Wenn die Deutschen in zwei Wochen den neuen Bundestag wählen, entscheiden sie, wer sie in den kommenden vier Jahren politisch vertreten wird. Wer letztlich im Bundestag sitzen wird, ist noch ziemlich offen. Aber die Analyse aller 6211 Kandidierenden ermöglicht einen Überblick, wie alt oder jung, wie weiblich oder männlich, wie divers oder einheitlich die Kandidierenden sind.
Nicht alle Kandidierenden haben die gleichen Chancen, letztlich im Parlament zu landen. Aber was für Menschen die jeweiligen Parteien ins Rennen schicken, erzählt viel über Strukturen und Machtverhältnisse. Und es erlaubt eine vage Aussicht darauf, ob der Bundestag die Bevölkerung diesmal etwas mehr repräsentieren könnte als bislang. Spoiler: Die Ergebnisse der Analyse geben da wenig Grund zur Hoffnung …
Bei der Bundestagswahl 2021 bewerben sich insgesamt 6211 Personen – 1400 mehr als bei der vergangenen Wahl. Das sind so viele wie nie, was vor allem an den vielen Kleinstparteien liegt, die diesmal antreten. Nur 33 Prozent aller Kandidatinnen und Kandidaten sind weiblich. Das entspricht etwa dem Frauenanteil des aktuellen Bundestags, der bei 31,4 Prozent liegt. Im Bundestag davor, dem von 2013 bis 2017, saßen übrigens mit 37,3 Prozent mehr Frauen als im aktuellen. Aber es gibt massive Unterschiede je nach Partei – mit so manchen Überraschungen.
Während bei der AfD nur 13 Prozent der Kandidierenden weiblich sind, sind es bei den Grünen 54. Die zweitschlechteste Frauenquote hat die FDP. Dort sind drei Viertel der Kandidierenden Männer. Die anderen Parteien liegen bei rund 40 Prozent Frauenanteil, der der CDU (40 Prozent) ist aber etwas höher als der der Linken (38 Prozent). Und das, obwohl die Linke für eine Quote ist – im Gegensatz zur CDU, die mit dem Instrument immer wieder hadert. Anscheinend erhöht nicht politische Einstellung allein den Frauenanteil einer Partei.
Die Bundestagskandierenden der alternden Bundesrepublik sind im Durchschnitt so alt wie die Deutschen. Die Bevölkerung in Deutschland ist im Schnitt 44,5 Jahre alt, das Durchschnittsalter aller Kandidierenden liegt bei 45,5. Das scheint zunächst nicht überraschend, da Unter-18-Jährige nicht kandidieren können. Aber auch die Ältesten sind kaum vertreten. Insofern entspricht der Durchschnitt zwar etwa dem der Bevölkerung - aber ein Blick auf die Altersgruppen zeigt, dass deshalb lange nicht alle gleichermaßen vertreten sind.
Es gibt außerdem große Unterschiede zwischen den Parteien. So ist die AfD nicht nur die männlichste Partei nach Kandidatenanteil, sie ist mit einem Durchschnittsalter von 51,8 Jahren auch die älteste der bereits im Bundestag sitzenden Parteien. Älter sind nur die Kleinparteien „Die Basis“ (52,7), „LKR“ (51,8) und Bündnis C (52,6). Die älteste Partei ist aber die MLPD – die Genoss:innen, die die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands für die Wahl aufgestellt hat, sind im Schnitt ganze 59,7 Jahre alt. Mit durchschnittlich 77 Jahren ist die Partei Volksabstimmung die älteste Partei – allerdings stellt sie lediglich zwei Kandidaten auf. Die durchschnittlich jüngsten Kandidierenden kommen von der PdF, der Partei des Fortschritts (neun Kandidierende, 25 Jahre alt im Schnitt).
Überraschend ist die CSU: Die bayerischen Christdemokraten sind mit einem Durchschnittsalter von 42,7 fast so jung wie die jüngste der größeren Parteien - die Grünen mit 42,1 Jahren.
Von allen 6211 Kandidierenden sind 35 Prozent unter 30. Bei den großen Parteien sieht das anders aus – Menschen zwischen 31 und 65 sind deutlich in der Überzahl. Das ist vielleicht wenig überraschend - wirft aber die Frage auf, inwiefern die jüngere Generation von der Regierung repräsentiert sein wird.
Dass trotzdem 35 Prozent der Kandidierenden unter 30 sind, könnte ein Indiz dafür sein, dass Jüngere sich häufig in kleineren Parteien engagieren – vielleicht, weil die Strukturen informeller sind, man sich unkomplizierter engagieren kann, ohne sich mühsam durch eine Institution zu arbeiten. Vielleicht sehen Jüngere aber auch ihre Interessen schlicht nicht genug von den größeren Parteien vertreten. Die Daten geben Hinweise darauf, dass Jüngere kleine Parteien präferieren – oder umgekehrt. Zwei vor nicht langer Zeit gegründete Kleinstparteien fallen besonders auf: Das Durchschnittsalter der Kandidierenden von „Volt” (gegründet 2017) liegt bei 33,3 Jahren, das der 2014 gegründeten „Humanisten” bei 33,6.
Der jüngste Kandidat bei der Bundestagswahl wurde derweil von den Grünen aufgestellt: Anas Al-Qura’an wurde 2003 geboren. Mit dem Geburtsjahr 1929 stammt der älteste Kandidat von der Ökopartei ÖDP: Walter Senft.
Während es schwierig ist, aus den Daten auf konkrete Lebenshintergründe und Erfahrungen zu schließen, also etwa festzustellen, wie viele der Kandidierenden arm aufgewachsen sind, welchen Bildungshintergrund sie haben und ob ihre Eltern eingewandert sind, finden sich doch einzelne Indizien dazu, wie international die Kandidaten und Kandidatinnen aufgestellt sind. 299 der 6211 Kandidierenden sind nicht in Deutschland geboren. Das entspricht einer Quote von 4,8 Prozent und somit deutlich weniger als der Bevölkerungsdurchschnitt: Laut dem Statistischen Bundesamt sind 6,3 Prozent der Deutschen selbst zugewandert und haben die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Anteil von Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund liegt sogar noch weitaus höher. Er lag 2019 bei 26 Prozent der Bevölkerung, 21,2 Millionen Menschen.
Mit Blick auf die Parteien zeigt sich, dass die Quote der AfD mit 4,3 nicht in Deutschland, sondern etwa in Russland geborenen Kandidierenden ähnlich hoch ist wie die der SPD (4,5 Prozent).
Interessant ist auch die Verteilung der Berufsgruppen unter den Kandidierenden. Laut der Liste des Bundeswahlleiters, in der auch Berufsgruppen angegeben sind, kandidiert nur eine Reinigungskraft – Christiana Hofer aus Bayern (Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer). Außerdem tritt noch eine Hauswirtschafterin an, Manuela Dienhart (ÖDP), deren Beruf unter „Erziehung, soziale und hauswirtschaftliche Berufe, Theologie“ gelistet ist. Die Parteien beider werden die Fünfprozenthürde wohl kaum schaffen.
Die absolute Mehrheit der Männer und Frauen, die für den Bundestag kandidieren, sind also eher Führungskräfte. Das ist einerseits logisch, schließlich sollen sie eine Partei anführen. Es zeigt aber auch, wie viele blinde Flecken es in der deutschen politischen Landschaft gibt. Und dass sie wenig gut darin ist, Menschen mit wenig akademischer Bildung und geringerem finanziellen Status für politische Ämter zu begeistern.