Am 1. September wählt Thüringen einen neuen Landtag. Kann Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) seinen Posten verteidigen und seine Koalition aus Linke, SPD und Grüne fortführen? Wird die AfD mit ihrem Spitzenkandidaten Björn Höcke stärkste Kraft?
Wenn am nächsten Sonntag Landtagswahl wäre, welche der folgenden Parteien würden Sie dann wählen? So oder so ähnlich lautet die „Sonntagsfrage”, die wohl bekannteste Umfrage in Deutschland mit der die politische Stimmung der Bevölkerung abgebildet wird. Sonntagsfrage heißt diese Umfrage, weil Wahlen in Deutschland traditionell an einem Sonntag abgehalten werden. Wahlrecht.de sammelt die Umfragen der verschiedenen Institute und stellt sie online zur Verfügung. Der Tagesspiegel nutzt diese Sammlung als Quelle.
Große Meinungsforschungsunternehmen kontaktieren die Teilnehmer:innen meist per Telefon oder online. Teilweise finden die Befragungen auch persönlich statt. Bei vergangenen Wahlen gab es jedes Mal Debatten darüber, wie aussagekräftig die Umfragen tatsächlich sind und Wahlergebnisse vorhersagen können. Ihre Genauigkeit ist umstritten. Denn natürlich können Befragte ihre Entscheidung bis zur Wahl noch ändern. Auch taktische Überlegungen können dabei eine Rolle spielen. Oder sie geben nicht ihre wahre Tendenz an – das lässt sich nicht überprüfen.
Hinzu kommt, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen, etwa ältere Menschen, in solchen Umfragen oft unterrepräsentiert sind. Meinungsforscher betonen stets, dass Umfragen keine Prognosen für die Wahl sind, sondern nur eine Stimmung in der Bevölkerung abbilden.
2024 ist ein wichtiges Wahljahr in Deutschland. Nach der Teilwiederholung der Bundestagswahl 2021 in Berlin im Februar und der Europawahl im Juni stehen drei Landtagswahlen an, alle drei in ostdeutschen Bundesländern: Thüringen und Sachsen (jeweils am 1. September) und Brandenburg (22. September). Zusätzlich finden in acht Bundesländern Kommunalwahlen statt.
Konkret heißt das für Thüringen: Am 26. Mai ist Kommunalwahl, am 9. Juni Europawahl und am 1. September dann die Landtagswahl. Spitzenkandidat:innen für das Landesparlament sind Bodo Ramelow für die Linke, Mario Voigt für die CDU, Georg Maier für die SPD, Madeleine Henfling und Bernhard Stengele für die Grünen, Thomas Kemmerich für die FDP, Katja Wolf für BSW und Björn Höcke für die AfD.
Alle fünf Jahre haben die Bürger:innen eines Bundeslandes die Wahl, welche Abgeordneten sie im Landesparlament vertreten sollen. Das werden mindestens 88 Politiker:innen sein, mit Überhang- und Ausgleichsmandaten eventuell auch mehr. In Thüringen darf ab 18 Jahren gewählt werden. Es gilt grundsätzlich die Fünf-Prozent-Hürde für Parteien.
Die Landtage beschließen Gesetze, die im jeweiligen Bundesland gelten, entscheiden über den Haushalt, wählen die oder den Ministerpräsident:in und kontrollieren die Landesregierung, die sich aus Ministerpräsident:in und Landesminister:innen zusammensetzt.
Als Chef:innen der Regierung vertreten Ministerpräsident:innen das Land nach außen und wirken im Bundesrat, der Vertretung der Länder auf Bundesebene, auf die Gesetze der Bundespolitik ein.
Zwar ist der Bund für die meisten Gesetzesvorhaben zuständig, allerdings obliegt den Ländern unter anderem, wie sie Polizei, Verwaltung, Bildung von Schule bis Universitäten, Bauvorschriften sowie weite Teile des Umweltschutzes gestalten möchten. Entsprechend viel Einfluss hat die Landespolitik auf das Alltagsleben der Menschen.
Dies ist Ausdruck des Föderalismus in Deutschland. So wird das System genannt, wie Bund und die 16 Bundesländer in der Bundesrepublik Aufgaben verteilen und miteinander kooperieren. Die Länder haben eigene Landesverfassungen, Parlamente, Verwaltungsstrukturen und Zuständigkeiten, sodass sie über eine gewisse Selbstständigkeit verfügen und staatliche Aufgaben überwiegend ausführen. Der Bund regelt Angelegenheiten, die alle betreffen – wie etwa Außenpolitik und Verteidigung oder auch Kindergeld und Rente.
Angesichts der hohen Umfragewerte der AfD in ganz Deutschland, aber gerade auch in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, stehen die Landtagswahlen unter einer besonderen öffentlichen Beobachtung. Der Verfassungsschutz stuft die Partei als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein, in Thüringen und Sachsen gilt die AfD als „gesichert rechtsextrem“. Die anderen Parteien schließen eine Koalition mit der AfD aus.
Sollte die AfD in den Landtagswahlen tatsächlich ähnlich zu den Umfrageergebnissen abschneiden und stärkste Kraft werden, dürfte die Bildung einer Mehrheit in den Parlamenten den demokratischen Parteien viel an Koalitionsverhandlungen abverlangen. Denkbar ist zwar auch eine Minderheitsregierung, also eine Regierung ohne absolute Mehrheit im Parlament. In der Regel basieren Regierungen jedoch auf stabilen Mehrheiten. Abzuwarten bleibt auch, wie die neue Sahra-Wagenknecht-Partei BSW abschneidet und sich gegebenenfalls in das politische Gefüge einbringt.
Aktuell stellt eine Koalition aus der Linken, SPD und den Grünen unter der Führung von Ministerpräsident Bodo Ramelow (die Linke) als Minderheitsregierung die Regierung im Freistaat. Davor regierte Ramelow mit rot-rot-grüner Koalition.
Seine zweite Amtszeit begann chaotisch: Anstelle – wie erwartet – Ramelow wurde Thomas Kemmerich (FDP) im dritten Wahlgang mit Stimmen von AfD, CDU und FDP vom Parlament zum Ministerpräsidenten gewählt – ein Tabubruch, der eine Regierungskrise auslöste. Kemmerich kündigte am Tag drauf seinen Rücktritt an, einen Monat später entschied Ramelow dann die erneute Wahl zum Regierungschef für sich.
Blickt man auf die historischen Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen, so hat die AfD seit 2014 stark hinzugewonnen. Ihr Spitzenkandidat für 2024 ist Björn Höcke, den das Bundesamt für Verfassungsschutz 2020 als Rechtsextremist einstufte. Mitte Mai wurde dieser wegen eines NS-Ausspruchs verurteilt. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, würde Höcke als vorbestraft gelten.
Die Linke, die 2019 mit 31 Prozent der Stimmen noch stärkste Kraft wurde, könnte 2024 an dritter oder vierter Stelle landen. Die Partei landet in Umfragen zu den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen hinter der AfD und CDU, teilweise auch hinter der 2024 gegründeten Partei Bündnis Sahra Wagenknecht.