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Sanktionen wirkungslos?

Europas Öl-Geschäfte finanzieren trotz neuem Embargo den russischen Krieg

Ungeachtet neuer EU-Sanktionen gegen den Handel mit fossilen Brennstoffen aus Russland, exportieren europäische Tanker weiter Öl-Produkte – und füllen damit die russische Staatskasse.
Ungeachtet neuer EU-Sanktionen gegen den Handel mit fossilen Brennstoffen aus Russland, exportieren europäische Tanker weiter Öl-Produkte – und füllen damit die russische Staatskasse.
Der Hafen von St Petersburg in Friedenszeiten. Trotz der Sanktionen verlassen immer noch europäische Schiffe die russischen Häfen. Foto: Getty Images/Cavan Images RF

Trotz eines EU-Embargos exportieren europäische Schiffe noch immer Millionen Tonnen fossiler Brennstoffe aus Russland und finanzieren so maßgeblich Wladimir Putins Angriffskrieg in der Ukraine mit. Die Sanktionen gelten seit Anfang Dezember. Sie sollten Russlands Einnahmen aus dem Ölgeschäft mit Europa schmälern und europäische Reeder davon abhalten, russisches Öl in andere Länder zu transportieren.

Eine neue Recherche der Journalistenteams Investigate Europe und Reporters United, die beide mit dem Tagesspiegel arbeiten, zeigt nun, dass das Embargo weitgehend wirkungslos bleibt. Russland profitiert weiter vom Exportgeschäft mit fossilen Brennstoffen – und dabei helfen auch europäische Unternehmen. Das zeigen Schiffsdaten, die der Rechercheverbund seit fünf Monaten sammelt.

Nach Inkrafttreten der Sanktionen Anfang Dezember haben europäische Frachter und Tanker mit einer Kapazität von fast 16 Millionen Tonnen Tragfähigkeit (DWT) Öl, Kohle und Gas aus Russland exportiert. Das entspricht etwa 40 Prozent der Kapazität aller Schiffe, die seitdem russische Häfen verließen, beladen mit fossilen Brennstoffen.

Unter den europäischen Konzernen sind es vor allem griechische Reeder, die weiter Geschäfte mit Russland machen. Doch auch Schiffe aus Italien, Norwegen und Deutschland verließen weiterhin Häfen an der russischen Küste. Wie die Recherche zeigt, ist an den Geschäften mit Europa auch das russische Staatsunternehmen Sovcomflot beteiligt, das ebenfalls von der EU sanktioniert wurde.

Im vergangenen Jahr haben EU-Staaten den Handel mit fossilen Brennstoffen aus Russland weitgehend eingeschränkt. Seit August gilt ein Verbot, russische Kohle nach Europa zu transportieren. Seit Anfang Dezember ist es Unternehmen zudem verboten, russisches Rohöl in die EU zu verschiffen. In andere Staaten dürfen europäische Reeder und Händler Rohöl nur dann transportieren, wenn diese dafür nicht mehr als einen Höchstpreis zahlen, den die EU-Staaten zuvor festgelegt haben.

Ungeachtet dieser Embargos verdienen zahlreiche europäische Unternehmen weiter gut an dem Geschäft mit Russland. Ob die Reeder und Händler dabei Sanktionen brechen, lässt sich mittels öffentlich-zugänglicher Daten nicht belegen. Doch mit ihren Geschäften füllen sie auch die russische Kriegskasse.

Europäische Reeder für mehr als ein Drittel der Transporte verantwortlich, gedeckt von europäischen Versicherungen

Im Rahmen dieser Recherche analysierten Investigate Europe und Reporters United die Datenbanken des Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA) sowie des Schifffahrt-Datenanbieters Equasis.

Demnach verließen zwischen dem 5. Dezember 2022 und dem 5. Januar 2023 insgesamt 689 Schiffe russische Häfen beladen mit Öl, Kohle oder Gas. Davon stammten 250 Schiffe aus Europa. Die meisten wurden von europäischen Versicherern gedeckt.

Im ersten Monat seit Einführung der neuen Sanktionen transportieren unter den europäischen Schifffahrtsunternehmen vor allem griechische Reeder Öl, Kohle und Gas aus Russland. Deren Schiffe legten insgesamt 161-mal in russischen Häfen ab, mit einer Kapazität von zwölf Millionen DWT. Auch deutsche Reeder trieben weiter Handel mit Russland. Sie ließen in mindestens 20 Fällen Tanker mit einer Kapazität von insgesamt fast einer Million DWT fossile Brennstoffe aus russischen Häfen auslaufen.

Die deutschen Schifffahrtsunternehmen verstießen mit den Lieferungen offenbar nicht gegen das Embargo. Laut den öffentlich zugänglichen Daten transportierten sie kein Rohöl, sondern sogenannte Ölprodukte. Die EU wird erst ab Anfang Februar den Handel mit bestimmten Ölprodukten verbieten.

Die Bremer Reederei German Tanker Shipping verantwortet 15 der 20 Transporte. Auf Nachfrage von Investigate Europe teilte eine Unternehmenssprecherin mit, dass die Reederei sich „an alle geltenden Sanktionen” halte.

Die Direktorin der ukrainischen Hilfsorganisation Razom We Stand, Svitlana Romanko, äußerte sich besorgt. „Ich bin schockiert, dass europäische Schifffahrtsunternehmen weiterhin russisches Öl und Gas exportieren“, sagte sie. „Ich fordere die verantwortlichen EU-Beamten auf, unverzüglich zu prüfen, ob Sanktionen verletzt wurden oder ob Unternehmen hier unrechtmäßig mit dem russischen Staat kooperiert haben.“

Das Kasachstan-Schlupfloch

Laut der Datenanalyse von Investigate Europe und Reporters United exportierten zwischen dem 5. Dezember 2022 und dem 5. Januar 2023 Schiffe mit einer Kapazität insgesamt acht Millionen DWT von russischen Häfen Öl, Kohle und Gas nach Europa. Seit dem Anfang Dezember vergangenen Jahres gilt ein EU-Embargo auf den Import von russischem Rohöl. Doch die Analyse zeigt, dass nach Beginn der Sanktionen in mindestens 30 Fällen Rohöl aus Russland nach Europa verschifft wurde. In 18 Fällen auf europäischen Schiffen.

Dank eines Schlupflochs in den Sanktionen können diese Geschäfte dennoch legal gewesen sein. Denn Schiffe dürfen weiterhin Rohöl von russischen Häfen aus exportieren, wenn dieses ursprünglich aus einem anderen Land stammt.

An den russischen Häfen in Noworossijsk und Ust-Luga werden große Mengen Rohöl aus Kasachstan verschifft. Von dort stammen 23 der 30 Rohöllieferungen, die im vergangenen Monat die EU erreichten. Das Noworossijsk-Terminal gehört zum Caspian Pipeline Consortium (CPC), das aus Westkasachstan über seine Pipelines Öl zum Schwarzmeerhafen befördert. Der russische Staat hält 24 Prozent an dem Konsortium.

Neue Reeder, neue Zielhäfen

Unterdessen arbeitet die russische Regierung Berichten zufolge daran, trotz Sanktionen weiter fossile Brennstoffe in die EU exportieren zu können. Die russische Reederei Sovcomflot hat demnach damit begonnen, einen Teil seiner Flotte auf ein Unternehmen zu übertragen, das in den Vereinigten Arabischen Emiraten registriert ist. Die EU hat Sovcomflot sanktioniert. Die Reederei könnte dank des Tricks weiter Handel treiben.

Dabei sind die Verbindungen eindeutig. Führende Sovcomflot-Manager werden in öffentlichen Registern als Direktoren des Unternehmens Sun Ship Management gelistet. Das führte im vergangenen Monat bereits 39 Schiffstransporte durch, mit einer Kapazität von 3,2 Millionen DWT. Sieben der Transporte hatten einen Zielhafen in der EU.

Trotz EU-Sanktionen exportiert Russland weiter massiv fossile Brennstoffe. Die Gesamtkapazität der Exporte nahm im vergangenen Jahr kaum ab. Tanker aus russischen Häfen steuerten statt Europa zuletzt häufiger China, Indien und die Türkei an. Wo die Ladungen letztendlich landen, lässt sich nur schwer nachvollziehen.

Unlängst führte die EU zusätzlich zu den Exportverboten eine Preisobergrenze ein. Im Januar veröffentlichte das Centre for Research on Energy and Clean Air eine Analyse, die zeigt, dass in der Folge die Weltmarktpreise für Öl- und Gas wieder deutlich sanken. Doch noch immer verdient Russland mit seinen Exporten täglich etwa 640 Millionen Euro.

Das Problem ist laut Beobachtern, dass sich Russlands neue Handelspartner China, Indien und die Türkei nicht an die Preisobergrenze halten. Darüber hinaus liegt die Obergrenze mit 60 US-Dollar über dem Durchschnittspreis für russisches Rohöl. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nannte den Mechanismus zuletzt „schwach“. Gemeinsam mit Polen und den baltischen Staaten hatte er sich für eine deutliche niedrigere Obergrenze eingesetzt.

Das Team

Nico Schmidt
Recherche
Sotiris Sideris
Datenrecherche & -analyse
Kirk Jackson
Datenvisualisierung & Entwicklung
David Meidinger
Datenvisualisierung & Entwicklung
Veröffentlicht am 30. Januar 2023.