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Unchristliche Immobilien-Deals

Wie die katholische Kirche mit Grundstücken Geschäfte macht

Um ihr Einkommen zu verbessern, agiert die katholische Kirche europaweit als Investor und Spekulant, auch von Boden. Eine Recherche in Deutschland und Europa zeigt: Nicht immer handelt sie dabei nach christlichen Werten.
Um ihr Einkommen zu verbessern, agiert die katholische Kirche europaweit als Investor und Spekulant, auch von Boden. Eine Recherche in Deutschland und Europa zeigt: Nicht immer handelt sie dabei nach christlichen Werten.

Mehr Todesfälle als Taufen und Eintritte zusammen: In Deutschland sterben die Kirchgänger:innen aus. Das legen Zahlen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) aus dem Jahr 2022 nahe. Auch die Zahl der aktiven Austritte steigt kontinuierlich. Als Grund gaben einer Yougov-Studie zufolge viele an, mit den Moral- und Gesellschaftsvorstellungen der Kirchen nicht mehr viel anfangen zu können.

Die Kirchen brauchen Geld. Denn weniger Mitglieder bedeuten weniger Kirchensteuer-Einnahmen – und immer weniger Legitimation für Staatsleistungen und Steuererleichterungen, die sie vielerorts in Europa erhalten, auch in Deutschland. Die Kirche muss neue Verdienstmöglichkeiten erschließen.

Recherchen des Tagesspiegel in Zusammenarbeit mit europäischen Medien im Urban Journalism Network zeigen, dass die katholische Kirche dies in einigen Ländern als Investor auf dem Immobilienmarkt versucht: In Tschechien vermietet sie im großen Stil teure Wohnungen, in Italien baut der Vatikan dank eines fragwürdigen Deals das größte Kinderkrankenhaus in Rom, in Schweden und Belgien floriert der Handel mit Kirchengebäuden, in Deutschland betreibt ein Unternehmen im Besitz deutscher Erzbistümer Luxus-Seniorenwohnheime. Nicht immer handelt die Kirche dabei „christlich“ – oder gar gemeinwohlorientiert.

Der Exodus

Rund 330 Millionen Euro. So viel weniger nahm die katholische Kirche in Deutschland im vergangenen Jahr an Kirchensteuern ein, im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Minus von fünf Prozent.

Eine Prognose des IW zeigt: Die Einnahmen werden sich nicht wieder erholen, insbesondere, wenn man die Einnahmen inflationsbereinigt.

Kirchensteuern, die in Deutschland rund 45 Prozent der kirchlichen Einnahmen ausmachen, werden voraussichtlich weiter sinken, prognostiziert das IW.

Das liegt auch daran, dass die Kirche an Bedeutung verliert. In den meisten EU-Ländern gehen Menschen weit seltener zum Gottesdienst als noch vor 18 beziehungsweise 21 Jahren. Umfragedaten belegen das.

Laut eines gemeinsamen Positionspapiers wollen die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland bis 2060 fast ein Drittel ihrer Immobilien verkaufen. Wie genau das funktionieren soll, ist unklar. Recherchen des Tagesspiegel Innovation Lab zeigen: Der Prozess verläuft schleppend.

Deutschland: Die Goldgruben

Die Absicht, zügig Immobilien loszuwerden, kann zu Geschäften führen, deren Nutzen für die Allgemeinheit zweifelhaft ist. Dies zeigt ein Vorgang aus dem Jahr 2003. Da waren die Berliner Katholiken in finanzielle Schwierigkeiten geraten und hatten beschlossen, das bistumseigene Wohnungsbauunternehmen „Petruswerk“ zu verkaufen.

Es gehört nun der Avila-Gruppe, einem Unternehmen, dessen Vorstand Douglas Fernando ist. Fernando, gebürtig aus Sri Lanka und dem Orden der „Unbeschuhten Karmeliten” eng verbunden, erwarb die mehr als 2300 Mietwohnungen für 18 Millionen Euro plus 80 Millionen Euro Schulden. Umgerechnet wären das rund 42.000 Euro pro Wohnung: ein Schnäppchen.

Auch die 1968 erbaute Kirche Sankt Johannes Capistran in Berlin-Tempelhof erwarb Investor Fernando 2004 vom Berliner Erzbistum. Er ließ sie abreißen, heute steht dort ein Seniorenwohnheim. Foto: Bodo Kubrak/CC0/Wikipedia

Obwohl es damals Zweifel gab - woher kamen Fernandos Millionen? -, verkaufte die Erzdiözese die Immobilie nach einem Bieterverfahren an den unbekannten Unternehmer. Dabei soll es einen renommierten, bekannten Mitbewerber aus den Reihen der Kirche gegeben haben: die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbH.

Fernandos Unternehmen behielt den Namen Petruswerk bei, es ist nun ein Tochterunternehmen der Avila-Gruppe. Es kauft weiter Grundstücke und entwickelt Immobilien. Zum Beispiel verwandelte Fernando ein 2014 vom kommunalen Krankenhausbetreiber Vivantes erstandenes Frauenkrankenhaus in Neukölln in Mietwohnungen.

Damals versprach er den Kommunalpolitikern bezahlbare Mieten. Jetzt, zehn Jahre später, werden die Wohnungen für rund 25 Euro pro Quadratmeter angeboten – mindestens 10 Euro über dem Mietspiegel für vergleichbare Wohnungen. Der Tagesspiegel berichtete kürzlich, dass Avila aufgrund der hohen Preise Schwierigkeiten habe, Mieter zu finden.

Aus dem leerstehenden St.-Marien-Krankenhaus in Berlin-Neukölln machte das Petruswerk den Wohnpark St. Marien. Fotos: Imago/Jürgen Ritter

Für Fernando erwiesen sich der Erwerb des kirchlichen Siedlungswerks und der Ausbau des Unternehmens mit dem kirchlich klingenden Namen als lukrativ: Die Immobilienpreise in Berlin sind seit 2004 explodiert.

Laut Handelsregister erwirtschaftete die Avila-Gruppe im Jahr 2021 einen Gewinn von 3,4 Millionen Euro, ein Jahr später waren es bereits 45,3 Millionen. Die Petruswerk Katholische Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft mbH selbst steigert ihre Bilanzsumme kontinuierlich.

Douglas Fernando ist Geschäftsführer der petruswerk Katholische Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft mbH. Foto: dpa/Bernd Wüstneck

Auch die katholische Kirche selbst agiert unternehmerisch. Zum Beispiel mit der Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft, bei der sich laut Unternehmenssprecherin niemand mehr daran erinnern kann, auch ein Gebot für das Petruswerk abgegeben zu haben. Das größte katholische Wohnungsbauunternehmen ist inzwischen in viele Tochter- und Untergesellschaften verzweigt und im Besitz des Bistums Essen sowie der Bischofssitze Köln, Aachen, Münster, Paderborn und Trier.

Über die Tochtergesellschaft Aachener Grundvermögen beschafft es Kapital, um Betriebsrenten und Zusatzversorgungen für Kirchenmitglieder und Mitarbeiter zu zahlen, unter anderem durch den Betrieb mehrerer Luxus-Seniorenheime in Berlin. Sie tut es für immer weniger Mitglieder, denn mehr und mehr Menschen verlassen die Kirche.

Zum Portfolio der Aachener gehören große Gewerbeimmobilien in bester Innenstadtlage, beispielsweise in der Kölner Schildergasse, der Hoofstraat in Amsterdam oder der Købmagergade in Kopenhagen. Am Kurfürstendamm 26a in Berlin besitzt die Aachener seit 2017 ein großes Eckgebäude mit 7.374,43 m² Nutzfläche. Unter anderem ist dort seit zwei Jahren ein Ralph Lauren Flagship Store untergebracht. Und die Aachener Grundvermögen bietet verschiedene Investmentfonds an, die sich vor allem an kirchliche Anleger, Stiftungen und Institutionen richten.

Laut Geschäftsbericht 2023 erwirtschaftete die Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft im Jahr 2023 ein Ergebnis nach Steuern von rund 26.916.212,53 Euro, das sind rund 3 Millionen Euro mehr als im Vorjahr.

Darüber hinaus investiert das Erzbistum Berlin in die Investify AG mit Sitz in Köln und Wasserbillig, Luxemburg. Investify verwaltet in Zusammenarbeit mit der internationalen Investmentgesellschaft BlackRock Investitionen, zum Beispiel in Start-ups. Bernd Jünemann, Finanzdirektor des Erzbistums, ist Vorsitzender des Verwaltungsrates von Investify.

Jünemann begründet die Investition in Investify auf der Website wie folgt: „Auch wenn wir weiterhin klassische Geldanlagen bei Banken und Kapitalanlagegesellschaften haben, so investieren wir u.a. auch in Beteiligungen und eben auch in Startups, sofern das Risiko vertretbar erscheint und das Konzept überzeugt.“ Und die finanzielle Beteiligung an dem Unternehmen mache ja nur einen Bruchteil des erzbistümlichen Anlagevermögens aus.

Bei Investify ist man zufrieden mit der „engen und guten Zusammenarbeit” mit Jünemann und der erzbistümlichen Vermögensverwaltung, sagt Geschäftsführer Harald Brock am Telefon. Der Unternehmenssitz in Luxemburg sei historisch begründet: Eines der Vorgängerunternehmen habe dort bereits eine Lizenz gehabt. Von dem Sitz in Luxemburg habe man „keine steuerlichen Vorteile”, auch nicht im laufenden Betrieb.

Tschechien: Das spekulative Geschäft

In Tschechien, bis 1989 sozialistisch und heute eines der am stärksten säkularisierten Länder Europas, läuft die Finanzierung der Kirchen nicht über Steuereinnahmen. Hier erhalten die Kirchen jährlich Geld vom Staat.

Allerdings soll diese Finanzierung 2030 auslaufen. Bis dann soll die endgültige Trennung von Staat und Kirche vollzogen sein. Für historisches Unrecht während der Zeit des Kommunismus erhalten die Kirchen außerdem bis 2043 eine jährliche finanzielle Kompensation.

Vertreter der katholischen Kirche sagen, dass sie schlau investieren müssen, um sich auf die Zeit nach 2030 einzustellen. Die neue Investitionsstrategie war Ende 2022 verkündet worden. Laut Erzbischof Jan Graubner besteht sie weitgehend daraus, unrentable Immobilien zu verkaufen und in Mietimmobilien zu investieren. Dies werde „uns erlauben, die frohe Botschaft den Menschen noch Hunderte von Jahren zu verkünden”.

Die Erzdiözese Prag will nach eigenen Angaben bis 2025 mehr als 100 Millionen Euro in den Mietwohnungsbau investieren und ein Portfolio mit 1000 Wohnungen vorweisen können. Dies solle Einnahmen garantieren, die „hoch genug sind, die Ausgaben nach 2030 zu decken”.

Aus diesem Grund hat sie im Jahr 2021 ein Unternehmen namens XPlace gegründet, das Mietwohnungen in Prag anbietet. Der zugehörigen Website nach sei XPlace „eine faire Alternative zu den immer weniger erschwinglichen Eigentumswohnungen“. In Wirklichkeit jedoch entsprechen die Mieten den höchsten Marktpreisen.

Ein Beispiel: Eine 40 Quadratmeter große Einzimmerwohnung in einem neu errichteten Gebäude im Prager Stadtteil Smíchov wird für eine Monatsmiete von 1000 Euro angeboten, umgerechnet also 25 Euro pro Quadratmeter. Der Preis ist um sieben Euro pro Quadratmeter teurer als die durchschnittliche Miete in Prager Neubauwohnungen. Die Erzdiözese teilt auf Nachfrage über einen Sprecher mit: „XPlace-Preise entsprechen den derzeit üblichen Markt-Tarifen.”

Mehr als hundert Wohnungen in neuen Wohnprojekten in Prag wurden größtenteils dank der Verträge mit lokalen privaten Bauträgern erworben. Wie einer der Verträge zu diesen Deals zwischen dem Bauentwickler „Central Group” und der Stiftung, die mit der Diözese in Prag verbunden ist, offenbart, tauschte die Kirche lukrative Grundstücke, die sie im Rahmen der Restitution vom tschechischen Staat erhalten hatte, gegen eben jene neu gebauten Wohnungen. Die Stiftung war vom früheren Erzbischof gegründet worden.

Die tschechische Bischofskonferenz hat eigene ethische Richtlinien für Investitionen. In einem entsprechenden Dokument heißt es, dass die Kirche „eine angemessene Kapitalrendite anstreben“ sollte. Darüber hinaus gibt es einen Bereich zum Thema Wohnen, in dem steht: „Investieren Sie nicht in Unternehmen, die an Immobilienspekulationen beteiligt sind und dadurch die Entwicklung von bezahlbarem und sozialem Wohnraum behindern.“

Welche Auswirkungen haben solche Immobiliengeschäfte, die in ganz Europa stattfinden? Und wie stehen sie im Einklang mit dem Vorsatz, in ethisch respektable Vermögenswerte zu investieren, die den Werten der katholischen Lehre entsprechen?

Schweden: Florierender Handel mit Kirchengebäuden

In Schweden war die evangelisch-lutherische „Schwedische Kirche“ seit 2000 gezwungen, fast 150 Kirchen und Kapellen zu verkaufen, um sich finanziell zu sanieren. Seit der Jahrtausendwende sind zwei Millionen Menschen aus der Schwedischen Kirche ausgetreten, jährlich verliert die Kirche etwa ein Prozent ihrer Mitglieder und damit auch Kirchensteuereinnahmen.

So sind allein in der Diözese Göteborg etwa 25 Kirchen für insgesamt 50 Millionen Schwedische Kronen (rund 4.3 Millionen Euro) verkauft worden, einige an Privatpersonen und Vereine – andere an die schnell wachsende katholische Kirche.

Mit 130.000 Mitgliedern ist die katholische Kirche in Schweden im Vergleich zu den 5,5 Millionen Mitgliedern der Schwedischen Kirche relativ klein. Aber sie wächst jährlich um bis zu vier Prozent und hat in den letzten zehn Jahren 20.000 neue Mitglieder gewonnen.

Bereits 2011 kauften die Katholiken die Kirche von Brunnsberg in Varberg für 2,5 Millionen Kronen, und letztes Jahr zahlte sie 9,9 Millionen Kronen für die Bleket-Kirche in Uddevalla. Beides sind kleine Städte in der Nähe von Göteborg.

Eine der ersten Kirchen, die 2011 innerhalb der Stadt Göteborg verkauft wurde - die Hammarkullen-Kirche - ist heute eine Moschee. Sie wurde an den höchsten Bieter verkauft, den Verband der islamischen Schulen, der dort eine Vorschule betrieb. Die Schulbehörde kritisierte den Verband schon damals, unter anderem, weil er nur nach Geschlechtern getrennte Klassen anbot.

Im Jahr 2022 verlor der Verein das Recht, schulische Aktivitäten durchzuführen, und der ehemalige Schulleiter wurde wegen Veruntreuung von über 12 Millionen Kronen (rund eine Million Euro) zu 4,5 Jahren Gefängnis verurteilt.

Belgien: Schwindender Besitz

Auch in Belgien sind in den vergangenen fünfzehn Jahren mehr als 2 Millionen Quadratmeter Klöster, Abteien, Kirchen, Kapellen und andere religiöse Immobilien umgewidmet und manchmal verkauft worden. Laut Grundbuch-Daten ist der Bestand religiöser Immobilien in Belgien in den letzten vierzig Jahren um 15 Prozent geschrumpft, seit 2007 beschleunigt.

Der meiste religiöse Grundbesitz, 744 Hektar, befindet sich in Flandern. Dort reduziert er sich auch am gravierendsten: um 18 Prozent seit 1983. Oft haben die Kirchen noch eine gemeinschaftliche Funktion, aber private religiöse Immobilien – beispielsweise Abteien und Klöster - werden oft für das Gesundheits- oder Bildungswesen und den (Studenten-)Wohnungsbau genutzt, obwohl es auch andere, eher kommerzielle Nutzungen gibt, an denen Immobilienunternehmen interessiert sind.

Italien: Ein öffentliches Krankenhaus wird privat

Selbst in Italien, mehr als 80 Prozent Katholiken, Hauptstadt Rom, Heimat des Vatikans, Sitz des Papstes, sinken die Einnahmen aus der „8xmille”. So heißt die Steuer, die italienische Gläubige entweder an den Staat, Nichtregierungsorganisationen oder an religiöse Einrichtungen abführen können.

Trotz stagnierender Einnahmen möchte die katholische Kirche offenbar Grundstücke kaufen. Im Februar 2024 unterzeichnete der Heilige Stuhl – also die zentrale Leitung der katholischen Kirche, die auch den Vatikan vertritt – eine Interessensbekundung für den Kauf des Carlo-Forlanini-Krankenhauses in Rom. Das in den 1920er Jahren erbaute Sanatorium wird seit 2015 nicht mehr genutzt. Bisheriger Besitzer: der italienische Staat.

Sobald der Heilige Stuhl die leer stehenden Gebäude auf der 280.000 Quadratmeter großen Fläche wie geplant erworben haben wird, sollen sie in ein Kinderkrankenhaus umgewandelt werden. Betreiber soll die Fondazione Bambino Gesù sein, die bereits eines der wichtigsten Kinderkrankenhäuser in Rom unterhält.

Das neue Forlanini-Krankenhaus wird nicht öffentlich sein, sondern privat. Zwar werden nicht die Bürger bezahlen – die Behandlungskosten werden von der Regionalverwaltung übernommen. Dennoch sehen Kritiker im Deal einen weiteren Schritt zur Desinvestition in den Nationalen Gesundheitsdienst. Zwischen 2012 und 2022 wurden 95 Krankenhäuser im Land geschlossen, darunter mehr öffentliche als private.

Der Forlanini-Deal widerspricht den Worten des Papstes, der im November 2023 bezeugte, das öffentliche Gesundheitswesen erhalten zu wollen. Der Heilige Stuhl reagierte nicht auf eine Anfrage zu diesem Widerspruch.

Hinzu kommt: Die Privatisierung wird von staatlichen Geldern unterstützt. Zwar erwirbt der Heilige Stuhl das Grundstück, für die Renovierung des Krankenhauses ist aber das staatliche „Nationale Institut für die Versicherung gegen Arbeitsunfälle” (Inail) zuständig, ein öffentlicher Gesundheitsdienst. Die Renovierungskosten werden auf rund 450 Millionen Euro geschätzt und sind somit weit höher als der Kaufpreis (70 Millionen Euro).

Die Fondazione Bambino Gesù wird eine Miete für die Renovierung an die staatliche Inail zahlen, die das Krankenhaus laut „Vatican News” auch für eine bislang nicht festgelegte Dauer betreiben soll. Gehören wird es dem Heiligen Stuhl.

Bambino Gesù wird somit an seinen römischen Standorten keine Mehrwertsteuer und Grundsteuer zahlen und das medizinische Personal muss keine Einkommenssteuer an den italienischen Staat abführen. Zudem unterliegt das Bambino Gesù aufgrund seiner Exterritorialität - es gehört ja dem Vatikan und somit einem anderen Land als Italien – nicht denselben Kontrollen wie die Krankenhäuser der Regionen. Ein öffentliches Krankenhaus wird zu einem Krankenhaus der Kirche, das Steuererleichterungen erhält.

Polen: Gut im Geschäft

Allein im traditionell katholischen Polen ist es unwahrscheinlich, dass sich die Kirchen durch den Verkauf von Immobilien retten müssen. Im Gegenteil, ihr Immobilienbestand wächst, wie die offiziellen Daten des polnischen Geoportals zeigen. Die Einnahmen der Kirchen aus dem polnischen Staatshaushalt tun es ebenso.

Zwischen 2020 und 2024 haben Kirchen und religiösen Vereinigungen ihren Grundbesitz in Warschau von 608 auf 639 Hektar erweitert. Die Fläche der „Wohngrundstücke“ nahm dabei um einen Hektar zu. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Kirchengebäude in Warschau von 1.065 auf 1.119, darunter acht Wohngebäude.

Gewinn macht die polnische katholische Kirche auch mit der Vermietung von Bürogebäuden. Das erste Bürogebäude der Erzdiözese Warschau, das Roma Office Center, wurde im Jahr 2000 gebaut. Die gleichnamige Gesellschaft nahm für den Bau einen Kredit in Höhe von 64 Millionen Polnischen Złoty auf, rund 15 Millionen Euro.

Die Rückzahlung erfolgt unter anderem. dank des Nationalen Zentrums für Forschung und Entwicklung (NCBR), einer staatlichen Einrichtung, die bis vor kurzem dort ihren Sitz hatte. Im Vorjahr erwirtschaftete sie einen Gewinn von fast 6 Millionen Złoty, von dem 1,2 Millionen als steuerfreie Dividende an die Erzdiözese flossen.

Die baute Anfang der 2000er Jahre ein weiteres Bürogebäude auf Kredit an der Ecke Jasna und Swietokrzyska. Heute befindet sich dort das Büro der Vertretung der Europäischen Kommission in Polen. Im Jahr 2023 erbrachte die Vermietung des Bürogebäudes einen Gewinn von 1,3 Millionen, der vollständig an die Erzdiözese überwiesen wurde.

Von allen drei Unternehmen wurden im vergangenen Jahr insgesamt mehr als 4 Millionen Złoty auf das Konto der Warschauer Kurie überwiesen, was natürlich nur ein Teil der Einnahmen der Erzdiözese ist. Nach Erkenntnissen der „Gazeta Wyborcza“ beliefen sich die Jahreseinnahmen der katholischen Kirche in Polen 2021 auf rund 17 Milliarden Złoty. Davon entfallen etwa drei Milliarden auf die Vermietung und Verpachtung von Immobilien.

Doch mag der Immobilienbestand auch wachsen: Selbst in Polen verliert die (katholische) Kirche ihre Gläubigen. Beim letzten Zensus 2021 gaben 6,7 Millionen Bürger:innen weniger an, gläubig zu sein als noch zehn Jahre zuvor.

Fragen nach der finanziellen Zukunftsfähigkeit der eigenen Institution müssen sich die Kirchen überall in Europa stellen. Der Verkauf von Immobilien ist eine naheliegende Lösung, handlungsfähig zu bleiben – und lässt hier und dort vergessen, dass Geiz und Gier zwar im Christentum tabu, in der europaweiten Immobilienwirtschaft jedoch entscheidender Ansporn sind.

Mit Material von: Futura D’Aprile (Italien), Lorenzo Bagnoli (Italien), Steven Vanden Bussche (Belgien), Daniel Flis (Polen), Hans Peterson Hammer (Schweden), Gaby Khazalová (Tschechische Republik), Dominik Uhlig (Polen)

Über das Projekt

Dieser Artikel ist Teil der europäischen Recherche „Sacred Grounds”, in deren Rahmen ein internationales Team zu Kirchenbesitz in mehreren Ländern recherchiert. Mehr Informationen finden Sie auf der auf der Website des Projekts.

Es ist die Fortsetzung der Recherche „Ground Control”. Mithilfe von Datenanalysen, Satellitenbildern, Vor-Ort-Reportagen und Experteninterviews versucht „Ground Control”, Licht ins Dunkel des europäischen Bodenmarkts zu bringen. Besonderer Fokus ist Bauland und der Handel mit Grundstücken. Der europäische Bodenmarkt ist intransparent. Das erschwert es, Unternehmen zu identifizieren, die Land kaufen, um damit zu spekulieren, oder die Politik für verantwortungslose Deals zur Rechenschaft zu ziehen. Und es verhindert eine transparente Debatte darüber, wie wir als Stadt die letzten Freiflächen nutzen können.

Deswegen recherchieren Medien in verschiedenen europäischen Hauptstädten gemeinsam urbanen Landbesitz. Eine Übersicht aller internationalen Veröffentlichungen finden Sie auf der Projektwebseite.

Die Veröffentlichungen unserer internationalen Partner zu Kirchenbesitz beschäftigen sich mit Verkäufen der katholischen Kirche an andere Konfessionen (Göteborgs Posten, Schweden), Rekordeinkünften der katholischen Kirche durch Staatsleistungen (Deník Referendum, Tschechien) und damit, wie die katholische Kirche ihre Immobilien bewirtschaftet (IrpiMedia, Italien).

Partnermedien und Rechercheorganisationen

Belgien: Apache, Tschechien: Deník Referendum, Frankreich: Mediapart, Polen: Gazeta Wyborcza, Frontstory.pl, Ungarn: Telex, Slowakei: ICJK, Norwegen: iTromsø, Schweden: Göteborgs Posten, Italien: Irpi Media

In den nächsten Wochen werden weitere Egebnisse veröffentlicht. Einige Rechercheergebnisse aus anderen Städten und Sprachen werden wir zusammenfassen und auf Deutsch übersetzen.

Die Entwicklung der Technologien für das Urban Journalism Network sowie diese Recherche werden durch das Programm Stars4Media unterstützt.

Fragen? Hinweise? Anregungen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Das Team

Nina Breher
Recherche und Text
Katja Demirci
Recherche und Text
Kalina Filkova
Aufmacher
David Meidinger
Webentwicklung
Gaby Khazalová
Internationale Recherchekoordination
Malte Kyhos
Datenmanagement
Hendrik Lehmann
Internationale Koordination Daten und Visualisierung
Sarah Saak
Webentwicklung
Lennart Tröbs
Designvorlagen
Veröffentlicht am 31. Juli 2024.