Überflutungen, Waldbrände und 30 Grad im April: Selten war die Klimakrise in Deutschland so präsent. Trotzdem lehnen immer mehr Menschen einen größeren Einsatz für den Klimaschutz ab – obwohl sie den Klimawandel unverändert als große Bedrohung einschätzen.
Diese Ergebnisse gehen aus einer Langzeitumfrage des Forschungszentrums Informatik (FZI) hervor. Seit dem 4. November 2022 befragt das Forschungsprojekt regelmäßig eine repräsentative Stichprobe von circa 1500 Menschen in Deutschland. Der Tagesspiegel hat die Daten gemeinsam mit den Wissenschaftlern am FZI und am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ausgewertet.
Die Befragten sollten außerdem alle zwei Wochen angeben, wie sie zu folgender Aussage stehen: „Deutschland muss in Sachen Klimaschutz viel mehr machen.“ Zwar ist mit 52 Prozent der Menschen noch immer die Mehrheit für mehr Klimaschutz. Aber mit rund 28 Prozent sprechen sich derzeit weit mehr Leute dagegen aus als zu Beginn der Umfrage im November 2022. Der deutliche Rückgang könnte sich auch auf die Wahlentscheidungen der Deutschen bei der Europa- und bei den Landtagswahlen auswirken.
Die Einstellung von Leuten hat sich zuletzt unabhängig vom Bildungsabschluss verändert: Bei Menschen mit Abitur, mittlerer Reife und Hauptschulabschluss sank die Ablehnung zuletzt stark. Insgesamt sind Menschen mit höherem Schulabschluss stärkerem Klimaschutz nach wie vor positiver gesonnen.
Interessieren sich die Deutschen weniger für das Thema? Ganz so einfach ist es nicht. Denn die Sorge vor Klimawandel-Folgen ist ungebrochen, wie aus den Antworten auf eine andere Frage hervorgeht: „In welchem Maße bereitet Ihnen der globale Klimawandel Sorgen?“
Nach wie vor gibt gut ein Drittel der Befragten an, er bereite ihnen „sehr viel Sorgen“. Weniger als 10 Prozent der Befragten macht er „überhaupt keine Sorgen“.
Dieses widersprüchlich wirkende Ergebnis zeige „die Überlagerung durch die mannigfaltigen anderen Krisen, die direkter auf die Menschen einwirken“, sagt Christof Weinhardt, Professor für Informationswirtschaft am FZI.
So hätten zuletzt Themen wie Radikalisierung in der Mitte der Gesellschaft Menschen auf die Straße gebracht, womöglich fänden andere Flüchtlingshilfe derzeit wichtiger oder die Verbesserung von Infrastruktur und Bildungssystem. Außerdem verschiebe sich die Aufmerksamkeit der Menschen womöglich auf den Krieg in der Ukraine und die wirtschaftliche Lage.
Auch Anke Blöbaum, Umweltpsychologin an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, vermutet, dass andere Debatten als dringlicher wahrgenommen werden – etwa Investitionen in Wehrfähigkeit angesichts des Kriegs in der Ukraine. In den Umfragedaten ist sichtbar, dass im März 2024 die Sorgen vor einer Ausweitung des Ukraine-Kriegs erstmals seit Befragungsbeginn deutlich größer waren als die vor Klimawandel-Folgen.
Auch die Politik selbst könnte einen Anteil daran haben, dass immer mehr Menschen dagegen sind, die Klimawandel-Bekämpfung zu priorisieren, vermutet Weinhardt vom FZI. Womöglich würden einige „aus der Uneinigkeit in der Koalition in Fragen des Klimaschutzes auf eine geringere Ernsthaftigkeit schließen“. Die länglich und hitzig geführten Debatten um Gebäudesanierungen und Wärmepumpen etwa könnten zu abnehmendem Interesse beigetragen haben.
Die Daten erlauben auch einen Blick darauf, was das für die im Juni anstehende Europawahl sowie für die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September bedeuten könnte. Die Befragten gaben in den vergangenen Monaten ebenfalls an, wen sie bei der Europawahl wählen würden. Klimaschutz-Zustimmung unterscheidet sich stark nach Parteienpräferenz bei der Europawahl.
Anhänger aller großer Parteien unterstützen Klimaschutz eher, als dass sie dafür auch negative wirtschaftliche Folgen in Kauf nehmen würden. Bei AfD-Anhängern, die insgesamt mit Abstand am stärksten gegen mehr Klimaschutz sind, ist der Unterschied am geringsten.
Auch politische Debatten aus dem vergangenen Jahr könnten die Einstellungen zum Klimawandel beeinflussen – und damit potenziell die kommenden Wahlen. So haben die FZI-Datenanalysten festgestellt, dass im Zeitraum der Debatte rund ums Gebäude-Energiegesetz (GEG) im Jahr 2023 die Zustimmung der Befragten zurückging, den Klimaschutz zu priorisieren. Danach erreichte sie auch nicht mehr das Niveau von davor.
Die Wissenschaftler untersuchen die Einstellungen zum Klimawandel in einer sogenannten Cluster-Analyse. Dafür haben die Forscher anhand von Merkmalen wie Einkommen und Antwortverhalten vier Gruppen von Befragten identifiziert: „besorgte Klimamoderate“, „wirtschaftsorientierte Konservative“, „indifferente Klimabewahrer“ und eine „progressiv-ökologische Avantgarde“. Besonders bei konservativ eingestellten Leuten stieg die Zustimmung zur AfD. Zudem ist diese Gruppe größer geworden: Im November 2022 fielen 14 Prozent der Menschen in sie, mittlerweile sind es 21 Prozent.
Während die Zustimmung der Konservativen zur AfD stieg, fiel im selben Zeitraum das Vertrauen in die Regierung in allen vier Clustern, ebenso in die Grünen. Dennoch ist das Regierungsvertrauen von Grünen-Wählern weiterhin am größten. Am geringsten ist das von AfD-Anhängern.
Die Forscher fanden ebenfalls heraus, dass die Zustimmung der Menschen für die AfD anstieg, kurz bevor das GEG im Januar 2024 in Kraft trat. Die zeitliche Nähe dieser Veränderungen zu den kontroversen und breit diskutierten politischen Debatten über das Heizungsgesetz lässt einen Zusammenhang letztlich nur vermuten. Das heißt nicht zwingend, dass er besteht.
Einstellungen zum Klimawandel unterscheiden sich tendenziell zudem je nachdem, wie viel Vertrauen in die Regierung die Befragten haben.
Zudem unterscheiden sich die Einstellungen je nach Haushaltseinkommen und Wohnort. Diejenigen mit hohem Einkommen sind eher bereit, Klimaschutz zu priorisieren. Das liege laut Weinhardt wohl auch daran, dass Menschen mit höheren Einkommen finanzielle Belastungen besser tragen können, die Klimaschutz-Maßnahmen mit sich bringen.
Besonders die Mittelschicht – Haushalte mit Nettoeinkommen zwischen 2600 und 3560 Euro – ist dagegen, den Klimaschutz über die Wirtschaft zu stellen.
Wohlhabende würden eher von Fördermaßnahmen profitieren, sagt Weinhardt. Einfach formuliert: Nur wer Geld für ein E-Auto hat, kann von einem Zuschuss dafür profitieren. Die vulnerableren Gruppen hingegen „haben kaum eine Chance, etwas von den Fördertöpfen abzugreifen“, sagt Weinhardt. Wohlhabende profitieren in Deutschland von mehr Klimaschutz.
Auch mit Blick auf das Alter gibt es Unterschiede. Unter den jungen und alten Menschen, also den unter 20- und über 60-Jährigen, machen sich fast 40 Prozent sehr viele Sorgen wegen des Klimawandels. Bei der Gruppe dazwischen sind es nur rund 30 Prozent.
Die Jungen würden sich „wegen ihrer Zukunft“ sorgen, während die Alten es „aus Sorge für ihre Kinder tun – und vielleicht auch wegen ihres schlechten Gewissens, weil sie mit dem Wirtschaftswunder viel dazu beigetragen haben“, sagt Weinhardt.
Auch der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist deutlich. Frauen haben größere Sorgen vor Klimawandel-Folgen. Der Unterschied hat sich seit Beginn der Studie sogar verstärkt: Bei den Männern ist der Anteil der Besorgten gesunken, während er bei Frauen weiter angestiegen ist.
Zuletzt hängt die Einstellung zu Klimaschutz-Maßnahmen auch vom Wohnort ab. Im Osten Deutschlands sind die Leute tendenziell skeptischer gegenüber der Aussage, dem Umweltschutz Vorrang einzuräumen. In den neuen Bundesländern wird die Aussage „Dem Umweltschutz sollte Vorrang eingeräumt werden, auch wenn dadurch das Wirtschaftswachstum sinkt und Arbeitsplätze verloren gehen“ stärker abgelehnt als in den alten.
Auch die Ablehnung erneuerbarer Energien unterscheidet sich je nach Region. Insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern ist sie groß. Dort stehen besonders viele Windräder.
Viele Menschen hier hätten wohl „das Gefühl, das muss doch mal reichen“, zumal dort besonders viel Strom für andere, wohlhabendere Bundesländer produziert werde, vermutet Weinhardt. Übersehen werde dabei, dass der Ausbau der Erneuerbaren wirtschaftlich vorteilhaft für die Regionen sei. Die Daten lassen vermuten: Bisher hat die Politik es offenbar nicht geschafft, das zu vermitteln.
Insgesamt lassen die Forschungsdaten vermuten, dass es im Wahljahr 2024 für die Parteien schwieriger - und damit weniger opportun - sein könnte, mit Klimaschutz-Themen Stimmen zu gewinnen. Denn so groß die Sorge vor Folgen der Klimakrise sein mag: Die Bereitschaft, sie mit politischen Maßnahmen zu bekämpfen, nimmt ab.