Auf den Straßen hupen Autos. Auf den Bürgersteigen drängeln sich Fußgänger. Alles wie immer in deutschen Großstädten? Nicht ganz, die Masken der Menschen verraten es: Wir befinden uns in einer globalen Pandemie. Vor zweieinhalb Wochen verhängten Bund und Länder den „Lockdown light“, Kanzlerin Angela Merkel rief die Bürgerinnen und Bürger dazu auf, zu Hause zu bleiben. Doch bleiben die wirklich auch zu Hause?
Eine Tagesspiegel-Auswertung von Handydaten zeigt: Der Teil-Lockdown scheint zu wirken, auf die Mobilität der Menschen aber wirklich nur “light”. Zumindest nehmen die Bewegungen der Menschen im Vergleich zum Monat davor um rund 10 Prozent ab. Vergleicht man aber den Effekt mit der Zeit des ersten Lockdowns, so zeigt sich ein deutlicher Unterschied. Im Frühjahr während des ersten Lockdowns war die Zahl der Bewegungen um bis zu 40 Prozent zurückgegangen zurückgegangen – deutlich stärker als im November.
Die Daten stammen von der Firma „Teralytics“, die sie von Mobilfunkbetreibern hat. Eine „Bewegung“ wird aufgezeichnet, wenn sich ein Handy bewegt und dabei in mehrere Mobilfunkmasten einloggt. Bleibt es länger als 60 Minuten (bei Flugreisen 240 Minuten) in einem Masten – oder in mehreren Masten, die aber nah beieinander liegen – registriert, gilt die Bewegung als abgeschlossen. Gezählt werden Bewegungen von Mobilfunkgeräten, die sich über eine Strecke von mehr als zwei Kilometern Luftlinie bewegen. Teralytics rechnet die Daten mithilfe von statistischen Verfahren hoch, damit sie repräsentativ für die Bevölkerung sind.
Das Unternehmen zeichnet außerdem auf, in welchem Landkreis das Handy zuletzt länger eingeloggt war, in welchem die Bewegung endet und wie viele Kilometer Luftlinie es zurücklegt. Die Daten erfassen alle Arten von Bewegungen in allen Verkehrsmitteln: die von Pendlern und Touristen ebenso wie die von Joggern, Autofahrten ebenso wie Inlandsflüge.
Aktuell schränken wir unsere Mobilität im Vergleich zum Vorjahr also weniger ein als im März und April. Dass die Beschränkungen nicht den gleichen Effekt auf die Zahl der Bewegungen hat, könnte auch daran liegen, dass Schulen und Geschäfte weiterhin offen sind, also im Alltag mehr Bewegung stattfindet. Das passt zu einer Erhebung der Marktforschungsgesellschaft GfK: Laut ihr sank der Anteil der deutschen Arbeitnehmer, die aus dem Homeoffice arbeiten, vor Beginn des zweiten Lockdowns auf unter 20 Prozent. Viele Menschen fahren also wieder regelmäßig zu ihrer Arbeitsstätte. In Deutschland arbeiteten zuletzt weniger Menschen von zu Hause aus als etwa in Großbritannien oder Frankreich.
Die Handydaten sagen nicht aus, zu welchem Zweck eine Bewegung stattfindet. Was sie zeigen können: Die Leute bleiben weniger zu Hause als im ersten Lockdown. Blickt man auf die Landkreise, so zeigen sich regionale Unterschiede.
Die Mobilfunkdaten zeigen nicht nur, wie viel wir uns bewegen, sondern geben auch Hinweise darauf, wie weit: Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind Bewegungen über acht Kilometern, also längere Bewegungen, durchschnittlich drei Prozent kürzer, ergab die Analyse der Teralytics-Daten. Auch im Lockdown Light deutet sich an, dass sie wieder kürzer werden – bisher aber auch hier noch nicht so stark wie im Frühjahr.
Teralytics klassifiziert in seinen Daten alle Bewegungen unter acht Kilometern als eine Bewegung von „null Kilometern“. Diese haben wir herausgerechnet – sie hätten das Ergebnis sonst verzerrt. Es ist aber möglich, dass sich der Effekt der Pandemie mit genaueren Angaben zu Bewegungen unter acht Kilometern verändern könnte. 2020 hat der Anteil an Bewegungen unter acht Kilometern an allen Bewegungen leicht zugenommen.
Einen Effekt sieht man bei den Fortbewegungsmitteln. Während Flug- und Bahnverkehr im Sommer wieder stärker genutzt wurden, brechen jetzt die Bewegungen mit Bahn und Flugzeug wieder ein. Der Flugverkehr ist fast auf das Niveau im Frühjahr gesunken. Und auch Bewegungen von Bahnreisenden werden aktuell 42,4 Prozent weniger verzeichnet als noch im September – und 58,3 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Womöglich verzichten die Leute auf weite Reisen – wenn auch nicht in dem Maße wie im März und April
Auch der Autoverkehr geht im zweiten Lockdown leicht zurück – aber nicht so stark wie Bahn- oder Zugverkehr. Das passt dazu, dass es als infektionssicheres Verkehrsmittel gilt.
Die Abnahme des Autoverkehrs könnte auch saisonale Gründe haben: Auch in den ersten Novemberwochen 2019 gingen die Bewegungen mit dem Auto zurück. Der Lockdown Light in diesem Jahr könnte den Effekt aber verstärken.
Dass die Straße etwas leerer werden, zeigt auch eine Datenanalyse von Millionen Fahrzeugbewegungen des Navigationsdiensts TomTom. Das Unternehmen erhebt für große Städte, wie oft es Verkehrsbehinderungen gibt. Daraus errechnet die Firma einen Verkehrsbelastungs-Index für Großstädte. Der „Traffic Congestion Index“ gibt an, wie viel Prozent länger es zu einer bestimmten Tageszeit in einer Stadt dauert, von A nach B zu kommen – im Vergleich zu verkehrsarmen Zeiten. Unterm Strich lässt sich daraus schlussfolgern, wo auf den Straßen besonders viel los ist.
Auch in diesen Daten zeigt sich die gleiche Tendenz.
Die Coronakrise scheint zu bewirken, dass in den Städten weniger los ist. Das zeigt sich auch in Berlin. Seit Beginn der Pandemie hat es weniger Bewegung gegeben als 2019. Seit November nimmt auch diese hier wieder ab.
Die Abnahme der Mobilität könnte bedeuten, dass sich die Berlinerinnen und Berliner mehr einschränken – vielleicht, weil das in einer Stadt leichter fällt, da sowieso alles in Reichweite ist. Oder sie könnte darauf hinweisen, dass weniger Touristinnen nach Berlin kommen. Touristen bewegen sich viel in einer Stadt, reisen an und ab, erkunden die Sehenswürdigkeiten.
Ob die aufgezeichneten Bewegungen von Besuchern oder Einheimischen stammen, lässt sich nicht sagen. Und so bleibt letztendlich auch unklar, warum die Mobilität abnimmt. Dass jetzt die Mobilität wieder abnimmt, könnte heißen, dass im November noch weniger Touristen in die Stadt kamen als in den Sommermonaten. Natürlich könnte es auch heißen, dass die Berlinerinnen und Berliner sich so verhalten, wie es Kanzlerin Merkel sich wünscht. Sie bleiben zu Hause.
Eine „Bewegung“ wird aufgezeichnet, wenn sich ein Handy bewegt und dabei in mehrere Mobilfunkmasten einloggt. Bleibt es länger als 60 Minuten (bei Flugreisen 240 Minuten) in einem Masten – oder in mehreren Masten, die aber nah beieinander liegen – registriert, gilt die Bewegung als abgeschlossen. Gezählt werden Bewegungen von Mobilfunkgeräten, die sich über eine Strecke von mehr als zwei Kilometern Luftlinie bewegen. Die Firma Teralytics rechnet die Daten mithilfe von statistischen Verfahren hoch, damit sie repräsentativ für die Bevölkerung sind. Sie zeichnen außerdem auf, in welchem Landkreis das Handy zuletzt länger eingeloggt war, in welchem die Bewegung endet und wie viele Kilometer Luftlinie es zurücklegt. Die Daten erfassen alle Arten von Bewegungen in allen Verkehrsmitteln: die von Pendlern und Touristen ebenso wie die von Joggern, Autofahrten ebenso wie Inlandsflüge. Eine Bewegung endet, wenn ein Handy über einen längeren Zeitraum an einem Ort bleibt.
Die Mobilfunkdatensätze hat die Schweizer Firma Teralytics zur eigenen Auswertung kostenlos zur Verfügung gestellt. Teralytics erhält anonymisierte Daten von Mobilfunkbetreibern und bereitet sie auf, um Mobilitätstrends auf regionaler Ebene zu analysieren. Diese Daten und Analysen verkauft Teralytics etwa an Verkehrsplaner und Transportunternehmen. Beispielsweise, um ihre Streckenplanung oder Fahrpläne anzupassen.
Teralytics rechnet die übermittelten Bewegungsdaten mithilfe von statistischen Verfahren hoch, sodass sie die Bewegungen in der Gesamtbevölkerung repräsentieren.
Die Bewegungsdaten werden datenschutzkonform erfasst und aufbereitet, wie das Unternehmen mitteilt. Die Daten sind konform mit der EU-Datenschutzgrundverordnung und mit deutschen Datenschutz-Vorgaben. „Unsere Technologie erfüllt alle nationalen und internationalen Datenschutz- und Sicherheitsstandards, die in den Regionen und Ländern gelten, in denen wir tätig sind“, teilt Teralytics mit. Auch die BVG und die Deutsche Bahn haben bereits Daten von Teralytics genutzt.
Wir haben sie heruntergeladen, auf die Ebene von Landkreisen zusammengefasst und auf die Bevölkerung der Landkreise umgerechnet. Für die Analyse auf Landkreisebene ist zu beachten, dass Grenzlandkreise nur bedingt mit den anderen Regionen vergleichbar ist. Denn in diesen Kreisen ist der Durchgangsverkehr mit aufgezeichnet. Eintritte nach Deutschland wirken hier so, als wäre dieser Landkreis der Ausgangspunkt einer Reise innerhalb Deutschlands, da die Mobilfunkdaten nur für das Netz in Deutschland erfasst werden. Während der Analyse haben wir uns wiederholt mit Datenwissenschaftlerinnen von Teralytics ausgetauscht, um sicherzustellen, dass unsere Rechenwege zu den Daten passen.