Neue Daten zu Drogen in 133 europäischen Städten:
Wo am meisten Kokain und Speed konsumiert werden
Drogenkonsum hinterlässt Spuren – auch im Abwasser. Neuesten Daten zufolge ist der Konsum von Stimulanzien wie Kokain und Speed in Europa 2024 weiter angestiegen. Dies trifft auch auf fast alle der elf deutschen Städte zu, die an der am heutigen Mittwoch erscheinenden Analyse der Drogenagentur der Europäischen Union (EUDA) teilnahmen.
Die Agentur untersucht jährlich das Abwasser in rund 100 europäischen Städten auf Drogenrückstände. Neben den Stimulanzien Kokain, MDMA, Amphetamin (Speed) und Methamphetamin (Crystal Meth) erfasst sie auch Ketamin- und Cannabisrückstände. Dieses Jahr haben 133 Städte in 29 Ländern teilgenommen.
Der Rechercheverbund „Urban Journalism Network“, dessen Mitglied der Tagesspiegel ist, hat die Ergebnisse in Karten und Rankings visualisiert. Eine deutsche Landeshauptstadt hat die zweithöchsten Speed-Messwerte; ostdeutsche Städte stechen mit Blick auf eine andere Droge hervor.
Rückstände von Kokain, woraus auch Crack hergestellt wird, steigen seit Jahren an. Auch 2024 haben sie wieder einmal neue Rekordwerte erreicht. Berücksichtigt man alle 72 Städte, die sowohl dieses als auch vergangenes Jahr Kokainrückstände gemeldet haben, stieg der Konsum 2024 um rund zehn Prozent.
Auch der Konsum von Amphetamin, bekannt als Speed, stieg im europaweiten Durchschnitt um mehr als sieben Prozent. Während Speed insbesondere in Nordeuropa beliebt ist, finden sich am meisten Kokainrückstände pro 1000 Einwohner in West- und Südeuropa, insbesondere in Großstädten. Methamphetamin – auch bekannt als Crystal Meth – hingegen ist insbesondere in Osteuropa und den Städten Ostdeutschlands präsent.
Experte: Urbane Konsummuster greifen auf kleinere Städte über
João Pedro Matias ist Analyst bei der EUDA. Ihm zufolge ist der Unterschied im Konsum zwischen größeren und kleineren Städten in letzter Zeit geschrumpft – mit einer Ausnahme: Kokain werde nach wie vor eher in Großstädten konsumiert. Laut der EUDA „deutet dies darauf hin, dass sich in einigen Fällen ‚urbane‘ Muster des Drogenkonsums auf kleinere Städte ausbreiten könnten“.
Abwasseranalysen sind eine der einzigen Möglichkeiten, den Konsum von Drogen in einer Bevölkerung zu messen. Da die meisten Suchtmittel im überwiegenden Teil der Länder illegal sind, haben sich Umfragen oder Verkaufsstatistiken als nur bedingt brauchbar erwiesen. Kriminalitätsstatistiken erfassen nur Drogen, die von polizeilichen Behörden entdeckt werden.
Nicht alle Länder erheben Rückstände sämtlicher Drogen. Zum Beispiel fehlen für ganz Deutschland aus 2024 Daten zu Cannabis. Es ist das Jahr, in dem der Konsum legalisiert wurde. Europaweit lässt sich aus den Abwasserdaten herauslesen, dass diese Droge in den untersuchten Städten offenbar weniger genutzt wird: In 51 Städten, die sowohl 2023 als auch 2024 Cannabis-Daten erhoben, fanden sich 2024 bevölkerungsbereinigt im Schnitt rund sechs Prozent weniger Rückstände als 2023.
Die Teilnahme an der Analyse ist für die Städte freiwillig. In Deutschland beteiligten sich 2024 Chemnitz, Dortmund, Dresden, Erfurt, Hamburg, Hannover, Magdeburg, München, Nürnberg, Saarbrücken und Stuttgart. Die Partymetropole Berlin fehlt erneut. Behörden und Politik haben dort offenbar wenig Interesse an den Ergebnissen (mehr dazu lesen Sie hier).
Doch auch ohne Teilnahme Berlins erlauben die Daten Rückschlüsse auf Konsummuster. Auch in Deutschland ist Kokain offenbar Großstadtdroge. Die meisten Rückstände der Substanz wurden in Hamburg gemessen, gefolgt von Dortmund und Stuttgart. Insgesamt wurden in deutschen Städten im Vergleich zu 2023 mehr Spuren von Kokain entdeckt.
Hamburg, Stuttgart und Hannover, die im Kokain-Ranking 2024 auf den vordersten Plätzen landeten, hatten 2023 allerdings nicht teilgenommen. Aber auch, wenn man die acht (beziehungsweise im Fall von Ketamin sieben) Städte vergleicht, die bereits im vergangenen Jahr teilnahmen, zeichnet sich ab: In Deutschland stieg der Konsum von Kokain, Speed, Crystal Meth und MDMA. Von Ketamin hingegen wurden weniger Rückstände gemessen.
Amphetamin-Hauptstadt Saarbrücken?
Die europaweit zweithöchsten Speed-Werte wurden 2024 in Saarbrücken gemessen. Schon 2020 hieß es in einer Pressemitteilung des saarländischen Gesundheitsministeriums, „Amphetamin“ sei „im Bereich der Stimulanzien derzeit das größte Problem“. Im Jahr zuvor hatte das Bundesland eine eigene Analyse veranlasst, um die hohen Werte aus der europäischen Analyse zu verifizieren. Die Erhebung bestätigte das Problem.
Teilweise erklären sich hohe Werte wie diese womöglich durch Nähe zu Nachbarstaaten. Das meiste Speed wird laut der EUDA in den Niederlanden und den Benelux-Staaten produziert, von Saarbrücken aus ist es bis dorthin nicht weit. Als alleinige Erklärung reicht es aber nicht aus: Auch Dortmund liegt nah an der niederländischen Grenze, dort wurden nur etwa halb so viele Speed-Rückstände gemessen. Mehr Speed als in Saarbrücken fanden die Analysten nur im schwedischen Gävle.
Im Fall von Crystal Meth ist der geografische Bezug jedoch recht eindeutig: Im europaweiten Ranking zum Konsum liegt Dresden auf Platz sieben, Chemnitz auf Platz neun. Das dürfte am Nachbarland Tschechien liegen, das die Statistik dominiert und für seine Meth-Labore bekannt ist. Wie Věra Očenášková, die tschechische Expertin des T.G.Masaryk-Wasserinstituts, dem Urban Journalism Network erklärte, lässt sich der Anstieg des Meth-Konsums in den deutschen Nachbarstädten durch den „wachsenden Export von Meth aus Tschechien“ erklären.
In fast allen anderen Rankings weit vorne: die Niederlande mit Amsterdam und anderen Großstädten sowie Belgien mit Antwerpen. Laut João Pedro Matias von der EUDA sind Gründe dafür die geografische Lage, die hohe Verfügbarkeit von Drogen und das ausgeprägte Nachtleben.
Und es gibt noch einen Zusammenhang. Die drei Städte mit dem höchsten Kokainkonsum – neben Antwerpen und Amsterdam das spanische Tarragona – sind allesamt Hafenstädte, was einen Zusammenhang zwischen den Einfuhrorten und Konsum nahelegt. Schließlich werden fast 70 Prozent der von Zollbehörden beschlagnahmten Drogen in Häfen gefunden, wie aus dem Bericht der EUDA von 2024 hervorgeht.
Kokain wird ebenso wie MDMA und Ketamin mit Freizeitkonsum und Nachtleben in Verbindung gebracht – nicht zu Unrecht. Die Analyse des Drogenkonsums über eine Woche zeigt, dass diese Substanzen am Wochenende vermehrt konsumiert werden.
Dagegen werden Cannabis sowie Methamphetamin und Amphetamin gleichmäßiger an allen Wochentagen genutzt. Laut Analyst Matias spiegeln die Trends bei Methamphetamin und Amphetamin besonders die gute Verfügbarkeit der Drogen wider. Anders formuliert: Je mehr Drogen es zu kaufen gibt, desto mehr werden genommen.
Dieser Artikel stammt vom Urban Journalism Network und seinen Partnern. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk europäischer Medien, das sich der Erforschung gemeinsamer Herausforderungen widmet, mit denen große europäischen Städte und Länder konfrontiert sind. Der Tagesspiegel ist Teil des Netzwerks.