 10,6 Prozent aller Berliner Schüler:innen eine Schule in freier Trägerschaft, Grund- und weiterführende Schulen zusammengenommen. 2010 waren es hingegen noch 8,8 Prozent und in 2006 sogar nur 6,5 Prozent.
Insbesondere Privatschulen sind sozial weitaus weniger divers und stärker privilegiert als staatliche Einrichtungen – und auch als die Nachbarschaften, in denen sie sich befinden. Der Anteil der Schüler:innen in Berlin, die ein Anrecht auf Lernmittelbefreiung haben, ist an Privatschulen sehr gering.
Für die Primarstufe weist diese Schulform gerade einmal einen nach Schulgröße gewichteten Durchschnitt von 8,2 Prozent an lernmittelbefreiten Schüler:innen auf, im Vergleich zu rund 34 Prozent an den staatlichen Grundschulen.
Wenn wir die Zusammensetzung der Privatschulen mit ihren – hypothetischen – Einzugsgebieten in der unmittelbaren Nachbarschaft vergleichen, so zeigt sich, dass sie meist deutlich weniger Kinder aus armen Verhältnissen beschulen, als dies ein hypothetisches Einzugsgebiet festlegen würde (vgl. Infobox).
Besonders ausgeprägt ist die Schieflage zum Beispiel in Gentrifizierungsgebieten. Wenn also Stadtteile mit einer vormals starken Armutskonzentration auf einmal eine neue soziale Durchmischung und allgemeine Aufwertung erfahren – dann haben genau in jenen Gebieten Privatschulen den Effekt, dass sich dort Kinder aus gut situierten Familien disproportional sammeln.
Die Befürchtung, dass solche sozialen Missverhältnisse in der Bildungslandschaft entstehen, sind empirisch unterfüttert. Privatschulen spielen in der Entwicklung eine hervorgehobene Rolle, denn ihre Zahl steigt stetig.
Sie sind jedoch gleichzeitig im besonderen Maße von der sozialen Realität ihrer Nachbarschaften, und der Stadt im Allgemeinen abgekoppelt – mit am Ende negativen Folgen für die Gesamtheit des Bildungssystems.