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Faule Kredite in Europa

Das sind die größten Player auf dem Markt für nicht gezahlte Schulden

Investment- und Inkassounternehmen handeln mit nicht abbezahlten Schulden. Wie groß und lukrativ der Markt für faule Kredite ist, ist unbekannt. Die größten Händler – und warum die Europäische Union den Handel mit den Kreditportfolios ankurbelt.
Investment- und Inkassounternehmen handeln mit nicht abbezahlten Schulden. Wie groß und lukrativ der Markt für faule Kredite ist, ist unbekannt. Die größten Händler – und warum die Europäische Union den Handel mit den Kreditportfolios ankurbelt.

Wer sein Haus nicht mehr abbezahlen kann, dessen Bankschulden können zum Finanzmarktprodukt werden. Oft werden „faule Kredite“ ohne Wissen der Hauseigentümer mehrfach weiterverkauft. Sie landen bei undurchsichtigen Investoren.

Faule Kredite – auch notleidende Kredite genannt – haben sich seit der Jahrtausendwende von einer Gefahr für das Wirtschaftssystem zu einem lukrativen Finanzmarktprodukt entwickelt. Die Europäische Union fördert den Handel aktiv.

Die größten Player auf dem Markt sind Unternehmen mit mythisch klingenden Namen wie „Cerberus“, „Intrum“ oder „Lone Star“. Viele dieser Unternehmen haben ihren Hauptsitz in den USA, einige sind Inkassounternehmen, andere Investmentfonds-Verwaltungsunternehmen.

Wie groß der Markt ist, ist unbekannt. Die Grafik zeigt nur alle Verkäufe, die bekannt geworden sind, etwa über Pressemitteilungen oder Medienberichte. „Ein Handel muss nicht bekannt gegeben werden“, sagt Marcel Köchling, Vorstandsmitglied der Bundesvereinigung Kreditankauf und Servicing sowie Geschäftsführer des Inkassounternehmens PRA Group. „In der Regel erfährt man nur von einigen großen Transaktionen“, sagt der Experte für faule Kredite.

Der Markt ists schwer zu durchschauen. Auch die Rendite der Käufer ist unbekannt. Sie zu benennen sei nämlich „fast unmöglich“, sagt Köchling. Sie hänge von vielen Faktoren ab, etwa vom Alter des Portfolios, davon, welches Produkt hinter dem Kredit steht, ob eine Person ihn aufnahm oder ein Unternehmen ihn aufgenommen habe.

„Generell handelt es sich aber um ein eher risikoreiches Investment für den Sekundärmarkt“, sagt Köchling.

Dieser Text ist der zweite Teil unserer neuen Recherche zum Immobilienmarkt in Europa. Wie krempeln faule Kredite den europäischen Finanzmarkt um – und was bedeutet das für Menschen mit Hauskrediten? In dem ersten Teil des Projekts haben wir uns dem studentischen Wohnen gewidmet. Hier können Sie mehr dazu lesen.

Zur Intransparenz des Marktes für faule Kredite trägt weiter bei, dass die Investoren die faulen Kredite nicht direkt kaufen. Das tut eine sogenannte Zweckgesellschaft: ein separates Unternehmen, das meist zum Investor gehört und das Geld von ihm erhält. Sie verwaltet nun den Hauskredit.

Dafür stellt der Investor entweder Eigenkapital bereit oder er nimmt einen Kredit auf. Eine dritte Möglichkeit sind Bonds, also Anleihen. Investoren geben sie für die Portfolios fauler Kredite heraus. Das sind gewissermaßen Aktien. Wer in das Geschäft mit den faulen Krediten investieren möchte, kauft diese Bonds. Der Handel mit faulen Krediten finanziert sich dann durch die Anleihenkäufer, die – wenn alles nach Plan läuft – Zinsen erhalten.

Oft werden die Anleihen „tranchiert“. Die faulen Kredite werden in Gruppen eingeteilt, je nachdem, wie wahrscheinlich es ist, dass das geschuldete Geld doch noch zurückbezahlt wird.

Senior, Junior, Mezzanine: Wie Banken Portfolios tranchieren

Der Kredit einer Managerin, die ein Haus gekauft hat, zwar ihren Job verloren und nicht mehr zahlen kann, aber den nächsten Job in Aussicht hat, würde wohl in der ersten Tranche (“Senior-Tranche”) landen. Stirbt ein Kreditnehmer und ein völlig mittelloser Erbe nimmt den Hauskredit an, ist nicht davon auszugehen, dass das Geld noch zurückkommt. Ein solcher Kredit würde in einer der mittleren („Mezzanine“- und „Junior-Tranche“) oder unteren Tranche („First-Loss“- oder „Equity-Tranche“) landen.

Wozu die Tranchierung? Investoren, die faule Kredite übernehmen, die mit größter Wahrscheinlichkeit doch noch gezahlt werden, erhalten ihre Rendite mit Priorität. Ihr Investment ist ein recht sichereres. Denn die niedrigeren Tranchen absorbieren die Verluste der oberen Tranchen. Ein Investment in die niedrigeren Tranchen ist riskanter. Aber es verspricht viel höhere Renditen.

Wie der Staat in das Geschäft einsteigt

An diesem Punkt ist in Griechenland und Italien der Staat aktiv in das Geschäft eingestiegen, um die Quoten fauler Kredite der Banken zu verringern, quasi als Investor. Das geht so: Eine Regierung sichert die Senior-Tranche eines Portfolios mit Staatsgeldern ab. Die Investor-Servicegesellschaft verwaltet sie mit.

Schaffen die Servicegesellschaften es nicht, Geld aus diesen faulen Krediten zu erwirtschaften, zahlt der Staat der Bank das Geld für die faulen „Senior“-Kredite. Der Investor ist fein raus. Der Staat hat den Handel angekurbelt. Die Zahl der faulen Kredite in den griechischen Banken sinkt.

Während 2017 noch 45 Prozent der von griechischen Banken vergebenen Kredite in Verzug waren, waren es zwei Jahre nach Inkrafttreten des „Hercules“-Programms nur noch 12,1. Der Staat übernimmt Garantien in Höhe von insgesamt bis zu 20 Milliarden Euro. Das italienische Programm heißt „GACS“. In beiden Ländern werden viele faule Kredite verkauft.

Ob GACS oder Hercules: Die notleidenden Kredite sind nicht weg. Sie sind nur woanders. Und wenn alles schief geht, zahlt der Staat einen Teil des Geldes. Der Staat kauft die Banken also nicht mehr direkt heraus, wie damals in der Finanzkrise. Die EU und die Staaten setzen darauf, dass es nicht dazu kommen wird. Aber am Ende nimmt der Staat, und mit ihm die Steuerzahler, den Investment-Unternehmen einen Teil des Risikos ab.

Experten aus der Branche loben das System. Sie sprechen von einer effizienteren Verwaltung der faulen Kredite durch die Investoren, einem Problem weniger für die Banken. Kritiker sind besorgt, dass ein undurchsichtiges Schattenbanksystem wächst. Denn sobald die Kredite das Bankensystem verlassen, verschwinden sie aus den Augen der Bankaufsichten.

Zahlungsunfähige Schuldner sind derweil plötzlich Unternehmen ausgeliefert, die nichts mehr mit der Bank zu tun haben, bei der sie den Kredit aufgenommen haben. Manche beschäftigen aggressive Inkassounternehmen. Und die faulen Kredite können mehrmals weiterverkauft werden. Außerdem ist in einigen Fällen unklar, wessen Geld in den weiterverkauften Krediten landet. Denn über Subunternehmen können hier wesentlich einfach Gelder angelegt werden, ohne dass es auffällt.

Zumindest in einem Fall in Italien war es Geld der italienischen Mafia. Sie verkaufte die faulen Kredite an einen luxemburgischen Ableger der Bank Generali weiter. Trotz gründlicher Prüfung habe man, das sagte Generali der „Financial Times“, nichts davon gewusst, dass mit den faulen Krediten versteckte Mafiagelder in ihren Büchern landeten.

Eine griechische Version dieser Recherche finden Sie bei unseren Kooperationspartnern „Reporters United“.

Dieser Artikel ist Teil der Recherche „Ghost debts: The shadow financial system making money with unpaid loans“. Sie entstand im Rahmen des Urban Journalism Network ECIJA und wurde vom Journalismfund Europe unterstützt. Der Aufbau des Netzwerks wurde von Stars 4 Media gefördert und von Arena for Journalism in Europe begleitet. An dieser Veröffentlichung beteiligt sind neben dem Tagesspiegel Irpi Media (Italien), Mediapart (Frankreich), Reporters United (Griechenland) und El Salto (Spanien). Das Projekt ist eine Fortführung der europäischen Recherche Cities for Rent und wird vom Stars4Media-Programm gefördert.

Das Team

Edoardo Anziano
Recherche
Eric Beltermann
Webentwicklung
Nina Breher
Text & Recherche
Tamara Flemisch
Webentwicklung
Hendrik Lehmann
Recherche & Redigatur
David Meidinger
Webentwicklung
Sotiris Sideris
Recherche
Lennart Tröbs
Design & Visualisierung
Helena Wittlich
Redigatur
Veröffentlicht am 17. März 2023.