Es ist die erfolgreichste Energiesparmaßnahme seit Jahrzehnten. Nur geplant hatte sie keiner. Infolge der Corona-Pandemie sinkt der Stromverbrauch in Deutschland stark. Weil es in 2020 außerdem bisher sehr sonnig und windig ist, sinkt der Strompreis noch stärker. So stark, dass sich einige Braunkohlekraftwerke nicht mehr lohnen. Sie werden heruntergefahren. Plötzlich wird es wahrscheinlich, dass Deutschland seine Klimaziele für 2020 einhält. Genau das könnte allerdings für viele Privathaushalte teuer werden.
Erst am 22. März verkündet Angela Merkel die Kontaktsperre. Der deutschlandweite Stromverbrauch zeigt, dass viele Betriebe schon reagiert haben, bevor die Politik Maßnahmen beschloss. Eine gute Vergleichsgröße liefert Ostern. An den Feiertagen ist der Stromverbrauch in beiden Jahren gleich niedrig. Noch niedriger ist er sonst nur in den Tagen um Weihnachten und Silvester, wenn die Fabriken stillstehen. Denn die Industrie verbraucht in Deutschland den größten Teil des Stroms. Wenn alle zuhause sind, wird insgesamt weniger Strom verbraucht. Nur eben nicht zuhause.
Zu stillstehenden Fabriken und geschlossenen Geschäften kommen leere Bühnen, geschlossene Hotels, verlassene Clubs. In Berlin war zeitweise ein Rückgang bei der Stromlast von 10-15 Prozent zu beobachten, sagt ein Vattenfall-Sprecher. Vor allem der übliche Anstieg in den Abendstunden würde nahezu wegfallen. Statt in Büro, Sporthalle und Kneipe sitzen die Menschen jetzt zuhause. Dadurch ändert sich auch, wann und für was sie Strom verbrauchen:
Offensichtlich genießen viele im Homeoffice vor allem das Ausschlafen. Der Stromverbrauch steigt seit der Kontaktsperre erst zu späteren Uhrzeiten an. Und der Anstieg verteilt sich über einen längeren Zeitraum. Statt einheitlichem Rhythmus durch Schule und Bürozeiten findet nun so mancher Haushalt seinen eigenen. In den Wochen darauf (5. bis 27. April) verschob sich der Energieverbrauch noch weiter nach hinten. Auffällig ist auch der Anstieg zur Mittagszeit: Der heimische Herd ersetzt die Kantinen.
Die Daten stammen vom Unternehmen Fresh Energy, das dafür den Verbrauch aus 1700 Haushalten in Deutschland ausgewertet hat. Die Firma entwickelt unter anderem Apps für Energieversorger. Mit denen können sich Endkunden ihren Verbrauch anschauen, wenn sie einen Stromzähler haben, der ans Internet angeschlossen ist. Neben der Menge des verbrauchten Stroms können diese Smart-Meter-Daten auch Aufschluss darüber geben, welche Geräte im Haushalt benutzt werden.
Neben der häufigeren Nutzung von Ofen und Geschirrspüler zeigt die Analyse, dass Waschmaschinen und Trockner seltener genutzt werden. Im Homeoffice wird die Kleidung anscheinend seltener gewechselt.
Wenn in Familien gleich mehrere Menschen auf einmal mehr Zeit Zuhause verbringen, steigt der Stromverbrauch noch weiter. Die Eltern im Homeoffice bezahlen den Strom für den Arbeits-PC nun selber, Kinder und Jugendliche verbringen mehr Zeit mit Youtube, Xbox oder Videochat. Gerade den Leuten, die wegen Corona in Kurzarbeit geschickt wurden, könnte deswegen am Ende des Jahres eine empfindliche Nachzahlung drohen.
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Zwar können Haushalte derzeit ihre Abschläge für Strom und Wasser aussetzen, ohne dass ihnen die Stromanbieter den Strom abstellen dürfen. Genauso wie bei der Miete bedeutet das allerdings lediglich eine Art zinsfreien Kredit. Die Abschläge müssen innerhalb von zwölf Monaten nachgezahlt werden. Die Nachzahlung kommt dann obendrauf.
Als wäre das nicht schon genug, könnten die Stromkosten für Haushalte 2021 aber sogar noch höher steigen. Absurderweise genau deshalb, weil der Strom für Energieanbieter gerade so billig und umweltfreundlich ist wie lange nicht. Um zu verstehen, wie das sein kann, braucht es ein paar Schritte zurück.
Wie billig Strom gerade ist, zeigt ein Blick auf die Kurse an der Europäischen Strombörse EPEX. Während viele Großkunden den Strom lange im Voraus kaufen, kann hier auch kurzfristig Strom gehandelt werden. Spotmarkt nennt sich das. Energieanbieter, aber auch große Firmen oder Kraftwerksbetreiber handeln dort.
Agora, ein Thinktank für die Energiewende, sammelt diese Preisdaten und hat sie dem Tagesspiegel zur Verfügung gestellt. Dass der Strompreis in den vergangenen Wochen immer wieder so stark fällt, liegt nicht nur an Corona, sagt ein Analyst von Agora. Es liegt auch daran, dass 2020 bisher sowohl sehr windig als auch sehr sonnig ist. Eine seltene Kombination. Sie führt dazu, dass gerade viel Solarstrom und viel Windenergie ins Netz gespeist wird – egal, wieviel Strom verbraucht wird.
Die Strombörse gleicht diesen Widerspruch teilweise aus. Wenn der Strompreis negativ ist, kann ein Kraftwerksbetreiber beschließen, nicht seinen eigenen Strom an seine Kunden abzugeben, mit denen er langfristige Verträge hat, sondern stattdessen billigen Strom an der Börse kaufen. Derzeit sogar oft für Negativbeträge. Der Käufer bekommt dann Geld dafür, dass er den Strom nimmt und kann ihn trotzdem an seine Kunden zum vereinbarten Preis weiterverkaufen.
In genau so einer Situation lohnt es sich für manche Kraftwerksbetreiber, ihre konventionellen Kraftwerke auf niedriger Leistung laufen zu lassen – oder sogar abzuschalten. Das geht allerdings nicht bei allen Kraftwerken. Eine nukleare Kettenreaktion kann man schwer stoppen. Also laufen die Kernkraftwerke weiter. Ähnlich ist es bei Biogasanlagen. Und auch den Wind und die Sonne kann man nicht steuern. Bei Kohlekraftwerken geht das einfacher.
Das Zusammenwirken von Kontaktsperre, Stürmen im Februar und sonnigem März führten zusammen also zu massiven Einsparungen beim CO2-Ausstoß. Für die Bewältigung der Klimakrise ist das ein Segen. Am 13. April haben die deutschen Kraftwerke insgesamt nur ein Viertel so viel CO2 ausgestoßen wie am 23. Januar.
Nun könnten wir uns ja eigentlich freuen. Weil es so viel Strom am Markt gibt und erneuerbarer Strom so viel billiger zu produzieren ist als Atomstrom oder Kohlestrom, sinkt der Preis am Markt. Müsste dann nicht der Strompreis für uns alle zuhause auch sinken?
Leider nein. Am Strommarkt hilft keine unsichtbare Hand den Verbrauchern. Denn Endkunden haben zum einen meist keine Stromverträge mit flexiblen Preisen, sondern zahlen einen Festpreis pro Kilowattstunde Strom. Egal, ob der Strom für die Energieversorger im Einkauf billiger wird oder teurer. Außerdem macht der tatsächliche Strompreis nur einen kleinen Teil unserer privaten Stromrechnung aus. Ein großer Teil der Kosten geht für das Stromnetz und Abgaben drauf.
Womit wir beim letzten Problem wären, das den Strom für Verbraucher noch mal teurer machen könnte: der EEG-Umlage. Damit wird Ökostrom gefördert, indem allen Ökostrom-Produzenten ein bestimmter Preis pro Kilowattstunde garantiert wird – ganz egal, wie hoch der Preis an der Strombörse gerade ist. So sollen sich auch langfristige Investitionen in Ökostrom lohnen.
Die Differenz zwischen dem versprochenen Mindestpreis und dem Marktpreis wird aus dem EEG-Konto bezahlt. Sonst würden die Netzbetreiber, die den Ökostromproduzenten ihren Strom abkaufen, Verlust machen. Und gefüllt wird dieses Konto durch die EEG-Umlage. Die bezahlen Stromverbraucher als Aufschlag auf ihre Stromrechnung. Weil viele Industriekonzerne von der Umlage ausgenommen sind, wird die Umlage zu großen Teilen durch die Privathaushalte bezahlt.
Jedes Jahr im Herbst wird geschaut, wie viel Geld aus dem EEG-Umlagenkonto herausgenommen wurde. Wenn der Strompreis in einem Jahr eher hoch war und wenig Ökostrom produziert wurde, ist das Konto voll. Wenn aber sehr viel Ökostrom produziert und gleichzeitig wenig Strom verbraucht wurde, ist das Umlagenkonto leer. Dann wird die Abgabe erhöht, damit im nächsten Jahr wieder genug Geld auf dem Konto ist.
Laut der Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie könnte das jetzt dazu führen, dass der Durchschnittshaushalt in Deutschland im Jahr 2021 noch mal 50 Euro mehr für Strom bezahlen müsste. Und zwar zusätzlich zu den Nachzahlungen, weil man in der Coronazeit zuhause mehr Strom verbraucht hat. Für diejenigen, die dann noch dabei sind, ihre Mietschulden und Stromschulden aus der Kurzarbeit zu bezahlen, könnte das durchaus zum Problem werden. Dem Kampf gegen den Klimawandel hilft das nicht.
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