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Haus nicht abbezahlt, Kredit verkauft

Banken verkaufen Schulden an Investoren in aller Welt

Wer sein Haus nicht mehr abbezahlen kann, dessen Bankschulden können zum Finanzmarktprodukt werden. Oft werden „faule Kredite“ ohne Wissen der Hauseigentümer mehrfach weiterverkauft – und landen bei undurchsichtigen Investoren. In Südeuropa ist das seit der Bankenkrise ein Massenphänomen. Auch deutsche Banken profitieren.
Wer sein Haus nicht mehr abbezahlen kann, dessen Bankschulden können zum Finanzmarktprodukt werden. Oft werden „faule Kredite“ ohne Wissen der Hauseigentümer mehrfach weiterverkauft – und landen bei undurchsichtigen Investoren. In Südeuropa ist das seit der Bankenkrise ein Massenphänomen. Auch deutsche Banken profitieren.

Es klingt paradox: Der Handel mit nicht gezahlten Schulden floriert. Kann jemand beispielsweise seinen Wohnungskredit nicht mehr zurückzahlen, verkaufen Banken die offenen Schulden an Investoren in aller Welt.

Die sogenannten faulen Kredite haben sich seit der Jahrtausendwende von einer Gefahr für das Wirtschaftssystem zu einem lukrativen Finanzmarktprodukt entwickelt. Die Europäische Union fördert den Handel aktiv.

In der Bankenkrise 2008 hatten Kredite, die nicht mehr abbezahlt wurden, große Teile der Weltwirtschaft in Abgründe gestürzt. In Ländern wie Italien und Griechenland kollabierten die Immobilienmärkte. Mittlerweile verschaffen faule Kredite Investoren in aller Welt hohe Gewinne. Am Handel mit ihnen zeigt sich, dass die Finanzkrise Europas Finanzmärkte noch immer im Griff hält – und sie für immer verändert hat.

Sobald eine Bank faule Kredite verkauft hat, belasten sie ihre Bilanz nicht mehr. Dann verschwinden die nicht gezahlten Forderungen aus den Bereichen des Finanzmarkts, die der Bankenaufsicht unterliegen – hinein in ein Schattenbanksystem, in dem komplizierte Firmengeflechte nicht selten in Steueroasen führen. Im Rahmen unserer europäischen Recherche zum Wohnungsmarkt erklären wir, wie das Geschäft funktioniert.

Wie die Finanzkrise einen intransparenten Markt schuf

Entstanden ist der Markt infolge der Finanzkrise. Damals hatten Menschen in den USA und dann auch in ganz Europa ihre Hauskredite und andere Kredite nicht mehr zurückzahlen können. Banken brachen zusammen. Die Staaten verschuldeten sich anstelle der Banken. Sie retteten die Banken.

Die Banken hatten damals nicht genug Eigenkapital, um Zahlungsausfälle abzufedern. Deshalb erhöhte die internationale Bankenaufsicht nach der Krise das nötige Eigenkapital, das Banken bei Krediten zurückhalten müssen. Diese neue Vorschrift heißt „Basel III“.

Das hat das Bankengeschäft verändert. Häufen sie zu viele Haus- und andere Kredite an, die nicht bedient werden, gehen sie nicht mehr pleite – sie haben ja Eigenkapital zurückgelegt. Aber sie werden handlungsunfähig. Je mehr faule Kredite eine Bank in den Büchern hat, desto weniger Geld kann sie für andere Geschäfte einsetzen, etwa an andere Hauskäufer verleihen. Sie steht still und kann die Verluste auch nicht mehr durch neue Investitionen in profitablere Märkte ausgleichen.

Dieser Text ist der zweite Teil unserer neuen Recherche zum Immobilienmarkt in Europa. Wie krempeln faule Kredite den europäischen Finanzmarkt um – und was bedeutet das für Menschen mit Hauskrediten? In dem ersten Teil des Projekts haben wir uns dem studentischen Wohnen gewidmet. Hier können Sie mehr dazu lesen.

Ein Ausweg: Die Kredite loswerden. „Basel III“ hat es für Banken attraktiver gemacht, faule Kredite an Dritte zu verkaufen. Als faul gilt ein Kredit, wenn er mehr als 90 Tage in Verzug ist. Der Markt dafür, ursprünglich entstanden in den USA in den 1980er Jahren, ist so für Europas Banken nach der Finanzkrise essenziell geworden.

Davon profitieren mittlerweile Investoren weltweit. Ein Instrument, das nach der Finanzkrise erdacht wurde, um Banken zu stabilisieren, hat ein lukratives Finanzmarktprodukt hervorgebracht.

Der Markt sei äußerst intransparent, beklagen Kredithandel-Experten. Niemand wisse, wie groß er genau sei und wer sich an den Geschäften beteiligt. Es gibt nur Schätzungen. Zumindest einige dieser Investoren sind zwielichtig: Die „Financial Times“ recherchierte 2020 einen Fall, in dem die kalabrische Mafia Schwarzgeld mithilfe von Ankäufen fauler Krankenhauskredite wusch.

In Europas Banken faulen Kredite

Die EU fördert das Geschäft mit faulen Krediten explizit. Der Europarat hielt 2017 in einem Aktionsplan fest, „Sekundärmärkte für notleidende Vermögenswerte entwickeln“ zu wollen, also den Handel anzukurbeln. 2021 verabschiedete die EU-Kommission eine Richtlinie dazu, bis Ende 2023 müssen die Staaten sie umgesetzt haben.

Bei besonders hohen Beständen fauler Kredite erlaubt die EU den Mitgliedstaaten zudem, die Risiken der Investoren zu übernehmen. Der Deal: Der sicherste Teil der Kredite, den eine Bank verkauft, wird staatlich abgesichert. Werden diese Kredite nicht zurückgezahlt, zahlt der Staat. Wie damals in der Finanzkrise greift der Staat dort ein, wo Banken Risiken auf dem Kapitalmarkt geschaffen haben, die das System gefährden. Das passiert im Rahmen von Programmen, die von der EU befristet genehmigt werden müssen, derzeit passiert in Griechenland und Italien.

In Griechenland lag der Anteil fauler Kredite in den Banken 2017 bei über 45 Prozent. Inzwischen ist er wieder gesunken – auch dank des staatlichen „Hercules“-Programms, das den Handel mit den faulen Krediten ankurbelt.

Der europäische Durchschnitt liegt bei 2,06 Prozent, der deutsche bei 1,2. Zuletzt war der Handel mit faulen Krediten in Deutschland „kein großes Thema, weil es uns wirtschaftlich blendend ging“, sagt Marcel Köchling, Vorstandsmitglied der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing sowie Geschäftsführer des Inkassounternehmens PRA Group. „Die Banken in Deutschland konnten Ausfälle bisher weitgehend selbst auffangen.“

Das könnte sich bald ändern. Coronapandemie, Ukrainekrieg und hohe Inflation bergen die Gefahr vermehrter Zahlungsausfälle, wie damals in der Finanzkrise. Wo Menschen sich ein Haus sowieso nur knapp leisten konnten, können schon kleine Veränderungen zu Zahlungsunfähigkeit führen. Das gilt vor allem, wenn Banken Kredite ausgeben, die schon zu Beginn nur knapp abbezahlt werden konnten. Zumindest im Immobilienbereich deuten erste Daten bereits auf vermehrte Zahlungsausfälle hin. Das gab die auf den Kauf fauler Kredite spezialisierte Silverton Group Anfang März bekannt.

In Deutschland waren in den vergangenen Jahren vor allem Konsumkredite faul. Nach der deutschen Wiedervereinigung war das anders. Banken hatten damals viele Kredite für Immobilienkäufe in den neuen Bundesländern vergeben, viele wurden nicht abbezahlt. Dann verloren auch noch die Immobilien in Ostdeutschland an Wert. Die Folge waren Zwangsverkäufe und teilweise aggressive Inkasso-Verfahren.

So war auch der erste große Finanzmarkt-Handel mit faulen Krediten in Deutschland ein Immobilien-Deal: Die Hypo Real Estate AG verkaufte 2003 ein Portfolio fauler Kredite an ein Joint Venture der Investmentbank JP Morgan Chase und der US-Investmentfirma Lone Star. Lone Star ist einer der großen Investoren in faule Kredite.

Auch in Berlin wurde damals im großen Stil mit Immobilienschulden gehandelt: Die Unternehmen Cerberus und Whitehall kauften 2004 die landeseigene Immobilienfirma GSW und damit rund 65.000 Wohnungen, 1,56 Milliarden Euro Schulden kauften sie mit ein. 2009 gingen die Wohnungen an die Deutsche Wohnen, nun Gegenstand des Enteignungs-Volksentscheids.

So funktioniert der intransparente Handel mit den faulen Krediten

Hinter dem System steht eine marktwirtschaftlich logische Kalkulation: Verkauft die Bank den faulen Hauskredit, kann sie ihn aus den Büchern streichen. Sie verkauft den Kredit zwar weit unter dem Wert des dahinterstehenden Hauses, aber sie bekommt immerhin einen Teil des Geldes zurück – und muss für diesen Kredit keine Eigenreserven mehr zurückhalten.

Die Bank schnürt faule Kredite zu einem Bündel, einem „Portfolio“. Das bietet sie Investoren, etwa großen Firmen, zum Kauf an, und zwar zu einem günstigeren Preis als die Summe der einzelnen Kredite darin. Üblich sind, je nach Art des Kredits, zwischen 50 und fünf Prozent des ursprünglichen Werts, teilweise noch weniger, wie Recherchen von unseren griechischen Teampartnern „Reporters United“ ergeben haben.

So funktioniert der Handel mit faulen Krediten

Ist der Handel vollzogen, schuldet der Hauskäufer das Geld nicht mehr der Bank, sondern einem neuen Unternehmen.

Für Investoren lohnt sich das Geschäft. Erstens, weil sie die Kredite günstig erwerben. Zweitens müssen sie nicht so viel Eigenkapital für sie zurückhalten. Das müssen nur Banken. Drittens sind viele der Käufer auf Inkassogeschäfte spezialisiert.

Ein deutscher Käufer von süd- und osteuropäischen faulen Krediten etwa, die EOS GmbH, ist eine Tochter des Otto-Konzerns, entstanden aus der Inkassoabteilung des Versandhauses.

Ab dem Punkt, wenn ein Schuldner nicht mehr zahlen kann, beginnt das Geschäft mit NPLs. Um Verluste zu minimieren, schnürt die Bank die notleidenden Kredite zu einem Bündel, einem „Portfolio“. Das bietet sie privaten Investoren, etwa großen Firmen, zum Kauf an, und zwar zu einem günstigeren Preis als die Summe der einzelnen Kredite darin.

Eine griechische Version dieser Recherche finden Sie bei unseren Kooperationspartnern „Reporters United“.

Dieser Artikel ist Teil der Recherche „Ghost debts: The shadow financial system making money with unpaid loans“. Sie entstand im Rahmen des Urban Journalism Network ECIJA und wurde vom Journalismfund Europe unterstützt. Der Aufbau des Netzwerks wurde von Stars 4 Media gefördert und von Arena for Journalism in Europe begleitet. An dieser Veröffentlichung beteiligt sind neben dem Tagesspiegel Irpi Media (Italien), Mediapart (Frankreich), Reporters United (Griechenland) und El Salto (Spanien). Das Projekt ist eine Fortführung der europäischen Recherche Cities for Rent und wird vom Stars4Media-Programm gefördert.

Das Team

Edoardo Anziano
Recherche
Eric Beltermann
Webentwicklung
Nina Breher
Text & Recherche
Tamara Flemisch
Webentwicklung
Hendrik Lehmann
Recherche & Redigatur
David Meidinger
Webentwicklung
Sotiris Sideris
Recherche
Lennart Tröbs
Design & Visualisierung
Helena Wittlich
Redigatur
Veröffentlicht am 28. Februar 2023.
Zuletzt aktualisiert am 17. März 2023.