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Neue Fossilenergie

Fängt der Kohleboom in Afrika gerade erst an?

In Afrika ist die Kohleenergie auf dem Vormarsch, mehrere Kraftwerke sind geplant oder im Bau. Für den Klimaschutz ist das eine verheerende Entwicklung. Dabei gibt es Alternativen.
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In Afrika ist die Kohleenergie auf dem Vormarsch, mehrere Kraftwerke sind geplant oder im Bau. Für den Klimaschutz ist das eine verheerende Entwicklung. Dabei gibt es Alternativen.
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Rund 1,2 Milliarden Menschen leben auf dem afrikanischen Kontinent. Bis 2050 könnte die Bevölkerung auf 2,5 Milliarden Menschen anwachsen und sich damit mehr als verdoppeln. Bisher haben mehr als 500 Millionen von ihnen keinen Strom. Doch der Energiebedarf des Kontinents steigt – und könnte mit dem Bevölkerungswachstum weiter ansteigen.

Ob damit auch viel mehr Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen werden, hängt davon ab, ob neue fossile Kraftwerke entstehen. Kohlekraftwerke gelten als besonders klimaschädlich. Um die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, müsste die Weltgemeinschaft laut Weltklimarat die Kohleverstromung bis 2040 beenden. Noch verantworten die mehr als 50 afrikanischen Staaten im Jahr 2019 nur etwa vier Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Doch in den nächsten Jahren sollen Dutzende neue Kohlekraftwerke entstehen, die den CO2-Ausstoß deutlich erhöhen könnten.

Südafrika und Simbabwe haben große Kohlepläne

In den kommenden Jahren könnten in Afrika mehr als 20 neue Kohlekraftwerke mit einer Leistung von mehr als 47 Gigawatt in den Betrieb gehen, wie Daten der US-amerikanischen Umweltorganisation Global Energy Monitor zeigen. Zum Vergleich: Deutschland verzeichnete Stand März 2021 rund 38 Gigawatt installierte Leistung aus Braun- und Steinkohlekraftwerken.

Einzelne afrikanische Länder stechen bei den geplanten Kapazitäten an Kohlekraft hervor, vor allem Südafrika (4,1 Gigawatt) sowie Simbabwe (4,2 Gigawatt) oder Botswana (1,7 Gigawatt). Darüber hinaus sind mehrere Gigawatt Kohleenergie in Afrika aufgeschoben oder verzögert, aber weiterhin geplant – wie beispielsweise in Ägypten mit bis zu 12,6 Gigawatt.

Hier entstehen neue Kohlekraftwerke
Die Mehrheit der geplanten oder der sich in Bau befindenden Kraftwerke befinden sich im Südosten Afrikas. Die Größe der Kreise zeigt die Kapazität der einzelnen Kraftwerke in Megawatt an.

Neue Kohlekraftwerke haben in der Regel eine Lebensdauer von 40 Jahren und länger – damit stoßen sie auf Jahrzehnte klimaschädlichen Treibhausgase aus. Und verhindern oft klimafreundliche Alternativen. Im Jahr 2016 stammte fast 70 Prozent der Energie in Südafrika aus Kohle.

Weltweit sind die fossilen CO2-Emissionen in den vergangenen Jahrzehnten stetig gestiegen. Die meisten davon stammen aus China, den USA und der Europäischen Union, der Ausstoß der afrikanischen Länder ist weit geringer. Insgesamt ist Kohle weltweit für den größten Anteil verantwortlich – es sind rund 40 Prozent der CO2-Emissionen, gefolgt von Öl mit 34 Prozent und Gas mit 21 Prozent.

In den letzten 20 Jahren ist der Anteil der CO2-Emissionen durch Kohle massiv angestiegen
Die Grafik zeigt die jährlichen CO2-Emissionen aus der Produktion fossiler Brennstoffe und Zement in Millionen Tonnen, aufgeteilt nach Emissionsquellen.

In rund 50 afrikanischen Staaten südlich der Sahara könnten bis 2025 neue Kohlekraftwerke in den Betrieb gehen, die gemeinsam einen zusätzlichen jährlichen Ausstoß von mehr als 100 Millionen Tonnen CO2 verantworten würden. Das zeigt eine Studie im Fachmagazin „Nature Climate Change“, verfasst von einem Team um den Wissenschaftler Jan Steckel am Berliner Klimaforschungsinstitut MCC.

Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von knapp 5 Gigawatt befinden sich in Afrika bereits in Bau. Das zeigen Daten des Global Coal Plant Tracker. Pläne für Kraftwerke mit Kapazitäten von 28,8 Gigawatt sind vorübergehend aufgeschoben. Die folgende Grafik zeigt die Vorhaben der Länder im Detail.

In Südafrika sind die höchsten Kapazitäten für Kohlekraft geplant
Die Grafik zeigt die geplanten Kapazitäten an Kohlekraft in Gigawatt, aufgeschlüsselt nach einzelnen Ländern. Für nicht aufgeführte Länder sind keine Kohleprojekte bekannt. Wählen Sie ein Land, um die geplanten Kapazitäten anzuzeigen.

Zwar ist der Zuwachs an Emissionen noch recht gering. Er entspricht einem Siebtel der deutschen Treibhausgasemissionen im Jahr 2020. Doch die Forscher schreiben auch: „Die Entwicklung der Investitionen in den Energiesektor deuten auf eine immer größere Rolle von CO2-intensiver Kohle und damit beschleunigtem Emissionswachstum in der Zukunft hin.“

Die Wissenschaftler weisen auf China hin, das als Land „in nur 20 Jahren Hunderte Millionen Menschen aus der Armut befreit hat“, aber gleichzeitig ein noch nie dagewesenes Wachstum an Kohleenergie in Kauf genommen hat. Im Jahr 2020 produzierte China mit einer Bevölkerung von knapp 1,4 Milliarden Menschen mehr als die Hälfte der weltweiten Kohleenergie, wie Analyst:innen der Denkfabrik Ember errechnet haben. Die kohlebedingten CO2-Emissionen liegen in China mit Abstand am höchsten – weit unter den Emissionen Afrikas. Auch wenn dort die kohlebedingten CO2-Emissionen ganz leicht gestiegen sind – der gesamte Kontinent stößt bisher doppelt so viel kohlebedingte CO2-Emissionen aus wie Deutschland als einzelnes Land.

Die USA stoßen doppelt so viel kohlebedingtes CO2 aus wie Afrika
Die Grafik zeigt die jährlichen kohlebedingten CO2-Emissionen in Millionen Tonnen. Die Daten beziehen sich auf die Jahre zwischen 1990 und 2019.

Mindestens 1.000 Kohlekraftwerke waren 2020 in China in Betrieb, in Afrika gerade einmal 34, 19 davon in Südafrika. Alternativen zum fossilen Energiesystem gibt es in Form von Wind- und Sonnenkraft sowie Speichertechnologien. Doch was wäre notwendig, um den Aufbau eines nachhaltigen Energiesystems auf dem afrikanischen Kontinent voranzutreiben?

Für den Wandel braucht es Unterstützung

Dafür braucht es vor allem Investitionen aus dem Ausland. Der Klimaökonom Jan Steckel forscht hauptsächlich zur Rolle der Entwicklungsländer beim Klimaschutz. „Damit die erneuerbaren Energien auch in Afrika ausgebaut werden, müssen die Risiken für ausländische Investoren abgesenkt werden“, sagte er dem Tagesspiegel auf Anfrage. Das sei möglich durch sogenannte Exportgarantien. Dabei schützt der Staat das investierende Energieunternehmen im Zweifel vor einem Zahlungsausfall – zum Beispiel, wenn das Solarkraftwerk im Ausland gebaut ist, aber das jeweilige Land den damit erzeugten Strom doch nicht abkaufen will. In Deutschland sind diese staatlichen Exportgarantien als Hermesbürgschaften bekannt.

Doch das reicht noch nicht. „Zweitens brauchen die Staaten selber stabilere Bedingungen für den Aufbau der erneuerbaren Energien. Das können Verträge sein, in denen das Land den Kauf des Stroms absichert, zum Beispiel durch Einspeisetarife“, sagt Steckel. Damit bekommt der Stromlieferant einen festen Betrag, wenn er Strom aus erneuerbaren Energien ins Netz einspeist.

Vietnam könnte den Umstieg auf erneuerbare Energien schaffen

Es gibt Länder, die vormachen, wie der Umstieg auf erneuerbare Energien funktionieren könnte, etwa Vietnam. „Lange Zeit war es so, dass die dortige Regierung Investoren von Kohlekraftwerken zugesichert hat, den so erzeugten Strom mehrere Jahre zu einem Fixpreis abzukaufen”, erklärt Steckel. Für die Investoren von erneuerbaren Energien hingegen habe es solche Sicherheiten häufig nur für ein einziges Jahr gegeben.

Das ist nun anders. Seit 2019 habe Vietnam die Sicherheiten für den Ausbau der erneuerbaren Energien unter anderem mit einem Einspeisetarif verstärkt. „Das hat zu einem wahren Investitionsboom geführt. In nur wenigen Monaten wurden mehrere Gigawatt an erneuerbaren Energien zugebaut. Jetzt sieht es so aus, dass neue Kohlekraftwerke in Vietnam keine Chance mehr haben.“

Vor allem braucht es Geld

Trotzdem braucht es neben Exportgarantien und stabilen Investitionsbedingungen noch mehr für den Ausbau der erneuerbaren Energien in Afrika: „Erneuerbare Energien benötigen auch das passende Stromnetz und Speicher, um Schwankungen auszugleichen“, sagt Steckel. Schwankungen bei einer solchen Energieerzeugung entstehen, weil der Wind unterschiedlich stark weht und die Sonne unterschiedlich stark scheint. Für den Aufbau einer solchen Infrastruktur brauche es von der Weltgemeinschaft technische Unterstützung und auch genug Kapital.

Letzteres sei vor allem die Finanzierungsfrage, bei der China eine große Rolle spiele. „China finanziert mithilfe von Krediten viele fossile Kraftwerke in Afrika, teilweise mit sehr unvorteilhaften Klauseln. Hier müssen die internationale Gemeinschaft und die westlichen Länder schauen, welche Finanzierungsmodelle für afrikanische Länder bei den erneuerbaren Energien attraktiv sind.“ Am Ende sei klar, dass auf dem Kontinent in den kommenden Jahren massiv in mehr Energie investiert werde. „Die afrikanischen Länder müssen ihre Energieerzeugung auch weiterhin ausbauen können. Es kann kein Ziel von Klimaschutz sein, das in Zweifel zu ziehen.“

„Alle neuen Kohlekraftwerke sind hochproblematisch“

Es dürfte nicht einfach werden, Klimaschutz und den gestiegenen Energiebedarf zusammenzubringen. Mehrere Gigawatt Kohlekraft im afrikanischen Energiesektor sind bereits geplant oder im Aufbau. Charles Gymafi Ofori vom „Africa Centre for Energy Policy“ mit Sitz im westafrikanischen Ghana glaubt trotzdem, dass ein Umdenken möglich ist. „Afrikanische Regierungen sollten sich auf die Produktion von sauberen Energietechnologien konzentrieren. Damit sollte sichergestellt werden, dass afrikanische Länder nicht einfach nur Verbraucher von Energie werden, wenn ein großer Teil der Bodenschätze für diese Technologien auf dem Kontinent existieren.“ Afrikas Böden sind reich an Metallen, die für die Produktion von Solarzellen oder Batteriespeichern nötig sind, darunter Aluminium, Kobalt oder Kupfer. Regierungen müssten daher in die Forschung, Entwicklung und Produktion solcher Energietechnologien investieren.

Aber auch Ofori ist klar, dass es nicht ganz ohne Kohle gehen wird. „Für einen Kontinent, in dem immer noch Millionen Menschen ohne Elektrizität leben, bleibt die fossile Stromerzeugung wichtig, um das Wirtschaftswachstum in den nächsten drei bis fünf Jahrzehnten voranzutreiben.“ Der Übergang zu einem nachhaltigen Energiesystem muss laut Ofori vor allem Energiearmut lindern.

Mit Kohle geht es nicht

Andere Experten fürchten, dass mit den neuen Kraftwerken in Afrika die Klimaziele unerreichbar werden, wie der Wissenschaftler Rainer Quitzow vom Potsdamer Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS). „Es ist ein zügiger globaler Ausstieg aus der Kohlekraft nötig, um die Paris-Ziele zu erreichen“, meint er. Diese Ziele besagen, dass die Weltgemeinschaft die globale Erwärmung auf höchstens zwei Grad, besser noch auf 1,5 Grad begrenzen will. „Aus dieser Perspektive sind alle neuen Kohlekraftwerke hoch problematisch. Bei den üblichen Laufzeiten werden sie auch dann noch CO2 emittieren, wenn bereits ein kompletter Ausstieg vollzogen sein müsste.“

Quitzow zufolge ist es „definitiv eine Gefahr für das Klima und die betroffenen afrikanischen Länder, wenn sie nicht schon jetzt auf klimafreundliche Entwicklungspfade setzen.“ Dafür bräuchten arme Länder in Afrika umfangreiche finanzielle Unterstützung, um größere Investitionen in erneuerbare Energien zu ermöglichen.

Kommende Klimakonferenz soll Gelder mobilisieren

Dass das Geld auch wirklich fließt, soll die diesjährige UN-Klimakonferenz im britischen Glasgow im November sicherstellen. Eines der Ziele der Konferenz ist, dass die Industriestaaten ihren Zusagen nachkommen und jährlich mindestens 100 Milliarden US-Dollar an Mitteln bereitstellen, um Entwicklungsländern dabei zu helfen, sich an die Folgen der Klimakrise anzupassen und Emissionen einzusparen. Dazu zählt auch der Aufbau eines klimafreundlichen Energiesystems.

Eine Studie der OECD aus dem vergangenen Jahr zeigte, dass die reichen Staaten im Jahr 2018 nur 78,9 Milliarden US-Dollar zu dieser Klimafinanzierung beigetragen haben - und die Geberländer immer häufiger Kredite statt Zuschüsse vergeben. Ob die reichen Staaten sich an ihre Versprechen halten und im November auf der UN-Klimakonferenz liefern werden, muss sich noch zeigen.

Klimaaktivistinnen in Afrika
Über das Projekt

Das Projekt

Dieser Artikel ist Teil einer einjährigen Recherche zu den Folgen des Klimawandels in besonders betroffenen Regionen in Afrika. Dabei liegt der Hauptfokus auf Klimaaktivistinnen, die vor Ort versuchen, Probleme aufzuzeigen und Lösungen zu finden.

Die globale Klimabewegung wird von jungen Frauen geprägt. Hierzulande stehen Aktivistinnen wie die Schwedin Greta Thunberg im Vordergrund - oder Luisa Neubauer, das deutsche Gesicht von “Fridays for Future”. Ihre Mistreiterinnen aus Afrika werden oft übersehen, dabei sind ihre Länder schon heute viel stärker von der Klimakrise betroffen.

Im Rahmen des Projekts A Female Fight for the Future begleitet der Tagesspiegel ein Jahr lang Klimaaktivistinnen in afrikanischen Ländern und visualisiert klimarelevante Entwicklungen. Wir schauen uns Projekte vor Ort an, mit denen der Klimawandel bekämpft werden soll, zeigen, wie sich neue politische Netzwerke bilden und zeigen, wo Menschen schon heute besonders unter der ökologischen Krise leiden.

Alle bisherigen Artikel aus der Serie finden Sie auf der Projektseite.

Die Finanzierung:

Das Rechercheprojekt wird vom European Journalism Centre im Rahmen des European Development Journalism Grants Programms finanziert. Unterstützt wird dieses Programm von der Bill&Melinda Gates Stiftung.

Das Team

Eric Beltermann
Webentwicklung
Thomas Weyres
Artdirektion
David Meidinger
Webentwicklung
Sinan Reçber
Recherche & Text
Helena Wittlich
Produktion
Veröffentlicht am 10. Juni 2021.