Das Kontaktverbot in Deutschland wurde gerade erst beschlossen. Doch der Verkehr hat schon vergangene Woche stark abgenommen. Donnerstagnachmittag um 16 Uhr lag die Verkehrsbelastung in Berlin 31 Prozent unter dem durchschnittlichen Vorjahreswert. Wie in anderen deutschen Großstädten ist die Rushhour in Berlin zu dieser Zeit schlimmer als an allen anderen Wochentagen.
Nun gibt es also weniger Verkehr – Berlin ist da keine Ausnahme. In zahlreichen Großstädten der Welt ist der Verkehr seit Ausbruch des Coronavirus SARS-CoV-2 massiv eingebrochen. Das geht aus einer Datenanalyse von Millionen Fahrzeugbewegungen durch den Navigationsdienst TomTom hervor.
Der niederländische Konzern wurde hierzulande durch seine Navigationssysteme bekannt, die man sich im Auto an die Scheibe pfropfen konnte. Inzwischen werden Tomtom-Systeme auch für zahlreiche andere Routenberechnungen und Karten genutzt – beispielsweise in festverbauten Navigationssystemen in Autos oder Smartphones. Durch die weite Verbreitung werden laut Unternehmensangaben inzwischen weltweit Verkehrsdaten von über 600 Millionen Menschen erfasst, 357 Milliarden Kilometer zurückgelegte Strecke alleine im Jahr 2019.
Aus diesen Daten errechnet die Firma einen Verkehrsbelastungs-Index für viele Städte. Der „Traffic Congestion Index” gibt an, wie viel Prozent länger es zu einer bestimmten Tageszeit in einer Stadt dauert, von A nach B zu kommen – im Vergleich zu verkehrsarmen Zeiten. Noch einfacher gesagt gibt der Index schlicht an, wie viel Stau in diesen Städten zu bestimmten Zeiten ist.
Die Analyse dieser Daten zeigt, dass der Verkehr seit dem Ausbruch von COVID-19 stark zurückgeht – allerdings weltweit in sehr unterschiedlicher Weise. In vielen deutschen Großstädten war das Verkehrsaufkommen zwar schon vergangenen Montag am 16. März niedriger als es 2019 durchschnittlich an denselben Wochentagen war. Dennoch sind in Berlin, genauso wie in Hamburg, Köln, München und Frankfurt an diesem Tag noch deutlich die zwei Verkehrsspitzen des Berufsverkehrs morgens und abends zu sehen.
Schon einen Tag später verändert sich der Verkehrsrhythmus radikal. Die morgendliche Rushhour verschwindet. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel am 18. März ihre Fernsehansprache hält, flacht das Verkehrschaos noch weiter ab.
Dennoch ist das Verkehrsaufkommen in Deutschland noch immer recht hoch im internationalen Vergleich. Man kann deutlich daran ablesen, dass es hierzulande vergangene Woche noch keinerlei starke Ausgangssperren gab. Der Vergleich von zwei chinesischen Städten zeigt, wie extrem unterschiedlich sich das Coronavirus – und vor allem der politische Umgang damit – auf den Verkehr auswirken kann. In Wuhan, die Stadt, in der SARS-CoV-2 im Dezember 2019 erstmals ausgebrochen ist, wurde schon am 23. Januar der öffentliche Nahverkehr komplett eingestellt und schließlich die Straßen gesperrt. Erst vor zwei Tagen, am 22. März, wurden viele dieser Eindämmungsmaßnahmen wieder aufgehoben. Die Kurve zeigt noch den Stand der vergangenen Woche: Der Verkehr war nahezu zum Erliegen gekommen.
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In Peking traf der Lockdown den Verkehr weniger stark. Anders als Wuhan hatte die Stadt keine allgemeine Ausgangssperre verhängt. Hier war in der gleichen Zeit schon teils wieder starker Verkehr, wo in Wuhan die Straßen noch leer blieben. Allerdings beschränkte er sich deutlich auf den Weg zur Arbeit und zurück. In den restlichen Stunden des Tages und am Wochenende gab es deutlich weniger Verkehr. Am 23. März war der erste Tag nach dem Lockdown. Es gibt wieder Berichte von den ersten größeren Staus.
Wie extrem unterschiedlich die politischen Reaktionen in anderen Metropolen der Welt sind, zeigen die Daten ebenfalls. Während in Rom schon eine strikte Ausgangssperre gilt, verhängte Frankreich sie erst vergangene Woche ab Dienstag um 12 Uhr.
In London gibt es derweil noch keine. Hier hat der Verkehr nur leicht abgenommen. In New York, wo inzwischen der stärkste Anstieg an COVID-19 Fällen in den USA verzeichnet wird, wurde der Lockdown am Freitag, den 20. März bekanntgegeben. Doch schon davor blieben offenbar viele freiwillig Zuhause.
Die Analysen zeigen auch, dass sich der Verkehr in Hongkong und Tokyo derweil schon fast wieder normalisiert hat. Japan reagierte sehr schnell auf den Ausbruch des Coronavirus. Es gibt dort ein paar Gewohnheiten, die uns gerade helfen würden. Nicht nur gibt es seit Jahren Aufklärungskampagnen zu Infektionskrankheiten. Auch Gesichtsmasken zu tragen ist dort üblich. Weniger aus Angst, selbst krank zu werden, als aus Respekt vor der Gesundheit der anderen.
Die Darstellung der TomTom-Daten im Zeitverlauf ist eine Weiterentwicklung einer Grafik, die John Burn-Murdoch für die Financial Times gestaltet hat. Wir waren große Fans von dem Projekt und wollten eine solche Analyse auch für deutsche Städte haben.
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