Die Lübecker Reederei Oldendorff hatte Ende Juni einen Grund zu feiern. Seit 100 Jahren kreuzen die Frachtschiffe des Unternehmens über die Meere vom Pazifik über den Atlantik bis zur Nord-see. Schifffahrt ist ein internationales Business. Jeder Konflikt, jeder Krieg betrifft auch immer das Geschäft und nicht zuletzt die Crews aus Menschen aus unterschiedlichsten Ländern. Deshalb kam Reederei-Chef Henning Oldendorff am Rande der Feierlichkeiten auch auf die Jetztzeit zu sprechen.
Einem Lokalreporter sagte er, seine Firma habe „vielen Angehörigen und Familien von unseren Mitarbeitern und unseren Seeleuten aus der Ukraine geholfen, nach Deutschland zu kommen und hier eine Bleibe zu finden.“ Doch seine Reederei half in den vergangenen Monaten nicht nur denen. Seit Beginn der russischen Invasion der Ukraine Ende Februar transportierten Schiffe der Oldendorff-Reederei in fast 50 Fällen Kohle aus Russland.
Damit sind sie nicht allein. Das Journalistenteam Investigate Europe hat gemeinsam mit der griechischen Journalistenorganisation Reporters United und dem Tagesspiegel Datenbanken ausgewertet, die zeigen, dass Reedereien aus ganz Europa in den vergangenen Monaten weiter Geschäfte mit Russland machten. Darunter sind Schiffsbetreiber unter anderem aus Griechenland, Deutschland, Norwegen sowie Kroatien.
Als Anfang Mai die Diplomaten der EU-Staaten in Brüssel zusammenkamen, um neue Sanktionen gegen Russland zu planen, saßen auch Vertreter Griechenlands, Zyperns und Maltas am Tisch. Die fürchteten Wettbewerbsnachteile für ihre Schiffskonzerne, sollte lediglich die EU Öl-Exporte aus Russland verbieten. „Griechenland beklagte, es werde Zustimmung zu großem wirtschaftlichem Opfer verlangt, ohne Garantien, dass faire Wettbewerbsbedingungen aufrecht erhalten bleiben“, notierte ein Diplomat nach einer der Verhandlungsrunden in einem internen Vermerk, der „Investigate Europe“ vorliegt.
Die EU-Staaten setzten sich durch. Anfang Juni verkündete die EU ein Embargo auf Kohle-Exporte aus Russland ab Mitte August. Ab Anfang des kommenden Jahres sollen europäische Schiffe zudem zudem kein Öl mehr aus Russland transportieren. Auch soll binnen eines Jahres der Gas-Import aus Russland um zwei Drittel reduziert werden, ein vollständiges Embargo ist bisher nicht vorgesehen.
Doch die zögerliche Reaktion der EU zeigt auch, wie wichtig Kohle, Öl und Gas aus Russland für die Staatengemeinschaft sind. Bisher kamen knapp die Hälfte der Gas- und Kohle-Importe der EU aus Russland – sowie ein Viertel der Öl-Importe.
Ungeachtet mutmaßlicher russischer Kriegsverbrechen in den vergangenen Monaten, sorgte auch ein riesiges Netz europäischer Schiffe dafür, dass Russland sein Öl, seine Kohle und sein Gas weiter international absetzen konnte. Das ergab die Datenanalyse von „Investigate Europe“, „Reporters United“ und des Tagesspiegels. Grundlage dafür waren Schifffahrtsdatenbanken der Organisationen Crea und Equasis.
Die Datenbanken messen Öl-, Kohle- und Gas-Exporte in der Gesamttragfähigkeit der Schiffe, Deadweight-Tonnage (DWT) genannt. Zwischen Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine Ende Februar und Ende August wurden 184 Millionen DWT fossile Brennstoffe per Schiff aus Russland exportiert. Davon entfielen mehr als die Hälfte, 55 Prozent, auf Schiffe europäischer Reeder, die in mindestens 1513 Fällen russische Häfen verließen – beladen mit fossilen Brennstoffen.
Unter den europäischen Reeder trieben besonders die griechischen Handel mit Russland. Sie sind verantwortlich für mehr als ein Drittel aller Öl-, Kohle- und Gas-Exporte, ihre Transporte hatten eine Gesamtkapazität von knapp 65 Millionen DWT. Deutsche Reeder ließen mindestens 177 Schiffe mit einer Kapazität von insgesamt 9,16 Millionen DWT fossile Brennstoffe transpor-tieren. Auch Reeder unter anderem aus Großbritannien (4,8 Millionen DWT), Norwegen (3,9 Mil-lionen DWT), Kroatien (3 Millionen DWT) sowie Dänemark (2,9 Millionen DWT) verschifften flei-ßig weiter russische Brennstoffe.
Aus der Lübecker Firmenzentrale steuern die Manager der Oldendorff-Reederei eine der größten Frachterflotten der Welt. Insgesamt verwalten sie über 700 Schiffe. Davon transportierten 21 seit Ende Februar in mindestens 43 Fällen Kohle aus russi-schen Häfen ab – mit einer Gesamtkapazität von 3,8 Millionen DWT. Eine Nachfrage von „Investigate Europe“ zu dem Russland-Geschäft ließ der Oldendorff-Konzern unbeantwortet.
Ebenfalls handelte die die Bremer Reederei German Tanker Shipping rege mit Russland. Des-halb hatten bereits Anfang März Greenpeace-Aktivisten auf der Weser den Tanker Seasprat ge-stoppt und auf dessen Bug den Schriftzug „Peace – Not Oil“ hinterlassen. Der Klimaexperte der Organisation, Karsten Smid, sagte damals: „Es kann nicht sein, dass Deutschland ungerührt weiter für Milliarden Euro Kohle aus Russland kauft, während zur gleichen Zeit in der Ukraine Menschen bei Putins Krieg sterben.“
Doch in den Wochen danach schafften German-Tanker-Schiffe weiter Öl aus russischen Häfen, seit Ende Februar insgesamt in 71 Fällen mit einer Kapazität von 2,6 Millionen DWT. Die Reederei teilt auf Nachfrage mit, sie operiere „im Rahmen der bestehenden, maßgeblichen Gesetze und Vorschriften, insbesondere den Sanktionsbestimmungen der EU“. Der größte Teil des Handels wird jedoch von mächtigen griechischen Schifffahrtskonzernen abgewickelt. Darunter die Reederei TMS Tankers, die von George Economou kontrolliert wird. Nach dem 69-jährigen Milliardär ist eine Galerie in der Londoner Tate Modern benannt.
Seit Beginn der russischen Invasion haben seine Schiffe in 78 Fällen russische Brennstoffe ex-portiert mit einer Gesamtkapazität von 9,1 Millionen DWT. Weitere einflussreiche Reeder sind Vardis Vardinoyannis sowie die Familie Alafouzos. Die Frachter der Familien exportierten Kohle, Öl und Gas mit einer Kapazität von knapp 3,7 Millionen DWT aus Russland. Die griechischen Reeder ließen Fragen zu ihrem Geschäft unbeantwortet.
Es sind auch europäische Versicherungskonzerne, die das Geschäft der Reedereien ermöglichen. Ohne deren Policen wäre der Frachtverkehr mit Russland kaum möglich. Die Datenanalyse von Investigate Europe, Reporters United und des Tagesspiegels zeigt, dass fast alle Schiffversicherer Mitglied in der britischen International Group of P&I (IGPI) sind.
Seit dem 10. August dieses Jahres gilt ein erstes Exportverbot für fossile Brennstoffe aus Russ-land. Ab diesem Tag gelten gelten Sanktionen für „Transaktionen zum Kauf, zur Einfuhr oder zur Beförderung in die Union von Kohle und anderen festen fossilen Brennstoffen“. Ungeachtet dessen verließ ein Transportschiff der Oldendorff-Reederei am 11. August 2022 den russischen Hafen Ust-Luga beladen mit 105.000 Tonnen Kohle. Darüber berichtete zuerst die „Welt am Sonntag“. Inzwischen prüft die Lübecker Staatsanwaltschaft einen Sanktionsver-stoß. Anfragen von „Investigate Europe“ ließ die Reederei unbeantwortet.
Doch die Oldendorff-Reederei könnte Hilfe von unerwarteter Stelle erhalten. Denn unlängst weichte die EU ihr striktes Kohle-Embargo auf. So stellte die Kommission vergangene Woche klar, dass der Kohle-Transport außerhalb der EU teilweise erlaubt bleiben solle, um „die weltweite Nahrungsmittel- und Energieunsicherheit zu bekämpfen“.
Der Oldendorff-Frachter entlud seine Ware außerhalb der EU – im türkischen Iskender. Möglich, dass in den kommenden Wochen wieder weitere europäische Kohle-Transporter russische Häfen ansteuern werden.
#FuellingWar ist ein gemeinsames Projekt der journalistischen Non-Profit-Organisationen Investigate Europe und Reporters United
Neben den Autoren haben folgenden Reporterinnen und Reporter an der Recherche mitgewirkt: Lorenzo Buzzoni, Thodoris Chondrogiannos, Ingeborg Eliassen, Nikolas Leontopoulos, Kon-stantina Maltepioti, Manuel Rico, Amund Trellevik.
Neben dem Tagesspiegel sind folgende Me-dienpartner an dieser Untersuchung beteiligt: Bergens Tidende (Norwegen), Il Fatto Quotidiano (Italien), InfoLibre (Spanien), Meduza (Russland), Publico (Portugal).
Das Tagesspiegel Innovation Lab hat die Visualisierung der Recherchen für diesen Artikel und die internationalen Partner entwickelt.