Wie hältst du’s mit den Mieten? Wie den opulent steigenden Mieten in der Hauptstadt zu begegnen ist, ist zur Gretchenfrage der Berliner Abgeordnetenhauswahl 2021 geworden. Das Thema drängt: Die Bestandsmieten steigen so rapide an wie nirgendwo sonst in Deutschland – seit 2016 um 42 Prozent. Während viele Berliner:innen um ihren Platz in der Stadt bangen, werden Immobilien immer wertvoller und sind ungebrochen attraktiv für Investoren.
Im Wahlkampf ist das Thema landespolitisch brisant. SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey machte zuletzt ein Nein zur Enteignung zur Bedingung für mögliche Koalitionen. Vielleicht halten die Grünen sich in der Frage auch deshalb so bedeckt wie möglich. Von ihnen heißt es: Als Ultima Ratio seien Enteignungen zu erwägen, zuerst aber müsse man anderes versuchen. CDU wie FDP sind strikt dagegen. „Auf freiwilliger Basis“ könne es auch ein Mietenmoratorium geben, sagte FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja. So richtig für Enteignungen ist nur die Linke.
Um herauszufinden, wie die Mitglieder des Berliner Abgeordnetenhauses im Wahlkampf über das Thema Wohnen sprechen, hat der Tagesspiegel gemeinsam mit dem Mercator Institute for Climate Research rund 38.000 Twitter-Posts von insgesamt 112 Abgeordneten analysiert, alle seit Januar 2021. In 868 davon, also 2,3 Prozent der Tweets, kam das Thema Wohnen vor. Besonders überraschend: Die SPD twittert am wenigsten über Wohnen. In nur 1,3 Prozent ihrer Tweets geht es um das Thema.
Außerdem zeigen die Daten, wie der Mietendeckel das Wahljahr 2021 prägt. Deutlich ist zu sehen: Vor allem das Mietendeckel-Urteil führte dazu, dass mehr über das Thema gesprochen wird.
Als das Bundesverfassungsgericht im April 2021 den Mietendeckel für nichtig erklärt, wird das Thema drängend. Die Aufregung hält fast einen Monat an, und selbst danach bleibt Wohnen auf der Agenda – vor allem Linke und Grüne twittern viel darüber. Insbesondere jetzt, im Wahlkampf, schlägt die Kurve wieder nach oben aus. Das liegt allerdings auch daran, dass Linke und Grüne insgesamt deutlich mehr twittern als die CDU.
Im Verhältnis zu den insgesamt abgesetzten Tweets scheint sich allerdings eine andere Berliner Partei besonders mit dem Thema zu beschäftigen. Das zeigt die folgende Grafik. Berechnet man, in wie vielen Tweets anteilig der pro Tag von einer Partei abgesetzten Beiträge Wohnen thematisiert wird, ergibt sich ein anderes Bild: CDU und FDP twittern anteilig am meisten zu dem Thema – auch, wenn sie es selten tun.
Rund 2000 Tweets haben Berliner CDU-Abgeordnete 2021 abgesetzt, davon geht es in 58 um das Thema Wohnen. Wegen der kleinen Zahl sind die Daten nur begrenzt aussagekräftig, aber sie vermitteln einen Eindruck. 2,9 Prozent der CDU-Tweets beschäftigen sich 2021 mit Wohnen: der Höchstwert unter allen Parteien. 35 Tweets stammen von einem einzigen Abgeordneten, Christian Gräff. Kürzlich unterschrieb der einen Brief an Wähler:innen, der dafür warb, seinen Unionskollegen Stefan Evers zu wählen. Nur unterschrieb er nicht als CDU-Abgeordneter, sondern in seiner Funktion als Präsidiumsmitglied des Verbands deutscher Grundstücksnutzer für CDU-Mann Stefan Evers.
Zumindest auf Twitter ist Wohnen also offenbar ein Schwerpunkt der Berliner Union – ebenso wie von der FDP (60 Tweets über Wohnen). „Ein Jahr Mietendeckel liegt jetzt hinter uns“, twittert etwa FDP-Spitzenkandidat Mario Czaja schon im Februar 2021. „Außer Unsicherheit hat er nichts gebracht.“ Und: „Wir brauchen endlich Neubauoffensive.“ Einer seiner Wahlkampf-Hashtags: #BauenStattKlauen.
Am wenigsten über Wohnen twittert die SPD. Die hat den Mietendeckel initiiert. „Bauen, Kaufen, Deckeln“ hieß es damals. Der Deckel scheiterte, auch dank handwerklicher Mängel der Verantwortlichen am Gesetz. Mit Giffey heißt es jetzt: „Bauen, Bauen, Bauen.“ Insgesamt thematisiert die Berliner SPD das Thema auf Twitter mit 1,3 Prozent am seltensten von allen großen Parteien.
Die Analyse zeigt auch, dass der Mietendeckel unter den twitternden Abgeordneten das Hauptthema 2021 war, wenn es um Wohnen geht: Kein Wort wurde in dem Zusammenhang häufiger erwähnt.
Auch die aktuelle Enteignungsdebatte schlägt sich in den Berliner Daten nieder – aber nicht so stark wie der Mietendeckel. Der Begriff „Enteignung“ steht auf Platz sechs der Wörter, die häufig zusammen mit „Wohnen“ verwendet werden. Mal schauen, ob sich das nach Abgeordnetenhauswahl und Volksentscheid am Sonntag ändert.