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Dreimal so viel Fläche
wie das Tempelhofer Feld

Wie viel Berlin gehört der Kirche?

Mitgliederzahlen sinken, Steuereinnahmen bleiben aus. Viele ihrer Immobilien müssen die Kirchen deshalb umnutzen oder loswerden. In Städten wie Berlin wäre das eine Chance, Wohnraum zu schaffen. Was macht die Kirche wirklich mit ihrem Boden?
Mitgliederzahlen sinken, Steuereinnahmen bleiben aus. Viele ihrer Immobilien müssen die Kirchen deshalb umnutzen oder loswerden. In Städten wie Berlin wäre das eine Chance, Wohnraum zu schaffen. Was macht die Kirche wirklich mit ihrem Boden?

Autos, soweit der Blick reicht, gepflegte, glänzende, verbeulte, radlose, schrottreife. Der bärtige Mann neben einem grimmigen, tief liegenden Mercedes dreht sich nach links und rechts, weist mit der Hand auf die Fahrzeugmassen auf dem Parkplatz in der Ullsteinstraße, Berlin-Mariendorf. „Das hier“, sagt er und macht eine bedeutungsvolle Pause, „das gehört alles der Kirche.“ Er meint den Boden, natürlich, nicht das Blech.

Wie viel Grund die Kirche in Deutschland besitzt, ist unklar. Verlässliche Zahlen gibt es nicht, die Kirchen veröffentlichen sie nicht. Der Politologe und Kirchenkritiker Carsten Frerk schätzte 2002, dass evangelische und katholische Kirche zusammen mit rund 825.000 Hektar der größte private Bodenbesitzer Deutschlands sei.

Sechs Monate haben wir zusammen mit europäischen Medien in Tschechien, Italien, Belgien und Schweden recherchiert: Gehen die Kirchen mit ihrem Grundbesitz im Geiste Christi um, also sozial, idealerweise im Dienst der Allgemeinheit? Dafür haben wir Daten zusammengetragen, Kataster verrechnet, Gespräche geführt, viele davon im Hintergrund. Und zeigen in interaktiven Grafiken und Karten, was den Kirchen in Berlin gehört.

Im Sinne Christi oder profitorientiert?

In Zeiten schwindender Mitgliederzahlen müssen sich die Kirchen aus zwei Gründen mit ihrem Immobilienbesitz beschäftigen: Durch schrumpfende Gemeinden sind zunehmend Gebäude ungenutzt, Kirchen, Gemeindesäle, Dienstwohnungen. 15,9 Prozent ihrer Mitglieder haben evangelische und katholische Kirche in Deutschland seit 2011 verloren, das geht aus dem Zensus 2022 hervor, in Berlin mit 18 Prozent sogar etwas mehr. Weniger Mitglieder bedeuten außerdem weniger Kirchensteuereinnahmen, Geld wird dringend benötigt.

In Berlin lässt sich der kirchliche Bodenbesitz aus Liegenschaftsplänen berechnen: 1206 Hektar. Das sind 1,3 Prozent der Stadtfläche oder 3,4-mal so viel wie das Tempelhofer Feld.

In der Karte enthalten sind – anonymisiert – die Liegenschaften aller „religiösen Körperschaften öffentlichen Rechts“. Eine Liste der Religionsgemeinschaften allerdings „liegt nicht vor”, teilt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit. Die bezirklichen Vermessungsstellen hätten sie uneinheitlich erfasst. „Aufgrund der inkonsistenten Erfassungsweise” soll kirchliches Eigentum im nächsten Liegenschaftsplan nicht mehr veröffentlicht werden, heißt es vom Senat auf Anfrage.

Enthalten sind unter anderem Grundstücke der katholischen und evangelischen Kirche, aber auch jüdische Einrichtungen, viele Freikirchen und die Zeugen Jehovas. Auch einige muslimische Gemeinden sind zumindest teilweise erfasst – jedoch nicht alle und höchstwahrscheinlich uneinheitlich.

Jedoch machen evangelische und katholische Grundstücke in Berlin den größten Teil der Liegenschaften aus. Keine der beiden großen Kirchen macht trotz mehrfacher Nachfrage umfassende Angaben zu ihrem Grundbesitz. Das Erzbistum übermittelt auf Nachfrage Zahlen für Teile des Grundbesitzes, es gebe im Stadtgebiet Berlin 106 Kirchen, 170 Pfarr- und Gemeindehäuser, 62 Kitas, neun Friedhöfe und Kapellen, dazu Wohnflächen auf insgesamt 66.800 Quadratmetern. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) macht trotz mehrfacher Nachfrage keine detaillierten Angaben zu Grund- und Immobilienbesitz im Berliner Stadtgebiet, lediglich zu Kirchen. So bleibt nur die Analyse aller kirchlichen Liegenschaften aus dem Kataster.

Friedhöfe machen mit 38 Prozent den größten Teil der kirchlichen Liegenschaften in Berlin aus, sie nehmen etwa so viel Fläche ein wie 1,4-mal das Tempelhofer Feld mit seinen 355 Hektar. 21 Prozent sind Gebäude, die historisch bedeutsam sind oder öffentliche Zwecke erfüllen, zum Beispiel Kultur- oder Bildungseinrichtungen. In diese Kategorie fallen auch die Kirchengebäude. Elf Prozent aller Kirchenflächen sind für Wohnhäuser vorgesehen – fast dreimal so viel Fläche wie der rund 50 Hektar große Park Hasenheide in Neukölln.

Um den Verlust von Geld und hunderttausenden Mitgliedern in den vergangenen Jahren auszugleichen, könnten die Kirchen Flächen und Gebäude vermehrt verkaufen, verpachten, umnutzen.

Der Boden ist kostbar – vor allem in einer von Wohnungsnot geplagten Stadt wie Berlin. Hier wären die 139 Hektar Wohnbauflächen der Kirchen laut aktuellen Bodenrichtwerten rund 1,4 Milliarden Euro wert, wie aus Berechnungen des Tagesspiegel Innovation Labs hervorgeht. Dafür haben wir die Berliner Bodenrichtwerte für Wohnraum ausgewertet.

Sie werden von einem Gremium namens Gutachtausschuss berechnet und setzen sich aus dem Durchschnittswert von Verkäufen im Vorjahr zusammen. Diese Bodenpreiskarte Berlins wurde mit den entsprechenden Flächen in Kirchenbesitz verschnitten. Gab es unterschiedliche Bodenrichtwerte, etwa weil dort unterschiedlich genutzte oder unterschiedlich hohe Gebäude stehen, haben wir jeweils den Mittelwert zugrunde gelegt.

Der Wert der kirchlichen Wohnbauflächen ist in den vergangenen 10 Jahren um 350 Prozent (nicht inflationsbereinigt) gestiegen.

Neben den Kirchenbauten besitzen evangelische und katholische Kirche laut eines zwei Jahre alten gemeinsamen Positionspapiers deutschlandweit 142.500 Gebäude. Carsten Frerk schätzt ihr gesamtes Immobilienvermögen auf 170 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der Marktwert der 140.286 Deutsche-Wohnen-Immobilien in Deutschland belief sich 2023 auf 24,5 Milliarden.

Unabhängig vom wirtschaftlichen Aspekt offenbart sich den Gemeinden bei der Entwicklung einer Immobilienstrategie noch eine weitere Möglichkeit: ihren Sozialauftrag neu zu denken. Sie könnten das Gemeinwohl besonders berücksichtigen, wenn sie sich Gedanken machen, wie und von wem ihr Boden genutzt werden kann.

„Wohnbau ist Dombau”

Ihrem Selbstverständnis nach sehen sich die Kirchen an der Seite schlechter gestellter Menschen. Bereits im Jahr 1997 haben sie sich in einer gemeinsamen Selbstverpflichtung, dem sogenannten Sozialwort, dafür ausgesprochen, Grundstücke „für öffentliche und soziale Zwecke“ und auch für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. Insbesondere Familien bräuchten „bedarfsgerechten und bezahlbaren” Wohnraum. Allerdings kann dies auch als Forderung an die Politik gelesen werden – die für die Kirchen selbst folgenlos bleibt.

Professor Martin Schneider, Sozialethiker an der Katholischen Universität Eichstätt, plädiert für eine innerkirchliche Bewegung, die sich der „Immobilienfrage“ annimmt. „Diese Frage muss zu einer christlichen Identitätsfrage werden.“ Er sieht in frei werdenden kirchlichen Gebäuden eine enorme Chance, sich für das Gemeinwohl zu engagieren.

„Nach dem Zweiten Weltkrieg lautete die Maxime der Kirchen: Wohnbau ist Dombau. Wir sollten diese Zeit als Referenz nehmen“, sagt er in einem Video-Telefonat. Obwohl die beiden großen Kirchen im Sozialwort Leitlinien für ihre Immobilienwirtschaft festgeschrieben hätten, hapere es an der Umsetzung.

In einer Zeit und in einer Stadt, in der Wohnen die dringendste soziale Frage geworden ist – vergeben ausgerechnet die Kirchen hier eine Chance, Land zum Wohle aller zu bewirtschaften? In Berlin liegt der Gedanke nahe. Besonders viele kirchliche Flächen gibt es ausgerechnet in den von Wohnungsnot und Mietsteigerungen betroffenen Bezirken Berlins. In Friedrichshain-Kreuzberg besitzt die Kirche mit 2,9 Prozent der Gesamtfläche anteilig am meisten Boden, in Mitte am zweitmeisten.

Irgendetwas muss nun mit vielen dieser Flächen passieren. Denn bis 2060 wollen evangelische und katholische Kirche 40.000 ihrer Immobilien loswerden, das haben sie in dem gemeinsamen Positionspapier festgehalten, das im November 2022 in der Fachzeitschrift „Kirche und Recht” erschien. „Nach Informationen und Initiativen von Bistümern und Landeskirchen ist davon auszugehen, dass bis zu 30 Prozent des Gebäudebestandes in Zukunft auf- und abgegeben werden müssen“, heißt es in dem Papier.

Wie vorgehen? Intern herrscht Uneinigkeit

Bloß: Was mit diesen Immobilien geschehen soll und wann, ist weitgehend unklar. Das geht aus Hintergrundgesprächen mit Vertretern der evangelischen und katholischen Kirche hervor. Es ist nicht so, dass sich innerhalb der Kirchen nichts tut. Doch es passiert langsam – und intern herrscht Uneinigkeit, wie vorzugehen sei. Derweil steigen die Mieten in den Städten weiter.

Welche Immobilien werden nicht mehr gebraucht? Baut die Kirche sozialen Wohnraum? Antworten auf diese Fragen sind von den Kirchen nicht zu bekommen. Oft wird sowohl bei Katholiken als auch Protestanten auf einzelne Pfarreien verwiesen, die dann aber wiederum nicht frei sprechen können, dürfen oder wollen. Jedes offizielle Statement wird intern intensiv abgesprochen, teilweise wochenlang.

Gespräche zwischen den Kirchen und dem Berliner Senat haben in der Vergangenheit zwar sporadisch stattgefunden. Dabei sei es aber meist um die Nutzung nicht länger benötigter Friedhofsflächen gegangen, heißt es aus der Pressestelle des Bausenators.

Auf dem Kreuzweg: Die jahrelange Bestandsaufnahme in Berlin

Längst nicht alle Kirchenflächen kommen der Allgemeinheit zugute. Die Evangelische Kirchengemeinde vor dem Halleschen Tor verpachtet das eingangs erwähnte Grundstück in Berlin-Mariendorf beispielsweise an Autohändler, oder, um in der unmittelbaren Nachbarschaft zu bleiben, eine weitere Fläche an das Wohnungsbau-Unternehmen Covivio Marien-Carré GmbH, das in einem Gebäude am Mariendorfer Damm unter anderem eine Zahnklink und einen Netto-Markt untergebracht hat.

Das katholische Erzbistum Berlin hat im Rahmen einer Finanzkrise vor knapp 20 Jahren schon viele Grundstücke und Immobilien verkauft, weitere sollen folgen.

Im Juli 2023, also mehr als ein halbes Jahr nach dem gemeinsamen Immobilien-Positionspapier der Kirchen in der Fachzeitschrift „ Kirche und Recht”, schwört der Berliner Erzbischof Heiner Koch in einem Brief alle Pfarreien darauf ein, sich wenn nötig immobilientechnisch zu konsolidieren, umzunutzen und abzustoßen, was nicht länger benötigt wird. Bis 2030 sollen Beratung, Entscheidung und Umsetzung abgeschlossen sein. „Die Umsetzung erlaubt keinen weiteren Aufschub”, heißt es in dem Brief.

Zeitnah wolle man klären, so steht darin, „welche der Flächen wir nutzen können, um durch Verpachtung, Vermietung oder Verkauf finanzielle Erträge für die Finanzierung unseres kirchlichen Auftrags zu erzielen“.

Fast ein weiteres Jahr später, im April 2024, hat das Erzbistum die Arbeitsgemeinschaft Li.Ba.St engagiert. Sie besteht aus den drei Unternehmen L.I.S.T. Lösungen im Stadtteil Stadtentwicklungsgesellschaft mbH, Stattbau Stadtentwicklungsgesellschaft mbH und der BASD Gerhard Schlotter und Claudia Kruschel-Bücker Architekten GbR.

Gemeinsam werden sie sich in den kommenden sechs Jahren um Liegenschaften in den einzelnen Pfarreien des Bistums kümmern, in Berlin und im Umland. Sie hoffen, bald mit den ersten Projekten starten zu können. Der Prozess ist langwierig, zäh und mindestens für die Gemeindemitglieder vor Ort auch emotional.

Für viele sind kirchliche Gebäude, egal ob schmuckloses Pfarrhaus oder Sakralbau, auch Identifikationsgrundlage: Sie beherbergen Erinnerungen an Taufen, Firmungen, Konfirmationen, Hochzeiten, Beerdigungen.

Welche ihrer Immobilien brauchen die Kirchen in Berlin noch?

Aber die Gläubigen werden weniger. Nach Stand des Zensus 2022 leben in Deutschland 20,7 Millionen Katholiken und 19,1 Millionen Protestanten – zusammengenommen 15,9 Prozent weniger als noch 2011. In Berlin gibt es 487.488 Protestanten und 272.397 Katholiken (13,6 und 7,6 Prozent der Bevölkerung). In fast ganz Europa gehen Menschen immer seltener die Kirche.

Die Zahl der Austritte steigt rasant. So zählte die deutsche katholische Kirche im Jahr 2022 mehr als eine halbe Million Austritte, das Berliner Zivilgericht notiert davon 10.876 in der Hauptstadt; die evangelische Kirche verließen im gleichen Zeitraum laut der evangelischen Kirche Deutschland 380.000 Menschen, nahezu noch mal so viele Mitglieder verstarben. In Berlin traten 2022 laut Zivilgericht 12.973 Menschen aus der evangelischen Kirche aus.

Außerdem sinken die Einnahmen aus der Kirchensteuer seit 2019. Das hat einerseits mit dem realen Mitgliederschwund zu tun, andererseits laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW) auch damit, dass viele Gläubige in Rente sind oder gehen – und daher weniger Kirchensteuern zahlen.

Die Folge: Die Kirchen haben immer weniger Geld und immer weniger Menschen nutzen Einrichtungen, die auf kirchlichem Boden stehen. Das gilt insbesondere für eine säkulare Stadt wie Berlin. Könnten Kirchen ihren Boden stärker für sozialen Wohnungsbau nutzen?

Immerhin besitzen die Kirchen und religiösen Gemeinden mit 1,35 Prozent der Stadtfläche im Vergleich zu ausgewählten anderen Städten Europas vergleichsweise viel Boden, wie eine beispielhafte Auswertung des Urban Journalism Network für fünf Städte zeigt.

Es wirkt nicht, als sei angedacht, nicht benötigte Flächen, die nicht für Wohnraum vorgesehen sind, umzunutzen. Wegen des städtischen Flächennutzungsplans wäre die ohnehin kompliziert und langwierig. Hört man sich in der Landespolitik um, entsteht nicht der Eindruck, als sei die Umnutzung kirchlicher Immobilien oder ein größerer Beitrag der Kirchen zur Lösung der Wohnungsnot ein Thema in der Politik.

Aus den beiden großen Kirchen ist bezüglich am Gemeinwohl orientierter Planungen nichts Konkretes herauszubekommen.

Andreas Czubaj, Leiter des Immobilienreferats im Konsistorium der EKBO, lässt über die Pressestelle mitteilen: „Uns ist es ein wichtiges Anliegen, entsprechend sinnvolle Konzepte kirchlicher oder diakonischer und damit dem Gemeinwohl orientierter Folgenutzungen zu finden.” Die seien aber nicht immer wirtschaftlich. „Dann kommt auch eine freie Vermarktung in Betracht.”

Auch die Katholiken bleiben vage, verweisen auf den langwierigen Prozess. Man müsse „gemeinsam tragfähige Lösungen finden”, sagen Markus Weber, Leiter des Arbeitsbereiches Pfarreientwicklung, und die Li.Ba.St, mit Blick auf die Immobilienentwicklung. Dabei wolle man auch den sozialen Gesichtspunkt mitdenken: „Neben wirtschaftlichen und ökologischen Aspekten betrachten wir auch, wie wir unserer sozialen Verantwortung mit Immobilien (…) gerecht werden.”

Wie genau, an wen oder wann die Kirchen ihre Grundstücke verkaufen, verpachten oder umnutzen wollen, das bleibt offen.

Mancher Experte hofft und zweifelt zugleich, dass die Kirche ihre Immobilien künftig effektiver nutzen wird. Marcus Nitschke vom Berliner Architekturbüro D:4 zum Beispiel. Er begutachtete mit seinem Team unter anderem rund 600 kirchliche Immobilien im Erzbistum Berlin und machte Vorschläge, wie beispielsweise Gemeindehäuser in Zeiten schrumpfender Mitgliederzahlen umgestaltet werden könnten. An diese Arbeit wollen nun die offiziellen Immobilienentwickler des Erzbistums anknüpfen.

Nitschke bemängelt, dass schneller über Abstoßung von Gebäuden gesprochen werde als über mögliche neue kooperative Nutzungen. Es gebe in den Kirchen eine weitgehende Tabuisierung des Themas Immobilienbesitz, „eine falsch verstandene Erhaltungskultur”. 

Profit statt bezahlbarer Wohnraum: Wie die Kirchen Geld mit ihren Grundstücken verdienen

Tatsächlich zeigen Beispiel, dass der soziale Aspekt bei kirchlichen Immobiliengeschäften in der Vergangenheit nicht immer eine Rolle spielte, sondern eher der Profit. Anfang der 2000er verkauften die Katholiken ihr erzbistümliches Berliner Wohnungsbauunternehmen „Petruswerk“.

Damals ging das Werk mit seinen mehr als 2300 Wohnungen in den Besitz des Investors Douglas Fernando mit seinem Immobilienunternehmen Avila Management & Consulting GmbH aus Potsdam über. Fernando handelt zwar laut eigener Aussage nach kirchlichen Werten, dies aber ausweislich seiner Geschäftstätigkeit nicht konsequent.

Als 2016 ein Bauprojekt fast fertig war – auf einem Grundstück, das er vom landeseigenen Krankenhausbetreiber Vivantes gekauft hatte und das nun auch zum Petruswerk gehört –, versprach er dem Bezirk Neukölln und seiner damaligen Bürgermeisterin Franziska Giffey: „Unser Richtwert ist der Mietspiegel.” Aktuell liegen die Quadratmeterpreis angebotener Wohnungen bei 25 bis 26 Euro, mindestens 10 Euro mehr als der Mietspiegel für vergleichbare Wohnungen vorsieht.

Obwohl es damals offenbar Zweifel gab – woher kamen Fernandos Millionen? – sowie mutmaßlich einen renommierten Mitbewerber – die katholische Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft mbH – verkaufte das Erzbistum an den unbekannten Unternehmer.

Die evangelische Kirche macht auf andere Weise Geld mit ihren Grundstücken. Sie vergibt sie per Erbpacht, darauf errichtete Gebäude gehören dann nicht notwendigerweise der Kirche, sondern beispielsweise einem privaten Eigentümer. Die EKBO begründet das wie folgt: „Durch die Bestellung von Erbbaurechten haben die Kirchengemeinden dauerhaft verlässliche und sichere Einnahmen, welche die kirchengemeindliche Arbeit vor Ort unterstützen.“ 

Kurz gesagt: Verkaufen kann man nur einmal.

Frank Röger, Leiter des kirchlichen Bauamts bei der EKBO, wünscht sich mehr Kooperation zwischen Bezirken und Gemeinden. Warum ein Kirchengebäude nicht zeitweise auch einer Musikschule zur Verfügung stellen, einem Chor, Vereinen, gemeinwohlorientierten Organisationen? 

„Auf alten Stadtkarten sind die Kirchengebäude häufig weiß eingezeichnet, so wie Straßen und Plätze. Nicht schwarz wie private Gebäude und Pfarrhäuser“, erklärt Röger. „Eine Kirche wurde auch schon damals als ein öffentlicher Raum betrachtet, für alle zugänglich.“

Was an privat verkauft oder verpachtet wird, steht der Allgemeinheit nicht mehr zur Verfügung. Nutznießer bleiben die, die die Einnahmen kassieren: die Kirchen.

Immobiliengeschäfte sind für die Kirchen in Zeiten sinkender Mitgliederzahlen und Steuereinnahmen eine Möglichkeit, solvent zu bleiben. Es ist absehbar, dass sie bald wichtiger denn je sein könnten; dass die Kirchen zeitnahe und sinnvolle Konzepte für ihre zahlreichen Immobilien und Liegenschaften finden müssen, um zu überleben. Stillstand in Sachen Grundstücksverwaltung ist dann nicht mehr möglich.

Wird auf den Berliner Kirchengrundstücken im Rahmen dessen bezahlbarer Wohnraum gebaut? Oder wird der Profit im Vordergrund stehen? „Hoffnung lässt nicht zuschanden werden”, heißt es in der Bibel. Salopp übersetzt: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Über das Projekt

Dieser Artikel ist Teil der europäischen Recherche „Sacred Grounds”, in deren Rahmen ein internationales Team zu Kirchenbesitz in mehreren Ländern recherchiert. Mehr Informationen finden Sie auf der auf der Website des Projekts.

Es ist die Fortsetzung der Recherche „Ground Control”. Mithilfe von Datenanalysen, Satellitenbildern, Vor-Ort-Reportagen und Experteninterviews versucht „Ground Control”, Licht ins Dunkel des europäischen Bodenmarkts zu bringen. Besonderer Fokus ist Bauland und der Handel mit Grundstücken. Der europäische Bodenmarkt ist intransparent. Das erschwert es, Unternehmen zu identifizieren, die Land kaufen, um damit zu spekulieren, oder die Politik für verantwortungslose Deals zur Rechenschaft zu ziehen. Und es verhindert eine transparente Debatte darüber, wie wir als Stadt die letzten Freiflächen nutzen können.

Deswegen recherchieren Medien in verschiedenen europäischen Hauptstädten gemeinsam urbanen Landbesitz. Eine Übersicht aller internationalen Veröffentlichungen finden Sie auf der Projektwebseite.

Die Veröffentlichungen unserer internationalen Partner zu Kirchenbesitz beschäftigen sich mit Verkäufen der katholischen Kirche an andere Konfessionen (Göteborgs Posten, Schweden), Rekordeinkünften der katholischen Kirche durch Staatsleistungen (Deník Referendum, Tschechien) und damit, wie die katholische Kirche ihre Immobilien bewirtschaftet (IrpiMedia, Italien).

Partnermedien und Rechercheorganisationen

Belgien: Apache, Tschechien: Deník Referendum, Frankreich: Mediapart, Polen: Gazeta Wyborcza, Frontstory.pl, Ungarn: Telex, Slowakei: ICJK, Norwegen: iTromsø, Schweden: Göteborgs Posten, Italien: Irpi Media

In den nächsten Wochen werden weitere Egebnisse veröffentlicht. Einige Rechercheergebnisse aus anderen Städten und Sprachen werden wir zusammenfassen und auf Deutsch übersetzen.

Die Entwicklung der Technologien für das Urban Journalism Network sowie diese Recherche werden durch das Programm Stars4Media unterstützt.

Fragen? Hinweise? Anregungen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Das Team

Corin Baurmann
Datenanalyse
Nina Breher
Recherche und Text
Katja Demirci
Recherche und Text
Kalina Filkova
Aufmacher
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Internationale Recherchekoordination
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Datenmanagement
Hendrik Lehmann
Internationale Koordination Daten und Visualisierung
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Webentwicklung
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Designvorlagen
Veröffentlicht am 26. Juli 2024.