Du bist, was du liest. Oder? Beim Blick auf die Links, die Politiker:innen in den sozialen Medien teilen, könnte man sagen: Stimmt. Bundestagsabgeordnete verbreiten hauptsächlich Medienartikel, die ihrer eigenen politischen Einstellung nahe sind. Das sagt auch etwas über die Medien, die sie teilen.
Um herauszufinden, wer wessen Meinung verbreitet, hat der Tagesspiegel gemeinsam mit dem MCC und Democracy Reporting International knapp 390.000 Links aus Twitter-Posts der vergangenen vier Jahre und rund 19.000 Links aus Facebook-Posts im Jahr 2021 analysiert, die Bundestagsabgeordnete aller Parteien dort geteilt haben.
Blickt man nur auf die Medienlinks bei Twitter, so zeigt sich: Es sind vor allem die größeren Zeitungen, die von allen Abgeordneten verbreitet werden.
Schaut man sich aber die Tweets der Abgeordneten der verschiedenen Parteien an, so zeigt sich je nach Partei ein anderes Bild.
Vielen Zeitungen, Nachrichtenseiten und anderen Medien wird eine bestimmte politische Ausrichtung nachgesagt - die „FAZ“ gilt als eher konservativ, die „Taz“ als eher links. Und die Aufschlüsselung nach den meistgeteilten Nachrichtenseiten auf Twitter zeigt: Die verschiedenen politischen Ausrichtungen spiegeln sich auch darin wider, welche Medien bei den Abgeordneten der Parteien beliebt sind.
Während die Internetseiten von „Welt“ oder „Bild“ (beide Teil des Springer-Verlags) vor allem bei AfD (insgesamt 5199 Links), CDU (1677 Links) und FDP (3684 Links) beliebt sind, teilen Grüne, SPD und Linke vor allem Artikel der „Süddeutschen“ oder der „Taz“– jeweils zwischen 1000 und 2000 Links.
Natürlich kann eine solche Analyse nur exemplarisch zeigen, welche Medieninhalte die Parteien teilen. Nicht alle Abgeordneten haben einen Account – und Artikel werden auch über andere Kanäle geteilt. Anhand des Links allein lässt sich außerdem nichts über den genauen Kontext sagen, in dem der Link geteilt wurde. Dennoch geben die Analysen einen interessanten Einblick – auch dazu, wie die Politik bestimmten Medien zu mehr Reichweite verhilft – und anderen nicht.
Besonders deutlich wird der Unterschied bei sehr eindeutig linken oder rechten Medien. Die Linkspartei etwa verbreitet als einzige Partei regelmäßig Artikel der Zeitung „Neues Deutschland“, die sich selbst als „sozialistische Tageszeitung“ bezeichnet.
Beim Blick auf die Artikel, die von der AfD geteilt werden, finden sich etwa Texte der Zeitung „Junge Freiheit“, die als Sprachrohr der Neuen Rechten gilt. Auch das Online-Magazin „Tichys Einblick“ ist beliebt bei AfD-Abgeordneten. Der Publizist Roland Tichy bezeichnet seine Seite als „liberal-konservativ“ – das politische Spektrum der Beiträge reicht von marktliberal bis hin zu rechtspopulistisch. Der Herausgeber der Seite Roland Tichy sorgte unlängst für Aufsehen mit sexistischen Beleidigungen gegen die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli und ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Meinung & Freiheit e.V., Stellvertreter ist Hans-Georg Maaßen.
Besonders auf Facebook, dem erfolgreichsten sozialen Medium der Partei, wird sichtbar, wie weit rechts die AfD inzwischen angesiedelt ist. Hier hat die AfD besonders viel Einfluss, wie unser Social Media Dashboard zeigt, AfD-Abgeordnete bekommen bei weitem die meisten Likes und Shares, Alice Weidel ist dort eine der erfolgreichsten Politikerinnen Deutschlands. Aber die AfD teilt auch allgemein wesentlich mehr Artikel auf Facebook als alle anderen Parteien – gefolgt von FDP und den Abgeordneten der Unions-Fraktion. Das ist umso ungewöhnlicher, als dass die AfD viel weniger Abgeordnete im Bundestag hat. Jeder und jede Einzelne von ihnen teilt also ein Vielfaches an Artikeln auf Facebook als die größten Fraktionen CDU und SPD.
Auf Facebook gibt es außerdem mehrere Medien, die ausschließlich von der AfD geteilt werden. Darunter finden sich Artikel des rechten Blogs „Die Achse des Guten“ und der „Epoch Times“, die als Alternativmedium der Pegida-Bewegung galt. Auch Links des russischen Propaganda-Senders „RT Deutsch“ werden nur von AfD-Abgeordneten geteilt.
Bei den linkeren Parteien ist auffällig – dass Springer-Medien wie Welt und Bild fast nie geteilt werden. Das fiel bereits auf Twitter auf. Insgesamt ist die Anzahl an Links, die auf Facebook geteilt werden, weitaus kleiner als auf Twitter. Im gleichen Zeitraum von Januar 2021 bis Anfang September teilten die Abgeordneten auf Facebook rund 19.000 Links, auf Twitter waren es im gleichen Zeitraum knapp 69.000.
Hinzu kommt: Viele der auf Facebook geposteten Links leiten auf die Websites der Abgeordneten oder der Parteien weiter. Bei Twitter teilen die Politiker:innen am häufigsten Verweise auf andere Tweets. Überprüft man auch diese Verweise auf ihren Ursprung, so landet man ebenfalls oft bei Nachrichtenseiten: Auf dem ersten Platz liegt der Twitteraccount der „Tagesschau“, auf Platz zwei der Account der „Welt“.
Natürlich ist nicht nur wichtig, von welchen Medien geteilte Artikel stammen – sondern vor allem, um was es darin geht. Mit Hilfe der Titel und Teaser, einer kurzen Beschreibung, die alle Nachrichtenartikel enthalten, lassen sich viele der geposteten Artikel automatisiert bestimmten Themenbereichen zuordnen. Wir haben uns die Themenbereiche Corona, Verkehr, Wohnen, Flüchtlinge und Klima genauer angeschaut. Diese Themen sind den Menschen laut Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen besonders wichtig. Welche Abgeordneten dazu in der vergangenen Legislaturperiode wie viele Artikel gepostet haben, unterscheidet sich sehr nach Partei.
Welche Medien die Abgeordneten zu bestimmten Themen teilen, unterscheidet sich ebenfalls je nach Partei. So teilen die CDU-Abgeordneten zum Thema Corona am meisten Artikel der Tagesschau, beim Thema Flüchtlinge und Klima stammen die meisten Artikel von der Welt. Bei der AfD liegt die Welt in allen fünf Themenbereichen auf Platz eins, auf Platz zwei folgen aber bei Migration und Klima Artikellinks der Jungen Freiheit. Beim Thema Wohnen, das vor allem im Rahmen des Berliner Mietendeckels viel in den sozialen Medien diskutiert wurde, teilt die Linke neben Texten von Spiegel Online und der Zeitung „Neues Deutschland“ auch häufig Artikel der Berliner Zeitung.
Auch wenn die Abgeordneten der großen Parteien häufig zu den gleichen Nachrichtenseiten greifen, Medienvielfalt gibt es auf ihren Profilen trotzdem: Unter den 390.000 Links auf Twitter der gesamten Legislaturperiode haben sich insgesamt rund 10.000 verschiedene Domains angesammelt, darunter zahllose kleine Blogs und private Webseiten. Die Spanne der geteilten Medien ist groß: Die Abgeordneten verlinken etwa Texte von allgemeinebauzeitung.de, wo es „Baunews und Baunachrichten“ zu lesen gibt, von blog.erdgas.info für „News zu Gas und Wasserstoff“ oder von bauernzeitung.ch, der „Landwirtschaftszeitung für die gesamte Deutschschweiz“ - aber auch zur guten alten „Bravo“.
Die Analyse ist Teil des Projekts „Social Media Dashboard zur Bundestagswahl 2021“, einem gemeinsamen Forschungsprojekt des Tagesspiegels und Democracy Reporting International. Es wird gefördert von der Stiftung Mercator. In dieser Analyse wurde zusätzlich mit Datenanalysten des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change in Berlin zusammengearbeitet, die seit drei Jahren Posts auf Social Media zu gesellschaftlichen Veränderungen und Klimadebatten analysieren.
Die Daten zu Posts auf Facebook werden über eine Schnittstelle von Crowdtangle abgerufen. Der Analysedienst ist ein Teil von Facebook und stellt diese Daten über Online-Angebote und maschinenlesbare Schnittstellen (APIs) zur Verfügung. Diese werden von uns regelmäßig abgerufen. Die Twitter-Posts werden direkt über die Schnittstelle von Twitter abgerufen.
Die gesammelten Daten werden automatisiert ausgewertet, zumeist mithilfe der Programmiersprache Python. Die Analysedaten werden über einen Tagesspiegel-Server regelmäßig aktualisiert und für die interaktiven Grafiken ausgespielt.
Es werden ausschließlich Daten verarbeitet, die aus öffentlichen Profilen oder Posts kommen. Daten von Nutzer:innen, die ihre Posts nur für Freunde sichtbar teilen, fragen wir weder ab noch können wir sie auswerten. Dadurch ist die Zahl der analysierbaren Posts auf Twitter sehr viel größer als die auf Facebook oder Instagram, wo Nutzer:innen seltener öffentlich posten.
Der Tagesspiegel entwickelt in seinem Tagesspiegel Innovation Lab Darstellungen, Analysen und Datenabfragen. Dabei arbeiten Redakteur:innen, Designer, Datenanalyse-Spezialisten und Softwareentwickler zusammen. Außerdem widmet sich das Team – gemeinsam mit den Politikredakteur:innen und anderen Fachleuten in der Redaktion der Analyse der gewonnenen Daten. Die Analysen erscheinen in Newslettern und der gedruckten Zeitung neben Expert:innenbeiträge, Interviews und Einordnungen zu den Dynamiken des Wahlkampfs auf Social Media.
Democracy Reporting International (DRI) ist eine Nichtregierungsorganisation (NGO) mit Sitz in Berlin, die weltweit demokratische Institutionen und Prozesse analysiert und stärkt. DRI unterhält sieben Länderbüros, die vor Ort mit demokratischen Akteuren zusammenarbeiten. DRI´s Programm “Digitale Demokratie” beobachtet und analyiert in zahlreichen Ländern, ob Wahlkämpfe online fair geführt werden und nimmt zu Fragen der Regulierung Stellung. Mehr unter democracy-reporting.org
Das Projekt wird gefördert durch die Stiftung Mercator, die ihre Rolle folgendermaßen fasst: „Die Stiftung Mercator ist eine private, unabhängige Stiftung mit umfassender wissenschaftlicher Expertise und praktischer Projekterfahrung. Sie strebt mit ihrer Arbeit eine Gesellschaft an, die sich durch Weltoffenheit, Solidarität und Chancengleichheit auszeichnet. Um diese Ziele zu erreichen, fördert und entwickelt sie Projekte, die Chancen auf Teilhabe und den Zusammenhalt in einer diverser werdenden Gesellschaft verbessern. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa will die Stiftung Mercator durch ihre Arbeit stärken, die Auswirkungen der Digitalisierung auf Demokratie und Gesellschaft thematisieren und den Klimaschutz vorantreiben. Die Stiftung Mercator engagiert sich in Deutschland, Europa und weltweit. Dem Ruhrgebiet, Heimat der Stifterfamilie und Stiftungssitz, fühlt sie sich besonders verbunden.“
Die Förderer nehmen keinen Einfluss auf die redaktionelle Berichterstattung oder die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts.