Das war genau eine der Fragen, mit der sich die UN-Klimawandel-Konferenz „COP 2021“ in Glasgow beschäftigte. Doch schon die Voraussetzungen der Konferenz zeigen, dass die historische Verantwortung für den Klimawandel weitgehend ausgeblendet werden. Die afrikanischen Staaten sind weitgehend unterrepräsentiert, die Verursacher feilschen um eigene Vormachtstellungen. Und viele Verhandler*innen aus afrikanischen Ländern konnten nicht einmal anreisen, manche wegen Corona-Beschränkungen, manche wegen Visumsproblemen.
Eine, die trotzdem da war, ist Lina Yassin. Die 23-Jährige ist Mitglied der sudanesischen Delegation. Als Delegierte ihres Heimatlandes saß sie an den Tischen, verhandelte tagelang, versuchte, sich und ihrem Land Gehör zu verschaffen. Gar nicht so leicht als Vertreterin eines der ärmsten Länder.
Auf Fotos sieht man die 23-Jährige diskutieren, erklären, verhandeln. Auf einem wirkt es, als würde sie in der Menge untergehen: Fast wie das Land, das sie vertritt.
Der Sudan und der Südsudan können nichts für die immer häufigeren Fluten, Kenia und Madagaskar nichts für die Dürren. Die Treibhausgase entstehen auf anderen Teilen der Welt. 20 wohlhabende Länder verursachen 80 Prozent davon.
Das sagt Yassin im Nachgang über die COP. Sie kennt die Konferenz, nimmt seit mehreren Jahren an ihr teil. Als sie das sagt, klingt sie zugleich energisch und desillusioniert. Letzteres auch, weil die wohlhabenden Staaten, die sogenannten „entwickelten Länder“, schon am ersten Tag einen Vertrauensbruch begingen: 2009 hatten sie versprochen, den Entwicklungsländern jährlich mehr Geld bereitzustellen. Geld, damit sie die Klimawandel-Folgen besser abfedern können. Jedes Jahr sollte ab 2020 hundert Milliarden fließen. So der Plan.
Gleich zu Beginn der COP hieß es dann aber: Klappt nicht. Die reichen Staaten geben sich nun drei weitere Jahre Zeit. Ab 2023 soll jährlich die volle Summe fließen. Für viele der ärmeren Länder ist das eine herbe Enttäuschung, erzählt Yassin am Telefon.
Schlimmer eigentlich: Dadurch sei der Eindruck entstanden, man könne sich in der Klimakrise nicht auf die verlassen, die die Möglichkeit hätten, etwas zu ändern. „Entwickelte Länder halten ihre Versprechen nicht“ – immer wieder habe sie diesen Satz an den Verhandlungstischen und auf den Fluren gehört.
Das hat die Verhandlungen überschattet, sagt die Aktivistin, die für sudanesische Zeitungen schreibt, für das Projekt „Climate Tracker“ arbeitet und im britischen Oxford ihr Masterstudium absolviert. Die reichen Länder haben dieses Versprechen nicht gehalten, wieso also sollten man ihnen in Zukunft vertrauen? Jetzt, sagt Yassin, sei es umso wichtiger, genau zu beobachten, ob die Beschlüsse der diesjährigen COP tatsächlich umgesetzt werden. Sie wird es tun. Auf dem Spiel steht ihre Zukunft.
Doch die ärmeren Länder werden gebraucht, um die Klimakrise zu beenden – auch vom globalen Norden. Der Klimawandel birgt Stoff für neue internationale Konflikte. Viele aufstrebende afrikanische Länder könnten allerdings erst jetzt beginnen, Geld mit ihren Bodenschätzen zu verdienen, sagte etwa der senegalesische Präsident Macky Sall kürzlich. Investitionen in den fossilen Gassektor zu reduzieren, wäre „ein tödlicher Schlag“ für die Wirtschaft seiner Landes. Fossile Brennstoffe schädigen aber das Klima. Soll der potenzielle Wohlstand im Boden bleiben?
Ein Dilemma. Afrikanische Staaten daran zu hindern, zum Beispiel Rohöl abzubauen und damit ihre Wirtschaft zu stärken, sei „definitiv nicht fair“, sagt auch Yassin. „Man kann doch Entwicklungsländern nicht einfach verbieten, Emissionen auszustoßen!“ Sie fordert Ersatzzahlungen für arme Länder, die freiwillig auf den Abbau klimaschädlicher Rohstoffe verzichten – anders gehe es nicht.
Darauf gehen reichen Staaten bisher kaum ein. Nicht einmal die historische Verantwortung für den Klimawandel wird prominent angesprochen, sagt Yassin. In den Verhandlungen verhielten sie sich defensiv. „Sie sollten nicht immer Ideen und Vorschläge zurückdrängen, nicht immer versuchen, weniger Geld zahlen zu müssen oder weniger Versprechen einhalten zu müssen.“
Das frustriert sie am meisten: die Fruchtlosigkeit der Verhandlungen, ihre Langsamkeit. Die stehe im Kontrast zur Dringlichkeit der Situation. „Man sitzt da und diskutiert stundenlang einen Paragrafen, einen Satz, ein Wort.“ Nach einer kurzen Pause sagt sie noch: „Es geht hier doch nicht einfach um Politik. Es geht um Länder, die sterben.“
Ob sie an der nächsten COP überhaupt teilnehmen kann, weiß sie nicht. Parallel zur Konferenz putschte sich im Sudan das Militär an die Macht. Yassin war plötzlich Delegierte einer Regierung, die nicht mehr existiert.
Anmerkung (24.1.): In der ursprünglichen Version des Textes hieß es, eine deutsche Person würde „fast das Zehnfache” der CO2-Emissionen pro Kopf einer Person in der DR Kongo verursachen. Das war falsch - es sind mehr als 250-mal so viele Emissionen pro Kopf in 2020. Wir haben den Fehler korrigiert.
Dieser Artikel ist Teil einer einjährigen Recherche zu den Folgen des Klimawandels in besonders betroffenen Regionen in Afrika. Dabei liegt der Hauptfokus auf Klimaaktivistinnen, die vor Ort versuchen, Probleme aufzuzeigen und Lösungen zu finden.
Die globale Klimabewegung wird von jungen Frauen geprägt. Hierzulande stehen Aktivistinnen wie die Schwedin Greta Thunberg im Vordergrund - oder Luisa Neubauer, das deutsche Gesicht von “Fridays for Future”. Ihre Mistreiterinnen aus Afrika werden oft übersehen, dabei sind ihre Länder schon heute viel stärker von der Klimakrise betroffen.
Im Rahmen des Projekts A Female Fight for the Future begleitet der Tagesspiegel ein Jahr lang Klimaaktivistinnen in afrikanischen Ländern und visualisiert klimarelevante Entwicklungen. Wir schauen uns Projekte vor Ort an, mit denen der Klimawandel bekämpft werden soll, zeigen, wie sich neue politische Netzwerke bilden und zeigen, wo Menschen schon heute besonders unter der ökologischen Krise leiden.
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