Wohnungsmangel, Inflation, Energiekrise und der Ansturm auf die Unistädte nach Corona: Die Lebenskosten für Studierende steigen rasant. Mit Blick auf die Inflationsrate fordert das Deutsche Studierendenwerk eine rasche Erhöhung der Bafög-Sätze. „Die Bundesregierung muss das Bafög so schnell wie möglich erneut erhöhen“, sagte Generalsekretär Matthias Anbuhl der „Stuttgarter Zeitung“. „Sonst drohen viele Studentinnen und Studenten im Jahr 2023 in erhebliche finanzielle Schieflage zu geraten.“ Die kürzliche Erhöhung um 5,75 Prozent reiche nicht, sie sei komplett von der Inflation aufgefressen worden.
Vor allem Wohnen ist an vielen Orten in Deutschland für Studierende zum Luxus geworden. Wir zeigen, an welchen Wohnorten die Mieten noch bezahlbar sind. In einigen Städten müssen Studierende mit fast 800 Euro für eine kleine studentische Wohnung rechnen – vorausgesetzt, sie finden eine.
Aus Daten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) geht hervor, wie viel eine 30-Quadratmeter-Wohnung in Uni- und Bahnhofsnähe in 38 Städten Deutschlands kostet. In nur zwei von 38 Städten reicht das im Bafög vorgesehene Wohngeld von 360 Euro, um solch eine Wohnung anzumieten.
Bei den Euro-Angaben handelt es sich um Preise für eine sogenannte Musterwohnung. Die Wissenschaftler*innen tun gewissermaßen so, als existiere eine ganz bestimmte Wohnung an einem ganz bestimmten Ort in jeder Stadt.
Dazu verrechnen sie die tatsächlichen Angebots-Mietpreise einer Stadt mit Faktoren, die Einfluss auf die Mieten haben, etwa Nähe zur Uni und zum Bahnhof, das Baujahr des Hauses oder das Stockwerk, in dem die Wohnung liegt. 20 Prozent Nebenkosten sind ebenfalls mit eingerechnet. So werden die Preise in den unterschiedlichen Städten vergleichbar gemacht.
Diese statistische Methode zeigt: Berlin ist mit Blick auf die studentische Musterwohnung mittlerweile die drittteuerste Stadt Deutschlands (718 Euro), davor rangieren nur Stuttgart und München. In der bayerischen Landeshauptstadt kostet die Beispielwohnung 787 Euro. Das Studieren in diesen Städten ist zum Privileg geworden.
Wer hingegen einen Abschluss anstrebt, aber nicht viel Geld hat, sollte eher ins günstige Chemnitz oder nach Magdeburg ziehen, wo die Muster-Warmmieten 224 beziehungsweise 303 Euro kosten – vorausgesetzt, es gibt den gewünschten Studiengang auch dort. Es sind die einzigen beiden Städte, in denen die Beispielwohnung mit der Bafög-Wohnkostenpauschale von 360 Euro bezahlbar ist.
Heißt das, dass den teuren Städten die Studierenden wegbleiben werden, weil sie in günstigere Städte ziehen? Nicht unbedingt, schätzt Christian Oberst vom IW, der die Daten für den jährlichen Studentenwohnreport analysiert. Er sagt: „Die Studierendenzahl ist in den teuersten Städten stark überproportional gestiegen.“
Dass eine Stadt teurer werde, bedeutet also offenbar nicht, dass die Studierenden wegbleiben. Es kommen andere Studierende. „Wir gehen immer automatisch davon aus, dass der studentische Wohnungsmarkt arm ist“, sagt Oberst. „Aber die, die von ihren Eltern unterstützt werden, sind nicht unbedingt arm.“
Es werden also nicht unbedingt weniger Menschen in Städten wie Berlin, Frankfurt, Hamburg und Köln studieren. Aber die soziale Zusammensetzung der Studierendenschaft ändert sich – und mit ihnen die Städte.
Dieser Artikel wurde als Teil des European Cities Investigative Journalism Accelerator (ECIJA) produziert. Wir sind ein Netzwerk europäischer Medien, das sich der Recherche gemeinsamer Herausforderungen europäischer Großstädte und Länder widmet. Das Projekt ist eine Fortführung der europäischen Recherche Cities for Rent und wird vom Stars4Media-Programm gefördert. Das Tagesspiegel Innovation Lab leitet dabei die Datenrecherche und –visualisierung des Netzwerks.
In unserer neuen Recherche widmen wir uns dem Thema Studentenwohnen. Dies ist der dritte Teil der europäischen Investigation. Zum ersten geht es hier. Den zweiten Teil lesen Sie hier. Weitere Teile folgen in den nächsten Wochen.