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Laut Daten von Airbnb, Booking und Co.

Tourismus europaweit über Vor-Corona-Niveau – aber nicht in den Städten

Nach Corona ist vor dem Urlaub? In Schweden und Frankreich liegt die Zahl der Übernachtungen höher als vor der Pandemie. Aber in die Metropolen wird weniger gereist. Eine Datenanalyse für alle Regionen Europas.
Nach Corona ist vor dem Urlaub? In Schweden und Frankreich liegt die Zahl der Übernachtungen höher als vor der Pandemie. Aber in die Metropolen wird weniger gereist. Eine Datenanalyse für alle Regionen Europas.

Die Tourist:innen sind zurück in Europa – und es sind mehr als vor der Pandemie. Der Sommer 2022 war der erste seit Corona, in dem das Reisen wieder weitgehend uneingeschränkt möglich war. Die Gelegenheit nutzten offenbar viele: Um sieben Prozent ist die Zahl der Übernachtungen in der Europäischen Union 2022 im Vergleich zu 2019 gestiegen. Besonders Schweden, Frankreich und Belgien profitierten vom Reiseboom nach Corona. Hier buchten Tourist:innen zwischen 23 und 33 Prozent mehr Übernachtungen als 2019.

Europas Tourismusindustrie hat sich also von Corona erholt. Aber die Städte haben es nicht. Nur Paris und Nikosia auf Zypern kamen 2022 auf so viele Übernachtungen wie 2019. Die stärksten Verluste gab es in Dublin und Amsterdam. Knapp 60 Prozent weniger Menschen übernachteten hier in auf Airbnb, Booking und co. gebuchten Unterkünften.

Das zeigen neue Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat, die am Montag veröffentlicht wurden. Sie stammen von Buchungen auf den Reise- und Hotel-Plattformen Airbnb, Booking, Tripadvisor und Expedia. Sie zeigen: Die Pandemie den Tourismus verändert – auch in Deutschland. In Berlin gab es 38,6 Prozent weniger touristische Übernachtungen als 2019, in ganz Deutschland aber insgesamt vier Prozent mehr.

Nicht nur die Unterschiede zwischen Stadt und Land sind groß, auch die zwischen den Ländern sind es. In 16 von 32 Ländern, die in der Statistik enthalten sind, verbrachten Menschen weniger Nächte in Hotels und Co. als vor der Pandemie.

Starke Einbrüche gibt es in zentral- und osteuropäischen Ländern – auch eine Folge des Ukraine-Krieges. „Es sind die russischen Tourist:innen, deren Fernbleiben sich auf einige Reiseziele auswirkt“, sagt Jennifer Iduh, Head of Research bei der European Travel Commission, der Dachorganisation der europäischen Tourismusverbände.

Trotzdem ist man beim ETC optimistisch. „Wir sind in Europa fast zurück auf Vor-Corona-Niveau.“ Die Zahl der Tourist:innen, vor allem aus Asien, liege aber noch weit unter dem von 2019.

Die Pandemie hat den Tourismus verändert

Corona hat die Branche durchgerüttelt. 2020 war die Zahl der touristischen Übernachtungen in der EU um knapp 50 Prozent eingebrochen. Besonders betroffen waren kleine Inselstaaten wie Malta, Zypern und Island, wo 2020 rund 70 Prozent weniger übernachteten als zuvor. Aber auch Ungarn, Griechenland Tschechien und Italien fehlten Tourist:innen mit Einbrüchen zwischen 60 und 65 Prozent. Deutschland und die Schweiz kamen vergleichsweise glimpflich davon. Hier brach der Tourismus um rund 20 Prozent ein.

„Die wirtschaftlichen Auswirkungen waren gravierend“, sagt Iduh. „Viele Betriebe, vor allem kleine und mittelständische Unternehmen in Europa mussten schließen.“ Knapp zehn Prozent betrug 2019 laut World Travel and Tourism Council der Anteil des Tourismussektors am Bruttoinlandsprodukt in Europa. Rund 38 Millionen Jobs hingen daran. 2020 halbierte sich der Anteil am BIP. Knapp fünf Millionen Jobs verschwanden.

Auch wenn sich die Branche langsam erhole, gebe es Risiken wie steigende Reisekosten, Inflationsdruck und die leichte Rezession, sagt Iduh. Was jedoch offensichtlich sei: „Menschen wollen immer noch reisen.“

Diese Regionen waren im Sommer 2022 besonders beliebt

Die Übernachtungszahlen in vielen Regionen bestätigen das. Die meisten Urlauber:innen fuhren im Sommer 2022 in die Küstenregionen, allen voran an die kroatische Adria (Jadranska Hrvatska) mit knapp 20 Millionen Übernachtungen, gefolgt von der Provence in Frankreich mit ihrer berühmten Côte d’Azur, die 11 Millionen Übernachtungen verzeichnet.

Gerade diese Regionen sind – auch wirtschaftlich – extrem vom Tourismus geprägt. In einigen gibt es im Sommer mehr Urlauber:innen als Einheimische. Auch in den Alpen übernehmen Tourist:innen die Vorherrschaft.

Besonders viele Tourist:innen pro Einwohner:in gab es zwischen Juli und September 2022 nicht nur in Kroatien, sondern auch auf den griechischen Inseln. Auf den Ionischen Inseln sind es sogar über 16.000 Übernachtungen pro 1000 Einwohner:innen, auf denen der südlichen Ägäis rund um Rhodos 11.500. In den beliebten Küstenregionen in Spanien, Frankreich, Italien und Griechenland lag diese Zahl zwischen 1000 und 2000.

Trotz hoher Übernachtungszahlen ist in vielen dieser Haupttouristenregionen das Niveau noch nicht auf dem von 2019. An der Adria in Kroatien waren es 2022 immer noch zehn Prozent weniger als im gleichen Zeitraum in 2019, in Katalonien in Spanien sogar 37 Prozent.

Zahl ausländischer Tourist:innen steigt wieder

Gerade im ersten Coronasommer 2020 machten die Menschen vermehrt im eigenen Land Urlaub. In einigen Ländern stieg die Zahl der heimischen Übernachtungen stark, in der Schweiz etwa um 80 Prozent und in den Niederlanden um 50. 2022 liegen die Zahlen in vielen Ländern wieder auf dem Niveau von 2019 oder leicht darüber.

Besonders in bevölkerungsreichen Ländern wie Frankreich und Deutschland waren die wirtschaftlichen Einbußen dank der vielen einheimischen Tourist:innen nicht so gravierend. Anders ist es in Urlaubsländern wie Italien, Spanien oder Kroatien. Die Branche hängt vor allem von ausländischem Tourismus ab.

Berlin noch nicht auf Niveau von 2019

Dass die deutsche Tourismusindustrie im europäischen Vergleich einigermaßen gut durch die Krise kam, liegt den Eurostat-Zahlen zufolge an den inländischen Tourist:innen. Während Übernachtungen aus dem Ausland von 2019 auf 2020 um knapp 60 Prozent einbrachen, stiegen die Übernachtungen inländischer Tourist:innen um 1,35 Prozent. 2022 gab es knapp 16 Prozent mehr Übernachtungen inländischer Tourist:innen als 2019.

In der Hauptstadt hingegen hat sich die Branche lange nicht erholt. Noch immer gibt es weniger Tourist:innen als vor der Pandemie. Insgesamt vermeldet Eurostat 38,5 Prozent weniger Übernachtungen, die über die Plattformen Airbnb, Booking, Tripadvisor und Expedia gebucht wurden. Bei Übernachtungen von inländischen Touristen fehlen 16,2 Prozent. Bei ausländischen Tourist:innen sieht es noch schlechter aus – 55 Prozent weniger als kurz vor der Pandemie. Das Landesamt für Statistik Berlin-Brandenburg, das Tourismus-Daten für Berlin über die vier Plattformen hinausgehend erfasst, spricht für 2022 von einem Rückgang von 22,3 Prozent. Bei aus dem Ausland ankommenden Gästen betrug der Rückgang von 2019 auf 2022 35 Prozent.

Hoffnung könnten Besucher:innen aus Asien und den USA bringen. Bereits 2022 kamen mehr US-amerikanische Tourist:innen als vor der Pandemie. Die ETC geht davon aus, dass diese Zahlen 2023 weiter steigen werden. Darauf deuten auch Aussagen des US-Außenministers Anthony Blinken hin. Er sprach von einer „noch nie dagewesenen Nachfrage“ nach Pässen in den USA – 40 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. Einige von ihnen dürften sicherlich in Europas Hauptstädten gestempelt werden.

Dieser Artikel wurde als Teil des European Cities Investigative Journalism Accelerator produziert, einem Netzwerk europäischer Medien, das sich den Herausforderungen europäischer Großstädte und Länder widmet. Das Projekt ist eine Fortführung der europäischen Recherche Cities for Rent und wird vom Stars4Media-Programm gefördert.

ÜBER DIE DATEN
Wie die Tourismuszahlen berechnet werden

Die Eurostat-Daten zeigen die Anzahl der Nächte inklusive der Zahl der Personen, für die eine Unterkunft gebucht wurde. Bleibt also eine vierköpfige Familie für zwei Übernachtungen an einem Ort, gilt das als acht Nächte. So treffen die Zahlen zu Übernachtungen tatsächlich auch eine grobe Aussage über die Zahl der Tourist:innen.

Außerdem sei bei dieser Art von Tourismus-Daten die Abdeckung besser, heißt es von Eurostat. In den statistischen Umfragen der klassischen Erfassung seien die Touristenzahlen oft unterschätzt worden. Denn nicht jeder kleine Anbieter wird in den Umfragen erfasst.

In diesen Daten sind nun auch private Vermietungen über Airbnb oder nicht offiziell registrierte Ferienwohnungen enthalten. Auch wenn nur diese vier Plattformen enthalten seien und nicht alle Anbieter, könne man davon ausgehen, dass ein Großteil der Buchungen enthalten sei, heißt es von Eurostat.

Das Team

Tamara Flemisch
Grafiken
Kirk Jackson
Grafiken
Lennart Tröbs
Design
Helena Wittlich
Text und Recherche
Veröffentlicht am 3. April 2023.
Zuletzt aktualisiert am 4. April 2023.