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Ein Fall, totale Abriegelung

So schützt Australien die gesamte Bevölkerung gegen das Coronavirus

Mit strengsten Beschränkungen verhindert das Land die Ausbreitung der Pandemie. So kann am Montag eines der wichtigsten Tennisturniere der Welt mit Zehntausenden Zuschauern starten.
Mit strengsten Beschränkungen verhindert das Land die Ausbreitung der Pandemie. So kann am Montag eines der wichtigsten Tennisturniere der Welt mit Zehntausenden Zuschauern starten.
In Perth, an der Westküste des Landes, gilt für fünf Tage eine strenge Ausgangssperre. Nur eine Stunde Sport draußen ist erlaubt. Foto: IMAGO / AAP
Nach jedem Training der Tennisstars der Australian Open werden die Plätze in Melbourne desinfiziert. Foto: IMAGO / AAP

Kurz stand alles auf der Kippe. Am Freitag gab es dann Entwarnung. Die Australian Open können wie geplant stattfinden. Nach einem positiven Coronafall bei einem Mitarbeiter in einem Spielerhotel mussten am Donnerstag, Ortszeit, 507 Spieler und Betreuer in Quarantäne. Nun sind alle getestet, alle negativ. Das Turnier soll wie geplant stattfinden – mit bis zu 30.000 Menschen pro Tag.

Gleichzeitig auf der anderen Seite des Landes, knapp 3500 Kilometer entfernt: Lockdown. Wegen eines einzigen Coronafalls. Nach fast zehn Monaten hatte man in der knapp Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt Perth eine Infektion in der Bevölkerung entdeckt. Die harte Reaktion folgte prompt. Für fünf Tage durften die Menschen ihre Häuser nur zum Einkaufen, zum Arbeiten oder für eine Stunde Sport verlassen. Die Restriktionen sind wesentlich strenger und konsequenter als in Deutschland, in dem pro Tag mehrere tausend Fälle gemeldet werden. Ein Erfolgsrezept? In Australien werden seit Wochen nur wenige Neuinfektionen gemeldet.

Es ist nicht das erste Mal, das ganze Städte in Australien abgeriegelt werden. Erst Anfang Januar war die Stadt Brisbane an der Ostküste Australiens wegen eines einzigen Coronafalls in den Lockdown geschickt worden. Und auch in Melbourne wurden die Beschränkungen nach einem Coronafall sofort verschärft, wenn auch bei weitem nicht so drastisch wie im Rest des Landes.

Was die Grafik nicht zeigt: Das australische Gesundheitsministerium unterscheidet zwischen lokalen Fällen und eingeschleppten Infektionen aus dem Ausland. Lokale Fälle haben die Behörden in den vergangenen 24 Stunden keinen einzigen neuen gemeldet. In den vergangenen sieben Tagen waren es zwei. Das ist auch der Grund, warum bei vier gemeldeten Neuinfektionen am 4.Februar nicht mehr Regionen unter Lockdown gestellt werden.

Denn solch strenge Restriktionen werden nur beschlossen, wenn ein Coronafall in der Bevölkerung und nicht bei Einreisenden entdeckt wird. Dann reagieren die lokalen Behörden sofort mit strengen Maßnahmen – allerdings auch nur dort, wo der Fall tatsächlich entdeckt wurde. Im Fall Perth hatte sich ein Sicherheitsmitarbeiter in einem Quarantänehotel infiziert.

Quarantänehotels und sehr harte Regeln

Diese Quarantänehotels sind Teil des australischen Erfolges im Kampf gegen das Coronavirus, das mit seiner Zero-Covid-Strategie oft als Vorbild für Europa genannt wird. Es gelten strengste Einreisebestimmungen. Wer einreisen darf – Touristenvisa werden aktuell nicht erteilt –, muss in eine 14-tägige Hotelquarantäne auf eigene Kosten. Vor diesen Beschränkungen waren auch die Tennisstars nicht befreit. Ihre ersten 14 Tage in Australien verbrachten sie in einem Quarantäne-Hotel. Tennistraining? Nur im Hotelzimmer.

Außerdem hat das Land die internationalen Flugverbindungen beschränkt. Die offenen Flughäfen lassen nur wenige Passagiere einreisen. Mit derselben Strategie gelingt es auch Neuseeland schon seit Monaten, das Land nahezu coronafrei zu halten.

Hinzu kommen die regional begrenzten Maßnahmen der Bundesstaaten. Als im australischen Winter im Juli die Fallzahlen zu steigen begannen, beschloss der Bundesstaat Victoria einen der strengsten Lockdowns der Welt. 112 Tage durften die Menschen in der zweitgrößten Stadt Australiens kaum ihr Zuhause verlassen.

Viele Tests, niedrige Positivrate

Ein weiterer Baustein im australischen Erfolg ist die Kontaktnachverfolgung. Bei 85 Prozent aller Fälle ist der Infektionsort bekannt. In Deutschland sind dazu kaum verlässliche, vergleichbare Angaben möglich.

Sobald ein Coronafall in der Bevölkerung auftritt, wird großflächig getestet – auch symptomfreie Personen. Testet ein Land genug, so ist die Positivrate, also die Anzahl der positiven Ergebnisse unter allen Tests, niedrig. Selbst im Höhepunkt der australischen zweiten Welle im August lag diese niedriger als in Deutschland während der gesamten Pandemie.

Die Folge aus den viele Tests: Infektionen werden früh erkannt, bevor sie sich im Land verbreiten können. Insgesamt verzeichnet Australien seit Beginn der Pandemie 28.842 bestätigte Coronafälle – so viele wie in Deutschland oft an einem einzigen Tag gemeldet wurden.

Nur wenige Länder kamen so gut durch die Pandemie und verzeichnen innerhalb eines Jahres so wenige bestätige Fälle pro 100.000 Einwohner. Australiens direkter Nachbar Neuseeland schneidet sogar noch besser ab.

In einer Analyse des australischen Lowy Institus landet Neuseeland deswegen auch auf Platz eins eines Rankings, das beschreibt, welche Länder die Pandemie besonders gut überstanden haben. Australien folgt auf Platz acht.

In Australien starben weniger Menschen als im Vorjahr

Niedrige Fallzahlen bedeuten natürlich auch wenige Todesfälle. Der australische Sender ABC berichtete im Januar, dass die Übersterblichkeit im Land 2020 sogar geringer ausfallen könnte als in den Vorjahren – trotz, oder sogar wegen, des Coronavirus. In Deutschland war sie vor allem im November und Dezember stark angestiegen im Vergleich zu den Vorjahresmonaten.

Vergleicht man diese Zahlen wieder mit Deutschland, ergibt sich ein ähnliches Bild wie bei den Infizierten. Starben in Australien insgesamt 909 Menschen, so meldeten deutsche Behörden im Dezember teils 1000 neue Todesfälle pro Tag. Insgesamt sind seit der Pandemie in Deutschland 60.885 Menschen mit Corona verstorben. Verrechnet man diese kumulierten Todeszahlen mit der Bevölkerungszahl – Deutschland hat 80 Millionen Einwohner:innen, in Australien sind es 25 Millionen – so zeigt sich ein deutliches Bild.

Neue Grenzen und extreme Reaktionsgeschwindigkeit

Trotzdem kommen diese niedrigen Zahlen nicht ohne Einschränkungen – auch jetzt noch. Schon früh in der Coronapandemie hatten die Bundesstaaten auch neue Grenzen im eigenen Land geschlossen. Heute noch brauchen die Bewohner:innen Genehmigungen, sogenannte „boarder passes“, auf Deutsch „Grenzpässe“, um in einen anderen Bundesstaat zu reisen. Die Kontrolle solcher Maßnahmen ist in Australien natürlich einfacher als in Deutschland. Schließlich ist es eine Insel. Aber das alleine erklärt den strategischen Erfolg nicht. Denn auch Großbritannien ist schließlich eine Insel.

Innerhalb weniger Stunden können die regionalen Behörden Beschränkungen verkünden. Und auch in Australien führen die unterschiedlichen Regeln in den Bundesstaaten zu absurden Situationen. Denn während in Melbourne im Bundesstaat Victoria 25.000 Zuschauer in einem Stadion zusammenkommen, bleiben im benachbarten Sydney im Bundesstaat New South Wales die Clubs noch immer geschlossen. Bei Konzerten in Innenräumen dürfen maximal fünf Musiker:innen auf einer Bühne singen. Mitsingen für das Publikum ist verboten.

Die Autor:innen

Eric Beltermann
Produktion
Helena Wittlich
Text & Recherche
Veröffentlicht am 5. Februar 2021.