Trinkwasser gibt’s nur noch im Supermarkt, Toilettenwasser rationiert die Feuerwehr. Das ist keine Szene aus einem Science-Fiction-Film, sondern passiert gerade in Deutschland. Eine Analyse zeigt, in welchen Regionen Deutschlands der Gesamtboden besonders anfällig ist für Phasen außergewöhnlicher oder extremer Dürre – und wo es gerade schon sehr brenzlig ist.
Insgesamt wird Deutschland gut mit Wasser versorgt, so dass es bundesweit keinen sogenannten „Wasserstress“ gibt. „Aber aufgrund der unterschiedlichen Bodenbeschaffenheit, der generell niedrigeren Niederschläge im Osten und in einigen Teilen des Nordens sowie der lokalen Wassernutzung kann es vor Ort zu Wasserknappheit kommen“, sagt Corinna Baumgarten vom Umweltbundesamt (UBA) dem Tagesspiegel.
Vor allem im nördlichen Rheinland-Pfalz, im Münsterland und in Sachsen sowie in den südlichen Teilen Brandenburgs trocknet der Boden aktuell immer mehr aus. Das zeigt der Dürremonitor des Helmholtz Zentrums für Umweltforschung (UFZ) recht deutlich. Die Entwicklung der vergangenen Tage gilt für den Gesamtboden – und speziell für den besonders wichtigen „Oberboden“.
„Die Feuchtigkeit in den oberen 30 bis 60 Zentimetern ist entscheidend“, sagt Andreas Marx vom UFZ dem Tagesspiegel. „Wenn Sie einen durchschnittlichen Niederschlag auf einen eigentlich viel zu trockenen Boden bekommen, dann reicht das für die Pflanzen oft trotzdem.“ Doch selbst wenn Rasen und Sträucher nicht gleich braun aussehen, ist das kein Grund zur Entwarnung. „Alles, was flach wurzelt, nimmt das Wasser sehr schnell auf und erlebt einen Wachstumsschub“, sagt Marx. Aber das Wasser sickert dann nicht mehr weiter. „Wenn man genauer hinschaut, gerade in den Städten, sieht man überall tote Bäume und lichte Kronen: Durch viele Bäume können Sie durchgucken. Das darf nicht sein.“
Deutschland steht mit einem Angebot von etwa 188 Milliarden Kubikmetern pro Jahr fast sechs Mal so viel Wasser zur Verfügung wie benötigt wird. Doch 2018 und 2019 waren es laut Umweltbundesamt merklich weniger, nämlich nur circa 119 Milliarden Kubikmeter. Und so kann es lokal oder sogar regional immer wieder zu Wasserengpässen kommen. Das liegt zunächst an den unterschiedlichen klimatischen Randbedingungen.
Hinzu kommt vielerorts die sogenannte Winderosion. Sie entsteht, wenn feinsandreiche und lehmig-sandige Böden zusätzlich austrocknen und bewirkt, dass humusreiches Feinmaterial schlicht vom Acker geweht wird: Wasserspeichernde Pflanzen können nicht mehr so gut wachsen. Gut zu beobachten ist das beispielsweise in Teilen Ostdeutschlands, wo die sandigen oder tonigen Böden Feuchtigkeit besonders schlecht speichern können und daher schnell austrocknen. Grundsätzlich wurden zudem in ganz Deutschland über Jahrzehnte hinweg Flüsse und Bäche begradigt, außerdem Flächen über Gräben und Drainagen entwässert.
Das hat zur Folge, dass Wasser zu schnell abfließt – es bleiben zu wenige Reserven. „Regnet es längere Zeit nicht, wie in den Sommermonaten der letzten Jahre, trocknen die Flächen immer mehr aus und der Grundwasserspiegel sinkt“, schreibt Maximilian Hempel, Abteilungsleiter Umweltforschung und Naturschutz bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt.
Deutschlandweit macht sich ein „Corona-Effekt“ nicht bemerkbar. „Zahlen über einen deutschlandweiten Corona-Effekt liegen uns nicht vor“, heißt es aus dem Umweltbundesamt. Lokal sieht es teilweise anders aus. Das lässt sich im niedersächsischen Lauenau beobachten. Auch dort waren in der Pandemie-Zeit viele Menschen zu Hause geblieben, statt in den Urlaub zu fahren. So stieg der private Wasserverbrauch. Bei Temperaturen über 30 Grad wurden die Plantschbecken gefüllt und so mancher gönnte sich eine kühle Dusche extra. Vor einigen Tagen berichtete der Bürgermeister, dass im Ergebnis die Wasserreservoirs leer liefen, der Druck in den Leitungen sank. Mitunter kam gar kein Wasser mehr aus dem Hahn.
Die Landwirtschaft entnimmt gerade einmal 0,3 Milliarden Kubikmeter der gesamten öffentlichen Wasserversorgung von rund 24 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Die Energieversorger schlagen mit 12,7 Milliarden zu Buche, die Industrie mit 5,8 Milliarden.
Trotzdem spielt die Landwirtschaft eine entscheidende Rolle. Denn viele Bauern bringen zu viel Gülle und Dünger auf ihren Feldern aus und belasten das Grundwasser mit Nitrat. Das Umweltbundesamt benennt das Problem sehr deutlich. Mit Blick auf die zu hohen Nitratwerte heißt es: „Dies ist in der Regel ein Ergebnis zu hoher landwirtschaftlicher Düngung.“ So kommt es, dass oft nicht auf benötigte zusätzliche örtliche Wasserressourcen zugegriffen werden kann.
Obwohl das tagesaktuelle Wetter nicht mit dem globalen, menschengemachten Klimawandel über die Jahrzehnte gleichzusetzen ist: Neun der zehn wärmsten Jahre in Deutschland lagen innerhalb der letzten 21 Jahre. Die Temperaturen stiegen seit 1881 hierzulande bereits um 1,6 Grad Celsius – deutlich über dem weltweiten Mittelwert von knapp einem Grad Temperatursteigerung.
2018 und 2019 hat Deutschland dann den Klimawandel noch einmal sehr direkt zu spüren bekommen. Nicht nur waren die Sommer ungewöhnlich heiß – sie waren vor allem trocken. Diese Trockenheit bringt weiter extreme Ausschläge mit sich. Bis heute hat sich der Boden in tieferen Schichten nicht davon erholt.
„Klimawandel bedeutet nicht, dass jedes Jahr alles immer extremer wird“, sagt Marx vom UFZ. „Wir werden auch zukünftig Phasen der Normalisierung erleben. Trotzdem werden großflächige Dürren künftig häufiger und stärker auftreten.“
Das UBA verweist darauf, dass Klimamodelle auch hierzulande mehr trockenen Phasen vorhersagen. „Und wenn dann die Niederschläge im Sommer kommen, fallen sie öfter als Starkregen, der nicht richtig versickert“, so Baumgarten. Dann fällt so viel Wasser auf den so trockenen Boden, dass es zu Überschwemmungen kommen kann. „Auf solche Ereignisse müssen wir uns besser vorbereiten.“
Dürren führen zu Ernteausfällen in der Landwirtschaft und zu Trockenschäden in Wäldern. Laut dem Helmholtz-Institut für Umweltforschung sind die landwirtschaftlichen Schäden jedoch schwer zu beziffern: 2018 sollen sie zwischen 700 Millionen und drei Milliarden Euro gelegen haben. In der Europäischen Union beliefen sie sich laut EU-Angaben auf 8,7 Milliarden Euro.
Die Schäden im Forstbereich sind noch schwerer in Euro zu benennen. Denn die Holzpreise in 20 Jahren sind aktuell nicht seriös vorherzusagen. Klar ist aber: Wenn in zwei Jahren rund 245.000 Hektar Wald durch Dürre verloren gehen, ist das ein Milliardenschaden. Dabei ist die Trockenheit allein nicht mal das größte Problem für die Bäume. Entscheidender ist, dass Schädlinge bei Trockenheit besonders leichtes Spiel mit ihnen haben. Ohne genügend Wasser können die Bäume beispielsweise nicht ausreichend Harz produzieren, um die Schädlinge abzuwehren. Bei Trockenheit gelingt ihnen das nicht mehr.
Bei Dürren kommt hinzu, dass niedrige Wasserstände in den Seen und Flüssen neben den ökologischen Schäden auch weitere wirtschaftliche Folgen haben. Dann können zum Beispiel die Industrie oder Kraftwerke und Tankstellen nicht über die Wasserwege beliefert werden.
So gut sich das Wassersparen kurzfristig auch anfühlen mag – langfristig ist es für die Bekämpfung einer Wasserknappheit sogar kontraproduktiv. Nur in lokalen Notlagen, wie zuletzt etwa in Lauenau, führt das zum Erfolg. Denn das Trinkwasser- und Abwassernetz in Deutschland stammt aus einer Zeit, in der man von einer Verdopplung des privaten Verbrauchs ausging. Tatsächlich aber haben die Deutschen ihren privaten Wasserverbrauch in den vergangenen 20 Jahren von über 140 Liter pro Person und Tag auf gut 120 Liter heruntergefahren. Auch die Unternehmen haben ihren Bedarf reduziert.
[Mehr interaktive Karten. Mehr Datenanalysen für den Journalismus. Und mehr aus Politik und Gesellschaft. Unterstützen Sie unabhängigen Journalismus! Mit Tagesspiegel Plus lesen Sie auch zukünftig alle Inhalte. Jetzt 30 Tage kostenlos testen.]
Und so passen inzwischen Infrastruktur und realer Verbrauch nicht mehr zusammen. Das Trinkwasser fließt mancherorts so langsam durch die Rohre, dass sich Keime bilden können. Stehende Abwasser führen in den Rohren zu Korrosion und Fäulnis. Die Wasserwerke müssen deshalb regelmäßig große Mengen an Trinkwasser durch die Kanäle und Rohrleitungen spülen, um sie zu reinigen. Das verbraucht damit mehr Wasser anstatt weniger. Trotzdem kann jeder helfen, Wasser zu sparen. „Indem die Menschen generell sorgsam mit Wasser umgehen und die Waschmaschine oder Spülmaschine nur dann anstellen, wenn sie auch wirklich voll ist“, erläutert Baumgarten vom UBA.
Den Menschen grundsätzlich zu verbieten, Wasser aus dem Hahn oder dem Fluss zu nehmen, dürfte auch nach Ansicht von Experten wenig zielführend sein. Die verstärkte Entnahme von Wasser könne „für kleinere Gewässer problematisch sein, wohl weniger für größere wie die Havel“, sagte der Klimaforscher Fred Hattermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) den „Potsdamer Neusten Nachrichten“.
Er warnt vor negativen Auswirkungen des Verbots. Schließlich würden Gartenbesitzer ihr Wasser dann wohl „alternativ aus dem öffentlichen Wassernetz“ zapfen. Und das würde wiederum ein weiteres Mal die kommunale Wasserversorgung belasten.