Globaler Pipeline-Atlas:
Das unsichtbare Netz der weltweiten Energieversorgung
Dann war der Hahn zu. Nach Polen fließt durch die Yamal-Gaspipeline kein Gas mehr – Lieferstopp aus Russland. Auch Bulgarien bekommt kein russisches Gas mehr. Im Krieg gegen die Ukraine setzt Russland sein Erdgas als politische Waffe gegen Handelspartner ein.
Die Lieferstopps heizen in Deutschland Sorgen um leere Gasspeicher an. Den Großteil des russischen Gases bezieht Deutschland über NordStream1, der großen Schwester der gestoppten NordStream2.
Das globale Netz der Gas- und Ölpipelines zeigt, wie immer mehr Pipelines den Globus durchziehen und Staaten über ihre Grenzen hinweg miteinander verbinden. Die sind aber extrem ungleich verteilt, das macht sie zu einem potentiellen Spielball. Die meisten Pipelines liegen unterirdisch, ihren Verlauf kann man sich schwer vorstellen. Deswegen haben wir alle weltweit bekannten Pipeline-Verläufe auf einer Karte visualisiert:
Die Tallgras Interstate Gas Transmission Pipeline in den USA war in den 1930er Jahren eine der ersten großen Pipelines. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann auch in Europa gebaut. Mittlerweile durchziehen sie die meisten Regionen der Welt. Pipelines prägen die politischen Verhältnisse, sind mal Mittel der Diplomatie, mal Gegenstand erbitterter Streits.
Die interaktive Karte zeigt die Gas- und Öl-Pipelines, von denen das genaue Jahr der Inbetriebnahme sowie die Route bekannt sind – das sind 520 Pipelines. 1657 weitere bekannte Pipelines, deren Verläufe unklar oder nur sehr grob bekannt sind, lassen sich mithilfe des Schalters oben rechts dazu auswählen. Die Daten sammelt die US-amerikanische NGO Global Energy Monitor.
Die längsten Pipelines sind über 4000 Kilometer lang. Meist sind die Stahl- oder Plastikrohre in den Boden eingegraben oder liegen am Meeresgrund. Nicht angezeigt werden die Pumpstationen entlang der Strecken. Ohne sie würden die Rohstoffe in den Leitungen stehen bleiben. Um Öl zu transportieren, sorgen Kompressoren für Überdruck, Öl wird mit Pumpen in Bewegung gehalten. Das zähflüssige Öl fließt normalerweise mit gemächlichen drei bis fünf Stundenkilometern, also etwa so schnell wie eine Fußgängerin, Gas mit rund 30 Stundenkilometern.
Die Grafik vermittelt auch einen Eindruck davon, über wie weite Distanzen die Rohstoffe gehandelt werden. Das liegt daran, dass sie in der Welt ungleich verteilt sind; außerdem ist die Infrastruktur für den Abbau teuer. Manche Länder müssen die Brennstoffe also ankaufen, andere können sie gewinnbringend verkaufen. Welche exportieren besonders viel, welche kaufen?
Trotz der hohen Baukosten sind die Pipelines die günstigste Art, Öl und Gas zu transportieren. In den USA werden 90 Prozent des Öls mindestens teilweise per Pipeline transportiert, schreibt das American Geosciences Institute.
Die USA exportiert viel, hat im Vergleich aber weniger Reserven
Wer selbst Rohstoffreserven hat, kauft logischerweise meist nicht viel. Zum Beispiel Russland. Das Land hat die größten Gasreserven, ist also auch der weltweit größte Gas-Exporteur. In die Top drei des Exportrankings gehören noch Katar und die USA. Beim Erdöl stehen Saudi-Arabien, Russland und Kanada vorn.
Interessant ist: Die größten Exporteure sind nicht automatisch die Länder mit den größten Reserven. Im Vergleich stehen die USA bei den Öl-Reserven nur auf Platz neun, bei Gas auf Platz fünf.
Dass Öl und Gas Abhängigkeiten über weltanschauliche Grenzen hinweg schaffen, ist kein neues Phänomen. Das erste Gas, das per Pipeline den Eisernen Vorhang durchfloss, ging nach Österreich, ab 1968 mit der Bratstvo-Pipeline. 1970 zog Westdeutschland nach: Ruhrgas und Gazprom schlossen Verträge über Erdgas-Lieferungen; Thyssenkrupp lieferte Stahlrohre für die dafür nötige Pipeline-Verlängerung.
Mehr Pipelines, größere Öl- und Gasmengen: Der Abbau ist noch lange nicht vorbei
Weltweit versorgen die Pipelines Milliarden von Menschen. Laut den Vereinten Nationen könnten 2050 9,7 Milliarden Menschen statt derzeit rund 7,9 Milliarden auf der Welt leben. Das erhöht auch den Energiebedarf. Bisher sieht es nicht so aus, als würde man ihn künftig ausschließlich mithilfe erneuerbarer Energien stillen – oder der Bedarf nach Erdöl und –gas abnehmen.
In den 1950er Jahren wurde Erdöl zur global wichtigsten Energiequelle. Der BP-Prognose zufolge könnte Gas das Öl bald überholen. Besonders bei Gas befinden sich zahlreiche neue Pipelines im Bau, wie die interaktive Karte zeigt.
Um unabhängiger von russischem Gas zu werden, könnte Deutschland auf andere Transportwege setzen – zum Beispiel auf Schiffe. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) treibt derzeit Planungen für das erste Flüssigerdgasterminal, auch LNG-Terminal genannt, in Deutschland voran. An der Nordseeküste soll per Schiff angeliefertes, für den Transport verflüssigtes Erdgas wieder gasförmig gemacht werden. „Spätestens der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine macht dies zwingend“, sagte Habeck. Umweltschützer*innen halten das aus Klimaschutz-Sicht für den falschen Weg. Was es politisch bringt, wird sich zeigen – auch andere Länder mit großen Reserven könnten eine Abhängigkeit als Druckmittel benutzen.
In einer früheren Version des Artikels wurde Robert Habeck (Grüne) als Bundesfinanzminister bezeichnet. Habeck ist jedoch Bundesminister für Wirtschaft und Energie. Wir haben den Fehler korrigiert.