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Pass the Glock

Pop, Hollywood und die Waffen

Keine andere Pistole spielt in so vielen Filmen und Songs eine Rolle wie die Glock aus Österreich. Wie ein österreichischer Hersteller Gewalt popularisiert hat.
Keine andere Pistole spielt in so vielen Filmen und Songs eine Rolle wie die Glock aus Österreich. Wie ein österreichischer Hersteller Gewalt popularisiert hat.

Im Marketing gibt es keine Wahrheit. Es gibt nur Dinge, die funktionieren oder eben nicht. Und ein muskelbepackter weißer Mann im blutverschmierten Unterhemd und Dreck im Gesicht – der läuft. Besonders wenn er sich auf der Mission befindet, mutterseelenallein die Welt vor gefährlichen Terroristen zu retten.

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Zumindest 1990. In jenem Jahr erscheint „Stirb langsam 2“, die Fortsetzung des äußerst erfolgreichen Action-Krachers von 1988. Darin ist Bruce Willis als kalifornischer Polizist 124 Minuten lang vor allem damit beschäftigt, zu schießen. Er macht so ziemlich alles kalt, was man kaltmachen kann: Bösewichte, Helfer von Bösewichten, Mobiliar.

Nach der ersten Schießerei rennt Willis auf einem Flughafen zum Sicherheitschef, um ihn vor einem Schurken zu warnen: „Der Punk hat eine Glock 7 gezogen! Eine Ahnung, was das ist? Eine Pistole aus Porzellan, hergestellt in Deutschland. Taucht nicht auf Metalldetektoren auf und kostet mehr, als Sie im Monat verdienen.“

Der Punk hat eine Glock 7 gezogen! Eine Ahnung, was das ist? Eine Pistole aus Porzellan, hergestellt in Deutschland. Taucht nicht auf Metalldetektoren auf und kostet mehr, als Sie im Monat verdienen.
Polizist John McClane, gespielt von Bruce Willis, im Film “Stirb langsam 2”, 1990

Alles in diesen vier Sätzen ist falsch. Es gibt keine Glock 7. Glocks sind nicht aus Porzellan, sondern teilweise aus Plastik. Hergestellt werden sie in einem kleinen Ort in Kärnten in Österreich. Und sie kosten knapp 600 US-Dollar.

Trotzdem ist die Szene für die damals kaum bekannte Firma wie ein Lottogewinn. Wenig später sind Glock-Pistolen im ganzen Land ausverkauft.

Es ist der Startschuss eines Siegeszugs sondergleichen. In den vergangenen 32 Jahren ist die Glock zu einer Ikone geworden. Die einst als „Tupperware-Knarre“ belächelte Pistole wurde zum popkulturellen Code für Feuerwaffen jeder Art, zum Synonym für Stärke, Gewalt und Kompromisslosigkeit.

Schilder an Flughäfen zeigen die Silhouette einer Glock

Allein die Glock 17, eine halbautomatische Pistole, die bei ihrer Markteinführung dank ihres reduzierten Designs gewirkt haben muss wie eine Waffe aus der Zukunft, ist seit ihrem Auftritt in „Stirb langsam 2“ laut der Internet Movie Firearms Database in mehr als 200 Filmen aufgetaucht. In den Händen von Keanu Reeves, Diane Kruger, Will Smith, Angelina Jolie, Harrison Ford und vielen weiteren Stars.

Laut der Songtext-Datenbank Lyrics.com gibt es 78.247 Songs, in denen das Wort „Glock“ vorkommt. Und sogar auf Schildern, die auf einigen US-Flughäfen darüber informieren, dass hier ausnahmsweise keine Feuerwaffen erlaubt sind, ist die Silhouette einer Glock 17 abgebildet.

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USA, Anfang der 80er Jahre. Ein Österreicher tingelt in einem Wohnmobil voller Waffen durch seine Wahlheimat. Karl Walter ist eine Art fahrender Händler, er hält in kleineren Städten und versucht dort, seine Ware an den Mann zu bringen. Kalaschnikows, Uzis, Steyrs.

Der Erfolg, schreibt der US-Autor Paul M. Barrett in seinem Buch „Glock: The Rise of America’s Gun“, ist mäßig. Aber Walter macht entscheidende Erfahrungen an der Basis. Er lernt, was die Leute wollen und was nicht.

Als Walter 1985 gebeten wird, die kleine österreichische Firma Glock in den Vereinigten Staaten zu repräsentieren, ist ihr Produkt eine Lachnummer. Die Pistole ist klein, schmal, hat viele Plastikteile und eine Haptik wie aus dem Kaugummiautomaten.

Die Amerikaner wollen die gleichen Wummen haben wie ihre Staatsgewalt.

Stärke und Männlichkeit, seit Urzeiten die zentralen psychologischen Kaufargumente auf dem US-Waffenmarkt, sehen anders aus. Das Fachpublikum fragt sich, ob dieses Teil ein Witz sein soll.

Walter wird auf seinen Wohnmobil-Touren durchs Land immer wieder gefragt, ob er nicht jene Waffen habe, die die Polizei trage. Er folgert: Die Amerikaner wollen die gleichen Wummen haben wie ihre Staatsgewalt. Walter beginnt eine aggressive Strategie. Er kontaktiert Hunderte Polizeiwachen und versucht, ihnen sein Produkt schmackhaft zu machen. Die Argumente: einfache Handhabung, günstiger Preis, Rabatt bei Großbestellungen.

Glocks überfluten den Markt

Das Vorgehen funktioniert. Die Polizei kauft fleißig ein. Und auch der Privatmarkt beginnt sich für das Plastikprodukt aus Kärnten zu interessieren. Die Verkäufe steigen.

Doch für Glock haben die Deals mit der Polizei noch einen weiteren Vorteil. Sie bieten dem Hersteller die Möglichkeit, große Mengen an Schießgerät lukrativ weiterzuverkaufen.

In einem Prozess, der aktuell vor dem Bezirksgericht in Brooklyn, New York, verhandelt wird, will eine Geschädigte dem Hersteller eine Mitverantwortung für die vielen Todesfälle durch Schusswaffen im Land nachweisen.

Das Argument ihres Rechtsbeistands: Glock habe mit ihren Lieferungen an die Gesetzeshüter wissentlich den Markt überflutet, indem man der Polizei mehr Waffen verkauft habe als nötig. Dann habe man die Behörden dazu angestiftet, die Waffen zu Vorteilspreisen gegen neue zu tauschen.

Und die gebrauchten Schusswaffen dann zu höheren Preisen über Pfandleihhäuser und andere Kleingeschäfte auf den Privatmarkt gebracht.

Von der Ramschware zum Leinwand-Star

Zeitgleich identifiziert Karl Walter ein weiteres Vehikel, um seine Glocks der US-Öffentlichkeit näherzubringen. Es ist ein zentrales Rädchen in der wohl größten Marketing-Maschinerie der Welt: Hollywood.

Mitte der 80er nimmt Walter zunehmend Kontakt zu sogenannten „prop masters“ auf, zu Filmausstattern. Jenen Leuten also, die für Poduktionen Requisiten verleihen, vom Staubsauger bis zum Sturmgewehr.

Der Zeitpunkt könnte kaum besser sein. Spezialisierte „prop masters“ sind in jenen Jahren dabei, gut bestückte Waffenschränke für den steigenden Bedarf des US-Kinos aufzubauen. Es ist die Blütezeit des Actionfilms, schießwütige Helden verkaufen sich gut, man kann pro Filmminute gar nicht genug Magazine verballern.

Cameron Diaz und Tom Cruise in „Knight and Day“. Foto: imago/Everett Collection

Dafür braucht es Knarren, am besten billig, noch lieber kostenlos. Die hat Walter. Und er hat einen Traum, den die Ausstatter erfüllen können: Eine Glock als Star auf der Leinwand, abgefeuert von einem Schauspieler, mit dem sich die Käufer identifizieren.

Also beginnt er zu hofieren. Er überredet die Waffenmeister persönlich zu Probeschüssen, bietet ihnen die Glocks besonders günstig an. Wenn es schnell gehen muss, gewährt er ihnen Vorrang vor seinen anderen Kunden, zur Not auch der Polizei.

Mit „Stirb Langsam“ wird die Glock zum Verkaufsschlager

Und er wartet. Bis ein Autor 1990 die vier falschen Sätze in das Drehbuch von „Stirb langsam 2“ schreibt. Der Film spielt allein in den USA 240 Millionen US-Dollar ein. Die Pistole wird zum Verkaufsschlager.

Danach läuft die Vermarktung wie von selbst. Die Waffen-Ausstatter, die Walter über Jahre an sich gebunden hat, drücken immer mehr Darstellern Glocks in die Hand. Und diese ballern bald auf Leinwänden weltweit, in den USA, in Deutschland, Frankreich, Japan, Korea, überall.

Auch Arnold Schwarzenegger schießt mit Glock

Allein 1993 finden sich in den zehn erfolgreichsten US-Filmen des Jahres insgesamt zwölf Pistolen aus Österreich.

Arnold Schwarzenegger, Action-Recke und späterer Gouverneur Kaliforniens, soll sich sogar höchstpersönlich dafür eingesetzt haben, fortan mit dem Gerät aus seiner alten Heimat Mensch und Material zu Kleinholz machen zu dürfen. Die „Tupperware-Knarre“, sie ist aus dem kollektiven Bewusstsein nicht mehr wegzudenken.

„I chose droppin’ the cop, I got me a Glock / And a Glock for the niggas on my block“
2Pac im Song „Soulja’s Story“, 1991

Und damit auch nicht aus dem Blickfeld einer aufstrebenden Subkultur, die in den frühen 90ern immer erfolgreicher wird: Hip-Hop. Die Kunstform ist in den Jahren zuvor sukzessive zum künstlerischen Ventil junger, meist Schwarzer Menschen geworden, die ungeschönt vom Alltag in unterprivilegierten Stadtvierteln erzählen. Vom Überlebenskampf, von Kriminalität, vom Morden. Und damit auch von Waffen. Oder besser: von Glocks.

Denn der österreichische Hersteller hat zwei zweifelhafte Vorzüge. Sein prägnanter, einsilbiger Name passt gut in Hip-Hop-Texte und lässt sich problemlos auf Dinge reimen, über die man als Rapper eben rappt: „cop“ und „block“ etwa.

Zweitens sind gerade jene Stadtviertel, aus denen die Künstler kommen, oft ohnehin schon mit Glocks überschwemmt – sie stammen aus alten Polizeibeständen. Wenn ein Rapper also davon erzählt, dass jemand im Viertel mit einer Glock erschossen wird, entspricht das oft schlicht der Wahrheit.

Innerhalb weniger Jahre findet die Waffe so ihren Weg in die Texte einiger der bekanntesten Künstler jener Zeit. Dr. Dre rappte ebenso über sie wie Cypress Hill oder der Wu-Tang Clan. Tupac Shakur brachte die Glock mit dem Song „Soulja’s Story“ 1991 sogar in die Charts. Sogar der Tod des Künstlers trieb die Popularisierung weiter voran: Als Shakur 1996 in Las Vegas erschossen wurde, verwendete der Täter eine Glock.

Die Rapper Notorious B.I.G. und 2Pac. 2Pac brachte die Glock mit „Soulja’s Story“ bis in die Charts, später wurde er selbst mit einer Glock erschossen. Foto: IMAGO/Ronald Grant/Image courtesy FILMFOUR/LAFAYETTE FILMS/Ronald Grant Archive/Mary Evans

An dieser Präsenz hat sich bis heute wenig geändert – vielmehr hat sie sich über die 30 Jahre seitdem noch vergrößert. Heute kommt die Glock nicht nur in zehntausenden Texten vor, laut Zahlen der Songtext-Plattform Genius.com haben auch mindestens 500 Künstler das Wort in ihrem Namen, die meisten von ihnen Rapper.

Aber kann man einem Unternehmen sein – zugegebenermaßen sehr cleveres – Marketing vorwerfen? Ihm womöglich sogar eine Mitschuld an Waffengewalt geben?

„Sie wissen, dass ihr Marketing Käufer mit bösen Absichten anspricht und dass sie damit die Leben unschuldiger Menschen gefährden.“
Mark D. Shirian, Anwalt

In Deutschland lautet die Antwort: Nein. Das hiesige Recht sieht in solchen Zusammenhängen keine ausreichende Kausalität. In den USA sieht das anders aus. „Waffenhersteller leben nicht in einer Blase“, sagte Mark D. Shirian, der Anwalt der Frau, die in Brooklyn auf dem Rechtsweg gegen Glock vorgeht, kürzlich der „New York Times“. „Sie wissen, dass ihr Marketing Käufer mit bösen Absichten anspricht und dass sie damit die Leben unschuldiger Menschen gefährden“.

Im vergangenen Jahr sorgte ein ähnlicher Fall für Aufsehen. Angehörige hatten den US-Waffenhersteller Remington auf Schadenersatz verklagt, nachdem ein Amoktäter im Dezember 2012 mit einem Bushmaster-Sturmgewehr aus der Produktion des Unternehmens an der Sandy-Hook-Grundschule in Newtown, Connecticut, 26 Menschen erschossen hatte, darunter 20 Kinder.

Die Argumentation der Kläger: Remington habe mit seiner Werbung ganz direkt „troubled young men“ angesprochen – junge Männer mit Problemen. Und damit derartige Taten in Kauf genommen. Zu einem Urteil kam es nie, der Fall endete in einem Vergleich. Remington zahlte den Klägern 73 Millionen US-Dollar.

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Veröffentlicht am 5. Mai 2023.
Zuletzt aktualisiert am 23. Mai 2023.